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- Homosexualität in den Texten Wolfgang Herrndorfs. Motive – Perspektiven – Reflexionen
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2018
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Als ein bedeutender Autor der Gegenwartsliteratur ist Wolfgang Herrndorf auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung von großem Interesse. Das vorliegende Buch befasst sich speziell mit dem Thema Homosexualität, das in den fiktionalen Texten des Autors immer wieder an verschiedensten Stellen auftaucht, wie z.B. in Form des schwulen besten Freundes in ‚In Plüschgewittern‘ oder zweier exzentrischer Schriftsteller in ‚Sand‘. Die entsprechenden Werke werden daraufhin untersucht, welche Funktion das Thema Homosexualität jeweils einnimmt und welche Parallelen sich in dieser Hinsicht zwischen den Texten erkennen lassen. Denn auch wenn Homosexualität nie eine zentrale Rolle einnimmt und auf den ersten Blick vielleicht als nebensächliches Detail erscheint, erkennt man bei genauerer Betrachtung, dass sie eine gewichtige Rolle spielt für die große Suche nach der eigenen Identität, der letztendlich alle Herrndorf-Figuren nachgehen.
Textprobe: Kapitel 3: Diesseits des Van-Allen-Gürtels: Dieses 2007 erschienene Werk bewegt sich zwischen den Gattungen der Erzählsammlung und des Romans, da sich zwischen den einzelnen Erzählungen starke intratextuelle Beziehungen feststellen lassen. Es gibt dabei jedoch weder eine Haupterzählung noch eine reigenartige Verknüpfung der Geschichten. In diesem Erzählband spielt das Thema Homosexualität vor allem in der ersten Erzählung Der Weg des Soldaten eine wichtige Rolle. Der beste Freund des Protagonisten erweist sich hier zwar nicht als homosexuell, aber als bisexuell, was homosexuelle Handlungen mit einschließt. Es soll gezeigt werden, dass sich auch beim Erzähler selbst homoerotische Tendenzen erkennen lassen, die er jedoch ablehnt und verdrängt, da er sie nicht in sein Selbstbild integrieren kann. Des Weiteren sollen kurz die Erzählungen Im Oderbruch , Herrlich, diese Übersicht und Zentrale Intelligenz Agentur Erwähnung finden, in denen das Thema Homosexualität allerdings eine weniger bedeutende Rolle spielt. 3.1: Der Weg des Soldaten: In dieser Erzählung lernt der namenlose Ich-Erzähler Franco Cosic kennen. Beide beginnen gerade ihr Kunststudium und während Franco bereits nach kurzer Zeit erste Erfolge verbuchen kann, arbeitet der Erzähler immer mehr in einer Autolackiererei, anstatt sich seinem Studium zu widmen. Schließlich kommt auch Francos Freundin Mara in die Stadt, von der der Erzähler fasziniert ist. Als Franco denkt, sie habe eine Affäre, trifft er sich mit dem anderen Mann, den er im Nachhinein als Adonis bezeichnet, und entdeckt mit diesem seine Bisexualität. Der Erzähler reagiert auf diese Offenbarung mit Unverständnis und Ekel. Gegen Ende der Erzählung fahren alle vier zusammen nach Italien, allerdings werden sowohl der Adonis als auch der Protagonist von Mara und Franco an verschiedenen Raststätten zurückgelassen. Als Franco und der Erzähler sich zu Beginn des Studiums wieder treffen, nachdem sie sich während der Aufnahmeprüfungen kennengelernt haben, hat letzterer noch keine anderen sozialen Kontakte geknüpft. Deshalb umarmt er Franco leidenschaftlich , als dieser mit seinem Zettel vom Schwarzen Brett (ein Gesuch für einen Mitbewohner) wie mit einem Liebesbrief winkend vor ihm steht. Über seine Gefühle beim Wiedersehen lässt uns der Erzähler größtenteils im Unklaren. Möglicherweise ist er so einsam