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- „Gefragt, wer ich sei“ – Wie mittelalterliche Boten sich auswiesen
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2017
AuflagenNr.: 1
Seiten: 80
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Ohne Boten lief vor dem Aufkommen technischer Medien wie Telefon und E-Mail in Sachen Fernkommunikation schlichtweg nichts. Nun ist ein Kennzeichen des Mittelalters die Abwesenheit von Institutionen, etwa einer staatlichen Post, die der Berufsgruppe gleichsam notarielle Glaubwürdigkeit einbringen konnte. Dieser Umstand – ob als Defizit oder Alternative begriffen – führte dazu, dass die Menschen in vielen Bereichen des täglichen Lebens eigene Abläufe finden mussten. Die Lösungswege, zu denen das Mittelalter nun hinsichtlich von Fragen wie: Habe ich es tatsächlich mit einem Boten zu tun oder doch mit einem Nachrichtenfälscher? oder: Kann ich demjenigen, der sich mir als Bote vorstellt, wirklich trauen? kam, erarbeitet die Autorin in diesem Buch. Unter Berücksichtigung der aktuellen Forschungslage vermittelt sie auf verständliche Weise ein solides Überblickswissen zum mittelalterlichen Botenwesen und bereitet aus dem hierzu eigens zusammengetragenen, breiten Fundus verschiedenartiger Quellenbelege zwölf exemplarische Fälle anschaulich auf. Über den Aspekt der Botenbeglaubigung eröffnet das Buch so einen sehr konkreten und lebendigen Blick auf Grundfeste des mittelalterlichen Alltags.
Textprobe: Kapitel 3. Geschichten vom Schein und Sein: Welcher Strategien und Anhaltspunkte der Botenauthentifizierung bedienten sich Absender, Boten und Empfänger in mittelalterlicher Fernkommunikation nun konkret, um in einem so risikobehafteten Umfeld Vertrauen, Glaubwürdigkeit und damit ein Stück weit Sicherheit herzustellen? Die Untersuchungsbefunde dazu stellt das folgende Kapitel nach Fällen geordnet dar. Im Fokus der Unterkapitel steht jeweils ein kontextualisierter (Leit)Fall, zur Stützung der daraus gezogenen Schlüsse führe ich gegebenenfalls weitere, randständig behandelte Belege an. 3.1 Im Stab liegt die Wahrheit: Eine Station im kurzen, aber bewegten Leben Hildegunds von Schönau war ihr Engagement als Bote. Aus Neuss stammend, mit 13 Jahren verwaist und verarmt, schlug sie sich etwa ein Jahr lang, sich zum Schutz als Jüngling ausgebend, umherziehend und bettelnd durch. Sie verdingte sich als Bote, bevor sie kurz darauf 1185 als Josef ins Zisterzienserkloster Schönau bei Heidelberg eintrat. Dass wir heute von ihr wissen, ist der zisterziensischen Mirakelliteratur zu verdanken. Als Hildegund alias Josef nämlich drei Jahre später starb, entdeckten die Mönche beim Waschen der Leiche, dass ein Mädchen mit ihnen das harte Klosterleben geteilt hatte, was ihr den Ruf einer Heiligen einbrachte. Unter Geheimhaltung ihres wahren Geschlechts hatte sie dem Prior von Schönau auf dem Sterbebett noch ihre Lebensgeschichte erzählt, woraus der Zisterzienser Engelhard von Langheim noch 1188, in ihrem Todesjahr, die älteste Version ihrer Vita abfasste. Weitere folgten in den Jahrzehnten nach ihrem Ableben. Als Bote angeheuert wurde Hildegund im Zuge des von 1183 bis 1189 währenden Streits um die Investitur des päpstlichen Favoriten Volmars aus Karden als Trierer Bischof, die gegen den Widerstand Kaiser Friedrichs I. vorgenommen wurde. In dieser Sache hätten Päpste und Bischöfe in regem Boten- und Briefaustausch gestanden, so auch der Kölner Erzbischof Philipp von Heisenberg. Dessen Kaplan sollte Briefe überbringen, doch angesichts drohender kaiserlicher Nachstellungen habe er sie lieber einem