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Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 136
Abb.: 10
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Im Gegensatz zum formalen Lernen in institutionalisierten Bildungseinrichtungen lässt sich das informelle Lernen als eine natürliche Begleiterscheinung des täglichen Lebens bezeichnen, das sich sowohl bewusst als auch unbewusst im unmittelbaren Lebensvollzug der Individuen vollzieht. Informelle Lernprozesse nehmen in allen Teilen der Welt sowie in allen Entwicklungsstufen der Völker einen herausragenden Einfluss auf die Kompetenzentwicklung. Bereits in den siebziger Jahren wurde im UNESCO-Bericht der Faure-Kommission über Ziele und Zukunft unserer Erziehungsprogramme in Bezug auf primitive Gesellschaften festgestellt, dass diese informellen, nicht institutionalisierten Formen des Lernens und der Lehrzeit in weiten Teilen der Welt und dort immer noch die einzige Art der Erziehung von Millionen von Menschen sind. Auch im Memorandum über Lebenslanges Lernen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften wird die Bedeutung informellen Lernens hervorgehoben, indem darauf verwiesen wird, dass das informelle Lernen die Hauptstütze des Lernens im frühen Kindesalter bilde. Für Dohmen stellt es sogar die Grundform menschlichen Lernens überhaupt dar. Die Bedeutung informellen Lernens lässt sich ebenso unter quantitativen Gesichtspunkten darstellen: Verschiedene Studien belegen, dass 70 bis 90 Prozent der berufsrelevanten Kompetenzen außerhalb institutioneller Bildungseinrichtungen erworben werden. Auch die Ergebnisse einer kanadischen Erhebung über informelles Lernverhalten weisen in eine ähnliche Richtung: Demnach befassten sich über 95 Prozent der erwachsenen Kanadier mit verschiedenen informellen Lernaktivitäten, während die Teilnahme an organisierten Bildungsmaßnahmen mit 50 Prozent dagegen vergleichsweise gering war. Zudem lag der für den informellen Kompetenzerwerb aufgebrachte Zeitaufwand mit 15 Wochenstunden signifikant höher als die für formale Weiterbildungsmaßnahmen erbrachten vier Wochenstunden. Wenn sich nun der weitaus größere Teil menschlicher Lernprozesse offenbar außerhalb institutionalisierter Bildungseinrichtungen vollzieht und das Leben somit selbst zum Lehrmeister wird, so erfordert dies ein erweitertes Lernverständnis, das dass kompetenzentwickelnde informelle Lernen ausdrücklich einschließt.
Kapitel 2.3.2, Informelles Lernen als selbstgesteuertes Lernen: Auch das selbstgesteuerte Lernen lässt sich als eine spezifische Ausrichtung des informellen Lernens betrachten. Im Unterschied zum beiläufigen und impliziten Lernen macht der Begriff Selbststeuerung deutlich, dass sich diese Lernform auf aktive, bewusste und intentionale Aneignungsprozesse des Lernenden bezieht, der selbst entscheidet, ob, was, wann und wie er lernt. Der Begriff des selbstgesteuerten Lernens wird in der Literatur, ebenso wie der des impliziten Lernens, nicht einheitlich verwendet. Oft wird dieser Ausdruck mit selbstorganisiertem, selbstbestimmtem, selbstreguliertem und selbsttätigem Lernen gleichgesetzt. Einige Autoren hingegen grenzen diese Begriffe voneinander ab. Schiersmann und Strauß sprechen deshalb zutreffend von einem Modebegriff, der sehr diffus und unterschiedlich verwandt wird. Auch für Weinert ist das selbstgesteuerte Lernen weder ein präzise definierter wissenschaftlicher Begriff noch eine einheitlich gebrauchte alltagssprachliche Bezeichnung. Der häufig benutzte Ausdruck ist ständig in Gefahr, zu einem vieldeutigen, schillernden und ideologieanfälligen Schlagwort zu werden. Aufgrund dieser Diversität gilt es darzulegen, von welchem Begriffsverständnis des selbstgesteuerten Lernens im Weiteren ausgegangen wird. