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- Märchentheorien der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm: Anwendbarkeit und didaktische Methoden für den Deutschunterricht in der Grundschule
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Märchentheorien aus der Literaturwissenschaft, der Psychologie und der Volkskunde sowie deren didaktischen Konsequenzen für den Deutschunterricht der Grundschule. Auch die praktische Anwendbarkeit dieser Theorien im Unterricht soll geprüft werden. Als Märchenbeispiele dienen die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm, vor allem das Märchen Aschenputtel. Es wurden die drei Forschungsrichtungen Literaturwissenschaft, Psychologie und Volkskunde ausgesucht, da sie auffällige inhaltliche Gegensätze aufweisen und die Bedeutung ihrer Ergebnisse innerhalb der Märchenforschung als sehr weit reichend gilt. Zentrale Leitfrage der Arbeit ist die folgende: Welche didaktischen Konsequenzen kann oder sollte man aus den Märchentheorien ziehen und wie integriert man sie in den Deutschunterricht der Primarstufe? Um sich der Antwort zu nähern, wird der Untersuchung eine Ausführung über die Entstehungsgeschichte der Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm vorgestellt, da die Gebrüder Grimm als Begründer der modernen Märchenforschung nicht aus dieser wegzudenken sind.
Textprobe: Kapitel 2, Analyse und Interpretationsmodelle der Märchentheorien: Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm haben mit der systematischen Erforschung des Märchens begonnen (Pöge-Alder 1994, 26). Ihre Vorreden, Anmerkungen und Briefe stellten schon die entscheidenden Fragen nach der Wesensart, der Bedeutung und dem Ursprung der Märchen und legten so die Grundlage zu einer umfassenden Theorie (Lüthi 1990, 62). Die Brüder Grimm veränderten ihre gesammelten Märchen allerdings auch mit der Zeit. Von der ersten Ausgabe bis zur heute bekannten Endfassung lässt sich ein Prozess fortschreitender Stilisierung und Ausmalung, seit dem zweiten Band hauptsächlich durch Wilhelm Grimm bemerken (Tismar 1983, 59). Das erschwert die nachfolgenden Forschungen in erheblichem Maße. Seit der Romantik ist das Märchen Forschungsgegenstand verschiedenster Disziplinen, die sich der Analyse und Interpretation dieser Literatur widmen. Den Hauptanteil machen die Forschungsrichtungen der Literaturwissenschaft, der Psychologie und der Volkskunde aus. Ihre Ergebnisse ergänzen sich, sie widersprechen sich aber auch. Im Folgenden werden jeweils zwei bedeutende Vertreter jeder der drei Wissenschaften und ihre Positionen zur Märchenforschung vorgestellt. 2.1, Literaturwissenschaftliche Theorien: Der Literaturwissenschaftler interpretiert die Märchen als Grundform erzählender Dichtung. Dabei wird die Gattung auf formelle, strukturelle und stilistische Fragen hin untersucht. Als Grundlage der Erzählforschung gelten unter anderem die Arbeiten von Max Lüthi und Vladimir Propp. Ihre Erkenntnisse haben großen Einfluss auf die Märchenforschung genommen. Dabei vertreten beide unterschiedliche Zweige der Literaturwissenschaft und nehmen verschiedene Blickwinkel auf das Märchen ein. Max Lüthi beschäftigte sich mit Inhalts- und Stilelementen der Volksmärchen und grenzte sie von benachbarten Gattungen wie der Sage, der Legende, dem Mythos, der Fabel und dem Schwank ab. Neben der Grimmschen Märchensammlung untersuchte er Märchen aus ganz Europa für seine Arbeit ‘Das europäische Volksmärchen’, die erstmals im Jahr 1947 und seitdem in vielen Sprachen und Auflagen erschienen ist. Mit diesem und anderen aufeinander aufbauenden Werken wie ‘Es war einmal’ (Erstauflage 1962), ‘Märchen’ (1962), und ‘So leben sie noch heute’ (1969) wurde Max Lüthi nicht nur unter Literaturforschern, sondern auch in anderen Sparten der Wissenschaft weltbekannt. Vladimir Propp hingegen untersuchte die strukturellen Gesetzmäßigkeiten und den Aufbau der Märchen. Seine