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  • Reisen als Erkenntnis- und Entwicklungsprozess: Elio Vittorinis "Conversazione in Sicilia" und Michel Butors "La Modification"

Kunst & Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In der vorliegenden Studie finden die Romane Conversazione in Sicilia von Elio Vittorini und La Modification von Michel Butor eine vergleichende Betrachtung. Die Protagonisten befinden sich in beiden Fällen, aber aus unterschiedlichen Gründen, in einer Lebens- und Sinnkrise, die sie durch eine Reise überwinden möchten. Die Werke beschränken sich nicht nur auf eine Beschreibung der Fahrt als solche, es wird weiterhin aufgezeigt, inwiefern die Reise als Vehikel zur persönlichen Entwicklung dient. In Conversazione in Sicilia (1937) reist der Protagonist Silvestro Ferrauto zur Zeit des italienischen Faschismus von Mailand nach Sizilien. Er entwickelt sich zu einer Figur, die nicht mehr von der widrigen Wirklichkeit erdrückt wird, sondern sich Freiräume schafft, sich sprachlich gegen die politische Indoktrination des Faschismus wehrt, die Lügen des Systems entlarvt und diese Erkenntnisse an andere weitergeben möchte. In La Modification (1957) reist Léon Delmont von Paris nach Rom, um seine Geliebte zu sich zu holen, in der Hoffnung dadurch seine Midlife Crisis überwinden zu können. Auf der Zugfahrt durchlebt er in Träumen noch einmal die vergangenen zwanzig Jahre mit seiner Ehefrau und die zwei Jahre mit seiner Geliebten. Er erkennt, dass es die von ihm gesuchte absolute Freiheit und ewige Jugendlichkeit nicht gibt. In der vorliegenden Studie werden die beiden Reisen, von dem auslösenden Ereignis ausgehend, gegenüberstellt. Es wird herausgearbeitet, auf welchem Wege die Protagonisten zu einem neuen Bewusstsein gelangen. Beide müssen im übertragenen Sinne in das Reich des Todes hinabsteigen, um Fortschritte in der Zukunft machen zu können. Deswegen wird in der Analyse von La Modification besonders auf die Bezüge zur Aeneis von Vergil und zur ägyptischen Mythologie eingegangen. In beiden Romanen werden die intertextuellen Bezüge zur Divina Commedia von Dante Alighieri vergleichend betrachtet. Weiterhin werden die sprachlichen Experimente der Autoren beleuchtet, die mit den traditionellen Romankonzepten brechen.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.1.1, Der Aufbruch: Vor der Reise ist Silvestro wie paralysiert. Sein Leben zieht an ihm vorbei, ohne dass er wirklich daran teilnimmt. Selbst die Abwechselungen des Alltags können ihn nicht aus seiner Lethargie befreien. Der Schriftsetzer empfindet seine momentane Situation so erdrückend, dass er den Kopf nicht mehr heben kann und sich in einem Zustand innerer Isoliertheit sieht: Io ero, quell’inverno, in preda ad astratti furori. […] Ma bisogna dica ch’erano astratti, non eroici, non vivi furori, in qualche modo, per il genere umano perduto. Da molto tempo questo, ed ero col capo chino.Vedevo manifesti di giornali squillanti e chinavo il capo vedevo amici, per un’ora, due ore, e stavo con loro senza dire una parola, chinavo il capo e avevo una ragazza o moglie che mi aspettava ma neanche con lei dicevo una parola, anche con lei chinavo il capo. Pioveva intanto […] e io avevo le scarpe rotte, l’acqua che mi entrava nelle scarpe [...] Questo era il terribile: la quiete nella non speranza. Ero quieto ero come se non avessi mai avuto un giorno di vita, né mai saputo che cosa significa esser felici […] (CS 571). Silvestro ist mit seinen 'scarpe rotte', durch die der Regen dringt, das Sinnbild einer ganzen Generation, 'die ihre ausweglose Situation unter der Diktatur Mussolinis im Dauerregen über Italien gleichsam gespiegelt sieht und stumm, apathisch erträgt.' Die hoffnungslos erscheinende Lage des Protagonisten wird an dieser Stelle in der Gestaltung des Textes ausgedrückt. Zum einen verwendet Vittorini vorwiegend Wörter, die den Buchstaben 'o' enthalten, um die Verzweiflung Silvestros zu unterstreichen. Zum anderen wird die Aussage 'chinavo il capo' mehrfach wiederholt als äußeres Zeichen seines inneren Zustands. Vor diesem Hintergrund werden die 'astratti furori' zum Symbol seiner Gemütsbewegungen. Er fühlt, dass mit ihm und/oder mit seiner Umwelt etwas nicht stimmt, ohne