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf eine konzeptionelle Klärung des Begriffs, auf die sich die Mitglieder der Konzertierten Aktion Weiterbildung (KAW) im Rahmen des Kongresses Selbstgesteuertes Lernen geeinigt haben. Demnach ist das ausschlaggebende Kriterium von selbstgesteuertem Lernen, daß die Lernenden über die Zielausrichtung und die Hauptwege ihrer Lernprozesse und in diesem Zusammenhang auch über die Nutzung der organisierten Lernangebote und institutionellen Lernunterstützungen durch die Lernorganisationen im wesentlichen selbst entscheiden. Hieraus ergibt sich nach Dohmen, dass das selbstgesteuerte Lernen – im Unterschied zum selbstorganisierten Lernen – eine Inanspruchnahme von fremdorganisierten Lernangeboten nicht ausschließt. Es handelt sich somit nicht um eine Polarisierung, sondern um eine wechselseitige Ergänzung von selbstgesteuertem und fremdorganisiertem Lernen. Folglich kann eine Selbststeuerung des Lernens nicht nur auf informellem Wege, sondern ebenso innerhalb institutioneller Rahmenbedingungen erfolgen. Diese Ausführungen berücksichtigen den Umstand, dass sich das selbstgesteuerte Lernen einer pädagogischen Unterstützung nicht entzieht und dass es die Rolle der Lehrenden nicht überflüssig macht. Hingegen ist eine reine Fremdbestimmung des Lernens nicht möglich, da jeder Lernprozess immer auch selbstregulative Aktivitäten enthält. Voraussetzung für eine derartige Selbststeuerung ist das Vorhandensein ausreichender Spielräume für die eigenständige Festlegung des Was, Wann, Wie und Wo. Indem der Lernende diese Selbststeuerung nutzt und selbstständig Entscheidungen über seine Lernprozesse trifft, übernimmt er die Rolle seines eigenen Lehrers. In diesem Sinne ist die Position eines Lehrers nicht mehr die eines Experten, der Lerninhalte vorgibt, sondern vielmehr die eines beratenden Moderators. Da Lernende somit selbst für die Aneignung von Wissen und für die Gestaltung und Steuerung ihrer Lernprozesse verantwortlich sind, geschieht dies auf freiwilliger Basis, wodurch sich Lernmotivation und Effektivität der Lernprozesse steigern. Folglich lässt sich selbstgesteuertes Lernen zwischen autonomer Selbstbestimmung auf der einen Seite und fremdbestimmtem Eingepaßtwerden in vorgegebene Lernarrangements auf der anderen Seite ansiedeln. Ein weiterer Aspekt des selbstgesteuerten Lernens bezieht sich auf den Grad der Selbststeuerung von Lernprozessen. Für Straka liegt selbstgesteuertes Lernen vor, wenn der Lernende Autonomie hinsichtlich der Frage nach dem Was und Wie erlebt, wobei innerhalb der Phasen des Wie graduelle Abstufungen auftreten können. Von einem sehr hohen Grad an Selbststeuerung kann dann ausgegangen werden, wenn der Lernende zwischen vielfältigen Lernangeboten und -bedingungen (Lernziele, Lerninhalte, Lernregulierung, Lernwege und Erfolgsüberprüfung) entscheiden kann. Je nachdem, wie stark diese Faktoren vom Lernenden selbst bestimmt werden, ist die Ausprägung des Selbststeuerungsgrads geringer oder stärker. Der Bezug des selbstgesteuerten Lernens zum informellen Lernen ist unverkennbar, wenn man Weinerts Grundverständnis vom selbstgesteuerten Lernen aufgreift. Danach kann der Lernende die wesentlichen Entscheidungen, ob, was, wann, wie und woraufhin er lernt, gravierend und folgenreich beeinflussen. Selbstgesteuertes Lernen ist jedoch nicht mit informellem Lernen gleichzusetzen. Einer Selbststeuerung des Lernens liegt eine bewusste Gestaltung der Lernprozesse durch das Individuum zugrunde. Da informelles Lernen hingegen auch implizit und nicht-intendiert