Suche

» erweiterte Suche » Sitemap

  • Sie befinden sich:
  • Fachbücher
  • »
  • Pädagogik & Soziales
  • »
  • Das Burgbauprojekt Guédelon: Wissensaneignung und -vermittlung bei öffentlich zugänglicher Experimenteller Archäologie

Pädagogik & Soziales


» Bild vergrößern
» weitere Bücher zum Thema


» Buch empfehlen
» Buch bewerten
Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Abb.: 9
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Bau einer echten Burg im 21. Jahrhundert mit den Mitteln und Techniken des 13. Jahrhunderts - das ist keine utopische Idee eines realitätsfernen Träumers. Dieses Projekt gibt es wirklich: Guédelon. Seit über 15 Jahren wird mitten in einem Wald des Burgunds an einer mittelalterlichen Burg gebaut. Wirklich jeder kann auf die Baustelle und mithelfen oder nur zuschauen. Hier sollen sich Wissenschaft und Öffentlichkeit auf gleicher Augenhöhe begegnen und den Bau so authentisch wie möglich vorantreiben. Es stellt sich jedoch die Frage, ob es sich schlichtweg um ein abenteuerliches Projekt handelt, welches viele Mittelalterbegeisterte anlockt oder ob der intensive Einbezug von Laien eine neue Form erlebbarer Wissenschaft sein kann. Ist das Projekt eventuell ein Charakteristikum unserer Zeit, wie wir mit Vergangenheit umgehen, so dass es mehr über die Gegenwart aussagt als über das 13. Jahrhundert? Ist man sich auf der Baustelle der Verantwortung und Symbolhaftigkeit des Burgenbaus gegenüber der Öffentlichkeit bewusst? Es ist Halbzeit auf Guédelon und daher ein guter Zeitpunkt, um eine Einschätzung zur bisherigen Tätigkeit und weiteren Entwicklungsmöglichkeiten zu geben.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2.1, Die Experimentelle Archäologie und die Öffentlichkeit: Die Experimentelle Archäologie hat es ohnehin schon schwer, sich in den eigenen wissenschaftlichen Kreisen zu behaupten. Geht es jedoch zudem noch um die Präsentation vor der Öffentlichkeit oder gar ihrer Einbindung, wird Kritik noch lauter. Die Gefahr ist schlichtweg zu groß, dass aktiv falsche Bilder von der Vergangenheit evoziert werden oder noch schlimmer, dass die Wissenschaftlichkeit generell in Frage gestellt werden muss, wenn beispielsweise durchweg auf Klischees zurückgegriffen wird. Andererseits steckt in der Einbeziehung von Besuchern auch eine Chance, die vielleicht nicht direkte Folgen für die Experimentelle Archäologie besitzt, jedoch Personen außerhalb des universitären Lebens die Möglichkeit gibt, Geschichte besser erfahrbar zu machen und bei einzigartigen Erlebnissen dabei zu sein. Es lassen sich verschiedene Methoden aufzählen, um Menschen, die nicht mit einem Projekt betraut sind, einen Einblick in die Arbeit der Experimentellen Archäologie zu bieten. Jaroslav Malina unterschied dazu vier Konzepte: 1. Klassische Museen, die mit Freilichtmuseen verbunden sind, 2. saisonale Expeditionen, um an geeigneten natürlichen Orten diverse Technikenund Arten der Verpflegung zu erproben, 3. dauerhafte Zentren der Experimentellen Archäologie, welche sich mit Problemen der Konversion und der Vernichtung von archäologischen Belegen auseinandersetzen sowie, 4. dauerhafte Zentren der Experimentellen Archäologie, die das Leben früherer Kulturen und deren Lebensweisen wiedergeben. Wichtig ist in jedem Falle, dem Besucher zu erklären, dass es sich bei jeglichem Experiment nur um ein so-hätte-es-sein-können handelt und nicht um die tatsächliche Darstellung einer vergangenen Lebensweise. Kulturelle, zeitliche und ökologische Unterschiede zur Gegenwart werden die Distanz zur Vergangenheit immer aufrechterhalten und sollten den Zuschauern bewusst gemacht werden. Ob die umgesetzte Tätigkeit, Planung oder Struktur wirklich so war, wird so lange unbekannt