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- Co-Abhängigkeit – ein hilfreiches Konzept? Über die Wirksamkeit psychotherapeutischer Gruppen für Angehörige
Pädagogik & Soziales
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 88
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Angehörige von Suchtkranken sind - ob gewollt oder ungewollt - in die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Suchterkrankungen verstrickt. Für sie geht dies mit seelischen Belastungen sowie großem Leidensdruck einher. Der Versuch, das Ungleichgewicht in der Familie oder Partnerschaft auszugleichen, erfordert persönliche Courage. Nicht immer hilfreich sind in diesem Kontext die unterschiedlichen Zuschreibungen, die Angehörige in Konzepten zur Co-Abhängigkeit erfahren. Der erste Teil der Untersuchung widmet sich der Entstehung, der Entwicklung und den Konnotationen, die der Begriff der Co-Abhängigkeit seit seiner Entstehung erfahren hat. Co-Abhängigkeit verursacht Leiden und impliziert, dass Angehörige an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Suchterkrankung aktiv mitwirken. Im empirischen Teil der Arbeit wird der Frage nachgegangen, welchen Nutzen Angehörige von Suchtkranken aus der Teilnahme an psychotherapeutischen Gruppen ziehen. Es wird davon ausgegangen, dass Angehörige von Suchtkranken in psychotherapeutischen Gruppen neues Bewältigungsverhalten entwickeln und ihre Konzepte von Sucht, sich Selbst und ihren Beziehungen weiterentwickeln. Die Wirkfaktoren in therapeutischen Gruppen bilden die Basis für den Versuch, konkrete Veränderungen in der Wahrnehmung und dem Verhalten von Angehörigen, als Folge der Teilnahme an psychotherapeutischen Gruppen, zu erklären.
Textprobe: Kapitel 3, Neue Entwicklung und Forschung zu Angehörigenarbeit: 3.1 Angehörige als ‘Enabler’: Im deutschsprachigen Raum hat sich M. Rennert mit ihrem Standardwerk ‘Co-Abhängigkeit. Was Sucht für die Familie bedeutet’ ausführlich mit Co-Abhängigkeit beschäftigt und unter anderem festgestellt, dass die Gemeinsamkeiten betroffener Angehöriger nicht suchtspezifisch sind. Sie bezieht sich in ihrer Theorieentwicklung auf die eigene Praxisarbeit und stützt diese mit Beispielen aus der amerikanischen Suchtkrankenhilfe. Sie hat den Begriff des ‘Enablers’ entwickelt, der Person im Umfeld eines Suchtkranken, die es ermöglicht, dass die Suchterkrankung in der Familie aufrechterhalten, unterstützt und gefördert wird. Ihre Studie schließt internationale Vergleiche mit ein und beschreibt zentral die Rolle des ‘Enablers’, eben jener Person, die die Entwicklung von Abhängigkeit ermöglicht und dadurch zum ‘Komplizen der Sucht’ wird. Rennert hat mit ihrem Bezug zur amerikanischen Suchtkrankenhilfe auch deutlich gemacht, welche große Bedeutung und welchen Einfluss das 12-Schritte-Programm dort in klinisch-institutionellen Bereichen hat. […] Ein ‘Enabler’ kennzeichnet sich dadurch, dass er suchtfördernde Verhaltensstile anwendet, und diese finden ihren Ausdruck in bestimmten Verhaltensweisen, etwa im Vermeiden und Beschützen. Angehörige vermeiden Situationen, in denen die suchtkranke Person mit dem Suchtmittel in Berührung kommen kann, sie vermeiden aber auch jegliche Auseinandersetzung und damit die Konfrontation mit der ‘Tatsache Sucht’. Sie beschützen die suchtkranke Person vor den Auswirkungen des Suchtverhaltens und verschleiern dadurch die realen Auswirkungen des Suchtverhaltens. Die Versuche, den Drogenkonsum des Abhängigen zu kontrollieren, gehören ebenfalls zu den gängigen Verhaltensweisen in Suchtfamilien und/oder partnerschaften. Dazu gehört die bereits in einem vorhergehenden Kapitel beschriebene ‘Flaschenjagd’ ebenso wie das Mitkonsumieren der Droge, um den Konsum für den Betroffenen insgesamt einzuschränken. Die Motive, die hinter diesem Verhalten stehen, sind der Versuch von Angehörigen, stellvertretend für den Suchtkranken die Sucht unter Kontrolle zu bringen. Angehörige übernehmen zunehmend Verantwortlichkeiten, die davor der