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- „Wer ist das: ich? Wo hats ein End?“ Zur ‚Infragestellung des Subjekts' in der Wiener Moderne am Beispiel Hugo von Hofmannsthals
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 100
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die vorliegende Forschungsarbeit versteht sich als Beitrag zur Moderne-Diskussion im Kontext einer spezifisch modernen und Modernität begründeten Mythenrezeption in der österreichischen Literatur um und ab 1900. Hauptgegenstand sind die Krisen und Aporien der Subjektidentität des Wiener Fin de siècle, wie sie sich auf exemplarische Weise sowohl in den frühen (Elektra), als auch späten Dramenbearbeitungen (Das Leben ein Traum, Der Turm I und II) Hugo von Hofmannsthals zeigen. Im Zuge einer dreischrittigen Argumentationsstruktur geht die Studie, nachdem sie die Thematik der Krise der Subjektidentität unter Zuhilfenahme der maßgeblichen kultur- und gesellschaftsgeschichtlichen Studien von Allan Janik / Stephen Toulmin, Jacques LeRider, Carl Schorske und Herbert Zeman in den zeitgeschichtlichen Kontext der Wiener Moderne eingebettet und darin verortet hat, in einem ersten Kapitel zunächst auf einschlägige erkenntnistheoretische und -kritische (Ernst Machs ‚Analyse der Empfindungen?, 1886), sprachphilosophische (Fritz Mauthners ‚Beiträge zu einer Kritik der Sprache?, 1901/02 und Friedrich Nietzsches ‚Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne?, 1873) und psychoanalytische Problematisierungen (Josef Breuers und Sigmund Freuds ‚Studien über Hysterie?, 1895) der Subjektidentität im Umkreis der Wiener Modernen ein. In einem nachfolgenden zweiten Kapitel wird im Zuge eingängiger Textanalysen der Elektra-Tragödie und des Turm-Komplexes Hugo von Hofmannsthals und im Anschluss vor allem an jüngere Studien im germanistischen Bereich sodann gezeigt, inwiefern der Rückgriff auf antike und barocke Stoffe und deren systematischer Umgestaltung im Hofmannsthalschen Werk ein spezifisch modernes Problempotential entfalten, das – auf der Folie des durch Sprach- und Bewusstseinskrise begründeten Prozesses der Selbstverwerfung und Infragestellung des modernen Ich – insbesondere vor dem Hintergrund der Konstitution und Vernichtung des neuzeitlichen Subjekts erscheint. Abschließend wird insbesondere umrissen, auf welche Weise sich in vollkommener Abkehr von den jeweiligen literarischen Vorlagen in den verschiedenen Bearbeitungsstufen des Stoffes bei Hofmannsthal allmählich ein Bereich eröffnet, der, im Zurückweisen jeglicher metaphysisch-religiöser wie auch ethischer Komponente, die Auflösung des Tragischen bewirkt und gerade so sein spezifisch modernes Potential bezeugt.
Textprobe, Kapitel 2.2. ‚Der Turm': Sigismund! Wer ist das: ich? Wo hats ein End? Werden innerhalb der ‚Elektra'-Tragödie anhand der sie dominierenden drei Frauengestalten noch Extrempositionen gegeneinander aus[ge]tragen , die im Zuge jedes individuellen Lebens als Möglichkeiten ausgehandelt werden müssen , sich im Rahmen der bezeichneten Situation aber allesamt als fragwürdig erweisen, sodass letztlich keiner der im Drama dargestellten Frauen eine positive Verknüpfung mit dem Leben , ein Durchdringen zum Sein gelingt, zeigt sich das Spätwerk Hofmannsthals demgegenüber einer vielmehr synthetisierende[n] Tendenz verpflichtet. Programmatisch wird diese – angesichts der grundsätzlichen Ausweglosigkeit der innerhalb der Elektra-[und auch Ödipustragödie] etablierten Konflikte – bereits in den Operndichtungen manifest, die ganz maßgeblich von den veränderten Schwerpunktsetzungen im Hofmannsthalschen Werk zeugen. So gehört – wie unter anderem Bettina Rutsch es fasst – es sicherlich zu den Paradoxien des Hofmannsthalschen Werkes, daß darin durchgängig die psychisch-physische Ganzheit und Integrität des Individuums ein leitendes gestalterisches Prinzip darstellt, ein zweites, nicht minder prägendes, aber gerade die Zersplitterung des Ichs in Raum und Zeit . Erweist sich innerhalb der ‚Elektra' die Versöhnung der im ‚Ad me ipsum' als Antinomien des Daseins erfassten Widersprüche des Lebens – jeweils verkörpert in den einzelnen Frauenfiguren des Dramas – als noch unmöglich, zeigt sich Hofmannsthal insbesondere anhand der Figur des Sigismund in den verschiedenen Fassungen des ‚Turm'-Stoffes um eine grundlegende – Ich und Welt