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- „Tristan und Isolde nach 5 Jahren“: Der „imaginäre Opernführer“ und die Entdramatisierung der Oper im Werk Alexander Kluges
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
An der Oper als ‘Kraftwerk der Gefühle’ hatte Alexander Kluge als Sohn eines Opernarztes stets besonderes Interesse. Die vorliegende Studie untersucht sein Projekt, einen ‘imaginären Opernführer’ zu schaffen. Dieser stellt eine Art Konstrukt im Gesamtwerk des Autors dar, ist ein teils fiktives Puzzle aus Text-, Fernseh- und Theaterbausteinen. Kluges ‘imaginärer Opernführer’ soll neben bereits komponierten Werken auch solche verzeichnen, die den zukünftigen Erfahrungsgehalt unserer Zeit widerspiegeln. Dabei verfolgt der Autor eine ‘Entdramatisierung’ der Oper, um dem tragischen Opernfinale eine glückliche Alternative entgegenzusetzen. Kluges Verständnis von der Oper als ‘Kraftwerk der Gefühle’, das den emotionalen Erfahrungsgehalt der Menschheit abbildet, ist hierfür entscheidend. Innerhalb der Studie werden Texte aus den Bänden ‘Chronik der Gefühle’ (2000), ‘Herzblut trifft Kunstblut’ (2001) und ‘Die Lücke, die der Teufel lässt’ (2005) interpretiert. Grundlagen für die literarische Analyse bilden die Nähe der Gattung Oper zur Tragödie, die stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten zur Affektdarstellung innerhalb der Gattung Oper, sowie Kluges Affektbegriff.
Textprobe: Kapitel 2.2, Die Analyse der opernthematischen Texte im Werk Kluges: Die Anzahl der Texte, die sich entweder inhaltlich mit einem Opern- (oder Operetten-) Libretto befassen oder thematisch Bezug nehmen auf die Welt der Bühne, des Sängers oder die politisch-soziale Bedeutung der Oper als Aufführungsort, belaufen sich auf über fünfzig Stück. Diese Zählung führt die selbständigen Texte ganzer Erzählkomplexe wie ‘Das veruntreute Front-Theater’ oder ‘Scarpia als Männerkörper’ einzeln an. Dabei wurde die Auswahl nur aus den eben aufgezählten drei Bänden getroffen, die Texte zum Beiheft der ‘Macht der Gefühle’-Verfilmung hingegen ausgeklammert. Anhand auffallender Motive wurden drei Kategorien gebildet, in denen jeweils zwei bis drei paradigmatische Texte interpretiert werden sollen. Deren Auswahl kann innerhalb der Materialfülle wiederum nur einen Teil des Möglichen wiedergeben. 2.2.1, Kluges geforderte ‘Entdramatisierung’ der Oper: Wie bereits bekannt, verfolgt Kluge bei seiner Beschäftigung mit der Oper vor allem das Ziel einer Abkehr vom üblichen tragischen Schluss. Die ‘Entdramatisierung’ der Oper bildet den Ausgangspunkt für seinen Opernführer, denn die dort versammelten Texte sollen eine ‘alternative Opernwelt’ vorführen. Innerhalb dieses Kapitels sollen nun zwei Texte betrachtet werden, in denen dies passiert: Beide Geschichten werden ohne das tragische Element weitererzählt. Die erste ist ‘Tristan und Isolde nach 5 Jahren’ in Anlehnung an die Oper ‘Tristan und Isolde’ von Richard Wagner. Danach folgt die Interpretation zu ‘Scarpia als Männerkörper. Die Tausend Seelen des Polizeichefs.” , die auf der Oper ‘Tosca’ von Giacomo Puccini beruht. Es ist kühn, die Geschichte von Tristan und Isolde ohne Liebestod weiterzuerzählen. Schon die ursprüngliche Fabel endet bei Gottfried von Straßburg fragmentarisch und bis heute sind sich Mediävisten uneinig, ob der Tod des Autors oder die Zwickmühle der tragischen Handlung ihn von der Vollendung seines Werkes abhielten. Seine beiden Nachfolger ließen das Werk, gemäß den höfischen Erwartungen des 13. Jahrhunderts, mit dem Tod beider Liebenden enden. Nun kommt Alexander Kluge, nach Gottfried und Wagner, und entdramatisiert die wohl tragischste aller Liebesgeschichten: ‘Tristan und Isolde nach 5 Jahren’. Die kurze Erzählung