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  • Zwischen Everett und Gonçalves: Ein linguistisch-anthropologischer Dialog über die Sprache und Kultur der Pirahã-Gesellschaft

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Diese Studie besteht aus einer ethnologischen Darstellung der Pirahã-Gesellschaft aus Amazonien und einer Analyse der sprachwissenschaftlichen Debatte, die aus den Behauptungen von dem Linguisten Daniel Everett über die Pirahã-Sprache entstanden ist. Anschließend werden die an dieser Auseinandersetzung beteiligten Strömungen bzw. die universalistischen und relativistischen Ansätze der Sprachwissenschaft dargestellt. Anhand ethnologischer Beschreibungen und linguistischer Hypothesen über die Pirahã wird zum Schluss analysiert, inwiefern Kultur und Sprache zusammenhängen und welchen Beitrag die Ethnologie für die Linguistik leisten kann.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.1.3, De Oliveira und Rodrigues – FUNAI, 1975: Die FUNAI – Fundação Nacional do Índio (Nationale Stiftung des Indigenen) – wurde 1967 mit der Absicht gegründet, die Indigenen Brasiliens zu bevormunden und die Aufgaben des SPI zu übernehmen. Amtlich ist die FUNAI dem brasilianischen Innenministerium untergeordnet und ihr Vorsitzender wird vom Präsidenten Brasiliens ernannt. Die FUNAI genehmigt den Zugang von Organisationen oder Individuen (Missionaren, Wissenschaftlern, Journalisten, Filmmachern, Künstlern usw.), die die indigenen Gesellschaften besuchen möchten. Im Auftrag der Institution reisten 1973 die Anthropologinnen Adélia Engrácia De Oliveira und Ivelise Rodrigues ins Pirahã-Gebiet, um Daten zu sammeln und die Institution über den Zustand der Gruppe zu informieren. Sie blieben vom Juli bis September jenes Jahres bei ihnen und zählten 107 Individuen, unter denen De Oliveira und Rodrigues 63 Indigene antrafen. In dem Bericht äußern sie ihre Eindrücke über das gutmütige Verhalten der Pirahã. Sie beschreiben, dass die Indigenen nicht mehr an Versprechungen von den weißen Brasilianern glauben und betonen, sie seien in einem Apathie-Zustand, der bei denjenigen Gruppen üblich sei, die sich mitten in Akkulturationsprozessen befänden. Laut De Oliveira und Rodrigues (1975) sei diese Akkulturation durch den Kontakt mit brasilianischen Händlern bedingt, die ständig Waren mit ihnen tauschten und den Pirahã Produkte (wie z.B. Maniokmehl, Cachaça und Zucker) gaben, für die sie Fische und Fleisch anderer Tiere bekamen. Darüber hinaus nennen die Forscherinnen eine weitere Art von Kontakt: die Rekrutierung von Indigenen, um Arbeit für die weißen Brasilianer zu leisten. Sie merken an, dass es nicht selten war, dass sie nicht ausgezahlt wurden, obwohl die Arbeitgeber ständig Versprechungen machten. Das passive Benehmen der Pirahã trotz dieser Ausbeutungen wurde immer mit Sprüchen hinsichtlich der Versprechungen verstärkt. Sie pflegten in ihrer Sprache zu sagen: ‘wenn es gibt, gibt es — wenn es nicht gibt, gibt es nicht’. Die Pirahã seien dennoch immer froh und offen (De Oliveira et al 1975: 72-74). Interessanterweise behaupten sie in diesem Bericht, dass die Pirahã sich durch den Kontakt mit Missionaren und brasilianischen Händlern immer mehr für die Welt ihrer Kontakte interessierten. Sie weisen darauf hin, dass die Motorschiffsfahrer und die Regatões , mit ihren attraktiven Gegenständen (wie z.B. Plattenspielern, Spielzeugen und ‘einer neuen Religion’) die Aufmerksamkeit der Indigenen anzogen. Sie berichten von einem Pirahã-Individuum, das in Manaus und Porto Velho war und Neuigkeiten ‘aus der fremden Welt’ mitbrachte. Ein anderer Pirahã redete ständig davon, dass er gern mit Nüssen arbeiten, Städte wie Rio de Janeiro und Manaus besuchen und sogar in ein Flugzeug einsteigen würde. Die Anthropologinnen stellen somit den Wunsch der Pirahã fest, die ‘zivilisierte’ Welt kennenlernen zu wollen (ibid.: 75). Aussagen von Informanten nach fürchteten die Pirahã zu der Zeit die Suruí-Gesellschaft, die sie einmal fast vernichtet hätte. Sie erinnerten sich auch an damalige Kriege gegen die Parintintin und die Munduruku. Des Weiteren merken De Oliveira und Rodrigues (ibid.: ibid.) an, dass sich die Pirahã kaum auf Portugiesisch ausdrücken konnten. 