wieder miteinander in Einklang bringende – Erweiterung seiner Individuumskonzeption bemüht. So können – vereinigt er zunächst auch sämtliche Dissoziationssymptome auf sich – in dem physisch-psychisch ganzen Individuum Sigismund der Hofmannsthalschen ‚Turm'-Bearbeitungen schließlich die verstreuten und auseinanderdriftenden, bedrohlich unverständlichen Phänomene [des Bewusstseins] erneut zu einer Synthese zusammenkommen . Die Gestaltung der Sigismund-Figur in den verschiedenen Stadien ihrer Ich-Konstituierung aber gründet – wie nachstehend aufzuzeigen – nicht allein – wie vor allem noch die Frauendarstellungen innerhalb der ‚Elektra'-Tragödie – auf dem Eingang psychoanalytische[r] Begrifflichkeit und Inhaltlichkeit . Vielmehr verweist sie darüber hinaus ganz explizit auch auf den im ersten Teil dieser Arbeit bereits konkretisierten Zusammenhang einer erkenntnistheoretisch fundierten Bewusstseinskrise, wie sie insbesondere in den Studien Ernst Machs, aber auch den sprachphilosophischen Schriften Fritz Mauthners zum Ausdruck kam und in der Darstellung des Hofmannsthalschen Sigismund – wie im weiteren zu zeigen – letztlich zur Überwindung gelangt. Dennoch aber muss Hofmannsthal – hat er mit der mystisch-symbolhafte[n] Individualität Sigismunds auch die wohl letzte Stufe seiner […auf Ganzheitlichkeit gerichteten] Individuumskonzeption erreicht – sie schlussendlich an den radikal wechselnden Bedingungen seiner Zeit scheitern sehen: dem aktiven Weg in das Leben [nämlich] steht – zu diesem radikal gewendeten Schluss schließlich kommt Hofmannsthal im Zuge der verschiedenen Bearbeitungsstadien seines ‚Turm'-Stoffes – eine soziale und politische Realität entgegen, deren Strukturen dem Individuum [zudem auch] keinen Raum mehr in der Zeit zu gewähren scheinen. So lässt sich der Hofmannsthalsche ‚Turm' letztlich – wie nachfolgend zu umreißen – in mehrfacher Hinsicht als Drama von der Konstitution und Vernichtung des Individuums im zwanzigsten Jahrhundert verstehen , das sich – angesichts der – spätestens mit der Machtübernahme des nationalsozialistischen Regimes offen zutage tretenden – unaufhaltsamen äußeren, politischen Auflösung des einzelnen Menschen – in letzter Konsequenz schließlich der Zersetzung des alten europäischen Individualbegriffs , der ‚Weltlosigkeit' des modernen Ich ausgeliefert sieht. Nachstehend somit sollen – vorangehenden Überlegungen entsprechend – zunächst die Bedingungen der am Beispiel der Hofmannsthalschen Sigismund-Figur dargestellten Konzeption des ganzen Individuums herausgearbeitet und von den in der frühen Calderónschen ‚La vida es suen~o'-Bearbeitung vor allem noch offenbar werdenden Auflösungserscheinungen des um einen authentischen […] Weltbezug ringenden , kosmisch isolierten Menschen Sigismund abgegrenzt werden. Besonders in der frühen Bearbeitung des Calderónschen Stoffes nämlich wird die im Zusammenhang mit der Sprachphilosophie Fritz Mauthners im ersten Teil dieser Arbeit bereist umrissene Chandos-Problematik erneut vertieft und – im Ringen um eine Sprache, die unmittelbarer, flüssiger, glühender ist als Worte – im symbolträchtigen Schicksal[…] Sigismunds um die Dimension einer vom Körper [nicht mehr] loszulösenden – über den einzelnen Augenblick gleichsam hinausgehenden – Sprache erweitert. Diese von Lord Chandos [bereits] erahnte neue Sprache der Unmittelbarkeit aber ist auch im Hofmannsthalschen ‚Turm' – so wird es sich nachstehend zeigen – nicht von Dauer. Das – insbesondere über seine körpersprachliche Bestimmung sich konstituierende – leiblich-geistig 'ganze’ Individuum Sigismund – nämlich sieht sich im Zuge der späteren ‚Turm'-Fassungen einer immer deutlicher hervortretenden zeitgeschichtliche[n] Realität – einem zerspaltene[n] Gefühl von der Gegenwart – gegenüber, an dem es in geradezu logischer Konsequenz schlussendlich scheitern muss. Die Daseinskonzeption des ungeteilten Menschen somit bleibt auch im Hofmannsthalschen ‚Turm', wenn überhaupt, einzig – und so wird es im folgenden offenbar – der Utopie vorbehalten.
Anne Kolb, Studium der Neueren deutschen Literatur, Französischen Philologie und Neueren und Neuesten Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München von 2002-2008, Abschluss M.A. im Jahre 2008, seitdem wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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