Hauptarbeit ist die ‘Morphologie des Märchens’. Das Buch erschien in Russland bereits im Jahr 1928, 1958 wurde es ins Englische übersetzt und erst im Jahr 1972 erschien ‘Morphologie des Märchens’ in deutscher Sprache. Aus diesem Grund konnte es erst spät die deutsche Märchenforschung beeinflussen. In seinem zweiten Werk ‘Die historischen Wurzeln des Zaubermärchens’, welches 1946 in Russland erschien, beschäftigt sich Vladimir Propp mit den Quellen der Zaubermärchen und untersucht deren Genese. Dieses Werk fließt jedoch eher in die Ergebnisse der volkskundlichen Märchenforschung ein. 2.1.1, Stilanalyse der Märchen nach Max Lüthi: Nach dem Schweizer Literaturwissenschaftler Lüthi (1909 - 1991) sind Märchen als Gattung anderen erzählenden Dichtungen überzuordnen. Er sieht Märchen als Kunstform, dessen Idealtypus sich durch den Vergleich einzelner Texte im hermeneutischen Verfahren herausarbeiten lässt (Lüthi, 1990). 2.1.1.1, Beschreibung der Stilanalyse Lüthis: Der Grundtyp des Märchens ist laut Lüthi vor allem durch einen speziellen Handlungsverlauf, Personal, Requisiten und einer besonderen Darstellungsart gekennzeichnet. Die Darstellungsart erläutert Lüthi (1974) genauer mit den prägenden Begriffen Eindimensionalität, Flächenhaftigkeit, abstrakter Stil, Isolation und Allverbundenheit sowie Sublimation und Welthaltigkeit. Handlungsverlauf: Das allgemeinste Schema, das einem Märchen zugrunde liegt, ist eine Schwierigkeit, die es zu bewältigen gilt und die Bewältigung. Die Schwierigkeit kann in einem Kampf oder einer Aufgabe liegen. Die Bewältigung besteht darin, dass entweder im Kampf gesiegt oder die Aufgabe gelöst wird. In diesem Schema, hinter dem die allgemeine menschliche Erwartung und Erfüllung steht, ist der gute Ausgang eingeschlossen. Die Ausgangslage ist gekennzeichnet durch einen Mangel, eine Notlage, ein Bedürfnis oder andere Komplikationen. Der Handlungsverlauf ist meistens geprägt durch eine Zwei- oder Dreiteilung der Ereignisse. Viele Märchen sind zweiteilig. Das heißt, nach Bestehen der Aufgabe oder der Lösung der Aufgabe wird der Held des Preises beraubt oder gerät in eine neue Notlage, die er selbst bewältigen oder aus der er gerettet werden muss. In dreiteiligen Märchen muss der Held statt zwei, drei Aufgaben erledigen. Inhaltlich kommen die wesentlichsten menschlichen Verhaltensweisen zur Darstellung: Kampf, Stellen und Lösen von Aufgaben, Intrige und Hilfe, Schädigung und Heilung, Mord und Gefangensetzung, Vergewaltigung und Erlösung, Befreiung und Rettung, sowie Werbung und Vermählung. Der Held kommt häufig mit einer den Alltag überschreitenden Welt in Berührung, mit Zauberkünsten und ‘jenseitigen’ Mächten. An Themen kommen die folgenden besonders häufig vor: Schein und Sein, Umkehrung der Situation in ihr Gegenteil, Sieg des Kleinen über das Große und Selbstschädigung. Charakteristisch für das Märchen sind außerdem Paradoxien und Ironien des Geschehens. Die Paradoxa sind dabei so selbstverständlich, dass sie kaum mehr als solche empfunden werden. Mit Ironie des Geschehens ist gemeint, dass die Dinge nicht schlimmer stehen, sondern besser als es scheint. Personal: Hauptträger der Handlung ist der Held, welcher im Allgemeinen der menschlich-diesseitigen Welt angehört (Lüthi 1962, 104) und die Gegner des Hauptakteurs. Alle wichtigen Figuren sind auf den Helden bezogen als dessen Partner, Schädiger, Helfer oder als Kontrastfiguren wie erfolglose Brüder und Schwestern oder Kameraden, Neider und falsche Helden. Kontrastfiguren lassen den Helden in seiner Andersartigkeit aus der Reihe der Bedeutungslosen hervortreten. Autoritätsgestalten wie Könige, Prinzessinnen oder Eltern belegen die Hauptfigur häufig mit Aufgaben, um entweder ihre Tauglichkeit zu überprüfen oder ihre Vernichtung herbeizuführen. Gegner und Helfer gehören in den meisten Fällen der außermenschlichen Welt an. Die Personen haben keine Persönlichkeit und