3.1.4, Weitere Informationen: Roppa (1976 zitiert in Gonçalves 2001) lebte zwei Monate unter den Pirahã und schätzte die gesamte Bevölkerung auf 97 Individuen, die sich auf vier Dörfer verteilten. 1984 wurde die Gesellschaft von einer FUNAI-Gruppe besucht, die die Grenzen ihres Gebiets bestimmte. Laut ihrer Berichten lebten zu dieser Zeit 141 Indigenen in verschiedenen Dörfern entlang des Maici und eines Teils des Marmelos-Flusses (Leivinho 1986 zitiert in Gonçalves: 57). Laut aktueller Daten der FUNAI (2010) umfasst die gesamte Bevölkerung der Pirahã 477 Individuen. Dies zeigt eine Steigerung im Vergleich zu anderen Volkszählungen der letzten Jahre. 3.2, Aktuelle Kontakte mit weißen Brasilianern: Bis heute betreten Händler aus den Städten Manicoré, Auxiliadora, Humaitá und Porto Velho die Marmelos- und die Maici-Regionen. Ebenso gibt es Mitteilungen über Auseinandersetzungen zwischen den Pirahã und Nuss-Extraktoren. Es ist auch üblich, dass Schiffe während der Regenzeit auf dem Maici fahren. Arbeiter der Nuss-Extraktion wohnten bis 1985 in Faktoreien entlang des Maici, in der Nähe von den Nussplantagen der Region. Obwohl die Mehrheit der Pirahã damals in der Regenzeit weit entfernt von den Nussbäumen lebten, blieben einige von ihnen in diesem Teil. Vor 1985 teilten also die Indigenen ihren Raum mit den Arbeitern der Nuss-Extraktion, die die Pirahã-Individuen nicht selten mit Arbeiten beauftragten. Dies endete, nachdem die FUNAI und der CIMI sich dagegen eingesetzt hatten. Seitdem besitzen die Pirahã die exklusiven Rechte der Nuss-Extraktion in der Region und tauschen ihre Produkte mit lokalen Händlern gegen Maniokmehl, Munition (die sie zum Jagen benutzen), Kleidung und Werkzeuge, wobei sie den CIMI als Dialogpartner haben (Gonçalves 2001: 57). Die Regatões beuteten die Pirahã mehr als 100 Jahre aus. Auf Grund der dortigen Ressourcen, wie z.B. Copaíba , Holz, Nuss und Sorva , haben diese Händler noch heute ein großes Interesse an diesem Gebiet. Sie nutzen die Arbeitskraft der Indigenen als Arbeiter und Ortsführer aus und bezahlen sie dafür mit Mehl und Cachaça (ibid.: 58). Die Pirahã nutzen den Kontakt mit den weißen Brasilianern, um Verbrauchsgüter zu bekommen. Dies führt zu ihrer Ausbeutung durch die Händler (ibid.: ibid.). Trotzdem haben die Indigenen Strategien entwickelt, den Ungerechtigkeiten des Tausches und den Gewaltakten (wie Vergewaltigung der Pirahã-Frauen) etwas entgegenzusetzen, obwohl sie immer freundlich und brav gegenüber den Händlern wirken. Sie berauben beispielsweise die Boote und Häuser, die sie in ihrem Gebiet antreffen. Trotz alledem bewerten sie die weißen Brasilianer nicht als Feinde innerhalb ihres Fremdklassifikationssystems (ibid.: ibid.). 3.2.1, Wirtschaftsbeziehungen: Während sich die Nachbargesellschaften Parintintin, Torá und Tenharim wegen das benutzten Währungssystems mit den Regatões verschuldet und dadurch eine ökonomische Abhängigkeit zu diesen Händlern entwickelt haben, scheint es so etwas bei den Pirahã nicht zu geben. Gonçalves (2001: 58) argumentiert, dass das Desinteresse an Gütern aus fremden Kulturen die Indigenen hemmt, ihre Produktion zu steigern. Anderseits können die Regatões sie problemlos täuschen, da sie sowohl den Vorgang des miteinander Handelns nicht verstehen also auch keine Kenntnisse über den Wert ihrer Produkte besitzen – und diese nicht zu schätzen lernen wollen. Die Verkehrssprache wurde von den Akteuren des Handelns selbst kreiert und ist ein Hybrid aus Elementen des Portugiesischen, der Língua Geral und der Pirahã. Nach Gonçalves umfasst diese Sprache nur die Typen und Quantitäten der Tauschprodukte.

Über den Autor

Fabio Correa, M.A. wurde 1985 in Belo Horizonte, Brasilien geboren. Zwischen 2004 und 2007 studiert er Kommunikationswissenschaft und Journalismus an der Katholischen Universität von seiner Heimatstadt. 2008 zog er nach Berlin, wo er ein Jahr später seinen Master in Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität begann. 2013 schloß er seinen Master ab und kehrte nach Brasilien zurück. Aktuell arbeitet er in Belo Horizonte als freier Übersetzer.

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