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Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Abb.: 8
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die vorliegende Studie setzt sich zunächst mit der Etymologie des Begriffs geistige Behinderung auseinander. Dabei geht es um den Wandel der Bezeichnungen, mit denen sie umschrieben wurde und wird. Auch die Diskussion um die moralisch richtige Verwendung der Termini kommt zur Sprache. Die drei folgenden Kapitel erhellen den Umgang mit geistiger Behinderung. Schlagworte wie religiös motivierte Verfolgung, Hospitalisierung, Schamanentum und Ausgrenzung kennzeichnen nur einige Aspekte dieser Passagen. Hier werden historische Zeugnisse aus dem europäischen Kulturkreis erschlossen, Beschreibungen des Umgangs in verschiedenen Weltreligionen und Ethnien herangeführt und das Heute in der westlich geprägten Kultur beleuchtet. Im Anschluss wird die Situation für geistig Behinderte in der Bundesrepublik Deutschland angesprochen und zu guter Letzt folgen interessante Beispiele mit dem Blick von Innen . Diese Studie soll Anknüpfungspunkt für die Beschäftigung mit gesellschaftlich relevanten Themen wie Integration und Inklusion sein.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 5, Zur Situation geistig Behinderter in der Bundesrepublik Deutschland: Von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter werden geistig Behinderte mit Integrationsversuchen und Ausgrenzungen konfrontiert. Wie sieht die Situation in unserem Land aus? 5.1, Geistig behinderte Kinder: 5.1.1, Der Elementarbereich: Im Kindergartenalter ist die Integration aller behinderten Kinder Normalität geworden. Für 1998 wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung eine vorschulische Integrationsquote von nahezu 50% festgestellt. Die Tendenz bewegt sich heute zu einer vollständigen Integration. Inzwischen nehmen auch Sonderkindergärten selbstverständlich nicht behinderte Kinder auf. 5.1.2, Während der Schulzeit: In der Bundesrepublik Deutschland lässt sich die Schulbildung geistig behinderter Kinder nicht einheitlich beschreiben. Bundesweit wurde ein im europäischen Vergleich differenziertes Sonderschulwesen ausgebaut, während in einem Land wie Norwegen die Schüler überhaupt nicht mehr an gesonderte Einrichtungen verwiesen werden. Dort gibt es eine hundertprozentige Integration. Auch in Italien wird mittlerweile fast vollständig auf Sonderschulen verzichtet. In Deutschland gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Der Anteil integrativ betreuter Kinder mit jeglicher Behinderung befindet sich in beispielhaften Bundesländern deutlich über dem Bundesdurchschnitt von etwa 5%. Er liegt beispielsweise in Schleswig – Holstein bei 25%, in Hamburg bei 20% und in Brandenburg bei mehr als 15% mit einer steigenden Tendenz. In den meisten Landesregierungen wurden zwar bis Anfang der 1990er Jahre die rechtlichen Grundlagen für eine schulische Integration geschaffen. Leider besteht oft ein Haushaltsvorbehalt. Das führt selbst in fortschrittlichen Bundesländern zur Stagnation. Anderseits werden durch die angespannte Finanzlage in staatlichen Projekten freie Trägerorganisationen gefördert. In der schulischen Integration existieren gravierende Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulformen, also Grund-, Haupt-, Real- oder Gesamtschulen und Gymnasien. In Grundschulen ist noch oft das Angebot einer Integration zu finden. Das heißt es gibt Klassen mit 3 oder 4 verschieden behinderten Kindern und 17 oder 16 nicht Behinderten. In weiterführenden Schulen gibt es meist nur noch