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- George Taboris Holocaust-Theater: Witz und Groteske in „Kannibalen“, „Jubiläum“ und „Mein Kampf“
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 116
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Ziel dieser Studie ist es, anhand einer tiefergehenden Analyse der grotesken und komischen Elemente in drei ausgewählten Holocaust-Dramen von George Tabori zu Aussagen über seine Vorgehensweise zu gelangen. Diese Ergebnisse werden in einen Zusammenhang mit dem deutschsprachigen Theater gestellt, das den Kontext für Taboris Theater liefert. Tabori machte mit den Mitteln des Grotesken und des Komischen einen völlig neuen Ton im deutschsprachigen Theater, soweit es auf den Holocaust Bezug nimmt, hoffähig. Mit seinem Theater reagierte er bewusst auf zeitgenössische Stücke sowie politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Die folgende Untersuchung untergliedert sich in drei Teile. Der erste Teil skizziert die für das Verständnis von Holocaust-Literatur grundsätzlichen theoretischen Voraussetzungen, um dann mit einem Überblick über die Bewältigungsdramen der Nachkriegszeit den kontextuellen Rahmen zu liefern, in dem sich Taboris Dramen bewegen. Im zweiten Teil widmet sich dieses Buch der Analyse des Grotesken und des Witzes in Taboris Dramen ‘Die Kannibalen’, ‘Jubiläum’ und ‘Mein Kampf’. Zuletzt findet eine Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse statt.
Textprobe: Kapitel 2, Der Holocaust und seine Darstellbarkeit: Von Adorno bis Tabori: George Taboris Theater ist in Deutschland seit über 30 Jahren ein Begriff für eine konsequente, andauernde und tiefgreifende Beschäftigung mit dem Holocaust. Eines seiner zentralen Anliegen ist eine aktive Erinnerungsarbeit bezüglich der Opfer des Nationalsozialismus. Die in den Diskursen der Bundesrepublik, angefangen von den Wiedergutmachungsdebatten der 50er Jahre über den Historikerstreit von 1986 bis hin zur Goldhagendebatte von 1996, immer wieder laut werdenden Rufe nach einem Ende der Auseinandersetzung mit dem Faschismus zeigen deutlich die Relevanz dieses Theaters für die Bundesrepublik Deutschland. Um zu verstehen, unter welchen Voraussetzungen George Tabori sein Holocaust-Theater macht, ist es zunächst notwendig, die Bedenken und Einwände, die sich bei der Darstellung eines so heiklen Themas mit künstlerischen Mitteln ergeben, zu skizzieren. Parallel zu den schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit stattfindenden theoretischen Debatten um den richtigen Umgang mit dem Holocaust in der Literatur entwickelte sich eine Literatur über den Holocaust. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie sind vor allem diejenigen Theaterstücke interessant, die sich bereits vor Tabori in Deutschland dem Thema widmeten. Deswegen ist es erforderlich, eine Geschichte der deutschen Bewältigungsdramen zu liefern, in deren Folge Tabori dann seine Holocaust-Dramen produzierte. Um diesen Kontext, der für die Theaterarbeit Taboris wichtig ist möglichst greifbar darzustellen, werden auch einzelne herausragende Stücke angesprochen. 2.3, George Tabori: Die Texte George Taboris, seine Romane, Essays und besonders seine Theaterstücke werden heute fast ausschließlich in deutscher Sprache gelesen oder gehört. Der Autor Tabori, der seit seinem 25. Lebensjahr in englischer Sprache schreibt, wird inzwischen als deutschsprachiger Autor rezipiert. Auch wenn Tabori für ein deutschsprachiges Publikum Theater macht, sollte immer klar sein, dass die Textgrundlagen, sofern sie von ihm selbst stammen, auf Englisch verfasst wurden. ‘Ich wäre kein Jude, wenn die Deutschen mich nicht daran erinnert hätten. Auch das war eine ungebetene Gabe, für die ich nur dankbar sein kann. Allerdings der Preis für diese Bekehrung war zu hoch.’ Dies schrieb Tabori in seinem Essay Unterammergau oder die guten Deutschen und bringt damit sein Verhältnis zum Judentum und das zu den Deutschen gleichermaßen auf einen Punkt. Es ist definiert über die Shoa. George Tabori, aufgewachsen in einem linken und liberalen Großstadtmilieu, hätte sich über sein Jüdischsein wohl niemals Gedanken gemacht, hätten nicht die Nazis mehr als die Hälfte seiner Familie vernichtet. Zugleich begründet seine Biographie als Holocaust-Überlebender, die ihm scheinbar den Nimbus von Kompetenz und Autorität verleiht, zumindest zum Teil seine außergewöhnliche Stellung im deutschen Theater. Vom Tabubrecher zum Theaterstar der 90er Jahre entwickelte sich die sicherlich ungewöhnliche Karriere des erst ab dem Alter von 54 Jahren in Deutschland aktiven Theatermachers. ‘Was immer Tabori zu Geschichte und Gegenwart des Judentums und des Antisemitismus, zum Leben und zum Tod, zum Lieben und zum Altwerden, zu Siegen und Katastrophen des Theaters sagt und vorführt, gilt heute als Offenbarung – selbst dann, wenn an die Stelle der oft bewiesenen Brillanz von Tabori das Naheliegende, Altbekannte oder gar Banale treten’. Diese Stellung verdankt Tabori einer Stilisierung, die mit dem Erfolg von Mein Kampf 1987 einsetzte. Tabori wird zum guten Juden, der zwar schockiert, aber immer zu einem versöhnenden Gespräch bereit ist. Zudem kündigt er in Mein Kampf die Möglichkeit einer Versöhnung zwischen Juden und Deutschen an. Am Ende dieses Prozesses steht die Verleihung des Büchner-Preises 1992. Diese Entwicklung hin zum kritiklos gehuldigten Theaterweisen war laut Jan Strümpel Mitte der 90er Jahre bereits so weit fortgeschritten, dass der Autor, der mit den Goldberg Variationen von 1991 angeblich seinen Zenit überschritten hatte, ‘mehr umjubelt [wurde] als seine jeweils neueste Arbeit’. Parallel zu dieser Fremdstilisierung hat auch Tabori in zahlreichen Interviews, Gesprächen und Essays selbst dazu beigetragen, ein Bild von sich zu schaffen, das im Wesentlichen auf Anekdoten, humorvollen Erzählungen und Geschichten beruht, die dazu geeignet sind, ihm die Aura eines weit gereisten und an Erfahrungen reichen Kosmopoliten zu verleihen. Tatsächlich verbrachte Tabori viele Jahre seines Lebens in verschiedenen Ländern und schließlich ist er einer der letzten lebenden Zeitzeugen der jüdischen Emigration zwischen 1933 und 1945. Dass der in Ungarn geborene Tabori, der auf Englisch schreibt, letzten Endes dazu kam, im deutschsprachigen Raum Theater zu machen, kann man nur als Glücksfall bezeichnen. Obwohl Tabori schon seit 1994 mehrfach seinen Abschied vom Theater ankündigte, ist er noch immer aktiv. Er scheint nun seinen Platz am Berliner Ensemble gefunden zu haben, wo sich ein Kreis für ihn schließen müsste: Brecht, den er im amerikanischen Exil getroffen hatte, ist Taboris eigenen Aussagen zufolge dafür verantwortlich, dass er von der Prosa zum Drama wechselte. 2.3.2, Theaterarbeit: George Tabori war neben und vor allem vor seinem Leben als Dramatiker und Regisseur auch noch Romanschriftsteller, Drehbuchautor, Reporter, Rundfunkredakteur und immer wieder Schauspieler. Er hat Theater geleitet und Theaterexperimente ins Leben gerufen. Die Erfahrungen, die er hierbei gemacht hat, flossen ein in sein Verständnis von Theaterarbeit. Wenn uns, im Rahmen dieser Untersuchung, hauptsächlich die theatertheoretischen Hintergründe von Taboris Werk interessieren, so muss man sich jedoch stets vor Augen halten, dass dieses theoretische Verständnis aus einer äußerst vielfältigen und abwechslungsreichen Praxis heraus entstanden ist. Zentral im Theater Taboris ist die Shoa. Sie ist in all seinen Stücken präsent, auch in denen, die nicht explizit Holocaust-Dramen sind. ‘Das erste war ein Roman, den ich über meinen Vater geschrieben habe, und diesen Roman habe ich dann nie veröffentlicht, weil ich zwischendurch erkannt habe, daß einer, der nicht dabei war, nicht wirklich da war, der kann über dieses Thema nicht schreiben. Das war zunächst meine Ausrede, das war meine Selbstzensur, und