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  • Erziehung, Gemeinschaft und Gesellschaft: Ein Vergleich der erziehungstheoretischen Konzepte von Paul Natorp und Kurt Hahn

Pädagogik & Soziales


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 148
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Das Buch stellt zwei pädagogische Konzepte vor, die in der politischen Wendezeit vom Deutschen Kaiserreich zur Weimarer Demokratie zu verorten sind. Zentral ist die Frage nach den sozialen Bedingungen und Aufgaben von Erziehung gerade im Hinblick auf eine der wichtigsten Herausforderungen der Zeit, nämlich den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Dabei erweisen sich die pädagogischen Antworten von Kurt Hahn und Paul Natorp in entscheidenden Punkten geradezu als komplementär. Natorp fokussiert Erziehung und Bildung von unten . Im Konzept des Sozialidealismus geht es ihm darum, gerade die bildungsfernen Kreise zu erreichen und mit einzubeziehen. Dagegen setzt Hahns Internatsschulerziehung primär auf die Bildung einer gesellschaftlichen bzw. politischen Elite und auf verantwortungsvolle Führerschaft. Doch trotz unterschiedlicher Ansatzpunkte finden sich auch Parallelen und Gemeinsamkeiten im Denken und Schaffen beider Pädagogen. Dazu gehört, dass beide der Erziehung und Bildung eine elementare Funktion im Hinblick auf die zu bildende Gemeinschafts- und Gesellschaftsordnung einräumen. In diesem Punkt geben sich beide Klassiker der Erziehungswissenschaft als Sozialpädagogen im ursprünglichen Sinn des Wortes zu erkennen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 6, Pubertät, 'grande passion' und Erholungstätigkeit: In einer Denkschrift zur 'Nationalen Aufgabe der Landerziehungsheime' formuliert Hahn 1928 als das zentrale Problem der Erziehung: 'Wie soll man die Kinderkraft durch die Entwicklungsjahre hindurch erhalten ungebrochen und unverdünnt? – Wie können wir verhindern, dass der plötzlich durchbrechende Geschlechtstrieb die seelische Energie des Jungen beschlagnahmt und die kindlichen Bestrebungen entkräftet?' Dahinter steht Hahns Einschätzung, dass von 'hundert Jungen nur einer heil durch die Pubertät kommt' (Hahn 1998: 128). Von den Mädchen redet er erst gar nicht. Hahns ‚Impfstoff’ gegen die Gefahren der Pubertät ist die rechtzeitige Entdeckung und Entwicklung einer großen, 'giftlosen Leidenschaft', der 'grande passion' (vgl. Hahn 1959: 34 83). Dabei geht Hahn davon aus, 'dass jedes Kind einer grande passion, einer schöpferischen Leidenschaft, fähig ist, die zu entdecken und zu befriedigen unsere [der Pädagogen] vornehmste Pflicht ist, womöglich noch an der Schwelle der Pubertät, damit die Entwicklungsjahre gewissermaßen von einem Schutzengel begleitet werden, der die jugendliche Seele vor der Alleinherrschaft des Geschlechtstriebes bewahrt' (Hahn zit. n. Friese 2000: 291). Hahns Einstellung zu Pubertät und zu Sexualität zeitigte bisweilen recht prüde anmutende Ausformungen: Salemer Jungen durften nicht in Jugendherbergen und Jugendlagern übernachten in Gordonstoun durften die Jungen zeitweise nur in Badehosen duschen (vgl. Friese 2000: 291). Gegen den Vorwurf seiner Kritiker, mit seinem Konzept die Pubertät als einen Unfall in der menschlichen Entwicklung zu disqualifizieren (vgl. v. Hentig 1966: 47), wehrt sich Hahn: 'Es ist Unsinn zu sagen, dass die Entwicklung der Sexualität unterdrückt wird durch die ‚grande passions’. Sie