beschreibt das über die Jahre alltäglich gewordene Zusammenleben beider, nachdem sie von Markes Hof geflohen waren und eine Schiffsflotte, die das Paar zurückholen wollte, vertrieben hatten. Im Unterschied zu anderen Libretto-Variationen setzt Kluge in seiner Tristan-Erzählung erst fünf Jahre nach Stückschluss ein. Bei anderen Stoffen wie ‘Tosca’ oder ‘Manon Lescaut’ springt er direkt ins Geschehen und verrät damit auch, wie und an welcher Stelle er den tragischen Schluss verändert, was bei ‘Tristan und Isolde nach 5 Jahren’ offen bleibt. Als Wohnort ist von einer ‘Burg, die Tristans Vorväter errichtet hatten’ die Rede, eine Anspielung auf Tristans Burg Kareol, die bei Gottfried in Tristans Heimat Parmenien, bei Wagner in der Bretagne situiert ist. Die folgenden Interpretationsansätze werden sich hauptsächlich auf die Verarbeitung des wagnerschen Tristan-Stoffes, statt auf die ursprüngliche und detailreichere Gottfried-Version stützen, zumal es Kluge um Entdramatisierung der Oper geht und daher vermutet werden kann, dass er sich am Libretto Wagners orientiert hat. Wie und zu welchem Zeitpunkt den Liebenden die Flucht gelungen war, bleibt unerwähnt. Sicher ist nur, dass beide inzwischen völlig abgeschottet von der Außenwelt existieren: ‘Niemand wagte, die Einsiedler zu besuchen.’ Lediglich Zuchtvieh, ein paar Leibeigene und Isoldes Vertraute Brangäne bilden ihre soziale Welt Kurwenal hingegen, Tristans Gefährte, war im Kampf gefallen. Hier schon wird deutlich, inwiefern diese potentielle Harmonie – schließlich müssen die Liebenden endlich kein Versteckspiel vor Isoldes eigentlich zugewiesenem Gatten König Marke mehr führen - kriselt: ‘So zusammengepackt in einer doppelmönchischen Einsamkeit […] interferierte die Sehnsucht. Diese forderte für ihr Eigenleben, ihre tägliche Wiederherstellung ein gewisses Maß an Entfernung, EINE BEWEGUNG AUFEINANDER ZU. Das Verhältnis der viel besungenen Liebenden wurde geschwisterlich, ein ,stehendes Gewässer’’. Die beiden ‘lebenden Toten’ können ihre ursprüngliche Sehnsucht nicht mehr finden, die im Schwierigen und Verbotenen ihrer früheren (heimlichen) Liebe am Hofe König Markes begründet lag. Doch ohne diese durch höfische Zwänge bedingte ‘Entfernung’, die eine entsprechende Sehnsucht nach Annäherung nach sich zieht, wurde ihre Liebe zum ‘stehenden Gewässer’, einer geschwisterlichen Hinneigung ohne jede libidinöse Ebene. Letztlich helfen nur noch die von Brangäne gebrauten Rauschmittel, ‘um für Stunden ihre Leidenschaftlichkeit zu erhalten’ , welche in der langweiligen, von Ackerbau und dörflicher Zeitlosigkeit geprägten Welt abgestorben ist. Lediglich die Erinnerung an frühere, spannungsvolle Tage erhält das Besondere zwischen Tristan und Isolde, ‘da sie ihre berühmte Geschichte mit sich trugen und einander erzählen konnten’ oder sich selbige von Brangäne berichten lassen. Die dem normalen Zeitvertreib dienlichen Dinge wie Familie und Arbeit versinken in Geltungslosigkeit neben der ehemals so vollkommenen Liebe des Paares. Selbst die Planung der eigenen Grabstätte soll ein vergangenes Ideal hochhalten: ‘War der Bau großartig genug, so konnte er das hohe Niveau ihrer einstigen Liebesfähigkeit dokumentieren’.
Ulrike Lehmann (M.A.), 1982 in Leipzig geboren, studierte Germanistik, Psychologie und Philosophie an der TU Chemnitz und schloss 2009 mit dem Magistra Artium ab. Bereits während des Studiums war sie als freie Autorin und Theaterkritikerin tätig, führte publizistische Tätigkeiten, sowie eine freie Mitarbeit am Theater Chemnitz, aus. Seit 2009 ist sie Redakteurin beim monatlich erscheinenden Theaterfachmagazin ‚Die Deutsche Bühne‘, das in Köln vom Deutschen Bühnenverein herausgegeben wird.
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