es ging erst fünfzehn Jahre später mit den Kannibalen, daß ich das gleiche Thema verarbeiten konnte’. Obwohl Tabori, dem mit seinen Romanen ein guter Einstieg in die anglo-amerikanische Literaturszene gelungen war, bereits früh versucht hatte, die Shoa künstlerisch aufzuarbeiten, beginnt der Holocaust erst mit dem Verfassen von Theaterstücken eine zentrale Bedeutung in seinem Werk einzunehmen. Taboris Theater, das mit der Aufführung von Die Kannibalen in Berlin seinen Anfang fand, ist ein Theater des Erinnerns, ein Theater gegen das Vergessen. Es hat, zumindest für den Autor, immer auch einen therapeutischen Hintergrund. Kennzeichnend für seine Holocaust-Stücke ist das Einsetzen von Witz, Groteske und schwarzem Humor im Zusammenhang mit Vernichtung und Tod. Vor ihm hat das im deutschen Theater niemand gewagt, entsprechend verunsichert oder ablehnend stand die deutsche Öffentlichkeit dem Tabubrecher Tabori anfangs gegenüber. Durch den Einsatz komischer, grotesker und witziger Mittel will Tabori schockieren und provozieren, um dadurch eine Auseinandersetzung beim Publikum in Gang zu setzen. Die aktive Erinnerungsarbeit, die Tabori anstrebt, das Theater als Therapie, lässt sich anhand seiner Regiemethode am besten illustrieren. In der Literatur wird immer wieder auf Lee Strasbergs New Yorker Actor´s Studio verwiesen, wenn es darum geht, die theoretischen Grundlagen aufzuzeigen, die für Taboris Auffassung von Schauspiel wichtig sind. Seine zweite Frau, die Schauspielerin Viveca Lindfors, führte Tabori in Strasbergs Studio ein, wo er über zehn Jahre hinweg dessen Arbeit an Schauspielern verfolgen konnte. Im Mittelpunkt der Strasbergschen Methode steht das emotionale Erinnern. Im Probenprozess müssen die Schauspieler zunächst zu der zu spielenden Situation eine analoge Situation aus der persönlichen Erinnerung finden. Um diese Erinnerung dann nach Belieben aufrufen zu können, konzentriert man sich auf eines der Elemente aus dieser Situation, das man mit einem bestimmten Objekt verknüpft. Das emotionale Gedächtnis soll dann so trainiert werden, dass es anhand dieses Anhaltspunktes ohne weiteres rationales Zutun die gewünschte Situation herstellen kann. Durch häufiges Wiederholen soll die Situation beherrschbar gemacht werden, um sie so in den Fluss der Darstellung integrieren zu können. Obwohl Tabori bei seinen Proben häufig mit diesen Techniken arbeitet, kann seine Theaterarbeit nicht als Fortführung dieser Schauspieltradition gesehen werden. Strasberg entwickelte seine auf Stanislavski zurückgehende Methode, um perfekte Hollywoodschauspieler auszubilden, die in jeder Situation ihre Emotionen fest im Griff haben sollten. Bei Tabori dienen die genannten Techniken gleichfalls zur Rollenfindung, nur bleibt dieser Prozess bei ihm nicht auf die Probe beschränkt, sondern wird in die Aufführung hinein übernommen. Damit wäre zugleich ein weiteres Charakteristikum der Taborischen Regiearbeit benannt: der immer währende Probencharakter. Tabori verändert Text und Inszenierung oft noch über die Premiere hinaus. Er versteht seine Aufführungen als jeweils aktuelle Interpretationen des Stoffes durch die Schauspieler. Dementsprechend sieht er seine Rolle nicht als Regisseur, sondern er begreift sich als Spielleiter, als Primus inter Pares, der beobachtet, Anregungen gibt und wartet, was die Schauspieler machen. In Taboris Theaterarbeit hat der Schauspieler absoluten Vorrang. Durch die Methode des emotionalen Erinnerns, durch Konzentrations- und Aufwärmübungen, durch freies Improvisieren, durch das Hinzuziehen psychoanalytischer und gestalttherapeutischer Methoden, versucht Tabori, den Schauspielern einen emotionalen Zugang zur Rolle zu ermöglichen und zugleich eine demokratischere Arbeitsatmosphäre zu schaffen, in der der so trainierte und ermutigte Schauspieler die Möglichkeit hat, sich durch Eigeninitiative einzubringen. Als Tabori nach Deutschland kam, war er