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- Messing nach dem Galmeiverfahren: Drei Handschriften des 18. Jahrhunderts experimentell erläutert
Natur / Technik
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Verlag:
disserta Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 05.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 704
Abb.: 418
Sprache: Deutsch
Einband: gebunden
Im Jahre 1715 bereiste der hessische Metallurge und spätere königliche und kaiserliche Berghauptmann Marcus Fulda vier europäische Messingwerke. In einer bisher unveröffentlichten Handschrift notierte er die sonst streng gehüteten technologischen Betriebsdaten. Das ermöglichte es ihm, danach selbst das Messingwerk in Kassel/Bettenhausen zu leiten. Auch dessen Arbeitsweise nahm er in seine Beschreibung auf. Zwei weitere Handschriften des 18. Jahrhunderts aus Tirol und Bayern, die ebenfalls von Praktikern in den damaligen Fertigungsstätten verfasst wurden, ergänzen und bestätigen die Angaben Fuldas. Diese drei Handschriften werden in der vorliegenden Studie erstmals vollständig transkribiert und veröffentlicht. Eine geschichtliche Betrachtung stellt die Situation der in den Manuskripten beschriebenen Messingwerke in den wirtschaftlichen Zusammenhang des mitteleuropäischen Raumes nach dem Dreißigjährigen Krieg und der Zeit des Merkantilismus bis zum Untergang der meisten Betriebe nach der Aufhebung der Gewerbeordnungen durch Napoleon. Die Angaben werden durch die Auswertung der bisher vorliegenden Literatur zur Geschichte des Messings und dessen Etymologie ergänzt. Auf dieser Grundlage wurde der gesamte historische Herstellungsprozess des Messings in praxisnahen Versuchen rekonstruiert. Die Kupfer-Zink-Legierung wurde durch Zusammenschmelzen von Kupfer und Galmei erzeugt, wie es seit der Antike üblich war, bis das Legierungsmetall Zink auf dem europäischen Kontinent erstmals im Jahre 1799 in technischem Maßstab zur Verfügung stand. Als authentischer Rohstoff konnte Galmei aus einem um 1500 angelegten Bergwerk am Feigenstein und aus Stolberg eingesetzt werden. Die Weiterverarbeitung zu Blech und Draht erfolgte durch Hämmern und Ziehen. Der Schmelzofen und die Werkzeuge für die mechanische Bearbeitung des Gussmaterials wurden in strenger Anlehnung an die historischen Gegebenheiten selbst gebaut, die mechanischen und technologischen Eigenschaften des Halbzeugs während des Herstellungsprozesses durch modernste Analytik erfasst. Die Schmelzversuche zeigen, dass die bisher geübte Altersbestimmung für Messingartefakte nach dem Zinkgehalt nicht mehr zulässig ist, weil auch nach dem Galmeiverfahren erzeugtes Messing viel mehr als 30 % Zink enthalten kann. Durch die Untersuchung von Handelsgütern aus Messing, die aus einer gesunkenen venezianischen Galeere stammen, werden die Angaben in den genannten Handschriften und die eigenen Versuchsergebnisse glänzend bestätigt.