bleiben häufig unbenannt und werden nach ihrem Beruf bezeichnet oder sie besitzen einen Allerweltsnamen. Im Märchen herrscht ein Dualismus vor: die Figuren sind entweder gut oder böse, schön oder hässlich, klein oder groß, vornehm oder niedrig und so weiter, es werden also die wesentlichen Escheinungen der menschlichen Welt genannt. Requisiten: Die Requisiten unterteilen sich in Zauberdinge und Alltagsdinge. Meistens sind es allgemeine Repräsentanten der Dingwelt mit einer eindeutigen Gestalt. Das Hauptrequisit aber ist die Gabe, die von jenseitigen Wesen überreicht wird. Durch sie wird es dem Protagonisten ermöglicht, seine Aufgabe zu lösen oder im Kampf zu siegen. Darstellungsart: Das Märchen ist leicht durchschaubar. Durch den weitgehenden Verzicht auf die Beschreibung von Umwelt und Charakteristik von Personen lebt es verstärkt von der Handlung, die häufig einsträngig und in leicht überblickbare Episoden gegliedert ist. Ist die Handlung nicht einsträngig, sondern komplexer, werden die einzelnen Episoden nicht so wie sie eigentlich zeitlich verlaufen, nämlich parallel, erzählt, sondern nacheinander dem gemeinsamen Ende entgegengeführt. Nach Lüthi hat die Darstellungsart aller Märchen bestimmte im Folgenden genannte Stilmerkmale: Eindimensionalität: Unter Eindimensionalität versteht Lüthi das Nebeneinander von Diesseitigem und Jenseitigem. Beide Dimensionen werden im Märchen übergangslos genannt. Sie verschmelzen regelrecht ineinander. Die Menschen im Märchen verkehren wie selbstverständlich mit dem Jenseitigen als ob es ihresgleichen wäre. Sie empfinden weder Neugier noch Erkenntnisdurst. Flächenhaftigkeit: In den Märchen gibt es keine Tiefengliederung. Es werden nur einfache Überbegriffe genannt. Den Gestalten des Märchens fehlt es an Charakter, Körperlichkeit und einer gefühlsmäßigen Innenwelt. Gefühle werden nicht genannt, sondern nur in Handlungen ausgedrückt. Außerdem fehlt Ihnen die Beziehung zu einer Vorwelt oder einer Nachwelt, zum Raum und zur Zeit. Das führt zu einer Wirklichkeitsferne. Abstrakter Stil: Die Protagonisten heben sich innerhalb der ebenartigen Welt des Märchens durch präzise Handlungsweisen hervor. Gegenstände sind durch scharfe Konturen und klare Farben gekennzeichnet. Das Märchen kennt nur metallische und sehr kräftige Farben wie rot, schwarz und weiß. Alle Situationen und Konstellationen neigen zum Extremen oder sie sind eindeutig. Unter abstraktem Stil versteht Lüthi auch die regelmäßig wiederkehrenden Formeln und stereotypen Wiederholungen. Dazu gehören auch die bekannten und häufig vorkommenden Anfangs- und Schlusssätze. Die abstrakte Stilisierung gibt dem Märchen Bestimmtheit und hohe Formkraft. Isolation: Die Stilmerkmale Isolation und Allverbundenheit bedingen einander. Die einzelnen Episoden des Märchens sind isoliert voneinander. Das erklärt, warum Märchenpersonen nicht aus Erfahrung lernen. Die handelnden Personen sind stets auf sich selbst gestellt, sie sind in gewissem Maße von ihrer Umwelt isoliert. Diese isolierte Stellung kann unter anderem auch dadurch ausgelöst werden, dass die Eltern des Helden sterben. Aufgrund der Isolation sind die Personen offen für Kontakte aller Art, zum Beispiel auch zu jenseitigen Helfern. Isolierte Diesseitige und isolierte Jenseitige können sich begegnen, verbinden und wieder voneinander trennen, aber es besteht in keinem Fall eine andauernde Beziehungsspannung zwischen ihnen. Nur die isolierende Abdichtung jeder Episode, jeder Gestalt und jedes einzelnen Verhaltens macht es möglich, dass Gleiches immer wieder mit gleichen Worten berichtet werden kann. Die spätere Szene ist dabei nicht die Kopie der früheren. Sie gleicht ihr nur deshalb, weil sie denselben Ursprung hat wie sie. Allverbundenheit: Die Kontaktfreudigkeit und Beziehungsfähigkeit der Personen und ebenso die unsichtbare Lenkung hinter allen Geschehnissen durch eine höhere Macht bezeichnet Lüthi als