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- „Kreuzen Sie einfach die Drei an…“: Der Einfluss der Interviewdauer auf homogenes Antwortverhalten bei computergestützten Telefoninterviews (CATI)
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2019
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Aktuell wird die Teilnahmeverweigerung für die größte Herausforderung in der Umfrageforschung gehalten. Die vorliegende Studie dagegen sieht Scheinantworten als den ‚worst case‘ an. Homogenes Antwortverhalten steht dabei im Fokus. So mag eine Befragte zunächst vielfältige Antworten geben, später aus Ermüdung jedoch in die Mitte der Antwortskala tendieren oder Antworten verweigern. Jeder Befragte hat einen anderen ‚Stil‘ gleichförmigen Antwortens. Mit Blick auf die aggregierten Daten – der übliche Blickwinkel in Forschung und Medien – zeigt sich so ein scheinbar heterogenes Meinungsbild, beispielweise 20% stimmen zu, 35% lehnen ab , etc. Analysen einer Fallstudie belegen, dass homogenes Antworten stark in Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Fragestellung bzw. mit dem Ermüdungsgrad der Befragten stehen kann. Die Auswertung solcher Daten ist möglich, doch entsprechende Befunde und Handlungsempfehlungen laufen Gefahr, bedeutungslos oder sogar falsch zu sein. Deshalb sollten die psychologischen Konsequenzen der Interviewdauer bei der Konzeption und Auswertung von Befragungen mehr Berücksichtigung finden, um so deren Aussagekraft für Forscher und Unternehmen zu erhöhen.
Textprobe: III. DIE INTERVIEWSITUATION BEI TELEFONUMFRAGEN: III.1. Die Interviewsituation als Fehlerquelle: Erhebungstechniken, bei denen sich die ‚Untersuchungsobjekte’ bewusst darüber sind, dass sie Gegenstand einer Untersuchung sind und die Möglichkeit haben, auf den Datenerhebungsvorgang selbst zu reagieren, werden als ‚reaktive’ Messverfahren bezeichnet […]. Die Reaktion auf den Messvorgang kann häufig nicht von den ‚inhaltlichen Reaktionen’, z.B. der sinnvollen Antwort auf eine Frage, getrennt werden […] , womit die externe Validität gefährdet ist (Schnell u.a. 2005: 353). Grundsätzlich können für Antwortverzerrungen technische Eigenschaften des Fragebogens, individuelle Eigenschaften des Befragten oder des Interviewers, sowie situative Eigenschaften des Befragungsvorgangs – die Interviewsituation – verantwortlich sein. Da in einer Befragung zu jedem Zeitpunkt alle Faktoren präsent sind, gestaltet sich deren Unterscheidung hinsichtlich ihrer Wirkungen schwierig. Aufgabe der Methodenforschung ist es, jene Wirkungszusammenhänge zu identifizieren, die systematisch zu Response Errors führen (Diekmann 2007: 382). Unter die entsprechenden Response Errors fällt beispielweise die explizite Antwortverweigerung (Item Nonresponse) des Befragten, Reaktionen auf die Abfolge von Fragen, oder auf Merkmale des Interviewers. Der in dieser Studie näher untersuchte Faktor Interviewlänge bzw. Anzahl der Fragen ist dabei aus Sicht des Verfassers am ehesten unter Reaktionen auf formale Aspekte von Fragen (‚Frageeffekte’) (Schnell u.a. 2005: 354) zu subsumieren. Zur Überprüfung der Antwortqualität wurde im Bereich der Surveyforschung eine Vielzahl von Effekten untersucht, deren vollständige Erklärung den Rahmen dieser Untersuchung sprengen würde. Unter anderem wurden folgende Effekte untersucht (Mayerl et al. 2008: 27-28): Zustimmungstendenzen (Knowles/ Condon 1999), soziale Erwünschtheit (Kohler/Schneider 1995), Aufmerksamkeit oder Zufallsantworten (Stricker/ Alderton 1999), Allgemeine Fragebogeneffekte (Amelang/ Müller 2001 Kreuter 2002 Prüfer/ Rexroth 1996 Stocké 2002, 2003), Korrekte Nutzung von Rating-Skalen (Wagner-Menghin 2002) und Falschangaben/ Faker (Holden/ Hibbs 1995 Vasilopoulos et al. 2000). Die für diese Studie relevanten Response Errors sind solche, die mit dem Befragten in Zusammenhang stehen, insbesondere mit seiner Belastung durch das Interview. Bei der Belastung durch die eigentliche Erhebung unterscheidet Bradburn (1978) vier Aspekte: Dauer der Befragung, Aufwand bei der Beantwortung einzelner Fragen, das Ausmaß, in dem Fragen als unangenehm empfunden werden sowie die