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- Gesund in der Krankheit? Salutogenese als Wegweiser für neue Ansätze im psychiatrischen Versorgungssystem
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2011
AuflagenNr.: 1
Seiten: 172
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Frage nach den Vorstellungen von Gesundheit ist nicht neu. Gesundheit ist ein hohes Gut, ein Ziel und ein guter Wunsch, den man gerne weitergibt. Umso fraglicher ist es, dass dieses hohe Gut offenbar nicht allen Menschen gleichermaßen zugestanden wird. Betrachtet man die Psychiatrie als gesellschaftliche Institution sowie all jene, die aufgrund biographischer Krisen und diagnostizierter psychischer Störungen schon einmal auf der anderen Seite der Normalität gestanden haben, scheint die Frage nach Gesundheit nicht mehr angemessen zu sein. Die Suche nach Krankheitsursachen und das Minimieren von Risikofaktoren gemäß der pathogenetischen Betrachtungsweise der Medizin durchdringen weite Teile des Gesellschaftssystems, aber auch zahlreiche Arbeitsfelder und Einrichtungen des psychiatrischen Hilfesystems. Ambulante oder komplementäre Angebote, die Gesundheit in den Vordergrund der Arbeit stellen, sind bislang nur vereinzelt auszumachen, insbesondere, wenn man die Kategorie Geschlecht als weiteres Kriterium einer gesundheitsorientierten Arbeit hinzuzieht. Die von neueren Konzepten ausgehenden Impulse wie Empowerment, Ressourcenorientierung und Recovery lassen hier auf eine Weiterentwicklung hoffen. Mit dem Aufgreifen der salutogenetischen Betrachtungsweise wird in dieser Studie anhand der biographischen Rekonstruktion der Gesundheitsvorstellungen von Frauen mit Psychose- und Psychiatrieerfahrung aufgedeckt, welche Elemente aus subjektiver Sicht für die Entstehung und den Erhalt der Gesundheit von Bedeutung sind. Obwohl das Salutogenetische Modell von A. Antonovsky bereits vor über 30 Jahren entwickelt wurde, liefert es immer noch wichtige Anregungen für die Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit und ist als Gegenmodell zur medizinischen Sichtweise auch unter gegenwärtigen Bedingungen als wegweisend für die Gestaltung des psychiatrischen Versorgungssystems einzustufen.
Textprobe: Kapitel 4.3, Strukturen psychiatrischer Versorgung: Die psychiatrische Versorgungslandschaft umfasst seit der Umsetzung der Empfehlungen der Psychiatrie-Enquete den Bereich der stationären, ambulanten und komplementären Versorgung sowie den Bereich der beruflichen Rehabilitation. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend differenziert unter geschlechterbezogener Perspektive des Weiteren nach frauenspezifischen Initiativen von Beratungsstellen, Frauengesundheitszentren und Selbsthilfegruppen. Die Organisation der Versorgung psychisch Kranker wird in den Psychisch-Kranken-Gesetzen (Psych KG) der einzelnen Bundesländer geregelt und ist aus diesem Grund in Deutschland nicht einheitlich. Die jeweiligen Kommunen und überörtlichen Sozialhilfeträger tragen die Verantwortung für die Gewährleistung von Hilfe und Koordinierung der kommunalen Versorgungsstrukturen mit der Verpflichtung, ambulanten vor stationären Maßnahmen den Vorrang zu gewähren. Der freien Wohlfahrtspflege kommt als Träger psychiatrischer Hilfen neben öffentlich-rechtlichen Einrichtungen dabei eine immer bedeutendere Rolle zu. Die breite Palette der Versorgungsangebote folgt dem staatlichen Subsidiaritätsprinzip, wonach der Staat erst dann zur Bereitstellung von Hilfen verpflichtet ist, wenn kleinere Einheiten wie die freie Wohlfahrtspflege und die Betroffenen selbst keine angemessene Hilfe bereitstellen können. Die Angebote freier oder kirchlicher Träger haben somit Vorrang vor staatlichen oder kommunalen Versorgungsangeboten. Die Finanzierung erfolgt in den meisten Fällen über Bestimmungen des SGB, im ambulanten Bereich stellt die Erwirtschaftung und Einbringung von Eigenmitteln allerdings eine wichtige Säule der Finanzierung dar. Geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung? ‘Die psychiatrische Versorgung in Deutschland ist im Wesentlichen geschlechtsindifferent. Wenn Geschlechtsunterschiede gesehen werden, dann werden sie meist durch die körperlichen Unterschiede erklärt’. In der stationären Versorgung sind geschlechtsspezifische Behandlungsformen nur vereinzelt vertreten. In der ambulanten Versorgung zeigt sich ein ähnliches Bild. Frauenspezifische Angebote finden sich auch hier nur vereinzelt und überwiegend in größeren Städten. Der Zugang zu Institutionen und Angeboten der gesundheitlichen Versorgung ist damit von ‘geschlechtsbezogenen Ungleichheiten’ geprägt. Zudem bestehen in vielen Bereichen erhebliche Defizite in der Erforschung der Gesundheit von Frauen, insbesondere in der psychiatrischen Forschung, in der Themen und Fragestellungen nur in geringem Umfang geschlechtsdifferent aufgegriffen werden. Vertreterinnen der Frauengesundheitsforschung plädieren aus diesem Grund für eine verstärkte Erforschung und Weiterentwicklung einer frauengerechten gesundheitlichen Versorgung, einer differenzierteren Analyse der Ressourcen zur Gesund-erhaltung der Frauen, der Bedeutung sozialer Netzwerke, subjektiver Gesundheits- und Körperkonzepte sowie der Betrachtung der Gesundheit im Lebenslauf. Daraus leitet sich primär die Forderung einer Weiterentwicklung der Erklärungsmodelle auf theoretischer Ebene sowie eines verstärkten Handlungsbedarfs auf der Ebene der gesundheitlichen Versorgung in eine ‘geschlechtergerechte und geschlechtersensible Richtung’ (ebd.) ab. Dabei soll das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit (‘gender equity’) durch die geschlechtsspezifische Bearbeitung eines Themas in Forschung, Politik und Praxis erreicht werden und der Gender-Bias, d.h. einer Verzerrung der Ergebnisse durch die Nichtberücksichtigung der Geschlechterperspektive mit ihren sozialen, biomedizinischen und psychologischen Implikationen, entgegengewirkt werden. In Bezug auf die Forschung zur Gesundheit von Frauen, besteht damit eine wesentliche Aufgabe in der Aufarbeitung der konstatierten Defizite in der Frauengesundheitsforschung sowie der konsequenten Verarbeitung der Ergebnisse auf politischer Ebene und daraus resultierenden strukturellen Veränderungen. Gesundheitsförderung und Salutogenese in der Psychiatrie? Gesundheit und Krankheit werden im Alltag, in sozialen Interaktionen und durch gesellschaftliche Normierungen hergestellt. Sie finden Einzug in jede Lebenswelt und sind in jeder sozialen Lage anzutreffen. Die Soziale Arbeit ist in der Auseinandersetzung mit der Komplexität der Lebenswelt ihrer Adressaten unweigerlich mit den Konstrukten Gesundheit und Krankheit konfrontiert. Dabei hat sich entsprechend dem Postulat der Ressourcenorientierung eine salutogenetische Perspektive durchgesetzt, die anhand der zentralen Konzepte des Empowerment und der Lebensweltorientierung die Aktivierung von Ressourcen und die Freisetzung von Veränderungspotentialen in den Vordergrund stellt. Im Arbeitsfeld Psychiatrie findet Soziale Arbeit jedoch innerhalb relativ starrer Rahmen-bedingungen statt, die sich an pathogenetischen Denkmodellen ausrichten und wenig Spielräume für salutogenetische Ansätze bieten. Ausgehend von der Grundannahme der Salutogenese, jede Person verfüge zeitgleich sowohl über kranke als auch gesunde Anteile, verändert sich die Wahrnehmung von Personen, die als krank bezeichnet werden. Personen, die nach medizinischer Klassifikation bisher als krank eingestuft wurden, befinden sich nun in einer Grauzone zwischen den beiden Polen ‘gesund’ und ‘krank’. Mit der Übernahme dieser Denkweise könnte die auf medizinischen Kategorien beruhende psychiatrische Versorgung ihre rechtliche und gesellschaftlich anerkannte Legitimation und Funktion als Ordnungsinstanz ins Wanken geraten. Mitunter liegt in diesem Aspekt eine Ursache der Umsetzungsschwierigkeiten salutogenetischer Ansätze und Maßnahmen der Gesundheitsförderung im psychiatrischen Kontext. Möchte man den Gedanken der Gesundheitsförderung auf das Arbeitsfeld der Psychiatrie übertragen, verpflichtet man sich in erster Linie dazu, die vorhandenen Ressourcen ausfindig zu machen, die ein Zurückfinden in den Alltag erleichtern und zu mehr Selbstbestimmung in gesundheitlichen Belangen führen. Dazu gehört ebenfalls, das Expertenwissen der Betroffenen als gleichberechtigten Wissensfundus und Basis für weitere Maßnahmen der Gesundheits-förderung anzuerkennen und nutzbar zu machen. Eine geschlechtergerechte Perspektive ist und bleibt dabei unerlässlich.
Carolin Schmid wurde 1983 in Kirchheim/Teck geboren. Nach dem Grundstudium der Erziehungswissenschaft in Augsburg setzte die Autorin ihr Hauptstudium in der Studienrichtung Sozialpädagogik an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen fort und schloss dieses 2009 mit dem akademischen Diplomgrad erfolgreich ab. Das Interesse an einer kritischen Haltung gegenüber gesellschaftlichen Spannungsfeldern wie der Psychiatrie findet in der vorliegenden Auseinandersetzung mit den Begriffen Gesundheit und Krankheit unter salutogenetischer Perspektive besonderen Ausdruck.
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