Allverbundenheit. Sublimation: Obwohl ständig von Brautwerbung, Hochzeit und Ehe im Märchen die Rede ist, fehlt jegliche Sexualität und Erotik, sie wurde sublimiert. Ohne tragischen Unterton erzählt das Märchen von Mord, Gewalttat, Erpressung, Verrat, Verleumdung und vom unglücklichen Tod vieler unbegnadeter Anwärter auf die Prinzessin. Diese Sublimation ist ein weiterer Stilzug den Lüthi aus den Märchen herausgearbeitet hat. Die Sublimation, Entleerung und Entwirklichung trifft auf alle Märchenmotive zu. Liebe und Hass, Hilfsbereitschaft und Grausamkeit, Opferbereitschaft und Mord, Diesseits- und Jenseitsmotive, alle Elemente des menschlichen Daseins kommen im Märchen vor, jedoch auf eine bestimmte Art und Weise entwirklicht. Diese wirklichkeitsferne Entleerung aller Motive bedeutet Verlust und Gewinn zugleich. Verloren gehen Konkretheit, Erlebnistiefe und Realität, gewonnen werden aber stattdessen Formbestimmtheit und Formhelligkeit. Welthaltigkeit: In diesem Charakteristikum sieht Lüthi die universelle Bedeutung der Märchen für die heutige Zeit. Motive wie Geburt, Hochzeit, Trennung, Erfolg und Misserfolg wird es immer geben. Sie repräsentieren den Weltgehalt. Das Märchen ist also nicht nur imstande, jedes beliebige Element sublimierend in sich aufzunehmen, sondern vermag auch alle wesentlichen Elemente des menschlichen Seins widerzuspiegeln (Lüthi 1989, 5). Schon das einzelne Märchen enthält häufig die kleine private, wie die große öffentliche Welt. Das Jenseitige repräsentiert insofern die Welthaltigkeit, da die Auseinandersetzung mit einer ganz anderen Sphäre einer der wesentlichen Inhalte des menschlichen Seins ist. 2.1.1.2, Kritische Bewertung der Stilanalyse Lüthis: Kritiker werfen Lüthi vor, dass dieser die Märchen nur auf rein formal-ästhetische Merkmale hin untersucht und die Erzählgattung somit verabsolutiert. Ranke (1965, 199) bezeichnet die phänomenologische Betrachtungsweise nach Form, Wesen und Funktion nur als ein Vorspiel zur Märchenforschung. Durch die Analyse Lüthis würde nicht zur Synthese durchgestoßen. Außerdem ist er der Meinung, dass Lüthi auch Fragen nach den schöpferischen Impulsen in seine Untersuchungen aufnehmen sollte. Lüthi würde nicht weit genug auf die Angebote des Textes eingehen und häufig zu vage Deutungen machen oder Schwierigkeiten bei der Interpretation umgehen (Brackert 1980, 234). Röhrich (1956, 52) meint, dass Lüthi ‘von einer starren europäischen Modellform’ ausgehe und daher die Übergänge zur Sage und die Vorformen des Märchens übersehe. Geiger (2003, 34f.) kritisiert Lüthis Begriff der Flächenhaftigkeit. Er ist der Meinung, ein lebendig erzähltes Märchen würde viele Emotionen in sich vereinen. ‘Die Wirklichkeit des Märchens liegt ganz und gar nicht an der Oberfläche. Seine Welt ist nicht die Welt graphischer Ortschaften und ihrer Bewohner. Es ist die Innenwelt seelischer Bereiche wenn man will, schon in sich selbst eine Welt von jenseitigem Charakter, doch völlig verwoben mit dem menschlichen Empfindungs- und Willensleben.’ Erichson (1986, 19) schließt daraus, dass Lüthis Strukturmerkmale eine ‘Korsett’ - Funktion haben, in der man sich nicht ganz wohl fühlt, darin aber Halt findet. Dem entgegenzustellen ist, dass es Lüthi als Literaturwissenschaftler vor allem um die formale Literaturbetrachtung und nicht vordergründlich um die inhaltliche Interpretation der einzelnen Texte geht. Zwar mag die analytische, rein äußerliche Betrachtungsweise auf den ersten Blick etwas einseitig scheinen, sie hilft jedoch bei einer klaren Strukturanalyse der Gattung Märchen. Das, was Lüthi herausarbeitet, ist natürlich ein Idealtypus, dem nicht jedes Märchen in allen Stilzügen entspricht. Er selbst äußert sich dazu: ‘Der Typus kommt in Wirklichkeit nie rein vor’ (Lüthi 1974, 7). Aber nur mit Hilfe dieser Zuspitzung kann er das Märchen so präzise analysieren und darstellen.
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