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- Kollektivität versus Individualität: Ist Heterogenität eine Belastung oder Chance für den Unterricht?
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Abb.: 13
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Deutschland versteht sich gern als Land der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Ob Mädchen oder Junge, arm oder reich, Migrantenkind oder nicht: Jeder darf jede Schule besuchen, um sich seinen Fähigkeiten entsprechend entwickeln zu können. Das Ziel lautet zudem Inklusion. Das bedeutet, dass auch beeinträchtigte Kinder und Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Grundschule integriert werden sollen. Grundschullehrer und Sonderpädagogen sind deshalb aufgefordert, mit dem Ziel zusammenzuarbeiten, allen Kindern gleiche Chancen zu bieten. Doch wie sieht dies in der Realität aus? Wie kann Unterricht so vielen verschiedenen Kindern gerecht werden? Ist es bei der vorherrschenden Heterogenität überhaupt möglich, annähernde Chancengleichheit herzustellen? Im Rahmen des vorliegenden Buches werden diese Fragen untersucht und diskutiert. Zunächst wird der Begriff der Heterogenität, der immer wieder in aktuellen Bildungsdebatten auftaucht, beleuchtet. Warum sind Kinder so unterschiedlich und wodurch unterscheiden sie sich? Welche Erscheinungsformen von Heterogenität treten besonders in der Grundschule auf? Anschließend wird die historische Entwicklung von Schule und deren Verständnis von Vielfalt dargestellt. Außerdem stehen unterschiedliche Aspekte der Leistungsvielfalt und der Altersheterogenität im Fokus. Dabei sollen die Möglichkeiten des Umgangs im Unterricht mit Heterogenität beleuchtet werden. Es geht um Fragen wie: Muss es ein Problem für den Unterricht und die Lehrkräfte bedeuten, wenn Kinder sich unterscheiden? Oder gibt es Möglichkeiten, diese Unterschiede zu nutzen? Welche Anforderungen stellt Verschiedenheit an das Lehrerhandeln? Zudem wird diskutiert, was einen guten Unterricht für heterogene Schulklassen ausmacht und wie die dazugehörige Elternarbeit aussieht. Auch die Problematik der Leistungsbeurteilung wird an dieser Stelle thematisiert. Mittels einer Befragung unterrichtender Lehrkräfte an verschiedenen Schulen werden die theoretischen Erkenntnisse zur Heterogenität abschließend auf den Prüfstand gestellt. Unter anderem stehen dabei die Unterschiede zwischen einer reformpädagogisch orientierten Schule und einer Regelschule im Mittelpunkt.
Textprobe: Kapitel 4.2.1, Grundsatz: Innere Differenzierung: Ein Grundsatz, um auf Vielfalt einzugehen, ist die innere Differenzierung, auch genannt Binnendifferenzierung. Im Gegensatz zur äußeren Differenzierung will man die Schüler hier nicht durch organisatorische Maßnahmen selektieren, sondern man versucht durch Maßnahmen im Unterricht eine größere Differenzverträglichkeit herzustellen. Dieser Grundsatz stammt aus der Reformpädagogik und wird heute im Zusammenhang mit Heterogenität neu aufgearbeitet. Definieren kann man innere Differenzierung als ‘[...] unterschiedliche didaktische Maßnahmen, denen gemeinsam ist, dass durch sie das Anspruchsniveau, die Art der Lernanregung (‘Eingangskanal’) und die Form der erwarteten Ergebnisse variiert werden können und so eine bestmögliche Passung von Lernenden und Lerngegenstand geschaffen wird.’ (Joller-Graf 2010: 122). Ziel ist es dabei, den Schülern individuellere Zugänge zu Themen und vielfältigere Perspektiven auf Themen zu bieten und gleichzeitig auch das soziale Lernen der Klasse durch Teamwork und Gruppenarbeit zu schulen. Um dies erreichen zu können, müssen die angewendeten Methoden aber einige Anforderungen erfüllen. Auf drei verschiedenen Ebenen müssen diese Methoden greifen, wenn sie Heterogenität unterstützen wollen. Zuerst einmal geht es um die inhaltliche Ebene, denn dem einzelnen Schüler muss es möglich sein, zu gleicher Zeit mit einem anderen Lerngegenstand arbeiten zu können als seine Mitschüler. Dieser Unterschied der Lerngegenstände kann bezogen sein auf den Gegenstand selbst, aber auch auf das Anforderungsniveau, den Aufgabenumfang oder die Zielsetzung. Sie können sich aber auch einfach unterscheiden, da sie andersgeartete Interessen abdecken. Der Schüler soll die Möglichkeit haben, sich mit Problemstellungen auseinanderzusetzen, die an