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  • Zwischen Heilung und Wahnsinn: Potentielle Dichter in den frühen Romanen Vladimir Nabokovs

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 09.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Diese Studie widmet sich den (potentiellen Dichter-)Figuren in Vladimir Nabokovs frühen Romanen Mašen’ka, Zašcita Lužina und Otcajanie. Die Protagonisten dieser Romane, so die These, sind potentielle Dichter bzw. Künstler eingebunden sind diese aber - und das ist das zweite große Thema der Studie - in den fortlaufenden Versuch einer Selbstfindung im kulturellen Zwischenraum des Berliner Exils. Identifikation, Integration und Nostalgie sind drei Strategien, die eingesetzt werden, um mit der Exilsituation zurechtzukommen - die Figuren aus Nabokovs Berlinromanen wenden diese mehr oder weniger erfolgreich an. Die Opposition von pošlost‘ (Vulgarität) und Dichtung führt zu den Konflikten, die die Romane bestimmen daraus ergeben sich die antagonistischen Kategorien von Irrationalität und Vernunft, dem Konstruktiven und dem Destruktiven, von Heilung und Wahnsinn. Die Figuren, die für die Studie ausgewählt wurden, sind - und das macht sie umso interessanter - keine ‚wirklichen‘ Dichter, sondern sie besitzen ein künstlerisches Potential, das unterschiedlich zum Vorschein kommt. Diese Dichterfiguren befinden sich in einem gefährlichen Balanceakt zwischen Heilung und Wahnsinn. Wenn das Menschliche und die Kunst in einer harmonischen Beziehung stehen, ist die künstlerische Gabe positiv zu werten, sobald diese Beziehung gestört wird, kommt es zur Katastrophe - der Dichter läuft dabei Gefahr, an seiner Gabe zu zerbrechen und wahnsinnig zu werden. Eine metapoetische Basis für seine Figuren, die zwischen dem Künstler, dem Wahnsinnigen und dem Verbrecher changieren, legt Nabokov in seinem Essay ‚The Art of Literature and Commonsense‘. Davon ausgehend wird Nabokovs Realisierung der drei Figurentypen (Dichter, Irre, Verbrecher) spezifiziert. Dabei verschwimmen die Unterschiede zwischen den drei Figurentypen gemeinsam ist ihnen nur, dass ihr dichterisches Potential fast immer unrealisiert bleibt. Ein fokussierter Blick auf Nabokovs potentielle Dichter zwischen Heilung und Wahnsinn wird durch die ausführlichen Einzelanalysen der jeweiligen Romane geboten.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Potentielle Dichter zwischen Heilung und Wahnsinn: 3.1, Der geheilte Dichter im Debütroman Mašen’ka: Im Debütroman Mašen’ka kreiert der 26-jährige Vladimir Nabokov seine erste dichterisch begabte Romanfigur - den jungen Exilanten Lev Ganin, der aufgrund von gezwungener Heimatlosigkeit und negativen Exilerfahrungen Gefahr läuft, jeglichen Bezug zur Realität und folglich den Verstand zu verlieren. Die nostalgische Wehmut und der Rückzug in die individuelle Vergangenheit bestimmen dieses Werk. Dem Wahnsinn kann der geistig angeschlagene Exilant jedoch noch jenseits der Grenze entkommen, was einerseits auf die überwältigende Macht seiner Erinnerungen und andererseits auf eine doch feste Verankerung im wirklichen Leben zurückzuführen ist. Erinnern tritt im Roman als ein kreativer, poetischer Akt des Schreibens auf: Es ist ein stückweises Sammeln, Rekonstruktion und Zusammensortieren von einzelnen Bildern aus der russischen Vergangenheit Lev Ganins, die nicht nur Schritt für Schritt die Gestalt einer Schöpfung annehmen, sondern auch zur geistigen Genesung des Protagonisten führen. Somit sind die