Suchtkranke übernommen hat. Ob es sich nun um kleine alltägliche Pflichten oder große finanzielle oder familiäre Entscheidungen handelt, dem Suchtkranken werden Entscheidungen mehr und mehr entzogen. Dieses Verhalten gleicht einer Teilentmündigung und Suchtkranke verlieren mitunter dadurch noch an Halt. Durch Rationalisieren und Akzeptieren versuchen Angehörige, Gründe für den Suchtmittelkonsum zu finden, teilweise entschuldigen sie damit das Suchtverhalten ihrer Familienmitglieder oder Partner, aber auch die eigene ‘Unfähigkeit’, das Problem Sucht zu beseitigen. Unterstützt werden sie darin durch eine (Medien-)Welt, in der Begriffe aus Psychoanalyse, Psychologie und Psychotherapie schon lange umgangsprachig verwendet werden und in Fragmenten Eingang in die Alltagssprache gefunden haben. So finden Angehörige pseudopsychologische Erklärungen für das Suchtverhalten. Akzeptieren und Resignieren beinhaltet, dass die eingangs angeführten Verhaltensstile beibehalten werden und sich verfestigen. Unter dem suchtfördernden Verhaltensstil von Kooperation und Kollaboration sind jene Unterstützungen zu verstehen, die sich auf Beschaffung des Suchtmittels und die Unterstützung des Konsums beziehen, egal, ob Alkohol oder illegale Drogen. Angehörige wenden sehr viele Mittel an, um die Illusion der Kontrolle aufrechtzuerhalten oder um die Auswirkungen des Suchtmittelkonsums zu minimieren. In ihrem Bestreben zu helfen und zu retten, stellen Angehörige ihre eigenen Bedürfnisse völlig in den Hintergrund und ihr Leben ist in zunehmendem Maß ausschließlich auf den suchtkranken Familienangehörigen, dessen Verhalten und Bedürfnisse ausgerichtet (vgl. Rennert 1990, S. 54–56). Co-abhängiges Verhalten entwickelt sich nach Rennert in einem Stufenmodell und ist deshalb bei Angehörigen in unterschiedlichen Ausprägungen zu finden. Bei sporadisch co-abhängigem Verhalten wird es noch als möglich empfunden, sich so oder anders zu entscheiden, die Entscheidung wird allerdings nicht immer bewusst getroffen. Bei gewohnheitsmäßigem co-abhängigem Verhalten wird eine Entscheidung zwar noch als möglich empfunden, aber nicht mehr als solche erwogen. Bei zwanghaftem co-abhängigem Verhalten gibt es für den Betroffenen keine Wahl und eine alternative Entscheidung ist unmöglich. Bei süchtigem co-abhängigem Verhalten wird eine Entscheidung als unmöglich oder sogar existentiell bedrohlich empfunden, in dieser Phase darf es keine andere Möglichkeit mehr geben (vgl. Rennert 1990, S. 196). Die ‘Enabler-Rolle’ zeigt in jedem Fall sehr deutlich das äußerst ambivalente Verhalten von Angehörigen, die dadurch direkt ein Suchtverhalten stützen, das sie zutiefst verurteilen. In diesem Zustand wechseln Angehörige auch häufig ihre Rollen als Märtyrer oder als Manager. Einerseits halten sie massive Spannungen und Frustrationen aus, andererseits erhalten sie die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, Kontrolle auszuüben und Veränderungen zu fordern. ‘In der klinisch-psychologischen Forschung wurde die ambivalente Rolle des Angehörigen mit dem Modell des tertiären Krankheitsgewinns beschrieben. Darunter wird der Vorteil verstanden, der sich für einen Angehörigen – neben allen Nachteilen – ergibt, wenn der Partner für längere Zeit suchtkrank ist (z. B. Zugewinn an Sozialkompetenz, Achtung und Bewunderung im Bekanntenkreis).’ (Klein 2000, S. 148–149) […]
Ingrid Trabe, MSc, wurde 1956 in St. Veit a.d.Glan geboren, sie lebt und arbeitet in Wien. Nach vielen Jahren der Tätigkeit in privat-wirtschaftlichen Unternehmen beendete die Autorin Ihre Ausbildung zur personenzentrierten Psychotherapeutin mit einem abschließenden Masterstudium. Die Autorin beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Suchtkrankheiten auf Familiensysteme. Sie leitet seit einigen Jahren eine psychotherapeutische Gruppe für Angehörige von Suchtkranken am Anton Proksch Institut in Wien und hat mehrere Fachartikel zu diesem Thema verfasst.
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