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Pädagogik & Soziales

Christian Hofmeister

Hat Migration Auswirkung auf den psychischen Gesundheitszustand?

ISBN: 978-3-8428-8015-3

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Abb.: 16
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In dieser Arbeit geht es darum, welche Auswirkungen die Migration auf den Einzelnen hat und wie sich Veränderungen hinsichtlich psychiatrischer Entwicklungen zeigen. Nachdem im ersten Teil allgemeine Auskünfte zum Begriff der Migration, zu gegenwärtigen Tendenzen und zu geschichtlichen Aspekten bezüglich des Migrationsgeschehens in Deutschland gegeben werden, wird im zweiten Teil dieser Arbeit geklärt, welche Auswirkungen die Migration auf den Gesundheitszustand insgesamt hat und ob ein Zusammenhang zwischen Migration und psychischer Erkrankung gefunden werden kann. Im dritten Teil werden einzelne psychiatrische Krankheitsbilder beschrieben und auf migrationsspezifische und transkulturelle Aspekte hin untersucht, um im vierten Kapitel Probleme bei der Versorgung von Migranten zu beschreiben und Handlungsansätze für die Arbeit mit den Betroffenen aufzuzeigen. Der Fokus wird dabei auf häufig beschriebene Aspekte der aktuellen Wissenschaft und Praxis gelegt, weshalb bestimmte Migrantengruppen einen höheren Stellenwert in verschiedenen Teilen dieser Arbeit einnehmen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Psychische Erkrankung und Migration - Darstellung seelischer Erkrankungsbilder - migrationsspezifische Gesichtspunkte und transkulturelle Perspektiven: ‘Es gibt ein sehr unterschiedliches, von der jeweiligen Kultur geprägtes Verständnis von der Entstehung, dem Verlauf und der Heilung einer Krankheit. Gerade auf dem Gebiet der psychischen Störungen sind die Unterschiede groß. (...) Abhängig ist dies immer vom entsprechenden Krankheitsverständnis, welches beispielsweise eher westlich rational geprägt sein kann, basierend auf der Zweiteilung von Körper und Seele, oder der östlichen Mentalität entsprechend eher ganzheitlich geprägt ist oder auf den magischen Vorstellungen vieler Völker, die Götter und Geister für das Verständnis von Krankheiten heranziehen, basiert’ (Haasen et al. 2005, S. 147). Bei türkischen Klienten, die in Deutschland in einer nicht zu geringen Anzahl aufzufinden sind, ist die Erwartungshaltung an den behandelnden Arzt z.B. eine ganz andere, geprägt von schnellem Erfolg und großem Respekt vor dem Behandler (vgl. Haasen et al. 2005, S. 147). Auch Ursachen der gleichen Krankheit können, wie eingangs bereits beschrieben, einen kulturellen Hintergrund haben nicht nur hinsichtlich eines unterschiedlichen Krankheitskonzepts oder gesundheitsschädlicher Verhaltensweisen, sondern auch hinsichtlich verschiedener, kulturell bedingter Gesellschaftsbilder. So ist die Rollenverteilung in einer typisch türkischen Großfamilie eine völlig andere als bei uns, was wiederum ein Grund dafür ist, dass z.B. das Auftreten eines depressiv-phobischen Syndroms unter anderem auf die Einengung der so genannten Sippe zurückgeführt werden kann, wobei bei Deutschen das gleiche Syndrom eher auf emotionale Mangelerlebnisse zurückzuführen ist und somit genau entgegengesetzte Auslösekomponenten vorhanden sind (vgl. Kolcak 1995, S. 315). Im folgenden Kapitel sollen Symptome verschiedener Krankheitsbilder wie der Depression, posttraumatischer Belastungsstörungen, psychosomatischer Beschwerden, der Sucht und der Schizophrenie dargestellt werden. Zu Beginn eines jeden Abschnitts werde ich jeweils allgemeingülltige Aussagen zur Krankheit machen, um dann migrationsspezifische und. kulturelle Aspekte bzw. Einflüsse darzustellen. Hintergründe einzelner Migrantengruppen, von denen man ausgeht, dass sie besonders häufig betroffen sind, nehmen im jeweiligen Abschnitt einen besonderen Stellenwert ein. Vor allem werden das Arbeitsmigranten im Abschnitt über Psychosomatiken sein, Flüchtlinge im Abschnitt über Posttraumatische Belastungsstörungen und Aussiedler im Abschnitt über Sucht. 