Fälle von Einzelintegration. Ein Beispiel für Einzelintegration sind autistische Zwillinge, die ein Gymnasium besuchen. Autismus gilt als geistige Behinderung, obwohl diese Menschen zu sehr komplizierten Gedankengängen fähig sind. Autisten nehmen zwar nicht an der verbalen Kommunikation teil, sind aber sehr gut in der Lage, alle Anforderungen zu erfüllen, die ein Gymnasium stellt. An integrativen Projekten beteiligte Pädagogen betonen, wie wichtig Integration vor allen Dingen für die soziale Kompetenz der Heranwachsenden ist. Behinderte Kinder werden angeregt, sich mit ihrer Andersartigkeit auseinanderzusetzen. Sie sehen, dass auch die anderen Kinder Probleme haben, mit den eigenen Vorraussetzungen zurechtzukommen. Durch dieses fordernde Sozialisationsumfeld entwickeln sich alle Schüler zu Persönlichkeiten mit einem klaren Selbstbewusstsein. Sie lernen, dass es mit etwas Auseinandersetzung gelingt, Andersartigkeit anzunehmen. GÜNTHER CLOERKES fasste zusammen: Integration schafft keinen Schonraum, sondern bewältigbare und verkraftbare Realitäten. Integration stärkt die personalen Ressourcen und Kompetenzen aller Beteiligten. Im System der integrativen Klasse bzw. Schule lernen sich die Interaktionspartner/-innen in ihren Komplementären kennen und sie lernen auch, sich in ihren Schwächen zu stützen. Die Reaktionen der Eltern waren ebenfalls sehr positiv. Sie äußerten eine große Zufriedenheit über die kognitive und soziale Entwicklung ihrer Kinder. Bei nicht beteiligten Eltern gibt es allerdings nach wie vor Befürchtungen, dass integrative Beschulung zu Lasten ihrer nicht behinderten Kinder gehen könnte. Andere Eltern, die dem integrativen Modell auf Probe zugestimmt hatten, berichteten, dass ihre Befürchtungen nicht eintraten und Integration deutliche Vorteile habe. Trotzdem bilden integrative Schulformen in Deutschland eher die Ausnahme. Vorherrschend sind Sonderschulen (in der DDR waren es Hilfsschulen) und damit einhergehende Ausgrenzungen. 5.2., Geistig behinderte Jugendliche und Erwachsene: Wie sieht das Leben geistig behinderter Menschen nach der Schulzeit aus? Gibt es auch hier segregative Tendenzen oder zeichnen sich integrative Lösungen für Wohnen, Arbeiten und Freizeitgestaltung ab? 5.2.1, Zur Wohnsituation: Zentrale Großeinrichtungen: Im Jahr 1996 stellte WERNER EIKE in seinem Artikel Normalisierung und Qualitätsentwicklung fest, dass in Deutschland noch immer 30 – 40 % (also cirka 40000) der Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung stationär in zentralen Großeinrichtungen untergebracht seien. Auch noch 2001 bemängelte CLOERKES die Wohnsituation geistig Behinderter, die nicht bei den Eltern leben: Die Mehrzahl muß in den wenigen sehr großen Heimen wohnen, fast ein Viertel aller geistig behinderten Menschen leben in Einrichtungen mit mehr als 300 Plätzen, 16% in Drei- und Mehrbettzimmern. Auch krasse Fehlplatzierungen von Menschen mit geistiger Behinderung in Landeskliniken und Altenpflegeheimen sind noch üblich. Noch bis in die 1980er Jahre gab es die landläufige Meinung, dass ein Großteil der geistig Behinderten bildungsunfähig, hochgradig pflegebedürftig und Krankenhaus- behandlungsbedürftig sei. Somit stand die Betreuung ganz im Zeichen des psychiatrisch- medizinischen Modells. Ein Symptom dieses Modells ist die totale Institutionalisierung der Betreuung. Durch strenge Regeln und vorgegebene Abläufe wird das Individuum seiner Identität beraubt. Außerdem ist das anteilige Verhältnis vom Pflegepersonal zu den Behinderten oft katastrophal, dadurch werden psychische Defekte bei den Insassen