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- Tradition und Politik - Ethnonationalismus im postkolonialen Fiji
Kunst & Kultur
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2011
AuflagenNr.: 1
Seiten: 138
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Im zeitgenössischen Ozeanien spielen die Beziehungen zwischen Tradition, Identität und Wandel eine wichtige Rolle, insbesondere in der Rhetorik gegenwärtiger politischer Diskurse. Das dem Begriff Tradition inhärente Verhältnis zur Vergangenheit ist stark vom jeweiligen kolonialen Umgang mit der indigenen Kultur geprägt und schlägt sich in den gegenwärtigen Konstruktionen von Tradition nieder. Aus einer vom Autor bevorzugten konstruktivistischen Perspektive betrachtet, ist Tradition stets als selektive Darstellung vergangener kultureller Praktiken zu verstehen, die von den Akteuren den gegenwärtigen Kontexten entsprechend aufgewertet, beibehalten oder zurückgewiesen werden. Die starke soziale Hierarchisierung, besonders die Privilegierung indigener politischer Eliten schließt einen Großteil der Bevölkerung Fijis von einer aktiven politischen Teilnahme aus. Angesichts der andauernden politischen Unruhen seit dem Wahlsieg einer multiethnischen Koalition im Jahr 1987 und den darauffolgenden Militärputschen durch fijianische Nationalisten, beherrschen die interethnischen Spannungen auch weiterhin die politischen Diskurse in Fiji. Im Jahr 2000 kam es erneut zu einem nationalistischen Putsch mit militärischer Unterstützung, der eine demokratisch gewählte multiethnische Regierung gewaltsam ihres Amtes enthob und dessen Folgen bis heute die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit erwecken. Im Zusammenhang der interethnischen Spannungen zwischen Fijianern und Indo-Fijianern betont die gegenwärtige Konstruktion fijianischer Tradition eindeutig die Kontinuität mit der (kolonialen) Vergangenheit, wodurch die Privilegierung der indigenen Eliten gegenüber den Machtansprüchen der indo-fijianischen, aber auch gegenüber der breiten Masse der indigenen Bevölkerung legitimiert wird. Hinsichtlich der historischen Transformationsprozesse wird die theoretische Perspektive des Konstruktivismus der Analyse dynamischer Prozesse sozio-kulturellen Wandels gerecht. Demzufolge stellt sie in dieser Arbeit die theoretische Grundlage der Analyse einer in den gegenwärtigen politischen Kontexten artikulierten fijianischen Tradition dar. Vor dem Hintergrund der interethnischen Spannungen seit den politischen Ereignissen von 1987 ist eine analytische Betrachtung des Gebrauchs und der Darstellung von Tradition angesichts der Vielschichtigkeit des fijianischen Ethnonationalismus angebracht. Dem Konzept Tradition wird in diesem Zusammenhang eine große strategische Bedeutung zugeschrieben, nicht zuletzt um sich von anderen Bevölkerungsgruppen, wie Europäern und Indern zu distanzieren. Hinter der vordergründigen Kulisse des interethnischen Konflikts existieren jedoch auch innerhalb der indigenen Bevölkerung sozio-politische Differenzen, die zu internen Dissenzen um Tradition und die politische Führung führen. Trotz des hohen Stellenwerts des ethnonationalistischen Diskurses in der medialen Öffentlichkeit, setzen sich die ethnischen Gruppen keineswegs homogen zusammen. Aus dieser Komplexität der sozialen und politischen Konstellation im postkolonialen Fiji stellt sich die Frage, inwiefern Tradition im postkolonialen politischen Kontext der multikulturellen Nation Fijis von Bedeutung ist: unter welchen historischen Voraussetzungen, von welcher Seite und in welchen politischen Zusammenhängen werden Tradition und Identität artikuliert. Die komplexe Thematik wird in der vorliegenden Studie hinsichtlich der Fragestellung nach der Bedeutung von Tradition im politischen Kontext dezidiert untersucht.