erfolgen kann, lassen sich beide Lernformen nur als besondere Ausprägungen innerhalb des informellen Lernens betrachten. Kapitel 2.3.3, Informelles Lernen als Erfahrungslernen: Das Erfahrungslernen und seine Bedeutung für die Kompetenzentwicklung fand – obwohl es sich dabei nicht um einen neuen Lernansatz handelte – im Bereich der beruflichen Bildung über viele Jahre hinweg keine Beachtung. Erst im Zuge der Debatte um die Förderung des lebenslangen Lernens gewann das Erfahrungslernen einen zunehmend höheren Stellenwert. Dem Begriff des Erfahrungslernens liegt in der Alltags- und Fachsprache allerdings kein einheitliches Verständnis zugrunde. Besonders im angelsächsischen Raum findet zudem oftmals eine Gleichsetzung von informellem Lernen und Erfahrungslernen (experiential learning) statt. In den folgenden Ausführungen wird von einem Verständnis des informellen Erfahrungslernens ausgegangen, das sich auf das direkte Verarbeiten von Primärerfahrungen zu jeweils handlungs- und pro-blemlösungsrelevantem Wissen bezieht. Primärerfahrungen beruhen auf einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit verschiedenen Reizstrukturen, Sinneseindrücken, Begegnungen, Informationen und Erlebnissen des direkten Lebenszusammenhangs. Diese können sowohl rationaler als auch intuitiver Art sein. Im Unterschied zum theoretischen und erfahrungsfremden formalen Lernen, das nach pädagogischen Gesichtspunkten organisiert wird, vollzieht sich das informelle Erfahrungslernen jenseits pädagogischer Intentionen im unmittelbaren Erleben der Umwelt. Es kann aber erst dann von einem informellen Erfahrungslernen gesprochen werden, wenn eine vergleichende Reflexion der gesammelten Eindrücke vorgenommen wird und wenn diese in bisher entwickelte Erfahrungs- und Vorstellungszusammenhänge eingefügt werden. Erst die reflexive Auseinandersetzung mit den gesammelten Primärerfahrungen führt zu dem Erwerb eines Erfahrungswissens. Die kritische Auseinandersetzung mit gesammelten Erfahrungen kann dabei sowohl von den Lernenden selbst als auch von außen eingeleitet werden. Oftmals wird ein derartiger Reflexionsprozess durch veränderte Problemsituationen (Konflikte, Krisen, Veränderungen der Alltagswelt etc.) angestoßen und zwar häufig dann, wenn die durch Handlung erworbenen Erfahrungen nicht mehr zu einer erfolgreichen Bewältigung der Situationen ausreichen. Unter diesen Bedingungen erfolgt das Lernen somit nicht mehr beiläufig, sondern die Erfahrungen werden bewusst reflektiert. Von daher stehen sie nicht mehr unvermittelt nebeneinander, sondern werden miteinander verknüpft und gegeneinander abgewogen, eventuell auch umstrukturiert, in ihrem Bedeutungsgehalt neu geordnet und auf ihre Tauglichkeit zur Steuerung der alltäglichen Lebenswelt überprüft. Im Unterschied zum theoretisch und systematisch organisierten formalen Lernen ist das informelle Erfahrungslernen nicht auf die Aneignung von Regelkenntnissen und Theorien ausgerichtet. Vielmehr zielt es auf den Erwerb eines praktischen Problemlösungswissens ab, das sich aus dem unmittelbaren Erleben in der Umwelt ergibt. Ein solches Erfahrungswissen ist nicht mit einem systematischen Wissen zu vergleichen, da es in erster Linie auf einem wachsenden Erfahrungsschatz beruht. Gegen das Erfahrungslernen wird oftmals eingewendet, dass es sich dabei um ein pragmatisch-instrumentelles Lernen handelt, das nicht kritisch reflektiert wird. Denn das Erfahrungslernen zielt im Wesentlichen auf ein besseres Zurechtkommen in der Alltagswelt ab, ohne dass dazu Regeln oder Theorien herangezogen werden. Jedoch kann gerade unter Bedingungen hoher Komplexität oftmals nur pragmatisch, oberflächlich und auf