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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Abb.: 40
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Lars von Trier gilt als agent provocateur. Mit seinem schaurigen Kammerspiel Antichrist bricht er mit allen Konventionen. Gezeigt wird ein bildgewaltiger Geschlechterkampf, dessen Exodus in der Auflösung aller Binaritäten mündet. Mann und Frau, Gott und Diabolus, Natur und Zivilisation gehen auf in einer dichotomen Weltanlage, die ihre Schuldhaftigkeit einzig in der völligen Erlösung abzulegen vermag. Psychoanalytische wie religiöse Terminologien konstituieren den Rahmen für das konfliktionäre Geschehen, das der Regisseur in alptraumhafter Bildkulisse zu entfalten weiß. Dass es sich beim Antichrist nicht um eine bloße Horrorszenerie handelt, sondern der Film als ein experimentelles Palimpsest aus unterschiedlichen Traditionslinien der Geistesgeschichte arrangiert ist, bildet den Kerngedanken der vorliegenden Szenenanaylse. Neben symbolischen Bezügen – darunter fällt auch die hochartifizielle filmimmanente Symbolsprache – werden insbesondere die filmtechnischen mittel berücksichtig. Es wird vorgeführt, dass in Lars von Triers dialektischem Verfahren aus Grenzziehung und Grenzüberschreitung eine Bewegung der zunehmenden Irrealisierung festgestellt werden kann und dies zugleich die Grundlage zur Schaffung eines eigenen, neuen Mythos bietet. Entgegen der mehrheitlichen Unterschätzung des Werks innerhalb der Forschung unternimmt der vorliegende Band einen Rettungsversuch, indem er die Bedeutung des Antichrist im Rahmen einer bislang ersten Einzelanalyse des Films für das Gesamtœuvre Lars von Triers hervorhebt.
Textprobe: Kapitel 2., Der Prolog: Der Fall aus dem Paradies: 2.1., Die Introspektion Edens: Bereits dem Prolog kommt eine handlungsbestimmende Funktion zu. In der Dramentheorie dem eigentlichen Geschehen vorgesetzt, beschreibt er auch in von Triers Arrangement eine Art Vorzustand, was insbesondere in der vom übrigen Film differenten Verwendung filmischer Mittel zum Tragen kommt. Die offensichtlichste Hervorhebung erfolgt über die schwarz-weiß Kontrastierung der Bilder. Diese erinnert wie in anderen Filmen des Regisseurs neben den großen Traditionslinien des Expressionismus, der Schauerromantik (hier sei insbesondere auch auf die Nähe zum dunklen Märchentypus verwiesen) vor allem an die des Film Noirs, der als künstlerische Urform des Kinos gelten darf. Streng in der Slow-Motion gehalten sowie mit Händels himmlisch klingenden ‘Lascia cio Pianga’ unterlegt, lässt der Prolog insgesamt auf einen mythischen Vorraum schließen. Der Mythos versteht sich immer als schöpferische Ausgeburt des Menschen und dient nicht selten dazu, die Welt in einem Narrativ zu erklären. Als kulturelles Artefakt ist auch ‘diese Musik [...] das Gegenteil von ‚Natur’, sie ist das Gemachte schlechthin’ und trägt in ihrer historischen Lokalisierung im Barock dazu bei, die Aura der Kulturverortung wesentlich zu unterstreichen. Die Szene wirkt geradezu irreal, da die Bild-Musik-Korrespondenz einen beinahe ideal-harmonischen Einklang erzeugt. Ruhig und behutsam schwingen die Bilder zum barocken Musikreigen, der einen melancholischen und entschleunigten, auf den Genuss des Augenblicks ausgerichteten Zeithorizont impliziert. Man könnte auch sagen, dass alles, was den Anschein des Irdischen vermittelt, dem profanen Zeitverlauf gewissermaßen entzogen und einer metaphysischen Linearität zugeordnet ist. Wie nur in einem surrealen Traum denkbar, vollzieht sich der Koitus der beiden Protagonisten in Zeitlupe, gleiches gilt für die umgeschüttete Wasserflasche sowie selbstredend für das aus dem Fenster stürzende Kind Nick. Eine Szenerie, welche nicht nur irreal, weil zeitlich ins Unwirkliche verschoben, sondern ferner als paradiesischer Vorzustand zu charakterisieren ist, was sich allerdings erst im Laufe des Filmes gänzlich entfalten wird. Das wesentliche Indiz dafür liefert wohl jener Wald, in dem sich die Protagonistin mit ihrem Sohn vor dessen Tod häufig aufhielt und gleichsam zum unheimlichen Schauplatz des weiteren Hergangs werden soll: Es geht um Eden – der heilige Urort, der nicht nur in der Bibel dem Menschen verloren geht. Ebenso Lars von Triers Hauptfiguren, welche aufgrund ihrer Namenlosigkeit sowie ihrer Geschlechterkonstellation assoziativ für Adam und Eva zu stehen scheinen, sind von Anbeginn Zerstörungsfantasien ihres eigenen Paradieses. Provoziert in der Genesis noch die Frucht vom Baum der Erkenntnis die verheißungsvolle Triebnatur, der Eva nicht zu widerstehen weiß, assoziiert der Regisseur in seiner zeichenhaften Anordnung schlichtweg die sexuelle Verführung mit dem Verlust des heilen Urzustands. Sowohl in der Heiligen Schrift als auch im ‘Antichrist’ sind Frau und Mann nackt, in zweierlei Geschichten werden sie Opfer ihrer Triebe. Auch die Folgen daraus sind schließlich ähnlich: Fatal heißt es in der Bibel nach der köstlichen Verzückung: ‘Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz’ (Gen 3,7) Schlüssel aller Erkenntnis wird somit die Scham. Auch die Protagonistin des Films wird später in schamhaftem Schuldkomplex beklagen, dass gerade die Unaufmerksamkeit, bedingt durch ihren sexuellen Verkehr mit dem Ehemann, Ursache des Unglücks sei. So sucht auch diese Frauenfigur in der Scham die Erkenntnis. Inwiefern der Wald als solcher eine weitere Analogie zum Garten Eden birgt, werde ich an anderer Stelle noch aufgreifen. Wohingegen der Wald sich im Film sodann als ein verlorener Urzustand darstellen wird, enthält zumindest noch der Prolog das Schillern dergleichen. Doch die Idylle trügt und wird sich bald schon ins Unheimliche wenden.
Björn Hayer, geboren 1987 in Mannheim, studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Mainz. Neben seiner Tätigkeit als Literaturkritiker für verschiedene Tageszeitungen, darunter 'Die Welt' und die 'Stuttgarter Zeitung', arbeitet er als freier Literaturwissenschaftler. Aus seinem sich schon während des Studiums herausgebildeten Forschungsschwerpunkt innerhalb der germanistischen Medien entstand die kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Grenzbereich zwischen Literatur und Film. Der vorliegende Untersuchungsband zu Lars von Trier entstand in Vorbereitung auf die Vortragsreihe 'Meisterregisseure' in Karlsruhe 2012.
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