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Kunst & Kultur

Timm Steenbock

Kafka bei Adorno und Benjamin: Versuch über eine hermeneutische Konstellation

ISBN: 978-3-95850-662-6

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die rätselhaften Werke von Franz Kafka bilden bis heute einen wichtigen Teil der deutschsprachigen Literaturwissenschaft und haben eine Fülle von Forschungsliteratur hervorgebracht. Auch Vertreter der Kritischen Theorie haben die Produktion Kafkas untersucht und ihn damit in die Geistesgeschichte der Frankfurter Schule aufgenommen. Diese Studie widmet sich Walter Benjamins Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages und Theodor W. Adornos Aufzeichnungen zu Kafka, zwei zentralen Beiträgen der Kafkarezeption: Für sich genommen sind Adornos und Benjamins Essays aufgrund ihrer Einbettung in soziophilosophische Zusammenhänge, ihrer gewollten Diskontinuität und der übersteigerten Prägnanz kaum zu erfassen. Der Autor ordnet die anspruchsvollen Primärtexte zunächst in die Strukturen der Kritischen Theorie ein, um sie anschließend detailliert zu untersuchen. Dadurch gelingt es ihm, die Texte in besonderer Klarheit für den Leser verständlich zu machen und ihrem Wert für die Kafkarezeption gerecht zu werden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2, Frühe Rezeption – Religion und Unbewusstes: Die Auseinandersetzung mit Kafkas Prosa beginnt bereits zu seinen Lebzeiten. Auch wenn die Rezeption erst nach seinem Tode Ausmaße angenommen hat, die Susan Sontag von einer »Massenvergewaltigung« haben sprechen lassen, ist die Annahme falsch, dass Kafka während seines Lebens kaum jemandem bekannt gewesen sei. Peter Beicken nennt Kafkas Freund und Verleger Max Brod den »eigentliche[n] Promoter von Kafkas Ruhm« und Waldemar Fromm erweitert diese Diagnose, wenn er feststellt, dass die »erste Rezeptionsphase bis zu Kafkas Tod […] durch die Kenntnisse der Person Kafkas mitbestimmt« ist und dadurch Merkmale der Person »auch auf die Texte Kafkas angewandt« werden. Die Bedeutung Brods für die Kafkarezeption wird gemeinhin ambivalent beurteilt. Hierbei ist zunächst zwischen dem Verleger Brod und dem Interpreten Brod zu differenzieren. Was erstere Rolle betrifft, ist ihm überwiegend Dank zuteil geworden für die Herausgabe insbesondere der nachgelassenen Schriften, die, wäre es nach dem Willen ihres Verfassers gegangen, nie an die Öffentlichkeit gelangt wären. Die Editionspraxis ist hingegen Ziel harscher Kritik geworden und Brod ist unterstellt worden, »daß er bei der Edition des Kafkaschen Nachlasses äußerst selbstherrlich und nachlässig vorgegangen sei. Die Klage darüber, daß man sich bei allen Interpretationen auf einer ungesicherten Textbasis bewegte, wurde bald zum Leitmotiv«. Für das Problem einer nicht an allen Stellen zuverlässigen Textgrundlage, mit der die frühren Kafkainterpreten gearbeitet haben (der erste Band der Kritischen Kafka-Ausgabe ist 1982 erschienen), soll an dieser Stelle ein vergegenwärtigender Hinweis ausreichen, da sowohl Benjamins als auch Adornos Essay im Ergebnis hiervon in dem Sinne nicht maßgeblich betroffen sind, als ihre Blickwinkel weniger von sprachlichen Details abhängig sind als beispielsweise eine streng philologische Herangehensweise. Wie bereits erwähnt, ist Brod aber nicht nur Kafkaverleger, sondern auch Kafkainterpret gewesen. Im Folgenden sollen einzelne Aspekte seiner Deutung schlaglichtartig herausgestellt werden, da Brods Positionen nicht zuletzt aufgrund seiner Freundschaft zu Kafka und – nach dessen Tod – seiner Funktion als Nachlassverwalter weite Verbreitung gefunden haben. Hervorzuheben ist, dass bei Brod zwei Schwerpunkte zusammenfallen. Das ist zum einen die Fokussierung auf Kafkas Person und zum anderen die religiös imprägnierte Perspektive auf dessen Werk. Noch zu Kafkas Lebzeiten veröffentlicht Brod im November 1921 ein Portrait seines Freundes in der Neuen Rundschau, das Peter Beicken als »Überhöhung und unzulässige Mythologisierung Kafkas« bezeichnet. Dieser Bewertung kann in Anbetracht von Brods maßstabsloser Beurteilung zugestimmt werden. So heißt es in seinem Portrait: »Wo anfangen? – Es ist einerlei. Denn zu dem Besonderen dieser Erscheinung gehört es, daß man von jeder Seite hier zu demselben Ergebnis kommt. | Schon das zeigt, wie sehr Wahrhaftigkeit, unerschütterliche Echtheit, Reinheit sie ist. Denn Lüge bietet nach jeder Seite hin einen anderen Anblick, und das Unreine schillert. Hier aber, bei Franz Kafka, und es sei gesagt: bei ihm allein, im ganzen literarischen Umkreis der Moderne, gibt es kein Schillern, keinen Prospektwechsel, keine Verschiebung der Kulissen. Hier ist Wahrheit und nichts als sie.