Textprobe: Kapitel 2.1., Soziale Konstruktion: Die soziologische Perspektive der sozialen Konstruktion – die Peter Berger und Thomas Luckmann (2009 [1969]) in ihrem Buch mit dem Titel Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit entwickelten – verdeutlicht die Komplexität und die dynamische Beschaffenheit von Tradition als Teil eines andauernden sozialen Prozess. Die Autoren kombinieren einen im Grunde wissenssoziologischen Ansatz mit einem dialektischen Verständnis sozialen Lebens. Ton Otto und Poul Pedersen haben das Konzept von Berger und Luckmann hinsichtlich seiner Relevanz bezüglich Tradition diskutiert, deren Ansatz auch dieser Arbeit als eine Art Leitfaden und Orientierung dient. Otto und Pedersen identifizieren unter anderem drei konzeptuelle Schlüsselbegriffe, anhand derer das dialektische Verständnis menschlicher Gesellschaft deutlich wird: Habitualisierung, Institutionalisierung und Legitimation. Der Prozess der Habitualisierung beschreibt die Herausbildung von Gewohnheiten, denen jedes menschliche Handeln unterworfen ist: Jede Handlung, die man häufig wiederholt, verfestigt sich zu einem Modell, welches unter Einsparung von Kraft reproduziert werden kann und dabei vom Handelnden als Modell aufgefaßt [sic!] wird. Habitualisierung in diesem Sinne bedeutet, daß [sic!] die betreffende Handlung auch in Zukunft ebenso und mit eben der Einsparung von Kraft ausgeführt werden kann. (Berger and Luckmann 2009 [1969]) Durch eben diesen Prozess der Habitualisierung werden gesellschaftliche und nichtgesellschaftliche Handlungen unbewusst ausgeführt, wodurch sich Raum für Innovationen eröffnet. Der Prozess der Habitualisierung ist die Grundlage jeder Institutionalisierung. Der Begriff der Institutionalisierung beschreibt die reziproke Typisierung zuvor habitualisierter Handlungen durch unterschiedliche Akteure. Otto und Pedersen erläutern, dass sich demnach soziale Institutionen aus der Durchsetzung typischer Handlungen und der gegenseitigen Anerkennung unterschiedlicher Akteure bilden. Somit sind diese sozialen Institutionen also das Ergebnis menschlicher Interaktion und setzen dementsprechend Historizität und Kontrolle voraus, indem sie die Handlungen der Akteure durch institutionalisierte Verhaltensmuster in eine bestimmte Richtung lenken, obwohl theoretisch andere Richtungen möglich wären. Der Ursprung der Institution, der sich in der Regel dem Erfahrungszeitraum der jeweiligen sozialen Akteure entzieht, schafft diese Historizität, wodurch die Akteure die sozialen Institutionen als objektive Wirklichkeit erleben. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, daß [sic!] die Gegenständlichkeit der institutionalen Welt, so dicht sie sich auch dem Einzelnen darstellen mag, von Menschen gemachte, konstruierte Objektivität ist. (Berger and Luckmann 2009 [1969]) Es besteht also eine dialektische Beziehung zwischen sozialen Akteuren und ihren sozialen Konstruktionen – es findet eine Wechselwirkung statt. Demnach ist Gesellschaft als das Ergebnis menschlichen Handelns zu betrachten, die durch ihre Institutionen als objektive Wirklichkeit erlebt wird. Gleichzeitig wirkt die institutionale Welt auf die Akteure selbst und macht sie somit wiederum zu einem gesellschaftlichen Produkt. Dieser dialektische Prozess enthält drei zusammenwirkende und ineinandergreifende Elemente: Externalisierung, Objektivation und Internalisierung. Erst mit dem Auftreten und der Übernahme neuer Generationen entfaltet sich die grundlegende Dialektik in ihrem