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- Der schwierige Weg zur Zweitsprache: Theoretische Grundlagen und Einflussfaktoren „jenseits der Sprache“
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 12.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 168
Abb.: 13
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Heute wissen wir, dass eine Menge Faktoren, die außerhalb des Unterrichtsraums liegen und auch gänzlich außerhalb der Kontrolle eines Lehrers, entscheidende Bedeutung für einen erfolgreichen Zweitspracherwerb haben. ... Zweitspracherwerb ist ein komplexer Prozess, bei dem Sprachunterricht nur eines von vielen Puzzle-Teilen ist. (Hyltenstam 1996, S. 227 – Aus dem Schwedischen von Kristina Bornemann) Langsam wächst unter vielen Forschern die Überzeugung, dass die schwierigsten Hindernisse für einen erfolgreichen Zweitspracherwerb sich nicht aus den linguistischen Hürden ergeben, sondern jenseits der Sprache ( beyond the language ) vorzufinden sind. Es steht außer Zweifel, dass der Zweitspracherwerb mehr als ein isolierter Prozess linguistischer Natur ist er ist als ein dynamischer und mehrdimensionaler Prozess aufzufassen, der nicht in einem Vakuum verläuft. Die äußeren Umstände und außersprachliche Einflussfaktoren können die Entwicklung von Zweisprachigkeit erschweren bzw. erleichtern. Es sind die gesellschaftlichen Umstände organisatorischer, finanzieller und sozialer Natur und in diesem Kontext vor allem die Bedingungen im Schulsystem einerseits andererseits auch Einflussfaktoren, die im Bildungssystem wenig steuerbar sind - darüber ist bisher relativ wenig geforscht worden, doch schon anhand der vorliegenden Befunde lässt sich etwas Klarheit in die Problematik bringen. Ausgehend von den Theorien des Zweitspracherwerbs, die sich mit der Erforschung der linguistischen und teilweise kognitiven Seiten des Erwerbsprozesses befassen, versucht diese Studie, die möglichen Hürden und Schwellen außerhalb der rein spracherwerbsausgerichteten Analyse zu identifizieren, die eine Erklärung dafür liefern könnten, warum der Erwerb des Deutschen als Zweitsprache solche permanenten Schwierigkeiten bereitet.
Textprobe: Kapitel 8.1 Jenseits der Sprache - Einfluss von äußeren gestaltbaren Faktoren: Deutschlands relativ homogene Gesellschaft hat sich im Laufe der letzten ca. 60 Jahre zu einer relativ heterogenen Gesellschaft verändert. Die Frage ist, wie begegnet die Mehrheitsgesellschaft den Zugewanderten, und zwar nicht nur im Sinne der Einrichtung von Bildungsformen und -wegen mit dem Ziel der Integration, sondern auch in der Einstellung zu den Minoritäten. Dazu gehören die regional unterschiedlich geprägten Entwicklungen in den Bundesländern in den Bereichen: Vorschulische und schulische Förderung, curriculare Bereiche, Berufsbildung, Muttersprachlicher/Herkunftssprachlicher Unterricht, Elternarbeit, Netzwerke, Religionsangebote, Aus-, Fort- und Weiterbildung Lehrerinnen und Lehrern, darunter noch zu wenig ausgebaute Ausbildung von MS- und DaZ-Lehrern. In den vergangenen Jahren wurden insbesondere im Bildungswesen vielfältige Bemühungen unternommen, mit dem Ziel, auf die größer gewordene kulturelle Vielfalt in der BRD angemessen zu reagieren und die heranwachsende Generation auf das Leben in einer Welt vorzubereiten, d. h. eine Erziehung zu Toleranz und Weltoffenheit anzustreben. Doch trotz der Fülle von Anregungen und Programmen, trotz der schulischen und außerschulischen Angebotsvielfalt, trotz aller gegenteiligen Behauptungen genießen der Lebenswandel und die Kulturen von ethnischen Minderheiten immer noch ein niedrigeres soziales Prestige in der Mehrheitsgesellschaft, was in verdeckten, verborgenen und subtileren Formen der Ausgrenzung seinen Ausdruck findet (vgl. Wenning et al. 2010, Esser 2006). Den Werten und Lebensstilen der deutschen Majorität wird in der Regel mehr Prestige