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Kunst & Kultur

Stefanie von Rossek

Femmes fatales und Kesse Väter: Über weibliche Homosexualität im Spielfilm

ISBN: 978-3-8428-8653-7

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Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Über homosexuelle Frauen gibt es auffallend wenig Quellen. Historisch gesehen existieren fast nur Texte über männliche Homosexualität, wohingegen eine lesbische Lebensweise kaum registriert wurde. Auch heutzutage scheint die weibliche Homosexualität beinahe unsichtbar zu sein. Obwohl es Frauen gibt, die sich zu Frauen hingezogen fühlen, obwohl es sie wohl immer gegeben hat, sind sie in der Öffentlichkeit so gut wie nicht präsent. Die Folge davon sind zahlreiche Vorurteile und Klischees. Wirft man einen Blick auf die Welt der Spielfilme, in denen weibliche Homosexualität thematisch involviert ist, lässt sich schnell feststellen, dass die Inszenierung lesbischer Präsenz deutlich homogen erscheint. Immer wieder wird auf die gleichen Darstellungsmethoden zurückgegriffen, sobald weibliche Homosexualität filmisch in Szene gesetzt wird. Die Umsetzung endet dabei in einer Fülle von Ablehnungsreaktionen gegenüber lesbischen Frauen, vielen männlich auftretenden Frauen, zahlreichen Femmes fatales und noch mehr integrierten Männern in einer eigentlich lesbischen love story. Konkretisiert werden kann das nur an den Filmen selbst. Und Beispiele lassen sich dabei sowohl in unterschiedlichen Entstehungszeiten, Kulturen, als auch Genres finden. Denn das ‘lesbische Filmschema’ beginnt in 'Die Büchse der Pandora' und setzt sich bis in die heutige Zeit fort. Übrig bleibt die Frage, ob sich die mangelnde lesbische Präsenz in der Öffentlichkeit als Antwort für die stereotype Inszenierung von weiblicher Homosexualität herausstellen kann.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.2.1.1, Gesellschaftlicher Tod in ‚Infam‘: Im Jahr 1961 drehte William Wyler einen Film über zwei Freundinnen, die zusammen als Lehrerinnen eine Mädchenschule führen und von einer Schülerin beschuldigt werden, ein homosexuelles Verhältnis miteinander zu haben. Dieser Film trug erst den Titel The Loudest Whisper, wurde dann in The Children’s Hour umbenannt und ist in der deutschen Synchronfassung unter dem Titel Infam bekannt. Die Handlung lässt sich kurz so zusammenfassen: die zwei befreundeten Lehrerinnen Martha und Karen, gespielt von Shirley MacLaine und Audrey Hepburn, müssen nach Verbreitung des Gerüchtes, sie wären ein heimliches Liebespaar, die Schule schließen, da sämtliche Eltern ihre Kinder nicht mehr von ihnen unterrichten lassen wollen. Als Martha erkennt, dass sie ihre Freundin Karen tatsächlich liebt, sieht sie keine andere Lösung, als sich selbst das Leben zu nehmen. Die Art und Weise, wie die Ablehnung von Homosexualität umgesetzt wird und welche Folgen sie nacheinander trägt, soll nun im Detail analysiert werden. Eines der Mädchen, das von Martha und Karen unterrichtet wird, ist Mary Tilford, deren Großmutter Mrs. Amelia Tilford eine reiche und angesehene Frau in der Gesellschaft ist. Mary selbst wird als durchwegs bösartiges Mädchen charakterisiert. Bereits bei ihrem ersten Auftritt in dem Film wird der Zuschauer Zeuge einer Szene, in welcher Mary Vergnügen daran findet, jemand anderen in aller Öffentlichkeit schlecht da stehen zu lassen. Mit einem scheinheiligen Lächeln übergibt sie ihrer Schulkameradin Rosalie während eines Klavierkonzerts etwas, das diese aufspringen und schreien lässt. Während sich alle mit großen Augen nach dieser Störung umdrehen, stützt Mary ihr Kinn auf ihre Hand und blickt gelangweilt in die Luft, als hätte das alles nichts mit ihr zu tun. In einer anderen Szene erscheint sie zu spät zum Unterricht von Marthas Tante Lily, wird jedoch nicht bestraft, weil sie dieser einen Strauß Blumen mit den Worten überreicht: ‘I walked so far to get them for you.’ In Wirklichkeit hatte sie die Blumen einem Müllhaufen vor dem Schulgebäude entnommen. Es wird deutlich, dass dieses Mädchen durchaus in der Lage ist, ohne Skrupel eine Lüge zu verbreiten, so lange es ihrem Zweck dient. Um ihre Großmutter davon zu überzeugen, sie vom Internat zu nehmen, da ihr verlogenes Verhalten längst durchschaut wurde, erzählt sie dieser, Martha empfinde für Karen mehr als nur Freundschaft. Nachdem Mrs. Amelia Tilford von Tante Lily erfährt, dass Martha keine anderen Interessen hätte, ‘only the school and Karen Wright’ , glaubt sie den Geschichten ihrer Enkelin. Ihre vermeintliche Erkenntnis wird mit einer Naheinstellung auf ihr Gesicht zur Geltung gebracht. Die Augen sind besorgt aufgerissen, der Mund zu einem Strich zusammengepresst. Noch während Tante Lily mit zugewandtem Rücken weiterhin auf Mrs. Amelia Tilford einredet, verlässt diese ohne Abschied