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  • Gewaltinszenierung im Märchen: 'Hänsel und Grethel' und seine Filmadaption 'Hänsel & Gretel: Hexenjäger'

Kunst & Kultur


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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2016
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Obwohl die Brüder Grimm ihre Märchensammlungen aufgrund der geringen Verkaufszahlen und der Kritik, dass die Fassungen ihrer gesammelten Werke nicht für Kinder geeignet seien, überarbeiteten, liegt der Fokus der Debatten über Märchen auch heute noch überwiegend auf den Gewaltdarstellungen in ihren Erzählungen. Schließlich sind Märchen, seitdem sie erzählt werden, auch umstritten. Das 19. Jahrhundert und seine Romantik gaben ihnen die relevante Bedeutung in der Literatur, die sie bis heute haben. In der Nachkriegszeit wurden beispielsweise unter anderem Märchen und ihre Grausamkeiten für die in den Konzentrationslagern angewandten Methoden verantwortlich gemacht. Heutzutage gehören sie zu fast jedem Grundschulunterricht. Diese Arbeit untersucht anhand des Märchens Hänsel und Gret(h)el , wie Gewalt in Literatur und Film dargestellt und in Szene gesetzt wird. Dazu erfolgt zunächst eine Analyse des Originaltextes nach den Brüdern Grimm, danach wird die aktuellste filmische Adaption des Märchens, Hänsel und Gretel: Hexenjäger , genauer betrachtet. Der Fokus dieser Studie liegt dabei darauf, wie die gewalttätigen Aspekte der Erzählung jeweils dargestellt werden.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 4.1 Analyse der allgemeinen Gewaltdarstellungen im Text: Vorerst wird das Handlungsschema des Gesamttextes betrachtet. Es entspricht dem genrespezifischen Zweier-Rhythmus, der Funktionen Propps und dessen Reihenfolge, die er der Gattung Märchen entnommen hat. Zum einen erfolgt die ‚Schädigung‘, indem die Kinder zweimal ausgesetzt werden (Grimm et al. 1985, S. 86 Z. 27–S. 89 Z. 23). Zum anderen stellen das Verirren und Hungern im Wald (ebd., S. 89 Z. 23–31) die ‚Aussendung‘ dar. Auf das Leiden unter der kannibalistischen Hexe (ebd., S. 90 Z. 19–S. 91 Z. 31) folgt die Hexenverbrennung (ebd., S. 91 Z. 31–S. 92 Z. 3) durch Grethel (‚Entschluss zur Gegenhandlung‘). Die ‚Abreise‘ findet statt, als Grethel die Hexe im Ofen verbrennen lässt, Hänsel befreit und beide mit wertvollen Schätzen nach Hause zurückkehren. Der Konflikt und die Konfliktlösung sowie fast alle der nach Propp aufgeführten Funktionen der Handlung sind von Gewalttätigkeiten geprägt. Der Konflikt, somit die ‚Aussendung‘ und die ‚Schädigung‘, besteht aus der physischen, psychischen und verbalen Gewalt der Hungersnot und der Aussetzung der Kinder. Die Bewältigung des Konfliktes, der ‚Entschluss zur Gegenhandlung‘, erfolgt nur durch die physische Gewalt, indem die Hexe verbrannt wird. In Bezug auf die Merkmale Lüthis (vgl. Kapitel 2.1) weisen die Gewaltdarstellungen vor allem die Aspekte der ‚Flächenhaftigkeit‘ und des ‚abstrakten Stils‘ auf. Wie in Die Mutter führte sie noch tiefer in den Wald hinein, wo sie ihr Lebtag nicht gewesen waren […] (Grimm et al. 1985, S. 89 Z. 11f) oder […] aber sie verirrten sich bald in der großen Wildnis, und gingen die Nacht und den ganzen Tag, da schliefen sie vor Müdigkeit ein. Dann gingen sie noch einen Tag, aber sie kamen nicht aus dem Wald heraus, und waren so hungrig, denn sie hatten nichts zu essen, als ein paar kleine Beeren, die auf der Erde standen (ebd., S. 89 Z. 24–29) werden in fast allen Textpassagen keine Gefühle, wie hier das schlechte Gewissen der Eltern oder die Angst der Kinder, beschrieben. Es werden oberflächlich die stattfindenden Handlungen wiedergegeben. Man könnte meinen, folgende Darstellung der psychischen Gewalt sei eine Ausnahme: […] sie glaubten, der Vater wäre noch im Wald, weil sie Schläge einer Axt hörten, aber das war ein Ast, den