und ausgehungert nach sozialen Kontakten, dass er sich tatsächlich riesig freut den etwas verwahrlosten Franco zu sehen und in seine Wohnung aufzunehmen. Andererseits sind Begriffe wie Liebesbrief und leidenschaftlich in diesem Kontext eine ungewöhnliche Wortwahl und können auch andeuten, dass der Erzähler ein romantisches Interesse an Franco hat, anstatt ihn nur als Mitbewohner haben zu wollen. Diese Andeutung wird allerdings dadurch wieder aufzuheben versucht, dass der Erzähler anscheinend resigniert feststellt, dass er Franco wohl so schnell nicht wieder aus seiner Einzimmerwohnung raus[…] kriegen wird. Nachdem der Erzähler Franco seine Wohnung zur Verfügung gestellt hat, damit dieser sich dort mit der Affäre seiner Freundin Mara aussprechen kann, findet der Erzähler lange blonde Haare und benutze Kondome vor. Er nimmt an, Franco habe gelogen und wollte dort nur einer eigenen Affäre nachgehen. Er ist wütend und ruft ihn nicht an. Natürlich könnte die Wut nur auf die vermeintliche Lüge zurückzuführen sein, man kann sie aber auch als Zeichen der Eifersucht deuten. Wenn er selbst ein erotisches Interesse an Franco hat, ist es verständlich, dass es ihn verletzt, wenn dieser in seiner Wohnung mit jemand anderem schläft. Wie sich dann herausstellt, hat Franco sich tatsächlich mit Maras Affäre getroffen. Er beschreibt den jungen Mann als Adonis und sagt, dass er sofort verstanden habe, was Mara an ihm findet. Er redete von Liebe auf den ersten Blick und Leidenschaft. Sie hätten sich die Kleider vom Körper gerissen, es gebe nichts im Leben, was einen so voranbringe wie die Erfahrung der Bisexualität, das empfehle er übrigens auch mir. […] Glücklicherweise bekam ich den Adonis nie zu Gesicht, und ich bemühte mich auch, ihn nicht zu Gesicht zu kriegen. Es ekelte mich an. Abgesehen davon glaubte ich nicht an seine Existenz. Wenn der Adonis wirklich so hervorragend aussah, erklärte das lediglich, warum Franco unbedingt mit ihm ins Bett musste, nicht umgekehrt. Franco entsprach keinem bekannten Schönheitsideal. Wie sich zeigt, reagiert der Erzähler sehr negativ darauf, als sein Freund ihm von dieser positiven Erfahrung berichtet. Er ekelt sich vor der Bisexualität, die Franco auslebt, was im Widerspruch dazu steht, dass sich bei ihm selbst ein romantisches/sexuelles Interesse an Franco ausmachen lässt. Andererseits macht dieser Ekel Sinn, wenn man davon ausgeht, dass er mit seinen eigenen Gefühlen hadert und sie nicht mit seiner eigenen Identität vereinbaren kann ähnlich wie auch der Protagonist in In Plüschgewittern Probleme damit hat, sein eigenes homosexuelles Begehren mit seiner Person in Einklang zu bringen. Wenn man nun davon ausginge, dass zwischen dem Erzähler und Franco eine herkömmliche Freundschaft besteht, wäre der beschriebene Ekel weniger verständlich. Dies würde dann nur auf eine homophobe beziehungsweise heterosexistische Haltung seinerseits hinweisen, die dann nicht nur Produkt der problematischen Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Identität wäre. Eine allgemeine Homophobie des Erzählers kann allerdings nicht belegt werden, da sich seine Gefühle ausschließlich auf Francos bisexuelle Handlungen beziehen.
Melanie Winkler, M.A. wurde 1993 im Erzgebirge geboren. Ihr Germanistikstudium an der Universität Leipzig schloss sie im Jahr 2018 mit dem akademischen Grad des Master of Arts erfolgreich ab. Während des Studiums lag ihr Interessenschwerpunkt in den Bereichen der Neueren deutschen Literatur sowie der Gegenwartsliteratur.
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