in Eile das Haus und fährt mit ihrer Enkelin Mary davon. Folglich drückt sich die erste Reaktion auf weibliche Homosexualität in diesem Film durch schlagartige Flucht aus. Im Anschluss daran fährt Mrs. Amelia Tilford jedoch nicht nach Hause, sondern zu einer Mrs. Anderson. Man kann aufgrund der nächsten Filmminuten vermuten, dass die Großmutter die Neuigkeiten weiter erzählt hat. Denn nach Mary Tilford wird nun auch Rosalie Wells von der Schule genommen und nicht lange Zeit später möchte niemand von den Eltern sein Kind noch auf diesem Internat wissen. Keiner jedoch erklärt Martha und Karen den Grund dafür. Eine zweite Reaktion der Gesellschaft auf weibliche Homosexualität findet sich also in dem Entschluss, andere Menschen davor zu warnen. Einer der Väter erbarmt sich schließlich der jungen Lehrerinnen und klärt Karen über die Beweggründe der Eltern auf. Die Szene wird dabei ähnlich inszeniert wie diejenige, in der Mary ihrer Großmutter das angebliche Geheimnis ins Ohr flüstert. Es ist kein Ton zu hören. Der Zuschauer ist gezwungen, sich mit Martha Dobie zu identifizieren, die im Haus lediglich sieht, dass Karen etwas erzählt wird, aber nicht hört, worum es sich handelt. Auf diese Art und Weise wird der Eindruck erweckt, Homosexualität sei etwas so Abartiges, dass man nicht laut darüber reden könne. Da Mary von ihren Lügenmärchen nicht ablässt und auch Rosalie erpresst, es ihr gleich zu tun, werden Karen und Martha auch weiterhin für ein heimliches Paar gehalten. Als sie beschließen, in ihrer Einsamkeit einen Spaziergang zu machen und dafür vor die Haustür treten, fährt in diesem Moment ein Auto heran, aus welchem Männer aussteigen und auf sie zeigen, während sie sich etwas ins Ohr flüstern. Die beiden Freundinnen erkennen daran, dass ihr gesellschaftlicher Ruf völlig vernichtet ist. Dr. Joe Cardin, der Verlobte von Karen, erweist sich als einziger Mensch, der noch zu ihnen hält. Er unterbreitet den zwei Frauen den Vorschlag, an einen anderen Ort zu ziehen, um die Möglichkeit eines Neuanfangs zu haben. Als Martha schließlich erkennt, dass sie für Karen tatsächlich mehr als bloße Freundschaft empfindet, bricht sie zusammen und gibt mit ihren Worten wieder, was wohl auch die Ansicht der Gesellschaft ist: ‘Oh, it’s all my fault! I’ve ruined your life and I’ve ruined my own! I swear I didn’t know it! I didn’t mean it! Oh, I feel so damn sick and dirty I just can’t stand it anymore!’. Als Mrs. Amelia Tilford im Verlauf der Handlung herausfindet, dass ihre Enkelin Mary die ganze Geschichte nur erfunden hat, entschuldigt sie sich augenblicklich bei den Lehrerinnen und verspricht ihnen Schadensersatz. Dies ändert jedoch weder etwas an dem tragischen Ende, auf das der Film zusteuert, noch an der allgemein negativen Ansicht über Homosexuelle. Mrs. Tilford empfindet lediglich Bedauern über das, was sie den Freundinnen angetan hat, weil sie nun der Überzeugung ist, es handelte sich bei ihnen nicht um Homosexuelle. Als bemerkenswert erweist sich jedoch, dass der Film verhältnismäßig offen mit dem Thema umgeht und dennoch nicht zensiert wurde. Obgleich das Hays Office damit drohte, ‘unterstützte Arthur Krim, der Präsident von United Artists, seinen Regisseur, indem er dafür garantierte, daß es keine Homosexualität im Film geben würde, sondern nur eine falsche Anschuldigung.’ Dies hatte zur Folge, dass die Zensurbestimmungen des Hays Code tatsächlich am 3. Oktober 1961 revidiert wurden und homosexuelle Themen fortan akzeptiert wurden, so lange man ‘geschmackvoll’ mit ihnen umging. William Wyler hatte jedoch auch einige Szenen aus dem Film geschnitten, in denen klar zum Ausdruck gebracht wurde, dass Martha Karen liebt und eifersüchtig auf ihren Verlobten ist. Laut Shirley MacLaine war der Regisseur der Ansicht, dass ‘they would be too much for middle America to take’. Kurz gefasst lautet das Resümee von Infam: Die Gesellschaft distanziert sich augenblicklich, sobald von Homosexualität auch nur die Rede ist. Ferner scheint es zulässig zu sein, dass auch andere Menschen davor gewarnt werden müssen, mit Frauen dieser Gesinnung weiteren Umgang zu pflegen. Frauen, die sich ihrer Homosexualität bewusst werden, bleibt kaum eine andere Möglichkeit, als sich das Leben zu nehmen. Vito Russo, der sich ausführlich mit der Homosexualität im Spielfilm beschäftigt hatte, bezeichnet Marthas Selbstmord als ‘the first in a long series of suicides of homosexual screen characters’.

Über den Autor

Stefanie von Rossek, M.A., wurde 1986 in München geboren. Ihr Studium der Theaterwissenschaft schloss die Autorin im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium erfolgreich ab. Unter dem Pseudonym Stefanie von Effenberg hat sie bereits diverse Erzählungen und Romane veröffentlicht.

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