den jeweiligen Kontext bezogen gelernt werden. Ebenso lassen viele Anforderungssituationen gerade dann keinen Raum für detaillierte Analysen und Reflexionen, wenn schnelle und routinierte Handlungen gefordert sind. Ein analysierendes und reflektierendes Vorgehen kann unter bestimmten Umständen sogar als hinderlich angesehen werden. Da informelles Erfahrungslernen auf einen individuellen Erfahrungsbereich begrenzt bleibt und es oftmals nicht kritisch reflektiert wird, muss das formale Lernen, um zu einem systematischen Wissen zu gelangen, hier anknüpfen. Umgekehrt trägt auch ein rein theoriebezogener Wissenserwerb nicht hinreichend zu einer praktischen Bewältigung der eigenen Lebenssituationen bei, da er keinen lebenspraktischen Bezug aufweisen kann. So gesehen können formales Lernen und informelles Erfahrungslernen nicht als zwei völlig voneinander losgelöste Lernkonzeptionen betrachtet werden, da beide Lernformen in einem wechselseitigen Ergänzungsverhältnis zueinander stehen. Laur-Ernst betont, dass auch im Hinblick auf betriebliche Lernprozesse informelles Lernen nicht grundsätzlich mit Erfahrungslernen gleichgesetzt werden kann. Denn gerade in den arbeitsintegrierten Formen der Berufsbildung in Deutschland ist das Erfahrungslernen durch seine arbeitsnahe und handlungsorientierte Ausrichtung sowohl im schulischen als auch im betrieblichen Teil der Ausbildung von großer Bedeutung. Im Unterschied zum informellen Erfahrungslernen wird diese Form des Erfahrungslernens jedoch didaktisch strukturiert und vorbereitet. Dieses nach pädagogischen Aspekten planmäßig veranstaltete Erfahrungslernen (z.B. Lernstationen im Produktionsprozess, Projektausbildung, Erkundungen etc.) ist vom berufsrelevanten informellen Erfahrungslernen, das ungeplant und ohne didaktische Anleitung (z.B. bei Tätigkeiten an realen Arbeitsplätzen, im Berufsalltag oder im privaten Umfeld) erfolgt, zu unterscheiden. Trotz der von Laur-Ernst vorgenommenen Einschränkung existieren zahlreiche Berührungspunkte zwischen dem informellen Lernen und dem Erfahrungslernen. Beide Lernkonzeptionen ergeben sich aus dem unmittelbaren Erleben in der Umwelt jenseits pädagogischer Intentionen. Ebenso wie das informelle Lernen zielt auch das Erfahrungslernen nicht primär darauf ab, etwas zu lernen (im Sinne einer Aneignung von theoretischem Wissen und Regelkenntnissen), sondern es ist vor allem auf die Ausbildung von Handlungskompetenzen ausgerichtet. Insofern lassen sich beide Lernarten eher einem pragmatisch-instrumentellen Lernen zuordnen, das der unmittelbaren Bewältigung von Anforderungssituationen des Alltags dient, ohne dass dazu Erklärungen oder Theorien benötigt und herangezogen werden. Eine Identifizierung, Bewertung und Anerkennung der durch das Erfahrungslernen erworbenen Kompetenzen gestaltet sich jedoch äußerst schwierig: Das erfahrungsgeleitete Lernen erfolgt unter komplexen Bedingungen, die eine Vielzahl von Handlungsspielräumen ermöglichen. Geht man von einem konstruktivistischen Lernprinzip aus, so werden sowohl die Lernprozesse als auch die Lernergebnisse interindividuelle Unterschiede aufweisen. Unter dem Gesichtspunkt der Erfassung und Anerkennung von Kompetenzen schlägt Dehnbostel vor, nicht den Lernprozess selbst, sondern die aus dem Erfahrungslernen resultierenden Lernergebnisse unter Anrechnungsgesichtspunkten zu betrachten.
Anna Stegemann, geb. 1982, Diplom-Pädagogin, Studium der Erziehungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen, Schwerpunkt Erwachsenenbildung/Bildungsberatung am Institut für Berufs- und Weiterbildung. Abschluss 2007 als Diplom-Pädagogin.
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