Textprobe: Kapitel 4, Die Entwicklung der Messingindustrie in Mitteleuropa: 4.1, Allgemeine Entwicklung: Die Entstehung und die Geschichte der nachstehend im Einzelnen beschriebenen Messingwerke stehen in direktem Zusammenhang mit der allgemeinen technischen Entwicklung sowie den politischen und wirtschaftlichen Bestrebungen im deutschsprachigen Raum. Die Herstellung von Messing wurde zwar schon im Altertum technisch beherrscht, von einer Messingherstellung mit überregionaler und volkswirtschaftlicher Bedeutung konnte aber zunächst noch kaum die Rede sein. Diese Bedeutung erlangte die Messingherstellung erst in der Karolingischen Zeit und erreichte einen ersten Höhepunkt im 13. und 14. Jahrhundert mit den Fertigungszentren um Lüttich, Huy und insbesondere Dinant. Basis für diese Entwicklung waren die ergiebigen Galmeivorkommen in der unmittelbaren Umgebung und insbesondere der hochwertige Galmei vom Altenberg (Vieille Montagne) bei Aachen. Bei den Erzeugnissen der einzelnen Betriebe handelte es sich in der Regel um Kunst- und Gebrauchsgegenstände, die durch Gießen und/oder durch händische Treibarbeit hergestellt wurden (Dinanderies). Eine nennenswerte Fertigung von Messingblech und Messingdraht nach industriellen Maßstäben gab es noch nicht. Als Dinant im Jahre 1466 zerstört wurde, trat Aachen praktisch die Nachfolge Dinants als führender Messinghersteller an, wobei sich der Fertigungsschwerpunkt jetzt zunehmend auf die Herstellung der drei wichtigsten Halbfabrikate Stückmessing (zum Wiedereinschmelzen), Messingblech und Messingdraht verlagerte, die in großen Mengen und bevorzugt in das nordwestliche Europa exportiert wurden. Aber auch Nürnberg bezog schon in dieser Zeit in großem Umfang Stückmessing aus Aachen. Nürnbergs Messingindustrie entstand im 14. Jahrhundert und war primär durch die Herstellung von gegossenen Fertigartikeln gekennzeichnet. Hierbei handelte es sich sowohl um den Kunst- und Bildguss, z.B. aus den berühmten Gießereien Vischer, Labenwolf und Wurzelbauer, als auch um Gebrauchsartikel für Haushalt und Gewerbe, die von den zahlreichen kleineren Gießereien hergestellt und vorzugsweise in den östlichen und südeuropäischen Raum und insbesondere nach Venedig exportiert wurden. Die eigentliche Rohmessingherstellung durch das Zusammenschmelzen von Kupfer und Galmei war in Nürnberg mengenmäßig unbedeutend. Sie konnte den Bedarf der zahlreichen, Messing verarbeitenden Gewerbe in Nürnberg zu keiner Zeit decken. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstanden im Fürstbistum Salzburg drei Messingwerke, deren Fertigungsprogramm dem Aachener entsprach: Stückmessing, Messingblech und Messingdraht, die bevorzugt in den süddeutschen und südeuropäischen Raum und ebenfalls nach Venedig exportiert wurden. Zu gleicher Zeit entwickelte sich auch in Goslar, hier stellvertretend genannt für das Revier im und um den Harz, eine recht bedeutsame Messingindustrie, die auf der Verwendung des Ofengalmeis, eines Abfallproduktes aus der Bleierzeugung, basierte. Die Goslarer Messingfertigung war aber im Vergleich zu den vorgenannten Zentren nachrangig und kann im Weiteren vernachlässigt werden. Darüber hinaus gab es in dem vorgenannten Zeitraum noch zahlreiche weitere Standorte der Messingherstellung und Weiterverarbeitung, die allerdings nur von mehr oder weniger regionaler Bedeutung waren. Die Abbildung 10 zeigt die Lage dieser vier wesentlichen Messingzentren um 1600. Es kann gesagt werden, dass auf Grund der unterschiedlichen Fertigungsprogramme und Liefergebiete das Verhältnis der Reviere zu einander recht gut und kooperativ war. Lediglich zwischen Nürnberg und Salzburg kam es schon im 17. Jahrhundert zu Komplikationen wegen der unerlaubten Belieferung von Nürnberger Handwerkern mit Salzburger Messingblech und Messingdraht. Hierauf wird später noch eingegangen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg und der anschließenden Neuordnung des Reiches bestand der deutschsprachige Raum aus ca. 220 Ländern, freien Reichsstädten, Bistümern, Abteien usw., deren Regenten bestrebt waren, ihre Souveränität auch durch eine wirtschaftliche Unabhängigkeit zu untermauern. Das Geld sollte im Land bleiben und möglichst viel Geld von außen herein fließen (Merkantilismus). Dies versuchte man u. a. dadurch zu erreichen, dass man die Einrichtung neuer Gewerbe auf privater Basis unterstützte