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- Josef K.! Schuldig oder nicht schuldig? Von der Macht in Kafkas „Der Proceß“
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
In Bezug auf die elementare Relevanz des Motivs der Macht in Franz Kafkas Gesamtwerk beschrieb die Forschung bereits vor einigen Jahren Kafka als den größten Experten der Macht . Grund genug, der Macht in Kafkas Roman Der Proceß nachzuspüren. Arbeitsgrundlage für dieses Buch ist die Originalfassung des Romans nach den Handschriften Kafkas. Die Studie wirft einen genauen Blick auf die Machtstrukturen, die einzelnen Instanzen und Träger von Macht. Dies sind im Proceß die Personen der Gerichtswelt: Wächter, Richter und andere. Um die Wirkung der Macht, die aufgrund ihrer bloßen Existenz nicht nur für den Protagonisten, sondern auch für den Leser unerklärbar bleibt, zu veranschaulichen, interpretiert dieses Buch die jeweiligen Einzelstrukturen umfassend und schlüsselt sie nachvollziehbar auf. Schauplätze der Macht, Perspektive, Erzählweise und Schuld zählen zu den weiteren Aspekten, mit denen sich der Autor auseinandersetzt, bevor er am Ende zu einer abstrakteren Machtdefinition mit vier Thesen gelangt.
Textprobe: Kapitel 2.5, Schauplätze der Macht: Dieses Kapitel ist den äußeren Umständen im ‘Proceß’ gewidmet, den Örtlichkeiten, an denen sich die Macht offenbart. Um den Umfang der Analyse im angemessenen Rahmen zu halten, werde ich hier nur eine Lokalität in ausführlicher Form untersuchen. Als Beispiel wird der Untersuchungssaal innerhalb des Gerichtsgebäudes aufgrund seiner Eigenschaft als wesentlicher Schauplatz des Prozesses einer näheren Betrachtung unterzogen. Falls sich die Macht des Gerichts – außer ihrer angenommenen allgegenwärtigen Anwesenheit – auch in besonderer Weise an bestimmten Orten zeigt, so müssten die Räume und Gänge im Gericht primär davon gekennzeichnet sein. Genau dies ist auch der Fall, es sei erneut an die ‘Atmosphäre der Macht’ erinnert, welche oben bereits erwähnt wurde. Es ist diese schlechte, krank machende Luft, die K. in den verwirrenden Gängen des Gerichts schwindeln lässt. Vor allem im Kapitel ‘Erste Untersuchung’ lassen sich des Weiteren einige räumliche Besonderheiten aufzeigen. Nebenbei gesagt, spielen laut Honegger nicht nur die Räume selber, sondern auch die Türen und deren Durchschreiten eine gewichtige Rolle für K.: Es ‘fällt auf, daß Josef K. kaum je einen Durchgang, eine Türöffnung durchschreitet, ohne daß sich dabei irgendwelche besonderen Beobachtungen machen ließen. Sie erscheinen zunächst vielleicht zufällig und bedeutungslos, weisen dann aber durch ihre häufigen Entsprechungen darauf hin, daß das Überschreiten von Schwellen für K. offenbar grundsätzlich mit Schwierigkeiten verbunden ist und die Überwindung von Widerständen und Hindernissen bedeutet.’ Auch hier bemerkt der Protagonist nach dem Eintreten in den Versammlungssaal (eher ein ‘mittelgroßes […] Zimmer’) erneut eine ‘Luft’, die ihm zu ‘dumpf’ ist, was ihn zunächst den Raum wieder verlassen lässt. Beim erneuten Betreten bietet sich K. sodann ‘ein Gedränge der verschiedensten Leute’, der Einzelne taucht in der anonymen Masse unter und verliert seine Individualität. ‘Der Raum tritt hier stark zurück zugunsten des ihn füllenden Gedränges’, es gibt keinen Platz für das einzelne Subjekt, weil jeder lediglich hinsichtlich seiner Funktion dem Gericht unterstellt ist, welche zu diesem Zeitpunkt die des Zuschauers ist. Vor dem Hintergrund, dass womöglich alle Menschen im Raum, außer K., zum Gericht gehören, bildet sich eine bedrohliche Kulisse gegenüber dem Angeklagten. Allerdings wissen weder Josef K. noch der Leser zu diesem Zeitpunkt davon, erst gegen Ende des Kapitels gehen beiden sozusagen die Augen auf. Das Zimmer besitzt eine ‘Galerie’, die sich ‘knapp an der Decke’ befindet, im Ganzen gesehen ‘gleicht [der Sitzungssaal] in seiner räumlichen Gliederung einem Theater mit Parkett, Galerie und Bühne.’ Im Raum besteht eine ‘Atmosphäre’ aus ‘Dunst und Staub’, außerdem liegt das ganze Geschehen im ‘Halbdunkel’. Dies deutet bereits die Undurchsichtigkeit des gesamten Prozesses an, genauso wenig wie K. hier mit seinen Augen den ‘vollen Durchblick’ zu den Leuten auf der Galerie erlangen kann, besitzt er die Möglichkeit, seinen Prozess zu durchleuchten. Die sich auf der Galerie befindlichen Zuschauer können nicht aufrecht stehen und müssen in gebückter Haltung ausharren, wobei sie ‘mit Kopf und Rücken an die Decke’ stoßen. Es ist nicht klar, ob das Publikum dort oben ebenfalls direkt zum Gericht gehört, denn die Galeriebesucher werden bei der Störung durch die Wäschefrau zum letzten Mal erwähnt und finden im weiteren Text keine Beachtung mehr. Somit bleibt auch ungewiss, ob sie dieselben Abzeichen wie die Leute unten im Saal besitzen. Auch als K. am Sonntag darauf erneut das leere Verhandlungszimmer betritt, wird die Galerie selbst überhaupt nicht mehr erwähnt, ‘dieses kommentarlose Fallenlassen von Gegenständen ohne eine noch so kleine `Ausführung´ […] ist typisch für die subjektive Erzähllogik Kafkas.’ Frey nimmt an, dass die Menschen auf der Galerie Bewohner der Juliusstraße seien, die Zugang zu K.s Verfahren erhalten hätten. Wahrscheinlich gehören sie nicht in dem Maße dem Gericht an wie die Anwesenden im Parkett, allerdings kann eine gewisse Verpflichtung dem Gericht wohl nicht abgestritten werden, weil in einer gewissen Weise alles zum Gericht gehört. Dessen ungeachtet, zeigt sich im übertragenen Sinn somit auch hier die Macht des Gerichts: Es ist kein Platz für die Würde der Galeriebesucher erwünscht, wer sich bückt, der zieht sich sozusagen zurück, lässt alles über sich ergehen und leistet keinen Widerstand. Deren gebückte Haltung erinnert außerdem an diejenige des Kaufmanns Block, der sich vor seinem Anwalt erniedrigt, womöglich sind also auch sie in irgendeiner Form Bittsteller oder sogar Angeklagte. Weiterhin lassen sich die gebeugten Köperstellungen auch im Sinne einer ‘Machtstütze’ interpretieren, man fühlt sich an Atlas, den Weltenträger erinnert. So wären die Menschen auf der Galerie nicht nur Unterdrückte, sondern vor allem auch Unterstützer, die dem Gerichtssystem zur Stabilität verhelfen. Ohne diese ‘Pfeiler’ würde das Machtgefüge in sich zusammenbrechen, weil es keine Untertanen gäbe, die den Willen und die Befehle von oben ausführen könnten oder dieselben über sich ergehen ließen. Wie unangenehm und schmerzhaft die Last der ‘Leute auf der Gallerie’ ist, zeigt sich im folgenden Zitat: ‘Manche hatten Pölster mitgebracht, die sie zwischen den Kopf und die Zimmerdecke gelegt hatten, um sich nicht wundzudrücken.’ An einem Ende des Saales befindet sich das Podium, auf dem Tisch und Sessel des Untersuchungsrichters stehen. Die erhöhte Lage hebt das Podium einerseits vom Zuschauerraum ab, andererseits herrscht dort oben genau dasselbe Gedränge wie unten, was die Sonderstellung dieser ‘Bühne’ bereits wieder relativiert. K. kann sie erst betreten, als ein anderer seinen Platz verlässt, und selbst dann ist das Gedränge hinter ihm so groß, ‘daß er ihm Widerstand leisten mußte, wollte er nicht den Tisch des Untersuchungsrichters und vielleicht auch diesen selbst vom Podium hinunterstoßen.’ Es zeigt sich erneut eine Einschränkung der Freiheit, wie sie Josef K. bereits unten im Saal erdulden musste. Dies kann als Verweis auf den Schluss dieses Kapitels gedeutet werden, wo sich K. dieser Enge bewusst wird und fast in Panik den Ausgang des Verhandlungszimmers aufsucht. Im ‘Proceß’ gibt es weitere Räume und Örtlichkeiten, die einer näheren Betrachtung würdig wären. Es seien zum Ende dieses Kapitels noch einige kurze, abschließende Bemerkungen dazu gestattet. Der Dom im neunten Abschnitt des Romans stellt in seiner Erscheinungsweise einen bemerkenswerten Schauplatz dar. Besonders der Übergang der Lichtverhältnisse vom Hellen (K. sieht ‘von weitem’ einen Diener in einer Tür verschwinden) bis zur beinahe totalen Finsternis (‘denn es wurde so dunkel, daß er, als er aufblickte, in dem nahen Seitenschiff kaum eine Einzelheit unterscheiden konnte.’) fällt besonders auf und lässt das Bauwerk eine Beziehung zur Gerichtswelt herstellen. Denn erneut fehlt Josef K. der klare Blick, er hat keine ungehinderte Sicht mehr auf das, was geschieht. Und zum wiederholten Male verliert er den Überblick: ‘`Nun´, sagte der Geistliche und reichte K. die Hand, `dann geh.´ `Ich kann mich aber im Dunkel allein nicht zurechtfinden´, sagte K.’ Wie bereits in den Gerichtskanzleien ist K. auch hier auf fremde Hilfe angewiesen, um zum Ausgang zu gelangen. Es ist Hilfe, die er dort und im Dom stets findet, die ihm aber bei seinem Prozess letztendlich versagt bleibt. Vielleicht gehört diese wiederkehrende Orientierungslosigkeit K.s und die kurz danach geleistete Unterstützung anderer zu den ‘Verführungen der Macht’, denn immer wieder verliert K. den Überblick und damit die Hoffnung, doch anschließend taucht der jeweilige Retter auf, der ihm somit indirekt symbolisiert, dass es auch für seinen Prozess Hoffnung gibt, sodass Josef K. in seinen Bemühungen nicht aufgeben kann. Der letzte Schauplatz im Leben des Protagonisten ist der Steinbruch, ein Ort, ‘verlassen und öde’, von einer ‘Natürlichkeit und Ruhe’, die ihm das Mondlicht verleiht. Die Hinrichtungsstätte bildet sozusagen einen Mittelpunkt zwischen der Figur K., die vom Land stammt und dem K., der in der Stadt lebt und arbeitet und dadurch auch seinen Niedergang bewirkt hat. So zeigt sich eine womögliche Zerrissenheit K.s, was seine Herkunft in Bezug auf sein städtisches Leben betrifft, sicherlich aber vor allem ein Gegensatz, der parallel zum Kontrast Leben – Tod besteht. Der Steinbruch als Todesstätte spielt dabei eine Vermittlerrolle und deutet eine dritte und unbekannte Möglichkeit an, vielleicht eine andere Welt, die der Protagonist aber erst durch seinen Tod erfahren kann.
René Jochum, M.A., wurde 1979 in Hechingen geboren. Sein Studium der Germanistik mit Schwerpunkt Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, der Psychologie und der Kommunikationswissenschaft an der Universität Augsburg schloss er im Jahr 2005 mit dem Titel Magister Artium erfolgreich ab. Seine Leidenschaft für die deutsche Sprache verwirklicht er im Berufsleben als Berater in einer Agentur für Öffentlichkeitsarbeit, seine Kreativität bringt er im Privatbereich an Klavier und Schlagzeug zum Ausdruck.
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