zugeschrieben. Auch die Subkulturen innerhalb der deutschen Gesellschaft genießen mehr Verständnis und Toleranz. Das überproportionale Schulversagen der Minderheiten-Angehörigen zeugt von den ungleichen Chancen, die mit bisherigen Maßnahmen von der Schule nicht aufgefangen werden konnten. Der Terminus, der hier wichtiger ist als Integration, ist Teilhabe an und Mitwirken in der Mehrheitsgesellschaft, welches durch die gesellschaftlichen Umstände organisatorischer, finanzieller und sozialer Natur wie auch durch die Bedingungen im Bildungswesen ermöglicht und gefördert werden sollte. Obwohl sich hier in den letzten Jahren eine Verbesserung verzeichnen lässt, was sich z.B. in besseren Ergebnissen in den Schulstatistiken spiegelt (vgl. Bildungsbericht 2012), so war es auch schon bisher ein mühsamer Weg, Bedingungen zu schaffen, die eine Chancengerechtigkeit überhaupt möglich machen konnten. Dabei spielte der Europarat, von dessen 47 Mitgliedstaaten 28 auch Mitglieder der EU sind (CoE 2013), oft eine wegweisende Rolle und zeugte mit seinen Resolutionen, Empfehlungen und anderen Maßnahmen davon, dass es sich in dieser Hinsicht um eine Problematik handelt, die im Prinzip ganz Europa betrifft. Seit 1957 existiert innerhalb des Europarates eine Language Policy Unit: Ihre erste internationale Konferenz auf Regierungsniveau zur europäischen Kooperation im Bereich Sprachunterricht hat 1957 stattgefunden. In den ersten Jahren handelte es sich vordergründig um die europäischen Sprachen und um Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Unterrichts und der Förderung dieser Sprachen. In den letzten Jahrzehnten hat der Europarat sich in zunehmendem Maße mit dem Problem von language education rights of minorities (CoE-Lang.) befasst. So erließ z.B. 1968 der Europarat eine Resolution, die Unterricht in der entsprechenden Zweitsprache im Umfang von wenigstens 200 Std./Jahr für ausländische Arbeiter empfahl. Die Förderung der Muttersprache wurde nicht erwähnt. Ziel war das Erlernen der Sprache der Mehrheitsgesellschaft zwecks besserer Integration in die Gesellschaft (ebda.). 1970 ermahnte der Europarat mit einer Resolution zur Übernahme von Verantwortung für Schulbildung von Kindern aus Migranten- und Flüchtlingsfamilien. 1977 erschien eine Empfehlung, in der im Artikel 3 zum ersten Mal den Mitgliedsländern die Organisation von Förderung/Unterricht in der entsprechenden Muttersprache aufgetragen wurde: Sie sollten in Einigkeit mit ihren nationalen Umständen und Gesetzen, in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern entsprechende Maßnahmen einführen, um neben der üblichen schulischen Ausbildung auch Bildung in Sprache und Kultur des Herkunftslandes zu fördern (ebda.). Das letzte umfassende Concept Paper (CoE-Lang1.), vorbereitet von Language Policy Division für eine Konferenz in Genf 2010 zum Thema: The right of learners to quality and equity in education – The role of linguistic and intercultural competences , entwickelt eine moderne Vision des plurilingualen Lernens. Mehrmals werden Forschungserkenntnisse von Cummins und Skutnabb-Kangas als Beleg für die Notwendigkeit neuer Entwicklungen zitiert. Zuerst einmal werden die Mitgliedsstaaten daran erinnert, dass sie sich mit ihren Unterschriften auf der europäischen Sozialcharta (revidiert 1996) im Art. 19 dazu verpflichtet haben, für die Einrichtung eines angemessenen Angebots an Möglichkeiten zur sprachlichen Bildung von Migranten Sorge zu tragen. Insbesondere haben sich die Mitgliedsstaaten in Punkt 11. und 12. des Artikels 19 dazu verpflichtet: 11. to promote and facilitate the teaching of the national language of the receiving state or, if there are several, one of this languages, to migrant workers and members of their families 12. to promote and facilitate as far as practicable, the teaching of the migrant workers’ mother tongue to the children of