er an einen Baum gebunden hatte, und den der Wind hin und her schlug (ebd., S. 88 Z. 7–10). Hier wird genau die Methode des Vaters beschrieben, mit der die Kinder von sich fernhält. Jedoch wird auch hier nicht die zu erwartende Enttäuschung der Kinder über den Vater erwähnt. Diese Gleichgültigkeit verwehrt dem Rezipienten die Identifizierung mit den jeweils Betroffenen. Da der Leser nur erahnen kann, was die Figur in diesem Moment empfinden könnte, wird er sich weniger hineinversetzen können. Ausnahmen sind die Darstellungen, in denen das Verb ‚weinen‘ auftritt. Einerseits wird damit beschrieben, wie Gretel unter den unterschiedlichen Gewalttaten leidet (ebd., S. 87 Z. 9 S. 88 Z. 13 S. 90 Z. 35 S. 91Z. 17). Andererseits drückt es die Erleichterung von Hänsel und Gretel bei der Befreiung aus (ebd., S.92 Z.5f). Durch die Veranschaulichung des Empfindens wirken die Gewalttaten erst grausam. Auch wenn die Geschwister […] vor Freude […] (ebd., S.92 Z.5f) weinen, zeigt das, welche Angst sie vor der Gewalt, die ihnen bevorstand, hatten. So, wie der ‚abstrakte Stil‘ für gewöhnlich nur die Extreme kennt, gibt es auch in diesem Märchen keine Kompromisse. Das stellt die Strafe, die Grethel der Hexe auferlegt, dar: Nun fing die Alte an in dem heißen Backofen zu schreien und zu jammern Grethel aber lief fort, und die gottlose Hexe mußte elendiglich verbrennen (ebd., S. 91 Z. 31–37, S, 92 Z. 1–3). Hier äußert sich die spiegelnde Strafe Röhrichs. Die Hexe muss verbrennen, da sie […] Grethel [...] in dem heißen Ofen backen, […] dann […] auch aufessen [wollte] (ebd., S. 91 Z. 25–31). Die Gewalt, die Grethel hier ausführt, scheint nicht negativ gewertet zu werden, da sie zum einen zu den Figuren des Guten gehört und zum anderen der Hexe das Gleiche antut, was die Hexe auch ihr angetan hätte. Somit scheint sich das Verhältnis der Gewalttaten auszugleichen. Die Brüder Grimm verwendeten ihren eigenen Stil, der an mehreren Merkmalen erkennbar ist. Besonders hervorzuheben sind für die vorliegende Arbeit die Diminutive und Steigerungen. […] Brothäuslein […] (ebd., S. 90 Z. 20) oder »[…] dein Brüderchen […]« (ebd., S. 91 Z. 8) drücken die Verkleinerungen aus, die Grausamkeiten reduzieren. Die Steigerungen hingegen sorgen für weitere Spannung. Die tritt auch in Hänsel und Gretel auf, wenn sie mehrmals dem tiefen Wald ausgesetzt werden und es jedes Mal aussichtsloser für sie wird zurückzukehren (ebd., S. 86 Z. 27–S. 89 Z. 29). Obwohl die Erzählinstanz dem Leser im gesamten Text als covert narrator erscheint, da sich in keiner Textstelle eine explizite Darstellung von ihr zeigt und dies für gewöhnlich eine Unmittelbarkeit mit sich bringt, wird Distanz erzeugt. Der Grund dafür ist die Erzählweise aus der Heterodiegese und die auktoriale Erzählsituation. Der Erzähler ist nicht gleichsam eine Figur und erzählt aus deren Perspektive, sondern er besitzt eine Übersicht des Geschehens. Das zeigen folgende Beispiele: Gott aber gab es dem Mädchen in den Sinn, daß es sprach »ich weiß nicht […]« (ebd., S.91 Z. 31f) und […] aber sie verirrten sich bald in der großen Wildnis, und gingen die Nacht und den ganzen Tag, da schliefen sie vor Müdigkeit ein (ebd., S. 89 Z. 24–26). Die Introspektion der Grethel-Figur bestätigt die Nullfokalisierung und somit den narrativen Modus, den die Erzählung besitzt. Auch der Adressat wird implizit dargestellt beziehungsweise nicht benannt, sodass es keinen direkten Bezug zum Leser gibt. Das bewahrt Distanz zum Geschehen. Bei der Untersuchung des Textes bezüglich des Perspektivmodells von Wolf Schmid84 fallen die ideologische, die räumliche sowie die sprachliche Perspektive auf, die in diesem Fall aufeinander aufbauen. Der Erzähler stellt das Geschehen zwar nicht aus dem Blickwinkel der Geschwister dar, jedoch bleibt er ständig bei dem Geschehen, welches die Geschwister miteinbezieht. […] aber sie