3.1, Depressionen: ‘Hauptmerkmal (der Depression) ist die niedergedrückte und pessimistische Grundstimmung mit allgemeiner Lust- und Antriebslosigkeit. Hinzu kommen häufig verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, Schuldgefühle mit unangemessenen Selbstvorwürfen, Hoffnungslosigkeit und körperlichen Beschwerden wie Schlafstörungen, Appetitverminderung, Gewichtabnahme, Verdauungsunregelmäßigkeiten und andere vegetative Symptome. Es besteht eine weitgehende Unfähigkeit, Freunde oder Interesse an normalerweise angenehmen Tätigkeiten und Erlebnissen zu empfinden bzw. darauf angemessen emotional zu reagieren. Das Gefühl der Verzweiflung und Aussichtslosigkeit führt bei schweren depressiven Verstimmungen nicht selten zu einer Suizidgefährdung’ (Zimmermann 2002, S. 199). In der Regel werden drei Formen der Depression unterschieden. Neben der psychogenen Form zählt man die exogene als auch die endogene Form hinzu. Die psychogene Form zeichnet sich dadurch aus, dass die Ursache, oft ein belastendes Erlebnis, für den Beobachter klar erkennbar und nachvollziehbar ist. Mann spricht dann auch von einer reaktiven Depression, die nach einem angemessenen Zeitraum wieder abklingt. Auch die neurotische Form gehört hierzu. Die Psychoanalyse sieht die Ursachen hierfür in einem nicht verarbeiteten frühkindlichen Konflikt. Eine endogene Depression kann ebenfalls reaktive Auslöser haben, hier spielen aber biologische und genetische Faktoren eine größere Rolle. Sie tritt meist phasenweise auf und oft stehen körperliche Symptome neben einer ‘leibnah empfundenen Melancholie’ (Zimmermann 2002, S.199) im Vordergrund. Es können außerdem Wahnvorstellungen auftreten, in denen menschliche Grundängste überzogen wahrgenommen werden. Ein drittel dieser Form verläuft bipolar manische Phasen spielen also neben depressiven Phasen eine Rolle. Die Exogene Depression, die dritte Form dieses Krankheitsbildes, kann durch körperliche Erkrankungen z.B. in Form von Hirntumoren, der Alzheimerkrankheit oder Schieldrüsenfehlfunktionen ausgelöst werden (vgl. Zimmermann 2002, S. 199). Fast 6 % der Weltbevölkerung leidet unter einer Depression. Da das menschliche Verhalten und Erleben unter anderem durch kulturelle Einflüsse bestimmt wird, ist die Krankheit ebenfalls ein Produkt dessen, wobei biologische und intrapsychische Faktoren auf Grund der eben geschilderten Ursachen nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Abhängig vom Kulturkreis findet Depressivität individuelle Ausdrucksformen. Um aber so genannte ‘culture bound syndrome’ aufzulösen hat man den Begriff der Depression Ende der 70er Jahre weiter gefasst. Über das Vorkommen von Depressionen in den Kulturen gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen und Auswertungen, was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, dass trotz der Erweiterung des Depressionsbegriffs noch immer nach kulturunabhängigen Symptomen gesucht wird. In der westlichen Kultur wird beispielsweise eine Störung des Affekts pathologisiert, wobei in östlichen Kulturen das Leiden zu den ‘vier Grundwahrheiten’ gehört. Auch eine ganzheitliche Betrachtungsweise von Krankheit und Wahrnehmung von