dies jedoch klar in Worte fassen zu können. Silvestro vermag sich nicht aus eigener Kraft aus dieser Situation zu befreien. Dazu bedarf es eines Anstoßes von außen, den er durch einen Brief seines Vaters erhält: 'Perché l’otto dicembre, invece di mandarle la solita cartolina di auguri per l’onomastico, non prendi il treno e vai giù e le fai una visita?' (CS 573, Hervorhebung im Original). Beim Lesen der Zeilen sieht Silvestro seinen Vater Costantino vor sich, wie er Macbeth rezitiert. Aber er gelangt nicht zu einer vollständigen Erinnerung an seine Kindheit, weil seine derzeitigen Lebensumstände sie verdrängt haben: '[...] riconobbi mio padre [...] Riconobbi lui e ch’ero stato bambino [...] Ma la memoria non si aprì in me che per questo solo [...]' (CS 573). Schließlich fühlt Silvestro seine Teilnahmslosigkeit und fragt sich, was er die vergangenen fünfzehn Jahre gemacht hat: Altri quindici anni erano passati dopo quelli, a mille chilometri di là, dalla Sicilia e dall’infanzia, e avevo quasi trent’anni, ed era come se non avessi avuto nulla, né i primi quindici, né i secondi, come se non avessi mangiato mai pane, e non mi fossi arricchito di cose e cose, sapori, sensi, in tanto tempo, come se non fossi stato mai vivo, e fossi vuoto, questo ero, come se fossi vuoto, pensando il genere umano perduto, e quieto nella non speranza (CS 573 f.). Die vergangenen fünfzehn Jahre, die der Protagonist anspricht, können ebenfalls auf den historischen Kontext des Romans bezogen werden, denn bei dessen Entstehung 1937/38 wurde Italien bereits fünfzehn Jahre vom Faschismus beherrscht. Die Zeit, die Silvestro fern von der sizilianischen Heimat verbracht hat, ist gleichbedeutend mit geistiger Deformation durch Propaganda und Mangel an wahrheitsgetreuen Nachrichten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass er in einen Zustand innerer Starre verfallen ist. Schließlich fühlt Silvestro fünfzehnmal 365 Mäuse in sich, die seine Erinnerungen an seine Kindheit in Sizilien widerspiegeln (CS 574). Jede Maus steht für einen verflossenen Tag und symbolisiert so die nagende Zeit. Dennoch bricht der Schriftsetzer nicht sofort auf, sondern schreibt wie sonst die Karte an seine Mutter und geht zum Briefkasten am Bahnhof. Dort hat er im wahrsten Sinne des Wortes eine Erleuchtung: Salii nella luce le scale dell’atrio, per me era lo stesso continuare sotto la pioggia verso casa o salire quelle scale, e così salii nella luce, vidi due manifesti. Uno era di un giornale, squillante per nuovi massacri, l’altro era della Cit: Visitate la Sicilia, cinquanta per cento di riduzione da dicembre a giugno, 250 lire per Siracusa, andata e ritorno, terza classe (CS 574). Als er bemerkt, dass der nächste Zug nach Sizilien in zehn Minuten abfährt, ertönt in ihm ein schriller Pfiff wie ein Abfahrtssignal. Silvestro entschließt sich spontan, zu seiner Mutter zu fahren. Diese Entscheidung wird durch den Umstand begünstigt, dass er gerade seinen Arbeitslohn von 350 Lire bekommen hat und die Eisenbahngesellschaft einen Sonderpreis für die Fahrt nach Sizilien anbietet. So wird die Reise für ihn bezahlbar, auch wenn nicht viel Geld für seine Frau und die Kinder übrig bleibt, denen er von Neapel aus fünfzig Lire schickt (CS 574 f.). Dies ist ein interessanter Gegensatz zu La Modification, der später aufgegriffen wird. Im Zug spürt Silvestro nicht mehr die drängenden Mäuse und 'il piffero suonava un attimo melodioso, non più lamentoso' (CS 575). Dadurch wird der positive Effekt der Reise antizipiert.

Über den Autor

Katharina Pfeiffer wurde 1980 geboren. Sie schloss im Jahr 2006 das Studium der französischen und italienischen Literaturwissenschaften an den Universitäten Marburg und Nancy in Frankreich erfolgreich ab und erlangte den akademischen Grad Magistra Artium. Seitdem arbeitet sie als Lehrbeauftragte für die Sprachen Französisch und Italienisch. Bereits während des Studiums entwickelte die Autorin ein starkes Interesse für französische und italienische Romane des zwanzigsten Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart, als auch für vergleichende Fragestellungen. Diesen Themenfeldern geht sie in der vorliegenden Studie beispielhaft nach.

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