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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 112
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Fremdplatzierte (in Pflege-, Adoptivfamilien oder Heimen Lebende) stehen im Jugendalter, in dem sie ihre Identität reflektieren und teils neu konstruieren, vor einer besonders schwierigen Aufgabe, denn ihre Herkunftsfamilie, die eine bedeutende Rolle bei diesen Prozessen spielt, ist nicht anwesend. Hierbei versucht Biografiearbeit zu unterstützen. Die Improvisationstheaterform Playback Theater beruht auf dem Erzählen, Sehen und neuartigen Erleben persönlicher autobiografischer Geschichten und kann damit einen wertvollen Beitrag für die biografische Identitätsarbeit mit Fremdplatzierten leisten. Durch das Gespielt-Sehen eigener Geschichten können hilfreiche Prozesse wie neue Wahrnehmungen, Erkenntnisse, Umdeutungen und Neubewertungen von Geschehenem in Gang gesetzt werden. Durch das Selbst-Spielen fremder Geschichten können Perspektivübernahmefähigkeit und Rollenflexibilität gefördert werden. In diesem Buch werden erstmals die beiden Themen Biografiearbeit und Playback Theater zusammengeführt und auf der Grundlage von Identitätstheorien und einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Zielgruppe Fremdplatzierte praxistauglich vorgelegt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Erschwerte Identitätsentwicklung von Fremdplatzierten: ‘Ein wesentlicher Teil der Identität in unserer Kultur wird mit der Herkunftsfamilie verknüpft. Über unsere Eltern, Großeltern, Geschwister, unsere Verwandten definieren wir uns, und wir werden von ihnen definiert’ (Wiemann, 1994a, S.164). Die leiblichen Eltern als Bezug fehlen fremdplatzierten Jugendlichen bei ihrer Identitätsentwicklung. Kinder und Jugendliche finden oftmals in der Pflege- oder Adoptivfamilie Zugehörigkeit und Geborgenheit, die der einer leiblichen Familie ähneln. Und auch ein großer Teil der Identitätsentwicklung geschieht in der ‘neuen Familie’: Soziale Rollen, sozialer Status, Leistung, Normen und Werte sind Aspekte, die in der Adoptiv- oder Pflegefamilie erworben werden. Trotz all dem ist die Frage nach der Identität auch eine Auseinandersetzung mit der Herkunft (vgl. Swientek, 2001a, S.17). Beides ist untrennbar wichtig – der soziale und der biologische Aspekt. So stoßen Fremdplatzierte bei der Frage nach ihrer Identität meist auf eine einschneidende Lücke, mit der sie sich auf individuelle Weise auseinandersetzen müssen. Gleichzeitig befinden sie sich oft in einer schwierigen Doppelrolle, denn sie haben zwei unterschiedliche Familien, denen sie sich möglicherweise zugehörig fühlen, was Konfusion mit sich bringt und das psychische Gleichgewicht schwächen kann. Es wäre angemessen, Adoptierte, Pflege- und Heimkinder hinsichtlich ihrer Identitätsproblematik und -bewältigung zu unterscheiden, denn sie sind teilweise sehr unterschiedlich. Leiden Pflegekinder unter noch mehr Konfusion? Fühlen sich Adoptivkinder wertloser, weil sie ‘weggegeben’ statt ‘weggenommen’ wurden? Da das im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist, werden im Folgenden alle drei Hauptgruppen von Fremdplatzierten mit ihren für diese Phase und Prozesse wichtigen Gemeinsamkeiten dargestellt, und dabei nur am Rande einzelne Besonderheiten der jeweiligen Fremdunterbringungsform vermerkt. Thesen: Die Selbstkonzeptforschung liefert zwar in manchen Untersuchungen Ergebnisse, die