migrant workers” (CoE-Lang1., S.6). Es handelt sich hier um die in Deutschland schon eingeführten Formen und Modelle zur DaZ-Förderung und zum Muttersprachlichen Unterricht (ausgenommen die s.g. seltenen Sprachen), obwohl fraglich bleibt, ob diese Maßnahmen auch auf dem heutigen Niveau ausreichend sind. Weiterhin erinnert das hier besprochene Dokument daran, dass die Voraussetzungen aller Programme und Konzepte für plurilinguales und interkulturelles Lernen die folgenden grundlegenden Aussagen waren und bleiben: all languages are … valued regardless their status in the eyes of society (official, minority, regional languages, languages of migration etc.) and teaching status (first language, second languages, languages of origin, modern foreign languages, classical languages) … the various languages forming part of learners’ personal repertoires but not included in the languages of schooling are of special importance they are languages which the school can develop through varied, plural and partial approaches, thus reinforcing learners’ identity, and giving them equal opportunities for school success.” (Cavalli/Coste/Crisan/van de Ven zitiert nach CoE-Lang1., S.10). Mit Berufung auf Cummins wird den Mitgliedsstaaten empfohlen, die Muttersprachen der Kinder aus Migrantenfamilien zu fördern und sie dabei zu unterstützen, ihre Muttersprache wenigstens bis Literacy -Niveau zu entwickeln, d.h. bis zum Lese- und Schreibkompetenzniveau, das in etwa der 4. Klasse entspricht und nach Möglichkeit über die Grundschule hinaus. Es wird auch die Interdependence Hypothese von Cummins als Beweis dafür angeführt, dass die Weiterentwicklung der Muttersprache dem Zweitspracherwerb nicht schadet im Gegenteil unterstütze sie ihn. Weiterhin wird unter Berufung auf Cummins und Gogolin klargestellt, dass ein großer Unterschied zwischen alltagssprachlicher, konversationsgebundener und kognitiv-abstrakter ( conversational / academic vgl. Kapitel 5) Sprachkompetenz bestehe (ebda., S.19). Es wird in dem Concept Paper der europäischen Behörde anerkannt, worauf Cummins, Skutnabb-Kangas, Gogolin und andere schon seit langem hingewiesen haben: Das forcierte Erwerben von L2 auf Kosten der Muttersprache produziert allzu oft Semilingualität und programmiert damit de facto das Schulversagen vor. Zusammenfassend werden in dem Papier drei grundsätzliche Wege zu Beschulung und sprachlicher Unterstützung für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund vorgeschlagen: There are at least three ways of organising language-of-schooling support for children and adolescents from migrants backgrounds: complete withdrawal from the mainstream, partial withdrawal from the mainstream and immersion in the mainstream with systematic language support. … The third organisational mode, immersion in the mainstream, is the most widespread in OECD countries, though systematic language support is not always provided” (CoE-Lang1., S.20, Hervorhebung der Verfasserin). Auf Anfrage unterstützt der Europarat (Council of Europe) auch die einzelnen Mitgliedstaaten bei der Evaluation spezifischer Themenbereiche und bei der Entwicklung von Konzepten und Programmen.
Kristina Bornemann, mit Wurzeln in Ostpreußen, besitzt persönliche Erfahrung im Erwerbsprozess einer Zweitsprache. Sie lebte 10 Jahre in Stockholm, wo sie Schwedisch als Zweitsprache lernte. Seit 1989 lebt sie in Nordrhein-Westfalen und hat hier ihre anfänglich bescheidenen Deutschkenntnisse zu einer nah-muttersprachlichen Kompetenz ausgebaut. Die Autorin hat Erziehungswissenschaften und Psychologie an der Fernuniversität Hagen studiert. Als Dozentin für Deutsch als Zweitsprache hat sie praktische Erfahrungen zum Zweitspracherwerbsprozess gesammelt. Sie übersetzt auch Fachliteratur zum Thema Zwei-/Mehrsprachigkeit aus dem Schwedischen ins Deutsche.
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