« Prädikate wie »wahr«, »echt« und »rein« werden hier Kafka als »Erscheinung« zugeschrieben. Wenn Brod im Anschluss hieran auf die Sprache Kafkas eingeht, könnte man annehmen, dass die genannten Prädikate sich ebenfalls auf diesen Bereich beschränken würden. Allerdings führt er die »kristallklare« Sprache lediglich als beispielhafte Begründung für die vorgenommene Prädikatisierung der (Gesamt)»Erscheinung« an. Weiter schreibt er über die Sprache: »Würden die Engel im Himmel Witze machen, so müßte es in der Sprache Kafkas geschehen. Diese Sprache ist Feuer, das aber keinen Ruß hinterläßt. Sie hat die Erhabenheit des unendlichen Raumes, und dennoch zuckt sie alle Zuckungen der Kreatur. « Neben dieser begrifflich äußerst unscharfen Stilisierung des »Phänomens« Kafka und der etwas blumig wirkenden Lobpreisung von Kafkas Sprachverwendung finden sich in Brods Portrait bereits Aspekte einer religiösen Deutung. Wenn die Zwirnspule Odradek in der Erzählung Die Sorge des Hausvaters auf die Frage, wo sie wohnen würde, antwortet, dass sie keinen festen Wohnsitz habe, dann erkennt Brod hierin das jüdische Volk wieder: »Da versteht man, daß Kafka neben allgemeiner Menschheitstragik insbesondere das Leid seines unglücklichen Volkes, des heimatlosen, gespenstischen Judentums, der Masse ohne Gestalt, ohne Körper schreibt, wie kein anderer sonst. […] Will man aber Parallelen für die ungezwungene Bedeutsamkeit und Deutlichkeit seiner Träume, so muß man kabbalistische Bücher des sechzehnten Jahrhunderts aufschlagen, blutsverwandte Bücher, die er nie gelesen hat […]«. Beicken resümiert hierüber zutreffend, dass Brod »am Anfang einer eingeengten Deutung Kafkas [stehe], die große Nachfolge gefunden hat und deren Hauptvertreter zugleich Brod selbst war. « Hiermit ist gemeint, dass Brod und seine Nachfolger durch eine allegorische Lesart zu eindeutigen (in diesem Fall religiösen) Bestimmungen und Interpretationen der Texte gekommen sind und dabei unauflösbare Spannungen ignoriert bzw. unreflektiert eingeebnet haben. Ein signifikantes Beispiel hierfür ist Brods Deutung in seinem Nachwort zur ersten Amerika-Ausgabe: »In allen drei Romanen geht es um die Einordnung des Einzelnen in die menschliche Gemeinschaft und, da es sich dabei um höchste Gerechtigkeit handelt, gleichzeitig um die Einordnung in ein Gottesreich «. Unbestimmtheiten aus religiöser Perspektive allegorisch aufzulösen, ist mithin als ein Paradigma der frühen Kafka-Rezeption zu verstehen. Mit erneutem Hinweis auf den skizzenhaften Charakter der hier gebotenen Darstellung sei noch erwähnt, dass neben anderen Rezensionen, meist aus Kafkas Bekanntenkreis, bereits früh Versuche einer psychologischen Deutung unternommen worden sind. Für Michael Müller gilt ein von Hellmuth Kaiser 1931 in der Zeitschrift Imago veröffentlichter Artikel als »die erste psychologische Deutung von Kafkas Gesamtwerk«. Ziel einer solchen autororientierten Analyse ist es, das Unbewusste des Produzenten als Entstehungsbedingung seiner Kunst zunächst zu bestimmen und anschließend zu untersuchen. Kaiser kommt bei seiner Analyse zur Diagnose einer Triebstörung. Im Detail werden bestimmte Motive im Sinne der Freudschen Psychoanalyse ausgedeutet. Ein Beispiel: Rotpeters Trinken aus der Schnapsflasche in Ein Bericht für eine Akademie (für Brod eine allegorische Zivilisationskritik) interpretiert Kaiser wie folgt: »So bedeutet das Schnapstrinken des Affen zwar eine Wiederbelebung der Sauglust der oralen Phase, aber die Flasche ist nicht – oder nicht nur – ein Abbild der mütterlichen Warze, sondern auch und vorwiegend ein Symbol des väterlichen Penis, der verschlungen und so durch Einverleibung zum eigenen (Ersatz-)Penis gemacht werden soll. Das Endziel des Schnapstrinkens ist nicht Befriedigung einer Sauglust, sondern die Gewinnung phallischer Lust. « Die Kritik, die von Gegnern einer solchen psychoanalytischen Untersuchung von Literatur herangetragen wird, lässt sich etwas verkürzt etwa so formulieren: Es sind weder die tiefenpsychologischen Strukturen des Autors noch die des intendierten Lesers, des Erzählers oder der literarischen Figuren freilegbar der Versuch wäre mithin spekulativ.

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