der Krisenhaftigkeit der Identitätsentwicklung in der Adoleszenz und von Fremdplatzierten zu widersprechen scheinen , doch zu viele Praktiker berichten von den besonderen Problemen Fremdplatzierter mit ihrer Identität, als dass diese Tatsache nicht anerkannt werden müsste (Ebertz, 1987 Wiemann, 1994b+b 2008 Swientek, 2001a+b Lattschar & Wiemann, 2011 Ryan & Walker 1997, Fahlberg, 1991 Textor, 1993). Vielleicht liegt dieser Widerspruch in der ‘zweifelhaften Operationalisierung’ (Gudjons, 2003, S.134) der Selbstkonzepte in einzelnen Untersuchungskontexten, die sie kaum verallgemeinerbar macht (vgl. ebd.), oder einfach darin, dass eine Identität mehr beinhaltet als ein Selbstkonzept (vgl. Kapitel 2.1.). In Bezug auf oben genannte praxiskundige Autoren basiert diese Arbeit auf der nachfolgend weiter gestützten Annahme, dass fremdplatzierte Jugendliche mit der Entwicklung ihrer Identität mehr zu tun und zu kämpfen haben, und Identität und Selbstwert eher krisenhaft sind, als bei Jugendlichen, die in ihren Herkunftsfamilien aufwachsen. ‘Vor allem in den Jugendjahren sind Pflegekinder erschütterbar, kommen sie mit ihrer ungewöhnlichen Biographie nur schwer zurecht’ (Wiemann, 1994b, S.194). ‘Für Adoptierte können Kindheit, Jugend und junges Erwachsenenalter sehr viel stärker krisenbelastet sein als für biologische Familienkinder. Je nachdem, wie selbstverständlich ihr Da-Sein in der neuen Familie gelebt wird, wie harmonisch sie ihren Wert (Selbstwert), ihre Selbstvergewisserung und ihr So-Sein erleben können oder wie stark ihr Zerrissensein zwischen zwei Familien oder sogar Kulturen ist, werden sie ihren besonderen Status in ihr Ich integrieren’ (Swientek, 2001a, S.16f). Es ergeben sich übergreifend für die gesamte Zielgruppe vor allem zwei Kern-Thesen, weshalb fremdplatzierte Jugendliche belasteter sind als Jugendliche, die in ihren Herkunftsfamilien aufwachsen. Diese sollen ab dem folgenden Kapitel ausgeführt werden. 1. Konfusion: Fremdplatzierte leiden durch die mindestens doppelte Elternschaft mehr unter emotionaler sowie psychischer Zerrissenheit und Konfusion, nicht zuletzt auch aufgrund von Unklarheiten. Sie müssen in ihrer Identität die Tatsache von zwei Familien und Eigenschaften beider vereinen und haben es schwerer, sich als eine kohärente Ganzheit zu erleben, denn sie haben eine bruchhafte Lebensgeschichte hinter sich und waren mit unterschiedlichen Rollen, Erwartungen und Mustern konfrontiert (vgl. auch Ebertz, 1987, S.33f). 2. Negative Gefühle müssen bewältigt werden. Dazu gehören Schmerz und schlimmstenfalls Traumata aufgrund der Trennung von der Herkunftsfamilie, das Gefühl der Ausgrenzung in der neuen Familie oder die Belastung durch hohe Erwartungen, denen man als ‘Problemkind’ nicht gerecht wird. Dazu kommen meist ein negatives Selbstbild und Schuldgefühle. 3.1, Konfusion: Alle Fremdplatzierten sind Kinder zweier Familien. Besonders, wenn ein Kind erst später in eine neue Familie kommt und vorher bereits seelischen und sozialen Bezug hatte. Adoptiv- und Dauerpflegekinder, die ihr Leben lang bei einer Familie leben, sind meist gut in ihrer neuen Familie verwurzelt. Trotzdem kommen in der Adoleszenz Fragen nach den leiblichen Eltern auf. Oft wollen die Adoptivkinder nicht mehr als ‘mal ein Foto sehen’ oder ‘mal treffen’, selten tauchen bei diesen Jugendlichen eine tiefe Sehnsucht oder ernsthafte Zweifel auf, wer die ‘richtigen’ Eltern sind. Der Wunsch, überhaupt