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- Saids Orientalismus und die Historiographie der Moderne: Der „ewige Orient“ als Konstrukt westlicher Geschichtsschreibung
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Konzept des Orientalismus geht auf Edward Wadie Said zurück. Dieser zählt zu den bedeutendsten Kulturwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts. Seine Bekanntheit und sein akademischer Ruhm sind vor allem in seinem erstmals 1978 erschienenen Werk ‚Orientalism‘ begründet, in dem er sein Konzept des Orientalismus entwickelte und der Öffentlichkeit präsentierte. Was ‚Orientalism‘ eine solch immense Resonanz bescherte, sind zum einen die zahlreichen Berührungspunkte die Saids Konzept des Orientalismus mit vielen akademischen Fachbereichen aufweist, zum anderen aber auch die bis heute große Aktualität der Thematik in den Medien. Die Bandbreite, die Said mit Orientalism abzudecken vermochte, hat auch dazu geführt, dass man bis heute in einer Arbeit über die Repräsentation des Orients oder über ‚das Andere‘ nicht daran vorbeikommt, Saids Thesen miteinzubeziehen. Dies gilt selbstverständlich auch für den Fachbereich der Historiographie. Ziel dieses Buches ist es daher aufzuzeigen, inwiefern Saids Konzept des Orientalismus und die moderne Historiographie miteinander verbunden sind, wie sie sich gegenseitig beeinflussten, und welche Folgen dies hatte.
Textprobe: Kapitel 3.2, Die Säkularisierung des Weltbilds: Einflüsse auf die Historiographie und andere Humanwissenschaften: Von den Naturwissenschaften erwartete sich die europäische Elite eine Antwort auf das Dilemma, das sich aus dem Aufklärungsgedanken und der hierarchischen Gliederung der Menschheit ergab. Die ‘moralisch-intellektuelle[...] Unterlegenheit der 'anderen Rassen'‘ sollte von der Wissenschaft neutral durch empirisch belegbare, körperliche Unterschiede bewiesen werden. Der soziale Anspruch auf Gleichheit und Freiheit wurde somit zu einer anatomischen Frage, deren Ziel es war, ‘den Nachweis einer Totaldifferenz zu erbringen […]’. Dabei galt das heutige zentrale Rassenkriterium der Hautfarbe als zu weich. Man suchte nach härteren, meist anatomischen Kriterien, wie zum Beispiel das blühende Feld der Kraniologie belegt. Doch nicht nur die Naturwissenschaften beteiligten sich an diesem Prozess. Auch die Geisteswissenschaften, allen voran die Soziologie, offerierten ähnlich kühne Theorien. So galt beispielsweise die Herausbildung von Geschlechterunterschieden und -rollen, wie sie in der europäischen Bourgeoisie zu finden war, als Merkmal höher entwickelter Zivilisationen. Und auch die Philosophie trug ein zentrales Bewertungskriterium bezüglich der Zivilisationsstufe bei. Ganz im Sinne der Bacon'schen Wissensphilosophie galt der Grad an Naturbeherrschung als Indiz für den kulturellen Entwicklungsstand. Was viele dieser Theorien gemeinsam hatten war, dass zumeist ein komparatistischer Ansatz verfolgt wurde. In der Orientalistik hielt dieser Ansatz laut Said durch Renan und seine Studie der semitischen Sprachen Einzug. Mit Renan wurde die philologische Tradition begründet, Eigenschaften über Charakter, Intelligenz, allgemeine Rassenmerkmale und vieles mehr aus linguistischen Erkenntnissen abzuleiten. Der komparatistische Ansatz ermöglichte dann, mittels des Vergleichs der Sprachen, einen direkten Vergleich von Eigenschaften und Charaktermerkmalen der Sprecher. Die wirkmächtigste Rassentheorie war jedoch Charles Darwins Evolutionstheorie über die Entstehung der Arten. Sie ‘enthob [zwar] den Menschen seiner einzigartigen Stellung im Universum […] etablierte [aber gleichzeitig] endgültig die Idee einer 'natürlichen' Evolution’ und eines Selektionsprinzips. Durch dieses […] ließen sich soziale Beziehungen zwischen den Menschen auf vorgeblich naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zurückführen, denen zufolge nur Konkurrenzkampf (‘struggle for life’) durchsetzen konnten. Diese Ableitung der naturwissenschaftlichen Lehre Darwins wird als Sozialdarwinismus bezeichnet. Dieser ermöglichte problemlos die Rechtfertigung von Unterdrückung und Ausbeutung unterworfener Völker. Indem diese Prozesse als «natürliches» Verhalten im Überlebenskampf einer höher entwickelten Rasse gegenüber einer unterlegenen, minder entwickelten Rasse interpretiert und