unverdächtig erscheinenden Jüngling, also Hildegund, anvertraut. Die Briefe seien in einem ausgehöhlten Stab (baculum) beziehungsweise Rohr (arundo) versteckt gewesen. In Verona – dort habe der Papst verweilt – würden sie sich wieder treffen und der Kaplan die Briefe zurückerhalten. Der eigentliche Bote, der mit Absender und Empfänger in Kontakt kam, war also der Kaplan. Angesichts der Gefährlichkeit der Mission delegierte er jedoch den Brieftransport an jemanden ohne direkte Verbindung zum Absender Hildegunds Rolle beschränkte sich so auf die eines subalternen Briefträgers. Weder der Kölner Erzbischof, noch seine Briefe oder der Papst wussten von ihrer Beauftragung, lediglich sie und der Kölner Kaplan waren im Bilde. Den einzigen Rückverweis auf den Auftraggeber, über den sie verfügte, stellten die Briefe des Bischofs dar, die ihr der Kaplan wohl samt Versteck, also zusammen mit dem Stab, überreicht hatte. Die Stabübergabe erweist sich so in dieser Geschichte kurioserweise als Beauftragungsakt, was sich mit der Symbolik offizieller Amtseinführungen deckt auch Botenstäbe sind bekannt. Aber der Stab war hier gerade nicht als Amtszeichen gedacht, sondern als Tarnmittel, sodass es sich wohl um einen einfachen Stab eines Wanderers oder Pilgers handelte. Die Mission führte Hildegund von Köln nach Norditalien, und sie schien als Wanderer oder Pilger unbehelligt durch die kaiserlichen Wegkontrollen zu kommen. Erst ein Zwischenfall in Augsburg brachte sie in die Notwendigkeit, ihre Tarnung ein Stück weit aufzugeben: Fälschlicherweise sei sie des Diebstahls angeklagt und zum Tod am Galgen verurteilt worden. Einem Priester, der ihr zur letzten Beichte gewährt worden sei, habe sie schließlich ihren Auftrag und ihre Identität als Briefbote eröffnet. Dem weltlichen Gericht aber enthielt sie diese Information über sich vor – hält man sich vor Augen, dass sich im Hintergrund ein Kampf zwischen weltlicher (Krone) und geistlicher Macht (Kirche) abspielte und sie einen Auftrag für die Kirche erledigte, ist dieses Verhalten verständlich. Und um dem Priester die Wahrheit ihrer Worte zu beweisen , habe sie die bischöflichen Briefe im Stab vorgezeigt. Der Priester habe daraufhin die Suche und Gefangennahme des wahren Diebs veranlasst und sich vor Gericht für Hildegunds Unschuld verbürgt. Den richterlichen Freispruch habe ihr freilich erst ein unbeschadet überstandenes Gottesurteil beschert. Unterwegs kam es also zu einer Beglaubigungssituation, wobei einem Priester die Rolle des Prüfers zufiel. Als Beglaubigungsargument führte Hildegund die Tatsache ins Feld, dass sie Briefe eines Anderen, des Erzbischofs von Köln, (versteckt) bei sich trug. Der Einsatz des Kirchenmannes für sie zeigt, dass ihn dieses Argument zur Genüge überzeugte. Insofern ist diesem Fall zu entnehmen, dass der bloße Briefbesitz als ein glaubhafter Ausweis für Boten galt. 3.2 Ein Schotte auf Reisen: Eine weniger verschachtelte, aber gewisserweise ähnliche Situation wie Hildegund erlebte Samson von Tottington circa zwanzig Jahre vorher. 1165 legte er die Mönchsprofess in der Benediktinerabtei Bury St. Edmunds im ostenglischen Norfolk ab, gehörte ihr aber bereits davor an und bekleidete von 1182 bis zu seinem Tod 1211 den Posten als Abt. Jocelin von Brakelond, ebenfalls Mönch im besagten Kloster, zudem Kaplan und Freund Samsons, porträtiert ihn und das Klosterleben in seiner Chronik. Als die vom Kloster abhängige Kirche von Woolpit, einer Ortschaft in seinem Umland, 1183 neu zu vergeben war, erinnerte Samson das zusammengerufene Konvent an folgendes Erlebnis: Um für die Abtei die