bleiben bis vielleicht neu entdeckte Quellen studiert werden können. Bevor jedoch dem Besucher eine damals ziemlich wahrscheinliche Vorgehensweise präsentiert wird, muss diese zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit wissenschaftlich erprobt werden, damit die Darstellung nicht an Seriosität verliert. Laut Mamoun Fansa würde es sich sogar prinzipiell empfehlen – nach einer gewissen Testphase – bei Experimenten, welche coram publico ausgeführt werden, diese nicht als solche zu deklarieren, sondern besser von Demonstrationen zu sprechen , um hervorzuheben, dass die Zuschauer nicht Zeuge einer aktuellen Versuchsreihe sind, sondern ihnen Forschungsergebnisse gezeigt werden. Auch wenn es sich nur um Theorien handelt, kann die öffentlich zugängliche Experimentelle Archäologie dennoch einen Nutzen für den Besucher bringen. Sie bietet die Möglichkeit, auf sinnliche Weise die Geschichte zu reflektieren und Bezüge zur Gegenwart herzustellen, beispielsweise bezüglich [...] Ernährung, Wohnung, Kleidung, Migration, Krieg und Gewalt, Umwelt, Fortschritt, Sexualität, Geschlechterrollen etc. [... und bietet einen] umfangreicheren Themenkanon, als es die bloße Beschäftigung mit Fragen prähistorischer Technik vermag”. 3.1, Die Finanzen und andere wirtschaftliche Fakten: Da Guyot aus den finanziellen Problemen beim Kauf und der Instandhaltung von Saint-Fargeau gelernt hatte, wollte er das neue Projekt nicht noch einmal so unsicher bestreiten. Also schlug er seiner Bank das Modell der schrittweisen Finanzierung über Eintrittsgelder à la Hermione vor, was auch genehmigt wurde. Das heißt, Sponsoren sollten Ausgaben, wie den Kauf weiterer Flächen oder notwendige Rohstoffe und Gehälter, sichern. Dabei bewegte man sich bereits im siebenstelligen Bereich der damaligen Währung. Zwei große Unternehmen ließen sich sogar auf das Vorhaben ein und ließen ihn über 2,5 Millionen ? (über 380.000 €) verfügen, noch bevor ein exaktes Modell der Burg konstruiert oder die Rohstoffversorgung gesichert war. Innerhalb eines Jahres waren schließlich vier Millionen ? (knapp 610.000 €) durch Verstärkung von der französischen Regierung, der burgundischen Bezirksregierung, dem Erweiterten Rat Yonne, der Europäischen Gemeinschaft, den Rundfunkstiftungen von Canal+ und Odeon sowie vom französischen Energieversorgungsunternehmen EDF zusammengetragen. Nach Berechnungen wären im ersten Jahr 20.000 Besucher nötig gewesen, um das Projekt in Gang zu bringen. Zuerst kümmerte sich noch die befreundete Maryline Martin persönlich um die Werbung, was jedoch später ein Pressesprecher übernahm und man letzten Endes sogar 50.000 Besucher verzeichnen konnte. Im zweiten Jahr konzentrierte man sich aufgrund des eigenen pädagogischen Anspruchs auf Schulklassen, die bald knapp die Hälfte der Besucher ausmachten. Bereits im Jahr 2000 konnte dann das Projekt seine Gehälter allein über Eintrittsgelder bezahlen. Darüber hinaus finanziert es sich seit 2001 komplett selbst durch zuvor genannte Gründe sowie Einnahmen aus dem Geschenkshop und der Taverne. Guédelon kann von sich behaupten, bezüglich der am meisten besuchten Touristenattraktionen (mit Eintritt) derzeit an erster Stelle in Yonne und an zweiter in Burgund (neben dem Hôtel-Dieu de Beaune) zu stehen. Zumindest von touristischer Seite her hat Guédelon bereits mehrere Auszeichnungen erhalten. Dies ist kaum verwunderlich, beachtet man die Entwicklung von anfangs ungefähr 50.000 Besuchern zu mittlerweile 320.000 Gästen pro Jahr. Der einmillionste Besucher wurde 2005 willkommen geheißen. Allein am Tag unseres Besuchs (ein Freitag im Mai 2012) errechnete ich die Anzahl der im Moment vor Ort verweilenden Touristen anhand der Autos auf dem Parkplatz auf zirka 1.000 