schockiert über den Alkoholkonsum und die depressive Resignation unter den professionellen deutschen Schauspielern, von denen er in einem Brief berichtete: ‘The average German actor (...) is lonely, isolated, unmotivated or even cynical. He is par excellence a burnt child (…), whose main method of surviving the system is by falling sick.” Zudem sei der Schauspieler durch die viel zu große Macht, die Direktoren und Intendanten im deutschen Theatersystem besäßen, eingeschränkt. Der autoritäre Regiestil sei eine weitere Hürde für einen innovativen und experimentellen Geist im kommerziellen Theaterbetrieb. Die in bewusster Abgrenzung zur herkömmlichen Arbeitsweise geschaffene Atmosphäre unter dem Nicht-Regisseur Tabori beschreibt der Schauspieler Gert Voss folgendermaßen: ‘George is basically no director in the usual theatre sense, but an animator, or animatus, who kindles and liberates the actors´ imagination. I think there is no quality more beautiful and courageous in any theatre-man. In his rehearsals there is never the anxiety of having to prove oneself. He stimulates one to seek, not to produce results’. Durch seine ablehnende Haltung gegenüber einer allzu herausragenden Stellung des Regisseurs und durch seine Überzeugung, das Theater auf allen möglichen Ebenen demokratisieren zu können, formulierte Tabori einen avantgardistischen Anspruch an das Theater, der auch beinhaltete, Leben und Kunst näher in Beziehung zu setzen. Zweimal in seinem Leben hatte er die Möglichkeit, seine Vorstellung von Theater in einem eigenen Haus mit einem eigenen Ensemble umzusetzen. Zuerst von 1976 bis 1978 im Bremer Theaterlabor, und später, von 1987 bis 1990, im Theater Der Kreis in Wien. Die Bremer Studiobühne Concordia, die vom Theaterlabor bespielt wurde, zeigte etwa 120 Aufführungen pro Jahr. Das Ensemble setzte sich aus ausgebildeten Schauspielern zusammen, die alle eine Festanstellung am Theater hatten. Die Gruppe knüpfte an die Ideen des Living Theatre an und begriff sich selber als ein avantgardistisches Experiment. Obwohl eine zentrale Zielsetzung der Gruppe darin bestand, den Gegensatz zwischen Kunst und Leben aufzuheben, bewahrten sie, anders als beispielsweise im Living Theatre üblich, eine gewisse Privatheit untereinander. Hier konnte Tabori erstmals nach seinen Vorstellungen inszenieren. Der Schwerpunkt in Bremen lag dementsprechend auf der Arbeit mit den Schauspielern, die Proben waren wichtiger als die Premieren, die oftmals zugunsten ungewöhnlich langer Probearbeiten verschoben werden mussten. Die Rollenbesetzungen wurden demokratisch im Zuge der Annäherung an das Stück beschlossen. Die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum wurde durch das Bremer Theaterlabor immer wieder aufgehoben, einmal in der Form, dass Zuschauer am Spiel beteiligt wurden, und zum anderen bespielte das Ensemble einfach den Zuschauerraum. Tabori entwickelte in Bremen die für sein Holocaust-Theater zentralen Vorgehensweisen weiter. Zum einen konnte er mit einem eigenen Ensemble viel intensiver arbeiten, was seinen Ausdruck in der psychotherapeutischen Arbeit innerhalb der Gruppe fand, die mit Taboris Sigmuds Freude die Sitzungsprotokolle des Begründers der Gestalttherapie, Frederick Perls, auf die Bühne brachte. Diese Collage aus Fallstudien, Improvisationen und eigenen Erfahrungen bot auch den Zuschauern die Möglichkeit, aktiv an der Therapie teilzuhaben. Zum anderen baute er in seinen Inszenierungen immer wieder die für seine Arbeit charakteristischen Schockeffekte ein. So lud er die Zuschauer in einer Bearbeitung von Edward Bonds Die Schaukel ein, an einer Lynchszene teilzuhaben, in deren Verlauf das Publikum einen nackt an eine Schaukel gefesselten Schauspieler bewerfen musste. In seinen Improvisationen über Shylock, die 1978 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurden, ließ Tabori in einem Vorspiel Puppen zerhacken, deren Einzelteile dann an die