päpstliche Urkunde über den Besitz der genannten Kirche einzuholen, habe er eine Reise nach Rom auf sich genommen, und zwar zur Zeit des Schismas zwischen Papst Alexander III. und seinem Gegenpapst Viktor IV. (Octaviano de Monticelli), der beim römisch-deutschen Kaiser Friedrich I. Unterstützung fand. Mit PHILIPPS Hinweis auf das Ausstellungsdatum der Urkunde lässt sich Samsons Reise genauer auf den Jahreswechsel 1160/61 datieren. Sie stellte angesichts des Schismas ein gefährliches Unterfangen dar, Boten Alexanders seien in Italien, also auf Boden des römischdeutschen Reiches, in Lebensgefahr gewesen. Dass Samson Alexander statt Viktor als Papst anerkannte, macht sich an der Namensverwendung bemerkbar: Ersteren nennt er den Lord Pope , von letzterem spricht er nur mit dessen profanem Namen Octavian. Die Schotten jedoch unterstützten diesen, sodass Samson, um unterwegs den Bedrohungen zu entgehen, sich als Schotte verkleidet und verhalten habe. Wenn Leute ihn dann gefragt hätten, wer er sei, habe er in wohl recht unverständlichem Latein lediglich unspezifisch geantwortet, dass er von Canterbury nach Rom reise – kein Wort über seinen Namen oder sein Ansinnen. Auf diese Weise sei er problemlos zum Papst gelangt, der ihm die erbetene Urkunde auch erteilt habe. Trotz Tarnung hatte er hier offenbar keine Schwierigkeiten mit der Authentifizierung. Auf dem Rückweg aber drohte er aufzufliegen: Die Diener einer Burg seien ihm auf die Schliche gekommen und hätten vermutet, dass Samson entweder ein Spion sei oder Briefe des falschen Papstes Alexander transportiere. Daraufhin hätten sie ihn durchsucht. Den Verdacht konnte er nur entkräften, indem er den in seiner Tasche befindlichen Brief geschickt verbarg. Er habe ihn zusammen mit einem Gefäß aus der Tasche gezogen, allerdings derart, dass die Burgmänner nur das Gefäß, nicht aber den Brief hätten sehen können und ihn so auch in der Tasche nicht finden konnten. Sie hätten ihn daher laufen lassen, freilich nicht, ohne ihn zuvor noch auszurauben. Weniger beim Adressaten als vielmehr auf der Reise kam es in diesem Fall also zu Kontroll- beziehungsweise Ausweissituationen: Offenbar mehrfach wurde Samsons Identität in Frage gestellt, sodass er sich dafür schon eine unkonkrete Pauschalantwort zurechtgelegt hatte. Der ausführlich geschilderten, da brenzligen Prüfung auf der Heimreise ist zu entnehmen, was die Burgdiener, die Kontrolleure in dieser Konstellation, als entscheidendes Indiz für eine Identifikation als Bote auffassten: Wie bei Hildegund war es das Mitführen von Schreiben eines Anderen, hier von Papst Alexander III. Weil sie ein solches bei Samson eben nicht fanden, konnten sie ihre (eigentlich richtige) These nicht bestätigen, konnten ihm seine Botentätigkeit nicht nachweisen.
Eva-Maria Bergerbusch, M.Ed., stammt aus dem Westmünsterland. 2017 schloss sie ihr Studium der Geschichte, Germanistik und Bildungswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum erfolgreich ab. Besonders großes Interesse entwickelte sie dabei für das Mittelalter. Zum Zustandekommen dieser Arbeit, zur Idee, dem Sich-Ausweisen kulturhistorisch nachzuspüren, brauchte es jedoch noch folgende drei Dinge: die Vorliebe der Autorin für ein kleines Portemonnaie, in das jedoch kein Personalausweis größeren Formats hineinpasste, dazu einen Busfahrer, der zum Ticket partout jenen Personalausweis verlangte, und zuletzt Herrn Scior vom Historischen Institut der RUB, dessen kommunikationshistorische Forschung einen wissenschaftlichen Anknüpfungspunkt lieferte.
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