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- Patientenerwartungen an Prämedikationsgespräche: Kann die Narkoseaufklärung präoperative Ängste reduzieren?
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Präoperativ ist es aus anästhesiologischer Sicht erforderlich, ein Prämedikationsgespräch bezüglich der Narkose und seinen Risiken durchzuführen. Die Rolle psychologischer Faktoren wie der präoperativen Zustandsangst und deren Zusammenhang mit Patientenerwartungen sind hierbei erheblich. Zielführend sollten Erkenntnisse dazu generiert werden, welche Gesprächserwartungen die präoperative Angst beeinflussen und ob diese sinken würde, wenn die eigenen Erwartungen erfüllt wurden. Nach der Befragungsteilnahme von 223 Patienten mit elektiven Eingriffen der Gynäkologie, der Urologie, der Allgemeinchirurgie und der HNO wurde interpretierend gezeigt, dass die präoperative Ängstlichkeit in Anästhesiegesprächen entgegen klassischer Aufklärungsaspekte einen wichtigen Gegenstand für eine empathisch- patientenzentrierte Gesprächsführung darstellt, welche besonders auf Risikogruppen mit objektiv hoher Ängstlichkeit ohne subjektiver Wahrnehmung wirken kann. Zudem spricht die Reduktion der Ängste besonders durch den Erhalt von prä- und postoperativen Verhaltenshinweisen für den Wunsch nach subjektiver Kontrolle im Sinne einer Angstbewältigungsstrategie in der perioperativen Situation.
Textprobe: Kapitel 1 Einleitung: Kapitel 1.1 Funktion und Struktur anästhesiologischer Aufklärungsgespräche: Vor jedem operativen Eingriff ist es aus anästhesiologischer Sicht erforderlich ein Prämedikationsgespräch durchzuführen. Zweck dieser Konsultation ist es zunächst, den Patienten über die Narkose aufzuklären und ihm das Verfahren mit seinen spezifischen Risiken zu erläutern. Dem Patienten wird so eine informationelle und rechtliche Basis geschaffen, um über seine Einwilligung zur Anwendung der Anästhesie zu entscheiden. Darüber hinaus gilt es als weitere Zielsetzung durch einen systematischen Aufbau des Anamnesegespräches, der körperlichen Untersuchung und weiterer diagnostischer Techniken die individuellen Faktoren aufzudecken, die Morbidität und Mortalität im perioperativem Verlauf beeinflussen und im schlimmsten Fall erhöhen könnten. Dabei ist neben dem Befund des Allgemeinzustandes nicht außer Acht zu lassen, welche Bedeutung die Psyche für dieses Narkoserisiko einnimmt. Gesteigerte präoperative Angstzustände können den Patienten in eine Stresssituation versetzen, welche ihn nicht nur emotional betreffen, sondern nachweislich durchaus auch Schwierigkeiten bei der Durchführung der Anästhesie auslösen können. Im Laufe des persönlichen Gespräches ist es nun die Aufgabe des Anästhesisten, subjektive Erwartungen des Patienten zu erkennen und möglichst zu besprechen, um eine vorhandene Ängstlichkeit zu reduzieren. Im Rahmen dieser Prämedikation wird der Patient in der Regel auf Station oder in hierfür speziell eingerichtete Prämedikationsambulanzen empfangen. Bevor das Gespräch stattfindet, wird ihm ein standardisierter Aufklärungsbogen ausgehändigt. Dieser setzt sich zusammen aus einem Informationsteil, in dem die Verfahren der Allgemeinanästhesie (intravenöse Narkose, Maskennarkose, Narkose mit Larynxmaske und Intubationsnarkose), der Regionalanästhesie (Spinal- und Epiduralanästhesie) und der axillären Plexusanästhesie mit ihren allgemeinen und interventionsspezifischen Risiken dargestellt werden. Es folgt ein Fragebogenteil mit anamnestischer Erhebung relevanter Vorerkrankungen und Gewohnheiten. Insbesondere dieser Abschnitt des Bogens erstellt ein individuelles Profil vom Patienten. Aus den Angaben zu seinen Gesundheits- und Lebenszuständen ergeben sich seine perioperativen Risiken, die dem Anästhesisten erlauben, eine darauf zugeschnittene Aufklärung zu realisieren. Da die schriftliche Form nicht ausreichend ist, müssen diese persönlichen Risikoumstände dem Patienten im Gespräch mitgeteilt werden. Die Anordnung des Aufklärungsbogens beabsichtigt die Stufenaufklärung nach Weissauer. Im Sinne des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten wird dieser schriftlich vorinformiert und auf das Prämedikationsgespräch vorbereitet. Somit wird ihm die Möglichkeit eingeräumt, im Gespräch verschiedene erwähnte Aspekte zu vertiefen oder auf ihre Erklärung zu verzichten. Überdies dient der Bogen als Beweis einer rechtlich ordnungsgemäßen Durchführung der Aufklärung und kann vom Anästhesisten zur schriftlichen Dokumentation der Prämedikation verwendet werden. Im persönlichen Gespräch stellt sich nun