geradezu gefördert. Die oder der Behinderte [...] verschließt sich langsam immer mehr in sich selbst, wird energielos, abhängig, gleichgültig, träge, schmutzig, oft widerspenstig, regregiert auf infantile Verhaltensweisen, entwickelt starre Haltungen und sonderbare stereotype Tics, paßt sich einer extrem beschränkten und armseligen Lebensroutine an, aus der er nicht einmal mehr ausbrechen möchte und baut sich oft als eine Art Tröstung Wahnvorstellungen auf. Diese Verhaltensmuster weisen deutlich auf das Vorhandensein von sekundären und tertiären Behinderungen hin. Erst durch die Verhältnisse in ihrer Umwelt werden die Behinderten zu noch auffälligeren Reaktionen gezwungen. Wohnen bei den Eltern: Ein großer Teil aller geistig Behinderter lebt im Erwachsenenalter noch immer bei den Eltern. Vorteile bringt diese Wohnform, so meinte HORST SUHRWEIER, zumeist durch eine: [...] langjährige Vertrautheit mit den Lebensumständen, Geborgenheit, den Umgang mit bekannten Personen, Schutz vor überraschenden Ereignissen, eine selbstverständliche (Fremd-) Versorgung, Liebe, Zuwendung und Verständnis. Diesen positiven Aspekten des Wohnens erwachsener geistig Behinderter bei den Eltern stehen jedoch auch negative Argumente entgegen. Gleich bleibende Lebensumstände fordern kaum zur Entwicklung kreativer Gedankengänge auf. Freizeitaktivitäten bleiben zumeist rezeptiv, das heißt auf Radiohören, Fernsehen oder den Computer beschränkt. Ein begrenzter Kreis von Bezugspersonen zementiert eingeschliffene Abhängigkeiten, und die Selbständigkeit ist eingeschränkt. Eine ähnliche Situation findet sich allerdings auch in streng geregelten Anstalten oder in Wohnprojekten. Auf ein besonderes Problem, das sich für Betreuer und Angehörige durch die entstehende Unselbständigkeit ergibt, machte SINASON aufmerksam: Manche Eltern und Betreuer reden, als wären die ihnen anvertrauten Behinderten jeglicher Sexualität beraubt. Sie werden als wunderliche, ewige Kinder angesehen, die ein Niemandsland bewohnen, in das so etwas wie Sexualität niemals eindringen wird. Oder wenn sie tatsächlich Anzeichen von irgendetwas Sexuellem erkennen lassen, etwa Masturbation, dann wird das als ein infantiler, regressiver Akt gesehen. Mit zunehmendem Alter der Eltern wird eine Trennung der erwachsenen geistig Behinderten unausweichlich. Sie verläuft für Eltern wie Behinderte oft sehr schmerzhaft. SUHRWEIER fasste zusammen: Die Trennung Heranwachsender vom Elternhaus ist ein Begehren, das zur Normalität des Erwachsenwerdens zu rechnen ist. Durch überlanges Verweilen geistig behinderter Erwachsener zu Hause ist diese Normalität nicht gegeben. Um den geistig Behinderten eine Möglichkeit auf ein emanzipiertes Leben zu bieten, gibt es auch in Bezug auf Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten Ansätze zur Normalisierung. In Form von integrativen Wohn- und Arbeitsprojekten wird versucht, eine größere Offenheit und eine höhere Akzeptanz im nicht behinderten Umfeld zu erzeugen.

Über den Autor

Friederike Frach ist Kulturwissenschaftlerin und Autorin. Sie beendete ihr Magisterstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin in den Bereichen Kulturwissenschaft, Musikwissenschaften und Medienwissenschaften. 2012 wurde sie mit einem zeithistorischen Thema promoviert, dessen Grundlage die Theorie der Erinnerungsorte nach Pierre Nora war. Momentan arbeitet sie als Dozentin für wissenschaftliches Schreiben, Medientheorie und Zielfindung außerdem ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Medienhochschule.

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