Personen. Mit dem Erfolg änderte sich auch die Gesellschaftsform des Projekts. Guédelon begann als Stiftung für gemeinnützige Zwecke, ist jedoch seit dem 25. Januar 2006 als S.A.S. – ein Akronym für société par actions simplifiée und ist eine französische Kapitalgesellschaft in vereinfachter Form – mit einem Stammkapital von 37.000 € eingetragen. Michel Guyot ist deren Präsident und Maryline Martin die Generaldirektorin . Der Verband Les Amis de Chantier Médiéval ist mittlerweile Eigentümer der Baustelle und der Burg im Bau. Im Prinzip kann jeder durch eine Beitrittsanfrage Mitglied werden. Die S.A.S. ist somit für die Leitung, die Finanzen und den gesamten Betrieb zuständig. Der Verein soll jedoch garantieren, dass die fertiggestellte Burg niemals einer physischen Person gehören wird und keine persönlichen Bereicherungen stattfinden können. Sie stellt demnach eine reine Schutzmaßnahme dar ohne einen größeren Aufgabenbereich. 3.5, Kleidung, Sicherheit, Werkzeug und Material: Ein wichtiger Punkt, der beachtet werden musste, war die Vereinbarung von größtmöglicher Authentizität im Erscheinungsbild der Baustelle sowie der Arbeiter und ihrer Werkzeuge mit gleichzeitiger Erfüllung von modernen Arbeitsschutzrichtlinien. Um den Handwerkern die heute notwendige Sicherheit bei der Arbeit zu gewährleisten, einigte man sich, bei den gefährlichen Steinarbeiten auf das Tragen von Ohrstöpseln gegen den Lärm, Stahlschuhen, Schutzbrillen, -masken (Abb. 2) oder -helmen unter den Strohhüten. Da der Bau der Burg im Vordergrund steht und nicht die Darstellung mittelalterlicher Handwerker, sind diese Vorkehrungen berechtigt, um den Mitarbeitern den notwendigen Schutz zu gewährleisten. Aus diesem Grund unterliegen die Baugerüste ebenfalls heutigen Sicherheitsstandards und werden mit modernen Befestigungen zusammengehalten. Auch das Tauwerk muss teilweise aus oben genannten Gründen industriell hergestellt werden, obwohl ein Seiler vor Ort vieles fertigt. Um Unfällen vorzubeugen, folgen die Arbeiter in den Laufrädern einer sehr strikten Durchführungsvorschrift, die sich bereits zu einem Ritual in den Arbeitsabläufen entwickelt hat. Regelmäßige Inspektionen des französischen Ausschusses für Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsbedingungen sichern zudem die Einhaltung der Richtlinien. In der Schmiede werden unter anderem Nägel, Scharnierbänder, Gitter und Bandelwerk für beispielsweise Türen behauen sowie – und darin besteht die Hauptarbeit – Werkzeug repariert. Letztgenannte Tätigkeit ist seit 2005 bereits von 15 auf 30 Reparaturen pro Tag gestiegen. Selbst verbrauchen die Schmiede täglich ungefähr einen Satz Werkzeuge, welches sich abgenutzt hat, gebrochen oder kaputt gegangen ist. Für die Errichtung der Burg werden zwei verschiedene Steinarten verwendet, da an die Steine verschiedene Ansprüche gestellt werden (Aussehen, Härte, Qualität). Zum einen wird Sandstein aus der eigenen Anlage und zum anderen harter Kalkstein aus einem 30 Kilometer entfernten Steinbruch in Donzy verarbeitet. Alle Gesteine werden auf der Baustelle bearbeitet. Beim Mörtel fand man heraus, dass dieser bei Saint-Fargeau und Ratilly die gleiche chemische Konsistenz aufweist, wie die Mischung, die der Archäologe Christian Le Barrier zusammengestellt hatte. Obwohl anfangs der Mörtel in Guédelon noch selbst gemischt wurde, wird dieser mittlerweile fertig gebrannt und gelöscht eingekauft. Eine Begründung hierfür konnte ich leider nicht herausfinden. Es liegt jedoch nahe, dass die Herstellung des Mörtels in keinem Verhältnis zum erwarteten Erkenntnisgewinn steht und daher die Masse vor Ort nur noch angekarrt und vermischt wird. Die Dachschindeln stammen nach wie vor hauptsächlich von Eichen, aber auch von Kiefern