sein persönliches Vorwissen anknüpfen und für ihn persönlich sinnvoll erscheinen. So können zum Beispiel auch Fähigkeiten, Talente und Fertigkeiten aus außerschulischen Bereichen mit eingebaut werden. Eine weitere Anforderung von Differenzierung ist es, dass die Unterrichtsgestaltung den Schülern unterschiedliche Lerntempi und unterschiedliche Sozialformen ermöglicht. Differenzierung muss also auch auf organisatorischer Ebene möglich sein. Zum Beispiel ist ein problembezogener Austausch zwischen den Schülern wichtig, weil sie auf diese Art von- und miteinander lernen können. Die dritte Ebene, ist die der Unterstützung. Hier kommt es darauf an, den Schülern Hilfe zu geben, die alleine nicht weiterkommen und andere, die selbstständig arbeiten, in Ruhe zu lassen. Dabei müssen die Lehrkräfte genau beobachten, wann welches Kind welche Hilfe benötigt. Deshalb ist es wichtig und notwendig, dass die Lehrkraft genau diagnostiziert, wo welcher Schüler steht und durch was er oder sie zu begeistern ist. Dieses Unterstützungsverfahren setzt voraus, dass für die Schüler passende Lernangebote, für das jeweilige Anforderungsniveau und die unterschiedlichen Motivationen und Interessen bereitstehen. Es ist nämlich wichtig, dass das Lernangebot weder über- noch unterfordert. Denn das Gehirn schweift bei Unterforderung ab und ist bei zu schweren Aufgaben nur auf das Umgehen der Aufgabe konzentriert (vgl. Spitzer 2006). Eine Gefahr der Binnendifferenzierung liegt in der zunehmenden Komplexität der Unterrichtsgestaltung, weshalb es sehr wichtig ist, nicht jedem Schüler individuell ein Angebot machen zu wollen, sondern eher eine breite Basis an Angeboten bereitzustellen und diese mit der Unterstützung der Lehrkraft weiter zu differenzieren. Die Lehrkraft wird demnach zu einem dynamischen Teil des Lernangebots und kann, wenn Schüler keinen Zugang finden, oder die Aufgabe trotz allem zu schwer ist, das Angebot individuell anpassen. Dies erfolgt durch gesteigerte Hilfestellung, der Umformulierung von Aufgaben oder auch das Verändern der Zielsetzung (vgl. Joller-Graf 2010). Wichtig ist auch, das Lernangebot auf lernrelevante Dimensionen zu beschränken und so zu gestalten oder zu wählen, dass der Schüler eine möglichst hohe Chance hat, sich selbst zu kontrollieren. Denn jeder soll in seinem selbstständigen Lernen gefördert werden und es entlastet die Funktion des Lehrers, der diese Zeit eher in die Unterstützung verschiedener Schüler oder der Vermittlung von Schüler und Lernmaterial investieren muss. In einigen empirischen Studien wurde belegt, dass selbstständiges Arbeiten den Lernerfolg des Einzelnen erhöht. Denn wenn im Plenum gearbeitet wird, ist es nicht möglich, jedem Schüler die Zeit an einem Lerngegenstand zu geben, die er braucht, weil sich diese Zeitspanne von Schüler zu Schüler extrem unterscheidet. Umso mehr der Unterricht aber weg vom gemeinsamen Unterricht und hin zum eigenständigen Arbeiten geht, umso mehr ist diese individuell angepasste Lernzeit gewährleistet. Voraussetzung für eine effektive Nutzung dieser Lernzeit ist jedoch, dass pädagogisch gut durchdachte und an die Vielfalt angepasste Lehrmittel, Lerngegenstände und Materialien den Kindern zur Verfügung stehen. Daran sieht man, dass Binnendifferenzierung nicht nur eine Unterrichtsmethode ist, sondern es sich hier um ein didaktisches Konzept handelt. Es geht um eine Grundlage für die Gestaltung des Unterrichts, die in verschiedenen Methoden, Materialien und Unterrichtsformen zum Tragen kommt. Im Folgenden sollen die Grundzüge möglicher Unterrichtsarrangements zusammengefasst werden, mit denen Lehrkräfte der heutigen Zeit versuchen, ‘guten’ Unterricht zu gestalten. Die beschriebenen Methoden gibt es in der Praxis in unterschiedlichen Umsetzungen.
Viola Sauer wurde 1986 in Rosenheim geboren. Sie studierte Grundschullehramt an der Universität Passau und schloss ihr Studium im Frühjahr 2012 mit dem Staatsexamen ab. Bereits während des Studiums sammelte die Autorin praktische Erfahrungen an verschiedenen Schulen. In diversen Praktika beobachtete sie die Heterogenität von Schülern und bemerkte den unterschiedlichen Umgang der Lehrkräfte mit dem Thema. Aus diesem Grund setzte sie sich ausführlich mit den theoretischen Hintergründen auseinander.
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