dem Arzt die Aufgabe die anamnestischen Vorinformationen zu ergänzen und auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen. Anschließend folgt eine körperliche Untersuchung, wie z. B. die Inspektion des Rachenraumes, um Schwierigkeiten bei der Intubation abwägen zu können. Oft werden im Vorfeld einige Vitalparameter wie z. B. Blutdruck, Ruhepuls und die Sauerstoffsättigung bestimmt, um eine präoperative körperliche Einschätzung des Patienten zu erheben. Neben den Standarduntersuchungen variiert die weitere Begutachtung in Abhängigkeit des gesundheitlichen Allgemeinzustandes und Alters des Patienten. Des Weiteren spielen die operativen und anästhesiologischen Verfahrenstechniken, ihre Dauer und dringliche Erfordernis eine entscheidende Rolle. Werden hier vom Arzt Krankheitsbefunde festgestellt, die ein Risiko für den perioperativen Verlauf darstellen könnten, so müssten nun aus anästhesiologischer Sicht weitere Diagnostiken (z. B. Echokardiografie, Blutuntersuchungen) eingeleitet werden, die deren Gefahrenpotenzial weiter eingrenzen. Bekräftigen sich die Vermutungen des Anästhesisten, so wird entweder ein risikoärmeres Verfahren ausgewählt oder nötigenfalls über ein Abwenden der Operation nachgedacht. Der genaue diagnostische Vorgang an erweiterten Untersuchungen ist in den Leitlinien festgelegt. Zusätzlich sind all die medizinischen Begleitumstände, welche vom Anästhesisten während der Prämedikation ermittelt werden, für die Einschätzung der Anästhesiefähigkeit des Patienten hilfreich. Zur genauen Einteilung hat sich inter-national die ASA Physical Status Classification der American Society of Anesthesiologists durchgesetzt [7]. Diese sogenannte ASA-Klassifikation be-schränkt sich ausschließlich auf den körperlichen Status des Patienten und sollte von daher nur als Richtwert des perioperativem Risikos gewertet werden, da sie weitere Faktoren, welche die Mortalität und Morbidität beeinflussen könnten (wie z. B. die Narkoseart), nicht mit einbezieht. Die möglichst genaue Beurteilung dieses Risikoausmaßes trägt hauptsächlich zur Wahl des Narkoseverfahrens bei. Sofern mehrere anästhesiologische Alternativen für den Eingriff vorliegen, so sollten diese dem Patienten erläutert und in Zusammenarbeit ausgewählt werden. Der Zeitpunkt der ärztlichen Aufklärung ist juristisch nicht genau definiert, dennoch muss dem Patienten eine angemessene Bedenkzeit zwischen der Prämedikation und der Operation eingeräumt werden, um sich mit den Folgen der Intervention auseinanderzusetzen und sich mit seinen Angehörigen beraten zu können. Um ein ausreichendes Zeitfenster zu schaffen, wird der Termin in der Abhängigkeit der perioperativen Risiken und der Dringlichkeit der Operation bestimmt. Das heißt: Je riskanter der Eingriff für den Patienten geschätzt wird, desto früher sollte die Aufklärung erfolgen. Da sich dies bezüglich der medizinischen Notwendigkeit der Operation genau umgekehrt verhält, darf die Prämedikation z. B. im Fall einer Notfalloperation gesetzlich zu einem späteren Zeitpunkt und in prägnanterer Form stattfinden. Eine Aufklärung auf dem Operationstisch oder nach einer medikamentösen Verabreichung gilt trotzdem nicht als rechtlich ausreichend. Neben der anamnestischen Erfassung der Vorerkrankungen steht für die Bestimmung des perioperativen Risikos die Ermittlung der psychischen Einstellung des Patienten im Vordergrund. Die Operation als unbekanntes Geschehen im eigenen Körper kann Verunsicherungen und Ängste hervorrufen, die der Anästhesist im Gespräch wahrnehmen und erfassen sollte. Kapitel 1.2 Präoperative Zustandsangst als Risikofaktor für perioperative Komplikationen: Generell gilt Angst als ein alarmierendes Grundgefühl, welches spontan auftritt, wenn man mit einer unbekannten und bedrohlich wirkenden Situation konfrontiert wird. Sie manifestiert sich als Schutzreaktion des Menschen, indem sie ihn physiologisch und psychologisch in eine Bereitschaft versetzt, das potenzielle Gefahrenereignis mit gesteigerter Fähigkeit zu bewältigen oder zu umgehen. In der Psychologie definiert man zwei Formen der Angst: state anxiety (Angst als Zustand) und trait anxiety (Ängstlichkeit als Persönlichkeitsdisposition). Die Zustandsangst wird hervorgerufen, sobald man eine konkrete und unmittelbare Bedrohung empfindet. Die Ängstlichkeit hingegen beschreibt eine erhöhte Neigung zur Angstreaktion bei solch einer wahrgenommenen Gefahr. Der Einfluss dieses Potenzials auf die situationsabhängig hervorgerufene Angst wird hierbei anhand ihrer individuell unterschiedlich starken Ausprägung begründet. Da