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Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Kaum ein Thema ist mit so vielen Mutmaßungen und Befürchtungen besetzt wie das Alter. Wie sehen die Folgen für die Gesellschaft aus? Ist Demenz ein unausweichliches Schicksal des Alters? Zur Aktivierung und Erfassung weisheitsbezogener Wissensbestände und Fähigkeiten kann man sich in der alltagsbezogenen Förderung von an Demenz Erkrankten durch das Wissen um Lebenserfahrung, durch Biografiearbeit und autobiografisches Erinnern nähern. Biografiearbeit ist Suche in den Lebensspuren des alten Menschen. Verborgene Ressourcen und Bedürfnisse können so entschlüsselt und Fähigkeiten gefördert werden. Es werden fünf Fallbeispiele aufgezeigt, aus- und bewertet. Ist Biografiearbeit ein Weg um Wünsche und Bedürfnisse, Wert-Schätzung und Sinn-Findung in den Betreuungstag in einer Demenz Tagesgruppe zu erfahren? Ist Biografiearbeit der wichtigste Türöffner im Umgang mit dementiell erkrankten Menschen? Wir wissen das Biografiearbeit eine essentielle Grundlage für viele Konzepte wie beispielsweise die Validation, Mäeutik und die Selbst-Erhaltungs-Therapie ist. Die vorliegende Studie zeigt anhand der Beispielinterviews, wie man sich der inneren Lebenswelt des verwirrten alten Menschen nähern kann. Es zeigt auch wie man die Erkenntnisse aus der Biografiearbeit in den Betreuungsalltag aufnehmen und gezielt mit in die Tagesplanungen einbeziehen kann.
Textprobe: Kapitel 7.5, Wünsche- Bedürfnisse und die Umsetzung in der Tagesgruppe Erinnerungen an die Vergangenheit und die eigene Biografie sind außerordentlich wichtig, Bücher und Bilder haben für Herrn C eine außerordentliche Bedeutung ‘ne moralische Bedeutung’. Er zehrt von Erinnerungen an vergangene Reisen und andere besondere Ereignisse in seinem Leben. Herr H. lebt von seinen Erinnerungen an die Landwirtschaft und dass er der einzige der Kinder war, ‘sein Vater war stolz auf ihn’, der diese Aufgabe wahrnehmen konnte, einen Hof zu führen. Frau B. ist stolz auf die Steine, die sie im Butzenbach gefunden und mit nach Hause genommen hat und ‘der Vater so ein schönes Bad gebaut hat, dass müssten sie mal sehen’, Frau M. ist stolz darauf. Sie hat die Domeniumkinder versorgt unter widrigsten Umständen damals. Frau Br. hat gern Handarbeiten ausgeführt, sie bedauert, leider bin ich nie Schneiderin geworden. Allen Interviewten sind froh, dass sie sich in der Tagesgruppe austauschen können. Die Interviewten sind froh über die verbliebenen Fähigkeiten und sehen die Aktivitäten in der Gruppe als Freude und willkommene Abwechslung an. ‘Dass sie unter Menschen sind’, äußern alle Interviewten. Soziale Kontakte und Zugehörigkeit sind grundlegende Bedürfnisse, die in den Interviews angesprochen werden. Herr H. kann sich als Einziger dazu nicht äußern. Verständnis und Akzeptanz sind für die Betroffenen wichtige Vorraussetzungen, sich zugehörig und geborgen zu fühlen. Akzeptanz heißt, den Betroffenen wahrnehmen, wie er ist, Frau B. äußert (‘ich bin doch auch wer’). Frau Br. sagt: ‘man kann mit mir vernünftig reden, nicht rumalbern’. Herr C. ‘Entschuldigung kommt nicht wieder vor’. Frau M. lacht, ‘…es ist schön, nette Leute zu treffen’. Die Betroffenen sind sehr sensibel gegenüber ihrer Umwelt. Sie wollen respektiert und ernst genommen werden. Sie haben den Wunsch, sich aktiv mit ihren persönlichen Fähigkeiten einzubringen, worauf ich im folgenden Absatz näher eingehen werde. Wenn alle in der Gruppe ins Erzählen, Reden kommen, wenn man dann gemeinsam etwas bastelt oder singt oder im Sitzen tanzt (…zeigt her eure Füße), kommt Freude auf. Im Allgemeinen habe ich das Gefühl, sie kommen gerne und sie empfinden da nicht, dass sie dement sind, sondern einfach, dass sie was einbringen können in der Gruppe, dass sie was zum Thema beitragen können, dass sie persönlich wichtig sind und jeder von jedem lernen kann. Dass die Gäste sich von sich aus an ihrem aktuellen Wollen und Empfinden orientieren und es äußerer Unterstützung braucht, um die Einzelnen in die Gruppe zu integrieren. Hier habe ich nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden bei den fünf Interviewten gesucht und diese zusammengetragen und mit Tagesthemen der letzten 10 Wochen verglichen. Das Thema Reisen wird von vier Gästen als besonders interessant und früher häufig unternommen beschrieben. Es wird von Reisen ans Meer und Wanderreisen in die Alpen, das Allgäu oder Südtirol beschrieben. Von einer Frau und von einem Mann erfahre ich nichts darüber, sie waren Daheim und ‘ham immer geschafft, Arbeit