Häufigkeit der Befragung (Schnell 1997: 168). Unter Akquieszenz [oder Zustimmungstendenz, WK] wird eine inhaltsunabhängige Ja-Sage-Tendenz verstanden. Sie führt dazu, dass Befragte im Interview oftmals nicht die ihren tatsächlichen Einstellungen entsprechenden Antworten angeben, sondern (u.a. aus Bequemlichkeit) in wiederholter Weise die gleichen zustimmenden Antwortkategorien auswählen (Mayerl et al. 2008: 34). Daneben ist das Antworten auf Grund sozialer Erwünschtheit ein Effekt dessen Ursachen nicht nur mit der Interviewsituation, sondern auch direkt im Inhalt der Frage begründet liegen. Betroffen sind davon Fragen nach dem Verhalten von Befragten, dessen Inhalt stark kulturellen Normen unterworfen ist. Wird beispielsweise ein Interviewter mit Alkoholproblemen nach dem Alkoholkonsum gefragt, so wird er diesen untertreiben, da ein hoher Alkoholkonsum gesellschaftlich nicht anerkannt ist, und er sich mit einer wahren Antwort vor dem Interviewer nicht bloßstellen möchte (Schnell et al. 2005: 355-356). Nicht nur, aber besonders [b]ei tabuisierten Themen versucht ein Teil der Befragten z.B. durch Verweigerung oder ‚Meinungslosigkeit’ die Antwort zu umgehen oder sozial unerwünschte Eigenschaften abzustreiten (Schnell et al. 2005: 356). Beide Fehler lassen sich wiederum unter der Kategorie Response-Set zusammenfassen: Als Response Set werden systematische Antwortmuster von Befragten bezeichnet, die unabhängig vom Inhalt der Fragen zustande kommen (Diekmann 2007: 386). Im Beispiel Alkoholkonsum kann soziale Erwünschtheit dabei zur Zustimmungstendenz führen. Wie angedeutet hängt soziale Erwünschtheit auch mit zwei bestimmten Antwortkategorien zusammen: Item Nonresponse (das Antworten mit keine Angabe ) und das Antworten mit weiß nicht . Item Nonresponse entsteht, wenn ein Befragter entweder nicht antworten kann (Kognition) oder will (Motivation) (Gabriel/ Thaidigsmann 2009: 284). Deshalb können sie auch für eine Untersuchung in diesem Rahmen eine Rolle spielen. Ist der Ausfallmechanismus zufälliger Natur, so wird er als ignorierbar bezeichnet […]. [D]er von einschlägigen Softwarepaketen […] per Default vorgenommene Ausschluss fehlender Werte aus der jeweiligen Analyse […] (kann) im Falle eines zufälligen Fehlens als Ziehen einer erneuten Substichprobe geringeren Umfangs aus der bereits vorliegenden Originalstichprobe interpretiert werden (Decker / Wagner 2008: 58). Ein diesem nahe stehender Effekt ist die vom Inhalt unabhängige Antwort weiß nicht . ‚Weiß nicht’-Antworten […] werden in der einschlägigen Literatur […] z. T. den fehlenden Werten zugeordnet (Decker/ Wagner 2008: 58). So auch bei Gabriel/ Thaidigsmann (2009: 283). […] Schuman und Presser (1996: 143) […] [zeigen] […] experimentell, dass der Anteil an Don’t knows unabhängig vom Inhalt der Frage bei der Vorgabe dieser Antwortalternative größer ist als bei ihrem Fehlen (Gabriel/ Thaidigsmann 2009: 284). Dies hängt mit dem Nachteil dieser Kategorien zusammen, […] dass bei geringer Motivation und/oder Fähigkeit der Befragten, ähnlich wie bei Akquieszenz-Effekten, Befragte mit vorhandener Einstellung zum Objekt aus Bequemlichkeit oder aus Unfähigkeit dazu verleitet werden können, die DK-Kategorie für ihre Antwort zu wählen (Krosnick et al. 2002 nach Mayerl et al. 2008: 37).
Wolfgang Karlstetter, M.A. mult., arbeitete bereits vor dem Studium als Telefoninterviewer in einem Marktforschungsinstitut. Er studierte Staatswissenschaften, Umfrageforschung, quantitative Methoden und Politische Psychologie in Passau, San Diego (Kalifornien) und Stony Brook (New York). Entsprechende Skills und Kenntnisse hat er als Tutor, wissenschaftliche Hilfskraft, Berater und Dozent im In- und Ausland weitergegeben. Auszeichnungen für methodische Artikel erhielt er u.a. von der American Association of Public Opinion Research (AAPOR), der weltweit etabliertesten Organisation für Umfrageforschung. Derzeit promoviert er und ist Lehrbeauftragter für angewandte Statistik sowie wissenschaftliches Arbeiten an der Universität Passau und der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin.
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