etwas über seine Herkunft zu erfahren, ist völlig unabhängig von der Qualität der Beziehung zwischen neuen Eltern und Kind (vgl. Hoffmann-Riem, 1998, S.249). Jedoch kann die Sehnsucht nach (oder die Idealisierung) der Herkunftsfamilie bei spät- oder mehrmals neu platzierten Kindern, die sich schwer in ihre neue Familie integrieren können, größer sein. Sie leiden oft unter mehr Konfusion, denn meistens gibt es irgendwo Eltern, die sie nicht endgültig hergeben wollen und mit denen sie Kontakt haben (da dies vom Amt ausdrücklich erwünscht ist [vgl. Wiemann, 1994b, S.19]) (vgl. ebd., S.82). Der Mangel an Kontinuität (von Beziehungen, Lebensräumen, Geschichten, usw.) führt in verschiedenen Hinsichten zu Konfusion und sollte, wenn möglich, dringend vermieden werden. Jede Platzierung ist ein weiterer Bruch, durch den einem Kind Schmerz zugefügt wird. Dazu besteht oft eine schwer erträgliche Unsicherheit, ob das Pflegekind bei der neuen Familie bleiben kann oder nicht, da stets versucht wird, es zu den leiblichen Eltern zurückzuführen (vgl. Wiemann, 1994b, S.66ff). Wenn ein Kind jederzeit ‘abberufen’ werden kann, kann es kein inneres Verhältnis zu seiner Biografie entwickeln (was für nicht-fremdplatzierte Kinder ganz natürlich ist). Es fehlt die relative Sicherheit, planungsfähig zu sein und sein Leben in der Hand zu haben (vgl. Alheit, 2006, S.4f). Wenn leibliche Eltern an Kindern ‘klammern’ und keine ‘Erlaubnis’ vermitteln, dass sich die Kinder neu binden dürfen, bleiben diese Kinder verletzt, desorientiert und können keine neue Bindung aufbauen (vgl. Wiemann, 1994b, S.132). Name, körperlicher Gestalt, Temperament, Motorik und besondere Begabungen sind Komponenten, die Kinder von den leiblichen Eltern erhalten und die zur Identität gehören (vgl. Wiemann, 1994a, S.168). Wesensmerkmale und Verhalten (wie Wutausbrüche statt Konfliktstrategie) hängen aber mehr von der Erziehung ab, als von den Genen. Kinder wollen ihren sozialen Angehörigen gleichen und passen sich an. Sie übernehmen Eigenschaften, Haltungen und Rollen durch Bezugspersonen und bilden darüber einen Teil ihrer Identität. Fremdplatzierte, die sich im Jugendalter fragen, wem sie gleichen, wer sie sind, wie sie sich unterscheiden, müssen sich doppelt auseinandersetzen und identifizieren sich doppelt – zum einen mit ihren neuen Eltern, zum anderen mit ihren biologischen (vgl. ebd., S.158ff). Vor allem Pflegekinder oder spät Adoptierte haben bereits andere Eltern und damit Erziehungsstile, Bindungen, Rollenzuweisungen erfahren. Auch Vera Fahlberg (1991) stellt das Konzept der Bindung ins Zentrum ihrer Überlegungen zu fremdplatzierten Kindern und Jugendlichen. Denn Bindungen definieren unsere Rollen und einen Teil unseres Selbst und tragen dazu bei, ein Gefühl dafür zu bekommen, wer wir sind, was unsere Identität ist (vgl. ebd., S.19). Da durch jede Beziehung unterschiedliche Rollen ausgehandelt und verwirklicht werden (vgl. Kapitel 2.3.2.) und Bindungen unterschiedlich sind, kann es zu erheblicher Konfusion im Kind und in seiner Interaktion kommen. Ebertz bespricht die resultierenden Identitätsprobleme in Anlehnung an Festinger als Dissonanzerfahrungen (1987, S.38ff). Kinder, die ihre leiblichen Eltern suchen, sprechen davon, ihr ‘richtiges Ich’ zu suchen, ihre ‘wahre Identität’. ‘Wer sind meine Eltern, also wer bin ich’, ist eine weitverbreitete Formel (Swientek, 2001a, S.13). Doch um aus ihrem ‘Ursprung’ Orientierung für