bzw. in staatlicher Regie betriebene Manufakturen einrichtete, den Export der Erzeugnisse förderte, die Einfuhr ausländischer Konkurrenzprodukte durch hohe Zölle behinderte oder verbot, hingegen die Einfuhr der benötigten Rohstoffe erleichterte, deren Ausfuhr aber nur erlaubte, wenn der eigene Bedarf gedeckt war. Die Gewerbe und Werke wurden mit entsprechenden hoheitlichen Privilegien ausgestattet, die häufig auch die Zusicherung enthielten, dass innerhalb des eigenen Landes keine weiteren Konkurrenzbetriebe errichtet werden durften. Diese Wirtschaftspolitik führte zunächst dazu, dass innerhalb weniger Jahrzehnte, insbesondere in den Ländern mit bergbaulichen Aktivitäten, zahlreiche neue Messingwerke angelegt wurden, deren Kapazitäten in der Regel weit über den Eigenbedarf des jeweiligen Landes hinausgingen und die nur durch einen entsprechenden Exportanteil ausgelastet und wirtschaftlich betrieben werden konnten. Als Beispiel sollen die in der Abbildung 11 eingetragenen Messingwerke dienen. Es handelt sich dabei um die Werke, die von Marcus Fulda besichtigt oder in seiner Handschrift von 1717 erwähnt wurden, sowie um die Messingwerke, die mit den ersteren durch die Eigentumsverhältnisse und/oder durch offenen oder verdeckten Know-how-Transfer in Verbindung standen. Über die genannten Werke hinaus entstanden allerdings noch zahlreiche andere Messingwerke wie z.B. in Neuwied, Hamburg, Lübeck, Iserlohn und im Schwarzwald. Und nicht vergessen werden darf hierbei die monopolartige Stellung Stolbergs, das inzwischen die Nachfolge Aachens angetreten hatte. Die Stolberger Messingfertigung lag um 1726 bei ca. 60.000(!) Zentnern/Jahr und übertraf damit die Gesamterzeugung aller anderen Werke um ein Mehrfaches (Tabelle 1). Zu dieser Zeit war Messing mengenmäßig nach dem Eisen der am häufigsten verwendete metallische Werkstoff! Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es durch diese Neugründungen zu einer erheblichen Messing-Überkapazität im deutschsprachigen Raum und zu erbitterten Konkurrenzkämpfen um die benötigten und immer knapper werdenden Rohstoffe und natürlich auch um die Absatzmärkte kam. Dies führte zwangsläufig zu ruinösen Preiskämpfen und - nicht zuletzt auch durch die Aufhebung der Gewerbeordnungen durch Napoleon - zu einem Massensterben der Messingwerke […]
Karl Hachenberg wurde 1937 in Neuwied geboren. Nach seiner Lehre zum Betriebsschlosser arbeitete er u.a. im Bereich der Werkstoffprüfung in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Er legte im Rahmen des 2. Bildungsweges Prüfungen als Industriemeister und Werkstofftechniker ab. Anschließend war er über zwanzig Jahre in leitender Stellung in den Versuchsanstalten namhafter Hüttenwerke in Deutschland tätig. Nebenberuflich war er passionierter Sammler von historischen Blechblasinstrumenten und bestrebt, seine Fachkenntnisse in die Diskussion über die Herstellung von Messing und dessen Weiterverarbeitung zu Halb- und Fertigfabrikaten in der Zeit bis 1800 durch Aufsätze und Vorträge auf Fachtagungen (u.a. in Basel, Essen, Nürnberg, Paris und Rostock) einzubringen. Als er um 1990 in den Besitz der Kopie einer bisher unbekannten Handschrift des Hütten- und Messingfachmannes Fulda aus dem Jahre 1717 kam und den einschlägig forschenden Helmut Ullwer kennenlernte, kam es spontan zu dem Entschluss, anhand dieser Unterlage das Erschmelzen von Messing und seine Weiterverarbeitung zu Blech und Draht unter praxisnahen Bedingungen zu simulieren. Die Ergebnisse dieser gemeinsamen Versuche und Untersuchungen sind in diesem Buch wiedergegeben. Helmut Ullwer wurde 1942 in Böhmen geboren. Dem Abitur folgte ein Praktikum bei der geophysikalischen Erkundung des VEB Geophysik Leipzig und auf verschiedenen Hüttenwerken des VEB Mansfeld Kombinat Eisleben. Von 1961 bis 1966 studierte der Autor Metallhüttenkunde bei Professor Alfred Lange an der Bergakademie Freiberg. Seine berufliche Tätigkeit begann in der Vakuumgießerei des VEB Walzwerk Hettstedt. Nach zwei Jahren erfolgte der Wechsel zur Forschungsabteilung des Betriebes mit Aufgaben in der Gießerei und zur Herstellung von Drähten und Bändern aus Kupfer und Buntmetalllegierungen. Von 1989 bis zum Rentenalter war er technischer Leiter der Gießerei bei der MKM Mansfelder Kupfer und Messing GmbH. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Geschichte der Messingherstellung.