verirrten sich bald in der großen Wildnis, und gingen die Nacht und den ganzen Tag, da schliefen sie vor Müdigkeit ein. Dann gingen sie noch einen Tag, aber sie kamen nicht aus dem Wald heraus, und waren so hungrig […] (Grimm et al. 1985, S. 89 Z. 24–28). Dieser beispielhafte Auszug stellt diese räumliche Perspektive dar. Die sprachliche Perspektive der Erzählung weist vereinzelt Ablehnungen gegenüber der Hexe auf, wie zum Beispiel […] die gottlose Hexe mußte elendiglich verbrennen (ebd., S. 92 Z. 2f). Beide Perspektiven zeigen, welche ideologische Sichtweise der Erzähler einnimmt. Er stellt sich eher auf die Seite des Guten. Dies kann mit dem genrespezifischen Gut-Böse-Schema zusammenhängen und der gewollten Identifizierung des Rezipienten mit der Heldenfigur. Dies führt wieder zu einer Rechtfertigung der Gewalt aus Sicht der Heldenfiguren. Der Text besteht insgesamt aus 222 Zeilen auf sechs Seiten. Nur ungefähr ein Drittel des Textes, Zeilen, weisen direkte Rede oder Gedanken auf. Das deutet auf einen diegetischen Modus hin. Die Erzählung wirkt berichtender, wenn sie weniger direkte Redeanteile besitzt. Diese ‚telling‘-Darstellung, in der sich die Figuren nicht selbst präsentieren, ist explizit. Der Erzähler übernimmt somit die Funktion eines Vermittlers. Es scheint, er stünde zwischen dem Geschehen und dem Rezipienten, wodurch Unnahbarkeit geschaffen wird. Nachdem die Erzählinstanz genauer betrachtet wurde, werden nun die Motive der gewalttätigen Figurenhandlungen untersucht. Wie bereits im zweiten Kapitel erwähnt, ist die Handlung im Märchen vorantreibend. So ist es auch in diesem Volksmärchen und die Figuren sind die Träger dieser Handlung. Das entspricht auch dem Märchenstil, der im Kapitel 2.1 beschrieben wurde. Der Literaturwissenschaftler Algirdas Julien Greimas teilt diese Rollen in sechs Aktanten ein. Zwei von den Handlungsrollen beziehen die Hauptfiguren: Hänsel und Grethel besetzen dabei die ‚Subjekte‘, somit die Heldenrollen und die Hexe die Position des ‚Opponenten‘. Die weiteren Aktanten bilden die Eltern als ‚Sender‘, die ihre Kinder dem Wald aussetzen und somit auch unwissend der Hexe. Die Hexe ist daher nicht nur ‚Opponent‘, sondern auch ‚Empfänger‘. Aus dieser Perspektive besetzen Hänsel und Grethel auch die Rolle der ‚Objekte‘. Die Position des ‚Helfers‘ besetzten Gott, der Grethel zur List führt (Grimm et al. 1985, S. 91 Z. 31ff) und die Ente, die Hänsel und Gretel zum Schluss über das Wasser trägt (ebd., S. 92 Z. 12ff). Das Handeln der Figuren ist aufgrund dieser Rollen mehr oder weniger vorgeschrieben. Das Böse muss grundsätzlich besiegt werden, wodurch die Helden die Erlaubnis haben, Gewalt auszuführen. Das Handlungsschema ‚Konflikt – Konfliktlösung‘ und das ‚Gut-Böse-Schema‘, welche signifikant für das Märchen sind, setzen diese narrativen Rollen der Opfer Hänsel und Grethel und der Täter, in diesem Fall der Hexe, voraus. Auch Opfer, die meistens durch die Heldenfiguren dargestellt werden und unter dem Bösen leiden, werden gewalttätig. In Hänsel und Grethel sind es zum einen die Eltern, die Opfer der Hungersnot werden und Gewalt zeigen, indem sie ihre Kinder aussetzen (ebd., S. 86 Z. 27–S. 89 Z. 23). Zum anderen ist es Grethel, das Opfer der Hexe und ihrer Eltern, die aktive Gewalt zeigt, indem sie die kinderfressende Hexe in den Ofen stößt und sie damit umbringt (ebd., S. 91 Z. 31–S. 92 Z. 3). Die Gründe für derartige Ereignisse beziehen sich auf die Wechselwirkung der Handlungszüge, die das Geschehen dynamisieren: Die Hexe versucht, die Kinder als Mahlzeit vorzubereiten und Grethels Reaktion darauf ist die Notwehrhandlung, das Verbrennen der Hexe. Grethels Handlung ist somit bedingt durch das Handeln der Hexe. Durch diese Rechtfertigungsthese soll die Gewalt nicht als unmenschlich und grausam empfunden werden.

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