die Identität schöpfen zu können, muss dieser erst mal gefunden werden können. Oft sind relevante Informationen schwer zugänglich (vgl. Ebertz, 1987, S.34) oder sie werden verschwiegen und tabuisiert, was Ängste und Halbwahrheiten hervorbringt. Die Inkognito-Adoption ist im Gegensatz zur offenen Adoption zwar nach wie vor die Regel, wird aber zunehmend in Frage gestellt, weil viele Adoptivkinder unter Identitätskonflikten leiden (vgl. Textor, 1993, S.163). Sie ist eine ‘Einbahnstraße’ an Informationen zur Ursprungsfamilie: die Adoptiveltern können auf Nachfrage etwas über die leibliche Mutter erfahren, aber nicht umgekehrt (vgl. Swientek, 2001b, S.19f). Kinder, die in Babyklappen gegeben werden, haben hingegen überhaupt keine Möglichkeit, ihre Ursprungsfamilie ausfindig zu machen. Im Vergleich zur ‘Einbahnstraße’ befindet sich das ‘Findelkind’ hier in einer ‘Sackgasse’, die jeglichen Bezug zur biologischen Herkunft ausschließt. Sie fühlen sich oft in besonders radikaler Weise verlassen und zurückgewiesen (vgl. ebd., S.20). Auch die Ablösung vom Elternhaus kann bei Fremdplatzierten schwieriger verlaufen. Weil von der Zeit in beiden Familien für die Entwicklung etwas fehlt ‘(…) kämpfen jugendliche Pflegekinder einerseits immer noch um Geborgenheit und Bindung und wollen sich gleichzeitig loslösen. Folglich verlaufen die Konflikte heftiger, verworrener, weil die verschiedenen Entwicklungsstadien teilweise gegeneinander laufen und so die Jugendlichen durcheinanderbringen’ (Wiemann, 1994b, S.172). Adoptivkinder haben auch dann ein erhöhtes Risiko, sich nicht richtig von den Eltern abzulösen, wenn die Adoptionsgeschichte nicht richtig geklärt oder verschwiegen wurde oder zu hohe Erwartungen an das Adoptivkind bestehen: Nach langjährigem Kinderwunsch kann das adoptierte Kind mit ‘Erlöserqualitäten’ belegt sein. Wird es nicht um seiner selbst willen angenommen, sondern um ganz bestimmte Funktionen (als ‘Ersatzkind’, ‘Familienstifter’ oder ‘Spielgefährte’) zu erfüllen, wird der Jugendliche es sehr schwer haben, eine persönliche Identität aufzubauen, da er zwischen Erwartungshaltungen von außen und Ich-Ideal hin und her gerissen ist (vgl. Swientek, 2001a, 19f). Auch kann hoher sozialer, intellektueller oder emotionaler Druck durch die Adoptiveltern zu Überanpassung des Kindes führen (vgl. Herzka [o.A.] nach Swientek, 2001a, S.18f). Die Trennung von biologischer Herkunft und sozialer Zugehörigkeit führt nach psychoanalytischer Schule dazu, dass Adoptierte im Verlauf ihrer Entwicklung mit spezielleren und schwerwiegenderen Identitätsproblemen zu kämpfen haben, als bei leiblichen Eltern aufgewachsene. Das nennen einige Autoren ein Adoptionssyndrom – eine besondere psychopathologische Risikosituation. Dazu führen Risiken von pränatalen Schädigungen, hohe Erwartungen der Adoptiveltern, häufige Pflegeplatzwechsel, frühe Deprivationserfahrungen oder Traumatisierungen (siehe folgendes Kapitel) (vgl. Ebertz, 1987, S.30).

Über den Autor

Janina Mau, Dipl.-Kommunikationspsychologin, wurde 1987 bei Hamburg geboren. Nach einer schulischen künstlerischen Ausbildung fand sie während des Studiums der Kommunikationspsychologie ihren Schwerpunkt in kreativer und ästhetischer Kommunikation. Auf einer längeren Asienreise konnte sie die Bedeutsamkeit visuell-kreativer Kommunikation mit fremden Kulturen erfahren. Seit 2013 lebt und arbeitet sie in Bremen.

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