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- Lüge und Linguistik: Pragmalinguistische Untersuchungen am Beispiel von Politikeraussagen
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 10.2009
AuflagenNr.: 1
Seiten: 188
Abb.: 1
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Im alltäglichen Sprechen begegnet uns wahrscheinlich häufiger als wir vermuten die Lüge: Sei es als Notlüge, weil wir keine Lust haben, zu der Verabredung zu gehen, oder sei es als altruistische Lüge, um jemanden zu schützen. Auch höfliches Sprechen könnte als Lüge bezeichnet werden. So schreibt auch Ludwig Wittgenstein schon: Das Lügen ist ein Sprachspiel, das gelernt sein will, wie jedes andre. Aber auch in anderen Kontexten begegnet uns das Lügen: In Talk-Shows werden Lügendetektoren zur Überführung von Ehebrechern eingesetzt oder es wird vor Gericht über eine Falschaussage entschieden. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es zahlreiche Untersuchungen zur Lüge aus ganz unterschiedlichen Fächern gibt. Doch immer beziehen sich diese Arbeiten aus z.B. Psychologie, Jura, Pädagogik oder Philosophie auf die Sprache als Medium der Lüge. Im Bereich der (Germanistischen) Linguistik sind vor allem die Arbeiten von Harald Weinrich, Gabriel Falkenberg und Bettina Giese zu nennen. Der theoretische Teil dieser Untersuchung widmet sich einem ausführlichen und kritischen Überblick zur aktuellen linguistischen Forschungssituation: Was macht eine Lüge aus? Mit welchen Methoden lassen sich Lügen untersuchen? Wie steht es mit der Bewertung und der (sprachlichen) Erkennbarkeit des Lügens? Dabei werden vor allem Ansätze aus der Sprechakttheorie, aus der Dialoggrammatik und Diskursanalyse sowie aus der Relevanztheorie aufgezeigt. Auch die Grice’schen Konversationsmaximen und die Forderung nach Glaubwürdigkeit sind hierbei von zentraler Bedeutung. Wahrheitsanspruch und Lügen-Erkennbarkeit, für populärwissenschaftliche Literatur zentrale Bereiche, werden ebenfalls diskutiert und für eine Theorie der Lüge in der Linguistik ausgewertet. Außerdem wird gezeigt, ob LÜGEN als Missbrauch von Sprache bezeichnet werden kann oder ob es sich vielmehr um den korrekten Gebrauch von Sprache handelt - nur eben mit anderen Zielen. Schließlich wird eine (vorläufige) Definition des Lügens als sprachliche Täuschungshandlung gegeben. Im empirischen Teil, der sich auf die Transkription (vollständig im Anhang) einer Fernsehsendung bezieht, werden Aussagen von Politikern in Bezug auf die Sprachhandlung LÜGEN untersucht. Hier werden die im theoretischen Teil erarbeiteten Ansätze erprobt, so dass deutlich wird, was eine linguistische Theorie der Lüge leisten kann - und was sie gerade nicht vermag.
Textprobe: Kapitel II.11 Indirektes Lügen: Indirektes Lügen kann auch als falsches Implizieren betrachtet werden. Voraussetzung ist wiederum nicht, dass ein Sprecher die Wahrheit kennt, sondern [...] it only matters what the speaker believes to be the case. Vor diesem Hintergrund kann ein Hörer durch das Schlussverfahren einer konversationellen Implikatur – wenn man die Einhaltung des Kooperationsprinzips als das Mitteilen von Information jeglicher Art betrachtet – das Implizierte q erschließen. Dabei gilt folgende Definition: Ein Sprecher A behauptet zu t, dass p A gibt q dabei als das von ihm Fürwahrgehaltene aus q ist aus p ableitbar gleichzeitig jedoch kann der Sprecher nicht auf q festgelegt werden. Außerdem spielt bei Implikaturen die Situation eine entscheidende Rolle: [...] implicatures are additional propositions arising from the situation of the utterance. Ein Sprecher intendiert bei einer konversationellen Implikatur dadurch, dass er p äußert, dass ein Hörer q daraus ableitet. Wenn q nicht dem entspricht, was der Sprecher glaubt (meint: fürwahrhält), dann liegt eine Lüge vor, wie mein Beispiel zeigt. C, ein Student der Geisteswissenschaften, ist durch die Führerscheinprüfung gefallen. Student A fragt seine Kommilitonin B über deren Freund C, ob dieser seinen Führerschein bestanden hat. B antwortet (p): Taxifahrer kann er nach dem Studium jedenfalls werden. B weiß jedoch, dass C durchgefallen ist (dass nicht-p). Der Student A erschließt anhand der Äußerung p, das Implizierte q: (1) B hat die Maxime der Relevanz verletzt, aber ich gehe davon aus, dass B weiterhin kooperativ ist und das Gespräch nicht beenden möchte. (2) Relevant ist der Beitrag