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- Der Orientierungskurs des BAMF: Eingliederungshilfe oder Gesinnungsprüfung?
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Abb.: 4
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Seit 2005 bietet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Integrationskurse für Migranten an. Sie bestehen aus einem Sprachkurs und einem sog. Orientierungskurs. Letzterer endet mit einem Abschlusstest und soll Einwanderern eine Hilfestellung geben, sich in Deutschland zurechtzufinden. Schon eine oberflächliche Analyse des Orientierungskurses zeigt allerdings, dass er nach Inhalt und Konzeption keine große Integrationshilfe darstellt. Das größte Defizit ergibt sich daraus, dass der Lebenswelt der Zielgruppe - neuzugewanderte Migranten - gar nicht Rechnung getragen wird. Bei der Entwicklung des Kurses standen nicht Bedürfnisse der Migranten sondern die des Staates im Vordergrund. Nur worin bestehen diese genau? Hat der Orientierungskurs eine rein symbolische Funktion? Soll er etwa Handlungswillen und -fähigkeit zum Ausdruck bringen? Hat er gar eine Kontrollfunktion und soll integrationsunwillige Migranten zu erkennen helfen? Diese Studie untersucht das Curriculum sowie den 250 Fragen umfassenden Katalog des Abschlusstests, um die Intention des Orientierungskurses zu verstehen.
Textprobe: Kapitel D.III, Niveau: Das Niveau des Orientierungskurstests schwankt zwischen banal und schwer. Frage 233 möchte etwa wissen, ob der Schutz der Umwelt für die meisten Deutschen uninteressant, wichtig, bedeutungslos oder unwichtig ist - beinahe eine rhetorische Frage. Viele Fragen sind hingegen äußerst anspruchsvoll, sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Fachtermini werden deutschen Entsprechungen vorgezogen. Anstatt etwa von gesetzgebender, ausführender und Recht sprechender Gewalt zu sprechen, werden Legislative, Exekutive und Judikative verwendet (23, 32, 116). Die Fremd- und Fachwörter übersteigen selbst das Sprachniveau B1, wobei der Test selbst nur A2-Niveau haben soll. Allerdings werden solche Begriffe, wie es im Curriculum vorgesehen ist, im Kursteil erlernt. Dass diese für die meisten Teilnehmer Alltagsrelevanz haben, ist eher zweifelhaft. Teilweise kommt es bei den Fragen auch auf sprachliche Genauigkeit an, die für einen Anfänger im Sprachenlernen ebenso eine Hürde sind. Frage 105 fragt beispielsweise danach, was das Wahlrecht regelt. Die Antwortmöglichkeiten lauten: a) Wer wählen darf, muss wählen, b) Alle die wollen, können wählen, c) Wer nicht wählt, verliert das Recht zu wählen, d) Wer wählen darf, kann wählen. Unbedingt zu erwähnen ist auch, dass unter den lediglich 250 Fragen sich Fehler bzw. Ungenauigkeiten eingeschlichen haben. Frage 19 fragt danach, wer auf Verlangen in die Wohnung zu lassen ist und erwartet die Antwort ‘Vermieter/Vermieterin’. Dabei steht dies nicht im Einklang mit Artikel 13 Abs. 1 des Grundgesetzes, nach dem die Wohnung unverletzlich ist. Keineswegs kann der Vermieter bedingungslos Zutritt verlangen. Frage 27 möchte wissen, wen man nicht direkt wählen kann: Abgeordnete des EU-Parlamentes, Landtagsabgeordnete, Bundestagsabgeordnete oder den Bundespräsidenten, wobei letzterer als einzig korrekte Antwort gewertet wird. Tatsächlich werden - und dies ist ausnahmsweise tatsächlich eine rein nationale Regelung - die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes per Listenwahl gewählt, aber keineswegs direkt. Man wählt in Deutschland eine Partei, die vorab bestimmt, wer für sie nach Straßburg fahren soll. In diesem Falle wären also zwei Antworten korrekt. Frage 98 ist symptomatisch für Multiple-Choice-Fragen, die Vereinfachung verlangt, die allerdings auf Kosten der Genauigkeit geht. Gefragt wird nach dem Wahlsystem in Deutschland, dass mit ‘Mehrheits- und Verhältniswahlrecht’ zu beantworten ist. Ein klassisches Mehrheitswahlrecht existiert in Deutschland allerdings nicht. Nicht umsonst wurde und wird von Zeit zu Zeit seitens Politikern und Staatsrechtlern seine Einführung gefordert, insbesondere wenn nach einer Wahl keine Partei eine klare Mehrheit errungen hat. Unpräzise ist auch Frage 132, die danach fragt, in welchem Jahr die Nationalsozialisten Synagogen und jüdische Geschäfte zerstörten. Die Antwortalternativen sind 1925, 1930, 1938 und 1945. Sicherlich mit Bezug auf die Reichskristallnacht wird ‘1938’ als richtig bewertet. Tatsächlich aber gab es bereits vor 1938, auch in der Zeit der Weimarer Republik (1918-1933), Übergriffe auf jüdische Geschäfte, etwa durch die Sturmabteilung (SA) der Nationalsozialisten. Es kann damit nicht definitiv ausgeschlossen werden, dass auch 1925 oder 1930 richtig zu bewerten sind. In die Kategorie ‘ungenaue Fragen’ gehört auch Frage 118: ‘Was tun Sie, wenn Sie eine falsche Rechnung von einer deutschen Behörde bekommen?’ Gemäß der Antwort ist Widerspruch einzulegen. Tatsächlich ist das Widerspruchsrecht in den Bundesländern Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen eingeschränkt oder teilweise ganz abgeschafft. Anstatt Widerspruch ist dort Klage einzureichen. Direkt falsch sind alle Antworten auf Frage 188, die nach der Entwicklung der Bevölkerungszahl in Deutschland fragt. Weder nimmt sie gemäß Antwort a) ‘ immer zu’, noch bleibt sie nach d) ‘immer gleich’. Aber auch b), dass ‘weniger Kinder geboren werden, aber durch Zuwanderung die Zahl steigt’, passt nicht zur aktuellen Bevölkerungsentwicklung. Die Population stagniert aber auch nicht, wie es Antwort c) vorgibt, nach der ‘weniger Kinder geboren werden, die Zahl trotz Zuwanderung dennoch nicht steigt’. Korrekt wäre, dass wegen der geringen Fertilität und trotz Zuwanderung die Bevölkerungszahl rückläufig ist. Bedacht werden sollte dabei auch, dass seit 2008 das Wanderungssaldo sogar negativ ist. Es sind also die geringe Kinderzahl und das negative Wanderungssaldo, welche die Bevölkerungszahl schrumpfen lässt.
Marco Kaden, M.A., Jahrgang 1985, studierte zunächst ‚European Studies’ an der Technischen Universität Chemnitz, wobei er sein Interesse an europäischer Migrationspolitik im Allgemeinen und deutscher im Besonderen entdeckte. Daher schloss er ein Master-Studium in ‚Internationaler Migration’ an den Universitäten in Osnabrück und Malmö (Schweden) an, das er 2012 erfolgreich abschloss. Während eines Praktikums beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewann er einen Einblick in die institutionelle Betreuung der sog. Integrations- und Orientierungskurse für Migranten, der Basis vorliegender Arbeit werden sollte. Derzeit ist der Autor bei einem Verlag in Berlin tätig.
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