gesamten Ausmaß. Die sozialisierende Wirkung der Internalisierung erfordert eine Rechtfertigung der institutionalen Welt. Hier knüpft der dritte Schlüsselbegriff an – die Legitimation. Die vorhergehende Generation möchte sicherstellen, dass ihre soziale Welt weiterhin gültig bleibt, indem sie eine Legitimation schafft, die der neuen Generation die institutionale Welt erklärt und rechtfertigt und ihr somit hilft, diese sozialen Modelle zu verinnerlichen. Die Institutionalisierung erzeugt eine gemeinsame soziale Wirklichkeit für die Akteure. Nur mit Hilfe eines Zeichensystems wird die sich ständig wiederholende Vergegenständlichung gemeinsamer Erfahrung ermöglicht: Intersubjektive Erfahrungsablagerungen können nur dann als gesellschaftlich bezeichnet werden, wenn ihre Objektivation mit Hilfe eines Zeichensystems vollzogen worden ist, das heißt, wenn die Möglichkeit vorhanden ist, die Objektivation gemeinsamer Erfahrung zu wiederholen. (Berger and Luckmann 2009 [1969]) Berger und Luckmann betrachten die Sprache als das maßgebende Zeichensystem in diesem Prozess, was in ihrer theoretischen Auseinandersetzung zur sozialen Konstruktion am sinnvollsten ist, da die meisten sich wiederholenden und erkennbaren sozialen Handlungen sprachlich ausgedrückt werden. Dennoch räumen sie ein, dass im Prinzip auch jedes beliebige Zeichensystem eingesetzt werden kann. An diesem Punkt kann nun also genauso Tradition oder allgemein Kultur als Zeichensystem dienen, das sich ebenfalls auf wiederholende soziale Handlungen in einer gewissen erkennbaren Form bezieht. So kann die Vergegenständlichung intersubjektiver Erfahrungen und ihre Transformation in ein allgemein faßliches [sic!] Gebilde beispielsweise ebenso in Form von Ritualen nachvollzogen werden. Dies sei hier nur als eine mögliche Alternative zur sprachlichen Objektivation erwähnt. Otto und Pedersen deuten Tradition als Produkt des Prozesses der Legitimation. Berger und Luckmann bezeichnen diesen hingegen als sekundäre Vergegenständlichung, um die bereits vorangegangenen institutionalisierten Muster zu legitimieren und der nachfolgenden Generation objektiv zugänglich und subjektiv ersichtlich zu machen . Es lässt sich somit feststellen, dass Tradition Kontinuität mit der Vergangenheit voraussetzt einerseits als soziale Funktion in Form einer sekundären Vergegenständlichung zur Legitimation bestehender Institutionen gegenüber neuer Generationen andererseits eben auch als Inhalte, die mit Hilfe der Vergegenständlichung weitergegeben werden. Auf dieser theoretischen Grundlage sozialer Konstruktion der Wirklichkeit lassen sich die unterschiedlichen Perspektiven und deren Argumentationen der ethnologischen Diskussion bezüglich innovativer kultureller Erscheinungen in Form von Tradition nachvollziehen. Anfang der 80er Jahre wurde dieser Sachverhalt mit dem umstrittenen Begriff invention of tradition beschrieben.
Martin Rode, M.A. wurde 1983 in Wilhelmshaven geboren. Sein Studium der Fächer Ethnologie und Pädagogik an der Georg-Ausgust-Universität Göttingen schloss der Autor im Jahre 2010 mit dem akademischen Grad des Magister Artium erfolgreich ab. Während seines Studiums engagierte er sich in der Ethnologischen Sammlung der Universität Göttingen und erwarb weitreichende praktische Kenntnisse in der Museumsethnologie. Bereits während seines Studiums entwickelte der Autor ein besonderes Interesse an den komplexen politischen Zusammenhängen im regionalen Raum Ozeanien.
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