nur, wenn ich annehme, dass B behaupten möchte, dass ihr Freund die Führerscheinprüfung bestanden hat, denn zum Taxifahren benötigt man einen Führerschein. Außerdem kenne ich das Klischee über Studenten der Geisteswissenschaften, dass diese oft Taxifahrer mit akademischem Abschluss seien. Und ich weiß, dass B dies weiß. (3) B weiß, dass ich durch Überlegungen zu Schritt (2) kommen kann und dass ich somit glaube, dass C die Prüfung bestanden hat. A wird durch das falsch implizierte q belogen, obwohl p sowohl objektiv wahr ist als auch von B fürwahrgehalten wird. Es wird deutlich, dass im konkreten Sprachgebrauch kein Unterschied gemacht wird zwischen einer Lüge mittels einer unwahrhaftigen Behauptung oder als unwahrhaftige Implikatur. Lediglich der Grad des Belogen-Werdens variiert dadurch, dass B nicht auf q festgelegt werden kann, weil sie nicht behauptet, sondern nur impliziert hat, dass C seinen Führerschein bestanden habe, denn im Grunde hat sie nichts Unwahrhaftiges gesagt, sondern vielmehr mit der Wahrheit, d.h. mit einer wahrhaftigen Äußerung gelogen. Die Lüge in der Politik: Besonders auf dem Gebiet der politischen Sprachforschung oder Politolinguistik gibt es zahlreiche Ansätze, die so genannte Politikerlüge zu beschreiben. Vielfach wird auf den oft medial vermittelten Charakter von Politikersprache hingewiesen. Dies ist eine ebenso banale wie wichtige Erkenntnis, da man Politikern gleichsam bei ihrer Arbeit zuschaut. Ganz gleich ob in einer Diskussion, in einem Interview oder bei einer Debatte – immer muss die Situation unter dem Aspekt der Inszeniertheit betrachtet werden, weil sie institutionell begrenzt ist und dadurch entscheidenden Einfluss auf die Kommunikation hat. Daher ist es auch problematisch, das alltägliche Verständnis von Begriffen wie z.B. Glaubwürdigkeit auf die Politik unreflektiert zu übertragen. Dass durch Paraphrasierung jede Politikeraussage richtig verstanden werden könne und dass dadurch die wahren Absichten von Politiker deutlich würden, wie Holly behauptet, ist meiner Meinung nach nicht möglich. Darin folge ich Roth, denn [d]ie Existenz objektiver im Sinne neutral analysierender Paraphrasen ist nicht vorstellbar. Die Lüge in der Politik kann jedoch auch wie im Alltag, wenn sie explizit genannt wird, mit Sanktionen geahndet werden. Darüber hinaus ist bis heute eine spezielle Art der Skandalisierung der Politik entstanden, ja eine Pauschalisierung allen Lügens, so dass jede aufgedeckte oder auch nur vermutete Lüge sofort schärfste Kritik nach sich zieht – bis hin zur Rücktrittsforderung. Bisher wurde oft die Einbindung der Politiker in bestimmte Netzwerke und ihre politische Sozialisation vernachlässigt, die gerade aufgrund von Kompromissen, internen Entscheidungen und diplomatisch-taktischen Erwägungen so kompliziert ist, dass man sich zurecht fragen kann: Ist aber wirklich jeder wahrheitswidrig formulierte Sachverhalt eine Lüge? Zu bedenken ist hierbei auch die Frage, in welchem Rahmen das Lügen Macht verleiht und wie sie Herrschaft stabilisiert. Weiterhin gibt es zahlreiche Analysen von Einzelfällen, in denen die Strategien von Politikern, die gelogen haben, aufgezeigt werden – teilweise mit ungerechtfertigter Verallgemeinerung und fragwürdigen Schlussfolgerungen. Hier wird jedoch deutlich, dass eine linguistische Untersuchung vor allem auch diese Umstände, die besondere Situation neben der spezifischen Motivation, berücksichtigen muss, um über nur theoretische Annahmen hinausreichende Ergebnisse im Hinblick auf eine nicht nur politische sondern auch alltägliche pragmalinguistische Lügenforschung zu gelangen.
Dennis Strömsdörfer hat in Braunschweig, Stockholm und Kaiserslautern Germanistik, Soziologie und Erwachsenenbildung studiert. Zunächst arbeitete er in der Redaktion Deutsch/Gesellschaftswissenschaften des Westermann-Schulbuchverlags in Braunschweig. Von 2006-2008 war er Stipendiant der Robert Bosch Stiftung und als Gastlektor für Deutsch in Belgorod, Russische Föderation, tätig. Seit September 2008 arbeitet er als Lektor des DAAD an der Staatlichen Pädagogischen Universität in Wolgograd, Russische Föderation, und unterrichtet dort in der Deutschlehrerausbildung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Interkulturelle Germanistik, Angewandte Sprachwissenschaft, Gesprächsforschung sowie Emotionen und Sprache.
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