Depressivität ist für das westliche Verständnis eher untypisch. Wie bereits erwähnt, geht man von einer stärkeren Somatisierung (siehe nächstes Kapitel) bei Migranten aus, was neben anderen Faktoren, mit der ganzheitlichen Betrachtungsweise in Zusammenhang gebracht werden kann. Sartorius et al. konnten in einer breit angelegten Studie trotz der herrschenden Unsicherheit einige Kernsymptome der Depression ausfindig machen. ‘Traurigkeit, Freudlosigkeit, Angst und Anspannung, Energielosigkeit, Interessenverlust, Konzentrationsverlust, Insuffizienzgefühle, Versagensgefühle sowie das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit’ (http://www.transcript-verlag.de/ts435/ts435_1.pdf, S.17,18 ) kann man unabhängig der jeweiligen Kultur bei Betroffenen finden. Körperliche Symptome, Schuldgefühle, Suizidideen oder auch depressive Wahnideen sind neben anderen Faktoren hingegen stärker kultureller Prägung. ‘Die zentrale Annahme Sartorius ist es, dass diese Symptome durch Pathoplastizität gekennzeichnet sind’ (http://www.transcript-verlag.de/ts435/ts435_1.pdf, S.18). Van Quekelberghe macht darauf aufmerksam, dass bereits bei der Beschreibung depressiver Symptome große Schwierigkeiten auftreten können. In vielen Ländern besteht keinerlei Übersetzungsmöglichkeit für diesen Begriff oder es existiert ausschließlich ein Begriff für mehrere Symptome. So sagt man im nigerianischen beispielsweise ‘das Herz ist schwach’ oder ‘das Herz ist nicht in Ruhe’, was bei uns niemals mit einer Depression in Verbindung gebracht werden würde. Im Chinesischen und auch anderen nichteuropäischen Ländern beschreibt man häufig körperliche Symptome, die sich auf das Herz und den Brustbereich beziehen (vgl. van Quekelberghe 1991, S. 51-53). Ein weiterer Faktor für die unterschiedliche Darstellung einer Depression ist in der Sozialisation eines Menschen zu sehen. Ist die Identität einer Person sehr stark an eine Gruppe geknüpft, wie es bei Migranten oft der Fall ist, müssen depressive Symptome so ‘dargestellt’ werden, dass diese Identität nicht aufgegeben werden muss. Anders als bei Menschen des westlichen Kulturkreises, wo die Krankheit oftmals von Schuldgefühlen begleitet wird, werden hier häufiger ‘magische Interpretationen’ gewählt, da das Fremdwerden der Umwelt, wie es gehäuft bei Depressiven zu finden ist, auch die Bezugsgruppe einschließt mit der sich der Betroffene identifiziert, was wiederum zu einem Fremdwerden des Selbst führt (vgl. Yagdiran, Boyali 2000, S.29-39). ‘Bei Migranten treten Depressionen vor allem in der zweiten Generation auf, die zwischen den Kulturen und deren unterschiedlichen Werten hin und her schwankt’ (Hoffmann 1998, S. 287). Die Behandlung erfolgt aber gerade bei Migranten nur unzureichend, was mit Defiziten im Hilfesystem erklärt werden kann (vgl. Hoffmann 1998, S. 287). Fatih Cüc macht hinsichtlich der Identitätsfindung der zweiten und dritten Generation auf den Zusammenhang von Scham- und Schuldefekte aufmerksam. Bei Menschen aus dem Mittelmeerraum und aus arabischen Ländern ist die höchste gesellschaftliche Autorität der ‘Scham’, wohingegen bei uns eher eine ‘Schuldkultur’ vorherrscht und die höchste Autorität aus dem ‘guten Gewissen’ besteht. Im Identifikationsprozess prallen diese Kulturen nun aufeinander und können bei den Betroffenen, bei höherem Autonomiestreben als es in der Kultur eigentlich üblich ist, verstärkt Scham- und Schuldgefühle der Herkunftskultur gegenüber auslösen, was sich wiederum in selbststrafenden Gedanken und Handlungen äußert (vgl. Wohlfart et al. 2005, S. 159).

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