oder Haselnussbäumen, die sich im Wald von Guédelon oder dem ein paar Kilometer entfernt liegenden Bellary-Wald (Nièvre) befinden. Sie werden auf Vorrat hergestellt und fertig mit Dübeln aufbewahrt. Des Weiteren wurden alle Werkstätten und weitere Holzkonstruktionen wie Gerüste, Türen, Schubkarren, Bottiche, Maßstäbe und vieles mehr von den Schreinern vor Ort hergestellt. Die Einzelelemente der Treträder wurden jedoch eingekauft und entsprechen geltenden Sicherheitsbestimmungen. Schwere oder sperrige Gegenstände wie Schlusssteine oder lange Balken werden mit dem Pferdewagen transportiert. Auf kurzen Strecken nutzt man selbstgemachte Weidenkörbe für Mörtel, Kalk oder Bruchstein sowie kleine Karren für kleinere Objekte. 3.7.2 Die Museumspädagogik: Kulturelle Angebote wie dieses Projekt, liefern durch das Ansprechen geradezu aller Sinne die besten Voraussetzungen zum spielerischen Lernen nicht nur für junge Menschen. In Guédelon hat der Besucher jeglichen Alters die Gelegenheit, die Baustelle sinnlich und vor allem leicht verständlich kennenzulernen. Den pädagogischen Schwerpunkt bildet jedoch die Wissensvermittlung an junge Menschen. Nach Voranmeldung können vor allem Schulklassen thematisch unterschiedliche, kostümierte und interaktive Führungen (ab 2013) rund um die Burg und innerhalb der Räumlichkeiten erhalten. Es gibt Hütten, wo sich kleine Gruppen zusammenfinden und diskutieren oder Werkstätten, wo die Jugendlichen selbst beispielsweise Ziegel herstellen und verzieren sowie den Zusammenhang zwischen dem Satz des Pythagoras und der Burg besprechen und umsetzen können. Guédelon bietet sogar die Organisation des gesamten Aufenthaltes an. Seinen pädagogischen Ansatz erfüllt sehen die Veranstalter vor allem seitdem Guédelon während des Unterrichts in französischen Schulen Erwähnung findet, von immer mehr (selbst ausländischen) Klassen verschiedener Altersstufen und Schulen besucht wird und allein der alle zwei Monate erscheinende pädagogische Newsletter trop fort le château !” derzeit an 8.000 Abonnenten geschickt wird. Im Folgenden möchte ich eine Auswahl der bisher erschienen englischen beziehungsweise französischen Newsletter vorstellen, um einen Einblick in die schriftliche pädagogische Arbeit zu gewährleisten. Die Ausgaben von trop fort le château !” werden damit beworben, dass sie den Lehrern ermöglichen sollen, sowohl spielerisch als auch pädagogisch mit den Schülern die jeweiligen Themen zu erarbeiten. In jeder Fassung sind Entwicklungen der Konstruktion, ein Architekturwörterbuch, Aktuelles” zum Mittelalter, die Vorstellung eines Handwerks, etwas zur Geschichte und Spiele oder Übungen enthalten. Daneben kann man sich auch einen Praxiszettel ausdrucken, den man am Ende an die Klasse verteilt.

Über den Autor

Veruschka-Meike Jähnert schloss ihr Studium der Volkskunde/Kulturgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Jahr 2013 mit dem akademischen Grad der Master of Arts erfolgreich ab. Fasziniert von der Mittelalterbegeisterung in der heutigen Zeit, handelte ihre Bachelorarbeit (2010) von Mittelaltermärkten und deren Akteuren. Als sie vom authentischen Bau einer Burg aus dem 13. Jahrhundert erfuhr, entschloss sie sich, dieses einzigartige Projekt in Hinsicht auf museologische Fragestellungen und in Bezug auf die Aneignung und Vermittlung von historischem Wissen zu untersuchen.

weitere Bücher zum Thema

Zur Qualität der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Trägern der freien Jugendhilfe und den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe

Eine Analyse des Zusammenhangs von Förderung und Partnerschaft

ISBN: 978-3-96146-968-0
EUR 49,50


Bewerten und kommentieren

Bitte füllen Sie alle mit * gekennzeichenten Felder aus.