Erinnerungen in die Sphäre der Kunst einzuordnen: Ganin tritt im Roman als ‘Archivar des Zurückgelassenen ‘ auf, der das, was in der Vergangenheit passiert ist, auferstehen lässt und dadurch für immer als ein ästhetisches Gut bewahren kann. Dadurch wird das Weiterleben einmal geprägter Formen gesichert, die hier nicht nur individuell, sondern auch überindividuell, ästhetisch aufgefasst werden können, da sie auf die vergangene Kultur hinweisen. So kann Ganins poetisches Werk als ein ästhetischer ‘Gedächtnisraum ‘ verstanden werden. Den Roman kann man außerdem autobiografisch deuten. Er stellt einen Versuch Nabokovs dar, den Exilalltag zu literarisieren, um dadurch eigene schmerzhafte Erfahrungen von Verlust, Endlichkeit und kultureller Entwurzelung zu verarbeiten und auf diese Weise einer drohenden Identitätskrise zu entkommen. Die Dauerhaftigkeit des Exils war für Nabokov 1925 längst Gewissheit, nun galt es, sich damit zu arrangieren. In Mašen’ka schreibt der Autor über den Schmerz der Entwurzelung, über ein ‘rückwärtsgerichtetes ‘ Leben und die Eigendynamik von Erinnerungen, die im Roman ihre heilende Wirkung entfalten und von Nabokov in den Bereich der Kunst emporgehoben werden. Wichtige Themen, wie das Verhältnis zwischen Erinnerung und Realität sowie die Realisierung des gegebenen künstlerischen Potentials nehmen schon in diesem frühen Werk Gestalt an. Die Figur Lev Ganins, eines russischstämmigen Exilanten in Berlin der zwanziger Jahre und Alter Ego des Schriftstellers Nabokov, konnte vom Letzteren als die perfekte Projektionsfläche für die eigene Identitätssuche genutzt werden. Brian Boyd schreibt in diesem Zusammenhang: ‘Ganin verkörperte Nabokovs eigene machtvolle Orientierung an der Vergangenheit. ‘ Der autobiografische Impuls für das Werk verschaffte dem jungen Autor, wie Nabokov im Vorwort der erst 1970 erschienenen englischen Übersetzung schreibt, die Erleichterung, erst einmal sich selber loszuwerden, um dann zu Besserem fortschreiten zu können. Vor diesem Hintergrund kann die bereits erwähnte These unterstützt werden, wonach der Debütroman für den Autor als eine große Projektionsfläche bei der Suche nach der Selbsterkenntnis dient. Nabokov ist der Künstler, der das ihm zur Verfügung stehende Material nützt, um sich daraus eine alternative, bessere Welt zu erschaffen und den Tristessen des Berliner Exils zu entkommen. Die beschwerlichen Umstände des Exils, mit denen Lev Ganin als literarische Figur klarzukommen hat, sind auch seinem Erschaffer Nabokov stets gegenwärtig. Durch die Verschriftlichung eigener negativen Exilerfahrungen in den ‘bleiernen Schriftzügen ‘ des Romans kann der Autor - ähnlich wie sein Held - die räumliche Begrenzung im Exil imaginativ überwinden, so Gudrun Heidemann. Die Immobilität wird so im beweglichen Schreibprozess aufgehoben.

Über den Autor

Anna Schmid wurde 1977 in Russland geboren und lebt seit 2005 in Deutschland. Ihr Masterstudium der slawischen Kultur- und Literaturwissenschaft hat sie im Mai 2012 erfolgreich abgeschlossen und ist zurzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am slawischen Seminar der Eberhard Karls Universität Tübingen tätig. Eine große Faszination für Literatur, Kultur und Geschichte sowohl Russlands als auch ihrer Wahlheimat Deutschland in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts hat Frau Schmid dazu bewogen, sich mit den Berliner Frühromanen Vladimir Nabokovs auseinanderzusetzen.

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