die Zustandsangst ebenfalls als eine durch Stress hervorgerufene Emotion betrachtet wird, lässt sich auch erklären, warum sie in direkter Beziehung mit der persönlichen Stressbewältigungsstrategie (Coping) steht. Mit einer Erkrankung konfrontiert zu sein, die eine chirurgische Intervention verlangt, stellt in der Regel ein ungewohntes Ereignis für betroffene Menschen dar. Oft ist dies mit einer physischen Symptomatik verbunden, die Schmerzen verursacht und die gewohnte Leistung im Alltag einschränkt. Allein ein Arbeitsausfall und die eventuell daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen sind für viele Patienten eine psychische Belastung. Hinzu kommt die befremdliche Vorstellung des Krankenhausaufenthaltes, die körperliche Beschwerden hervorrufen kann (wie z. B. postoperative Schmerzen) und eine kurzzeitige Isolierung von ihrem sozialen Umfeld bedeutet. Auch wenn medizinische Eingriffe im Allgemeinen als sicher und zuverlässig gelten, so entsteht dennoch für die meisten Patienten die Frage nach dem Erfolg des operativen Ergebnis und inwiefern dies eine bestehende Veränderung für sie bewirken könnte. Vor allem bei Patienten, die aufgrund der Annahme eines pathologischen Befundes (z. B. bei bestehendem Tumorverdacht) operiert werden müssen, ist die Erkenntnis, die durch die Operation gewonnen werden sollte, oft noch ungewiss und möglicherweise beängstigend. Diese als Stressauslöser fungierende Faktoren beeinflussen sowohl auf psychologische als auch physiologische Weise. Da der Körper des Menschen auf Stressreaktionen mit der biologischen Aktivierung des Sympathikus (z. B. in Form einer Blutdruck- oder Herzfrequenzsteigerung) reagiert, könnte diese Schwierigkeiten bei der präoperativen Narkotisierung zur Folge haben und zu vermehrten pathologischen Kreislaufzuständen (z. B. orthostatische Dysregulationen) führen. So identifizierte eine Studie zu älteren Patienten in der Kardiologie ihre präoperative Angst als unabhängigen Risikofaktor für erhöhte Morbidität und Mortalität nach der Operation. Der Angriffspunkt der perioperativen Pharmazeutika wie insbesondere der Narkosemittel zielt biochemisch auf ähnliche Strukturen wie die des vegetativen Nervensystems ab. Es ist von daher von großer Bedeutung, das Stresspotential des Patienten von vornhinein möglichst gering zu halten, um die für die Prämedikation benötigte Dosis nicht übermäßig erhöhen zu müssen. Diese körperliche Anspannung äußert sich ebenfalls auf einer emotionalen Ebene, in dem sie verschiedene Gefühle wie Erregtheit, Furcht und Depressionen auslösen kann. Hierbei werden am häufigsten präoperative Ängste beschrieben, welche begleitend zu der Stresssymptomatik auftreten können. Diese Angst wird durch Unsicherheiten verursacht, die im Zusammenhang mit der aufgetretenen Erkrankung stehen. Auch wenn diese Unsicherheiten schon vor der Diagnosestellung bestanden, so wird ihr bewusstes Erkennen als plötzliche Gefahr empfunden. In der heutigen Gesellschaft, die vom Erfolg des medizinisch-technischen Fortschritts dominiert wird, gilt eine intakte Gesundheit als (normative) Selbstverständlichkeit. Des Weiteren setzt das Funktionieren unter den gegenwärtigen Lebensbedingungen eine körperliche und seelische Unversehrtheit voraus. Im Sinne des menschlichen Bedürfnisses nach Selbstbestimmung ist es bedeutsam ein gesundes Wohlbefinden zu besitzen, auch um eine gewisse Autonomie zu wahren. Das unvorbereitete Einnehmen der Patientenrolle raubt jedoch dem Menschen ein Stück an Selbstständigkeit, da er sich in einer Situation wiederfindet, die er ohne fremde Hilfe nicht bewältigen kann. Diese unbekannten Umstände verursachen eine Furcht sowohl vor der Krankheit als auch vor der benötigten Operation und führen letzten Endes zur präoperativen Zustandsangst. Es lässt sich schwer trennen, inwiefern die Tragweite und Intensität der Angst ausschließlich das anästhesiologische oder chirurgische Geschehen betrifft und wird von daher definitionsgemäß zunächst als Einheit betrachtet.
Golsa Enayatpour wurde 1988 in Bonn - Bad Godesberg geboren. Ihr Studium der Humanmedizin begann sie an der Université du Luxembourg und schloss dieses 2015 an der Medizinischen Hochschule von Hannover ab. Bereits im Rahmen diverser Studienpraktika zeigte die Autorin Interesse am Umgang mit präoperativen Ängsten in Arzt-Patientengesprächen. Hieraus entstand die Idee einer Studie zur Erforschung dieses Themas in Zusammenhang mit Narkoseaufklärungsgesprächen. Nach dem Studium ist sie als Ärztin in der Weiterbildung zur Allgemeinmedizin in der Nähe von Hannover tätig.