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Kunst & Kultur

Gabriele Meyer

Spuren lesen im Ego-Tunnel: Autobiographisches Schreiben im 21. Jahrhundert

ISBN: 978-3-8428-9684-0

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Ausgehend von einer theoretischen Sicht, die das autobiographische Schreiben in das Spannungsfeld einer Form,- Prozess- und Wirkungsebene rahmt, werden Funktionen und Angebote des autobiographischen Schreibens dargestellt. Fundiert und reflektiert erfährt der Leser aus welchen Gründen diese vom Einzelnen und der Gesellschaft nachgefragt werden. Praxisnah werden das Journalschreiben und das autobiographische Schreiben in Gruppen dahingehend betrachtet, wie sie die neuen Möglichkeiten des autobiographischen Schreibens nutzen. Die Autorin lädt mit einem interdisziplinären wissenschaftlichen Ansatz dazu ein, eine mögliche Zukunft der schriftlichen Selbstdarstellung zu entdecken.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Das Angebot des autobiographischen Schreibens: ‘Schreiben als Wahrnehmungs- und Denkhilfe’ (Berning 2002), ‘Therapeutikum Schreiben’ (Brandt 2008), ‘Die Heilkraft des Schreiben’ (Schenk 2009) oder ‘Ich schreibe, also bin ich’ (Schwidder 2004): Mit diesen Buchtiteln bietet sich das Schreiben in den Regalen der Buchhandlungen an. Schon die wenigen aus der Vielzahl der Veröffentlichungen zum Thema Schreiben ausgewählten Buchtitel geben mir als Kaufinteressent ein Versprechen, das lukrativ klingt. Sind es aus Marketinggründen und Blick auf den Umsatzanteil reißerisch formulierte Titel oder sind es wahrhaftige Angebote? Die Buchtitel, ohne bereits spezifisch autobiographisches Schreiben zu erwähnen, verkünden Wirkungen des Schreibens, die mich begeistern. Aber wie kann Schreiben das bewirken? Ich gehe der Frage nach, indem ich zunächst die mit dem Schreiben verbundenen Funktionen betrachte und danach auf die spezifischen Funktionen des autobiographischen Schreibprozesses eingehe. 3.1, Schreiben: Ohne im Folgenden erforschte Entwicklungstendenzen anderer Wissenschaftsdisziplinen auszuschließen, habe ich für den Begriff des Schreibens ein Begriffsverständnis ausgewählt, das auf das Potenzial hinweist, das mit dem Schreiben verbunden ist. Sandro Zanetti schreibt in seinem Aufsatz ‘Logiken und Praktiken der Schreibkultur’, dass Schreiben ein Vermögen ist. Ein Vermögen, das ‘kein zeitloses Vermögen, keine anthropologische Konstante, sondern eine Variable’ (Zanetti 2009: 75) ist. Diese Veränderbarkeit des Vermögens durch historische und kulturelle Gegebenheiten ermöglicht es, Schreiben im Hinblick auf prägende Zusammenhänge zu untersuchen. Die Prägung resultiert aus einem ‘spezifischen Zusammenspiel von körperlich-gestischen, instrumentell-technischen und sprachlich-semantischen Beteiligungen’ (Campe 1996: 759-772). Natürlich sind diese drei Beteiligungen in den verschiedenen Formen des Schreibens unterschiedlich wichtig, aber sie alle sind die konstitutiven Elemente des Schreibens. Aus diesem Zusammenspiel gelingt es ‘dauerhafte Spuren [zu] produzieren, [die] aus körperlichen Bewegungen hervorgehen, die auf Techniken beruhen, die Wiederholungen ermöglichen und eine logische Struktur erkennen lassen’ (Zanetti 2009: 75). Schreiben ist ein Vermögen, das sich als Variable darstellt. Mit diesem Blick auf das Schreiben als ein ‘historisch und kulturell präfiguriertes Vermögen’ stelle ich zunächst grundlegende Funktionen des Schreibens dar und schildere daran anschließend die sich aufgrund der medialen Gegebenheiten zu beobachtenden Veränderungen. Fraglich ist, inwieweit sich damit auch die dem Vermögen innewohnenden Funktionen verändern. Im Laufe der Jahrhunderte erfuhr das Beziehungsgefüge gravierende Veränderungen. Am Augenscheinlichsten vollzieht sich das am instrumental-technischen Element, den Schreibwerkzeugen. Im Folgenden werden zunächst die Funktionen des Schreibens vorgestellt. 3.1.1, Originäre Funktionen des Schreibens: In Anlehnung an die Darstellung von Coulmas (1989) sind dem Schreiben verschiedene Funktionen immanent. Schreiben ermöglicht die Speicherung, Überlieferung und damit Akkumulation von Wissensbeständen (mnemonische Funktion). Es kann räumliche und zeitliche Distanzen überwinden (distanzeröffnende Funktion). Schreiben verleiht den Äußerungen eine fassbare Realität (materialisierende Funktion) und das Geschriebene erhält eine eigene Autorität (sozial kontrollierende Funktion). Für unterschiedlichste Leserschaften kann das Schreiben eine Grundlage zum Handeln sein (interaktionstiftende Funktion) und nicht zuletzt hat es für viele Menschen auch eine ästhetische Funktion. Diese Aufzählung der Funktionen ist noch um zwei wesentliche zu ergänzen. Das Schreiben als monomediales Kommunikationsmittel ermöglicht es, dass die komplexe Welt in die lineare Folge eines Textes gebracht wird (Winkler 1989: 22). Die Linearität des Schreibens ermöglicht damit eine Übersichtlichkeit, Ordnung, Klarheit und Logik, in der ‘verschwommenen’ (Winkler 1989: 27) mehrdimensionalen Wirklichkeit. Studien über die Beziehung von Schreiben und Denken weisen dem Schreiben außerdem eine epistemische Funktion zu (Molitor 1984: 8 f.). ‘Das Schreiben kann […] eine epistemische, d. h. eine wissensentwickelnde Funktion übernehmen. ‚Epistemisches Schreiben‘ ist also eine Form des Weiterverarbeitens eigenen Wissens: Vom Denken als kognitivem Verfahren her betrachtet, ist das Schreiben zu einem Medium geworden, in dem sich das Denken vollzieht vom Schreiben her betrachtet, ist dieses nicht mehr nur Instrument, Schon-Gedachtes und Wissen zu verausgaben, sondern auch ein Instrument des Präzisierens, Erweiterns, ja des Entwickeln von Wissens’ (Hartmann 2004: 25 ff.). Diesen originären Funktionen des Schreibens wurden im Laufe der Entwicklung der Schriftmedien unterschiedlich ermöglicht. Einige Medien boten in Bezug auf manche Funktionen größere Vorteile, bzw. deckten dafür manche nur in geringem Maße ab (F. Hartmann 2002: 16). In den nachfolgenden Ausführungen wird deutlich, dass die immer bessere Erfüllung einer Funktion oft mit der Vernachlässigung, Verdrängung einer oder sogar mehrerer Funktionen einhergeht.

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