gewertet wurden, konnten Unterdrückung und Ausbeutung, frei von jeglicher Moral, als etwas von der Natur Vorgegebenes gelten. Das Modell des Sozialdarwinismus beeinflusste aber auch die Humanwissenschaften. So galt der Kapitalismus bei den Wirtschaftswissenschaften als diejenige Marktform, die den Aufstieg der Stärksten begünstigte. Die Psychologie hingegen versuchte Charakter- und Geistesmerkmale aus den (mehr als fragwürdigen) Ergebnissen der Naturwissenschaften abzuleiten. So überschnitten sich zum Beispiel die Interessen von Psychologie und Anatomie, wenn es um die Größe des Gehirns ging. Denn man erhoffte sich, einen direkten Zusammenhang zwischen der Größe des Gehirns und seiner Leistungsfähigkeit herleiten zu können. Auch die Geschichtswissenschaften blieben von diesem Einfluss nicht unberührt. Bereits seit der Romantik war der Gebrauch von Metaphern des ‘Werdens’ und ‘Wachsens’ in der Historiographie sehr gebräuchlich. In der «Neuen Geschichte» wurden in jeweils nationalspezifischer Art und Weise […] [diese Metaphern] zu einem strengeren Evolutionsmodell weiterentwickelt. Vielfach wurden dabei organizistische bzw. biologische Prozessmodelle aufgegriffen. Diese Prozessmodelle basierten zumeist auf den Erkenntnissen Darwins und waren daher mit der Terminologie des Sozialdarwinismus angereichert. Die Frequenz, mit der das sozialdarwinistische Vokabular in die Geschichtswissenschaft einzog, wurde zudem durch die Kritik der Neuen Geschichte an älteren Deutungsmustern erhöht. Anstelle einer Geschichte, die Ideen und Personen als Träger des historischen Fortschritts sah, trat eine Geschichte, die ‘kollektive Kräfte wie Nationen, Völker oder Rassen’ in den Mittelpunkt von Entwicklungen stellte. Die Verwendung dieser Begriffe beinhaltete auch die Übernahme der dazu gehörenden Deutungen, Kategorisierungen, Differenzierungen und Wertungen, welche diesen Termini durch den Biologismus und Sozialdarwinismus anhafteten. Die Niederschrift in den Geschichtsbüchern des 19. Jahrhunderts durch die Historiographie trug darüber hinaus dazu bei, den ‘Glaube[n] an die Verschiedenheit der […] Völker und Nationen’ zu institutionalisieren. Der beschriebene Vorgang entspricht dem, was Said als die Produktion und Verbreitung von politischem Machtwissen identifiziert. Auch wenn Said die innereuropäische (nationale) Grenzziehung, die zeitlich auf die europäische Abgrenzung nach außen hin folgte, nicht berücksichtigt, so trifft seine Beschreibung der europäischen Grenzsetzung gegenüber dem Osten bzw. dem Rest der nicht-westlichen Welt zu. Durch die «wissenschaftlichen» Diskussionen entstand das orientalistische Vokabular, das durch den manifesten Orientalismus in der Historiographie Verbreitung fand. Der latente Orientalismus, in Kombination mit der Institutionalisierung durch die Historiographie, führte schließlich dazu, dass die Überlegenheit der Europäer gegenüber nicht-Europäern allgemein unhinterfragt als natürliche, geschichtlich belegbare Ordnung der Rassen erachtet wurde. Am Anfang des 20. Jahrhunderts begann die biologistische und sozialdarwinistische Argumentationsweise jedoch an Kraft zu verlieren. Denn durch die intensive Forschung der vergangenen Jahrzehnte war klar geworden, dass orientalische und okzidentale Kulturen sich in vielerlei Hinsicht ähnlicher waren, als vielen Recht war. In der Historiographie des Fin de Siècles wurde daher die Religion als letztes Mittel der Abgrenzung zum Osten eingesetzt, denn sie ‘war praktisch ein Garant für […] Differenzdenken’ und hatte sich seit dem Mittelalter bewährt. Auch Said diagnostiziert im Zuge der Säkularisierung des Weltbilds, dass die religiösen Deutungsmuster nicht einfach verschwanden, sondern in abgewandelter Form in das neue wissenschaftlich fundierte Weltbild integriert wurden. Mit dem Problem der Aufrechterhaltung der ontologischen Differenz zwischen Ost und West konfrontiert, wurden die alten Deutungsmuster schließlich samt ihrem Vokabular von der Historiographie des frühen 20. Jahrhunderts wiederbelebt. Denn im orientalistischen Diskurs ist und bleibt laut Said die Religion (insbesondere der Islam) die grundlegendste Differenz zwischen Ost und West, die bemüht werden kann, wenn alle anderen Exklusionsstrategien den Dienst versagen.
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