Zuschauer verteilt wurden. ‘Mit dieser polemischen Geste – oder Schlachtung und öffentlichen Verteilung wehrloser Opfer – deren groteske Maßlosigkeit (...) beim ersten Anblick Ekel verursachte’, brachte Tabori den Holocaust auf seine Weise auf die Bühne. Durch die Verschmelzung von grotesken Inszenierungstechniken mit psychotherapeutischen Arbeitsmethoden festigt Tabori den für seinen Umgang mit der Shoa kennzeichnenden Stil. Der Zuschauer wird dabei nie in Ruhe gelassen. Durch ständiges Rollenspiel, dem Springen in verschiedenen Zeitebenen, wird die theatrale Situation immer wieder gebrochen, die Illusion vom Spiel wird zerstört und die Zuschauer werden unmittelbar mit der Shoa konfrontiert. Das Bremer Theaterlabor war der wohl imponierendste und impulsivste Versuch Taboris, ein alternatives Theater zu entwickeln. Dem Ensemble und seinem Wortführer Tabori, die zum Beispiel wegen einer Aufführung von Kafkas Hungerkünstler 40 Tage lang fasteten, wurde oft vorgeworfen, eine Sekte mit Tabori als Guru zu bilden, die sich in eine mythische Welt zurückgezogen habe und mit dem dilettantischen, psychotherapeutischen Unsinn von fragwürdiger Qualität, den sie auf die Bühne bringe, eigentlich kein Theater mehr mache. Unter dem größer werdenden öffentlichen Druck musste das Theaterlabor schließlich aufhören. Mit dem Wiener Theaterprojekt Der Kreis erfüllte sich für Tabori zum zweiten Mal der Traum vom eigenen Theater. Er knüpfte in Wien nahtlos an die Arbeitsweise an, die er bereits im Bremer Theaterlabor praktiziert hatte. Tabori leitete zudem einen Workshop für junge Schauspieler, der nach dem Vorbild des berühmten Actors Studio von Lee Strasberg konzipiert war. Anders als in Bremen musste Tabori in Wien auch das Theater leiten, was ihm eine Menge unvorhergesehener administrativer Arbeit einbrachte. In seiner Eigenschaft als Regisseur arbeitete er sich in seiner Zeit am Kreis vor allem an Shakespeare ab oder er inszenierte Zeitstücke von politischem Interesse, wie zum Beispiel Peter Sichrovskys Schuldig geboren, in dem Kinder prominenter Nazis interviewt werden, was zu Zeiten der Waldheim-Affäre in Österreich ziemlich prekär war. In den drei Jahren am Kreis brachte er nur zwei eigene Stücke auf die Bühne: eine Neubearbeitung von Die Kannibalen und Massada. In Massada bearbeitete Tabori einen für die Nation Israel grundlegenden Mythos. Auf der Festung Massada haben die dort ausharrenden Juden kollektiv Selbstmord begangen, um sich der sicheren Unterwerfung durch die Römer zu entziehen. In seiner Wiener Inszenierung verknüpft Tabori diesen Mythos mit dem Holocaust. Das Theater Der Kreis scheiterte nicht, wie das Bremer Theaterlabor, am Widerstand der Öffentlichkeit, sondern an der nicht mehr zu bewältigenden Arbeit, die Tabori seit seinem Erfolg mit Mein Kampf überforderte. Zudem entdeckten ihn die großen Häuser für sich und luden ihn ein, als Gastregisseur zu inszenieren – eine Versuchung, der Tabori oft unterlag. Dies wurde ihm auch von Ensemble-Mitgliedern des Kreis vorgeworfen, hatte er sich doch wiederholt gegen die renommierten Bühnen ausgesprochen, zum Beispiel als er, in Deutschland angekommen, meinte, ‘mein Weg führt von nun an in die Katakomben.’ Hatte Tabori auch schon vor seinem Durchbruch zum gefeierten Dramatiker, den er mit Mein Kampf erzielte, an Staatsbühnen inszeniert, so führte ihn sein Weg danach noch öfter aus den Katakomben in so renommierte Kathedralen wie das Wiener Burgtheater. Egal wo und unter welchen Voraussetzungen Tabori Theater macht, zentraler Bezugspunkt seit seiner Rückkehr nach Europa ist die Shoa. Kein anderer Dramatiker hat sich im deutschsprachigen Raum so intensiv und konsequent der eigenen Linie folgend mit dem Thema auseinander gesetzt wie er. Dies kommt einerseits, wie oben dargestellt, in seiner Theaterarbeit zum Ausdruck, und andererseits in seinen Holocaust-Stücken.
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