ziehen jedoch von den Sexualimpulsen Energie ab und verhindern somit, dass sie überragend und unnatürlich in der frühen Pubertät werden' (Hahn zit. n. Friese 2000: 291f). Im Rückblick ehemaliger Salemer Schüler spielt der verkrampfte Umgang mit Fragen der Sexualität unter Hahn eine erwähnenswerte Rolle: 'Trotz der Koedukation waren Themen wie Sexualität und Erotik in Salem absolut tabu. Wir wurden mit unseren sexuellen Problemen und Fragen vollkommen allein gelassen, ja es war verboten – und zwar ohne Erklärung oder ein anderes Angebot der Hilfe –, darüber zu sprechen' (zit. n. Friese 2000: 292). Unausgefüllte Zeit und daraus resultierende Langeweile erachtete Hahn gerade im Zusammenhang mit seiner Einschätzung der Pubertät als eine zusätzliche Gefährdung. Deswegen wurden die vormittäglichen, 45-minütigen Unterrichtspausen, nicht der freien Verfügung überlassen, sondern mit 'Erholungstätigkeit' ausgefüllt. Die 'Erholungstätigkeit' stand in Salem nach dem Prinzip der Wahlpflicht auf dem Stundenplan und sollte 'trödeligem, zerfahrenem Herumdösen und -spielen ohne Plan und Ziel' entgegensteuern (Hahn zit. n. Friese 2000: 293). 'Erholung ist Abwechslung – Musische und Handwerkliche Betätigung kann vielen Erholung bringen' (Hahn 1966 zit. n. Pielorz 1991: 167). Damit wird auch Freizeit und Freizeitgestaltung zur pädagogischen Aufgabe. Das Konzept der 'Erholungstätigkeit' kann demnach als Ursprung für Hahns Erlebnistherapie betrachtet werden. Es galt gegen die Gefahr eines vermeintlich negativ und zerstreuend wirkenden Sexualtriebes eine Kraft im Heranwachsenden lebendig zu halten oder zu entfachen, welche die jugendliche Entwicklung in der gewünschten Bahn zu halten vermag. Hahn spricht hier auch von dem 'Entzünden giftloser Leidenschaften'. Anzufachen gilt es 'die Lust am Bauen, die Sehnsucht nach Bewährung im Ernstfall, auch in der Gefahr, den Forschungstrieb, die Seligkeit des musischen Schaffens, die Freude an der Kunstfertigkeit, die Sorgfalt und Geduld erfordert' (Hahn zit. n. Friese 2000: 294). Mit der Charakterisierung der gewünschten Leidenschaften als 'giftlos' möchte Hahn diese wohl abgrenzen gegen Leidenschaften wie sie durch Nikotin, Alkohol oder Drogen hervorgerufen werden können. Hartmut v. Hentig geht sogar soweit zu behaupten, Hahn suggeriere mit dieser Wendung, dass 'die durch sie verdrängten [erotischen, Anm. d. Verf.] Leidenschaften giftig seien' (v. Hentig 1998: 47). Diese Behauptung erscheint mir nun aber doch als etwas überzogen. Tatsache bleibt, dass es Hahn, was die Erziehung in den Jahren der Pubertät anbelangt, ganz eindeutig nicht um die Liebe zum anderen Geschlecht, sondern um 'die Liebe zum Abenteuer, die Liebe zum Alleinsein und die Liebe zum Können und zur Fertigkeit' geht (Hahn zit. n. Friese 2000: 294).

Über den Autor

Dipl.-Päd Hartmut Birsner wurde 1973 in Singen am Hohentwiel geboren. Er studierte Philosophie, Klassische Philologie und Erziehungswissenschaft an der Universität Trier und der Universität Tübingen. Beeinflusst durch das Werk Martin Bubers entwickelte sich der Studienschwerpunkt des Autors in Richtung Sozialphilosophie und Politische Philosophie. Das gleichzeitige Interesse an Erlebnispädagogik motivierte ihn, sich neben Paul Natorp auch mit Kurt Hahn zu beschäftigen. Der Autor lebt heute in Tübingen und ist im Bereich der Erlebnispädagogik auch praktisch tätig.

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