gab`s genug’. An keinem Gruppentag wurde das Thema Reisen angesprochen, hier ließe sich ein erweitertes Tageskonzept erstellen. Zum Thema Freizeitbeschäftigung und Hobbys habe ich herausgefunden, dass nicht alle Freizeit vom Beruf getrennt haben. Wer Bauer und Landwirt war, war es auch in seiner Freizeit. Frauen haben sich im Winter, es betrifft alle drei Frauen, mit Näh-, Strick-, Häkel- und Stickarbeiten beschäftigt. Im Sommer gab es mehr Arbeiten im Garten, auf dem Feld oder auf dem eigenen Hof. Sportliche Betätigungen gab es nicht, die Arbeit war früher meist lang und schwer genug am Tag. Drei Gäste hatten einen Hund, und in der Landwirtschaft gab es genug Haustiere zu versorgen, wie Gänse, Hühner, Schweine, Rinder und Pferde. Vier der Interviewten hatten täglich Kontakt mit Tieren. In der Tagesbetreuung gibt es eine Hauskatze und zwei Besuchshunde, wovon einer der Meinige ist, die Gäste freuen sich regelmäßig über diesen Besuch. Alle drei Frauen haben Kinder groß gezogen und erzählen auch heute noch von dieser Zeit. Nur Frau Br. sagt nichts dazu, obwohl sie auch einen Sohn hat, bei dem sie wohnt. Herr H. hat auch einen Sohn, er kann sich diesbezüglich nicht mehr äußern. Herr C. hat keine Kinder. Er geht in den Gesprächen auch nicht drauf ein. Die drei Frauen haben früher auch viel gesungen (Kirche, Chor oder in der Familie). Auch die Männer singen in der Gruppe mit Texten aus dem Liederbuch alte Volkslieder, Herr H. hat keinen Bezug zum Singen mehr. Ein fester Bestandteil eines jeden Tages ist am Nachmittag das Singen, und hier ist erstaunlich festzustellen, wie viele Verse auswendig von bestimmten Liedern aus der Erinnerung gesungen werden und mit welcher Begeisterung gesungen wird. Von den fünf Interviewten hat nur ein Herr ein Instrument selbst gespielt. Frau M. hat Geige gespielt. Hier würde sich eine Tagesgestaltung mit Orffschen- Instrumenten anbieten. Hand- und Hausarbeit ist ein Bereich, der bei allen Gästen Anklang findet. Bei den drei Frauen war es die Hauptaufgabe ihres Lebens. Es geht um besondere heimatspezifische Gerichte und Vorlieben der Männer. Es wurden Früchte bestimmt und was früher daraus zu Spirituosen vergoren wurde. Die Kirsche, die Pflaume, die Mirabelle, die Birne, die Quitte, die Schlehen, der Sanddorn, die Weintrauben. Im Herbst wurden an einem anderen Tag Kuchenrezepte ausprobiert, von Dr. Oetker. Es wurde ein Kriegsrührkuchen gebacken, ein Rührkuchen aus den fünfziger Jahren und einer nach Rezeptvorgaben von Heute. Die Unterschiede waren gravierend. Am Kriegskuchen haben sich einige verschluckt, weil er zu trocken und staubig war. Der Heutige war zu fettig, und man musste mit Bedacht essen. Im festen Ablauf der Gruppe kommt das Kaffeetrinken einem Ritual gleich, und man unterhält sich. Es gibt das Auf- und Abdecken des Tisches, das Dekorieren, das Abwaschen und das Aufräumen. Anschließens die schon erwähnte Musik und das Singen. Spiele wurden bei vier Gästen als besondere Vorliebe erwähnt. Es vergeht kaum ein Gruppentag, an dem nicht gespielt wird, denn das ist eine ideale Möglichkeit, methodisch alle einzubeziehen, auch wenn manchmal Regeln nach den Fähigkeiten des Einzelnen angepasst werden müssen. Interessant war rückblickend zu erfassen, dass die persönlichen Vorlieben an den Gruppentagen typische Anknüpfungspunkte, hier für jeden Einzelnen gegeben sind, obwohl sie nicht explizit Thema waren. Sondern im methodischen Gestalten zum Tragen kommen können und somit die Gäste immer wieder an ‘Eigenes’ erinnern. Andere speziell an Zeiten teilhaben können, die sie selbst nie erlebt haben z.B. Praktikanten. ‘Mein Grundsatz ist, dass es eben zum einen Menschen sind, die nichts an Ihrem Wert, ihrer Würde als Mensch verloren haben, weil sie demenzkrank sind. Zum anderen steht für mich auch Respekt dahinter, was die Menschen in ihrem Leben geleistet haben. Wenn man manche Geschichten sieht, die meisten haben eine oder zwei Weltkriege erlebt, die Inflation erlebt, haben Deutschland wieder aufgebaut. Für mich steht da einfach die Wert-Schätzung dahinter. Auf diesem Begriff Wert-Schätzung basiert meine Auswertung’.
Diplom-Pflegewirtin Jenny Enssle, geboren 1953, ist Gast- Dozentin an einer Altenpflegeschule. Sie arbeitet seit Jahren ehrenamtlich in einer Tagesgruppe für an Demenz erkrankte Menschen, in Baden-Württemberg. Sie führt dort die Biografiearbeit mit jedem Gast der Tagesgruppe durch und wertet sie empirisch aus. Sie zeigt das dadurch der Umgang mit verwirrten alten Menschen erleichtert werden kann.
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