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  • Expeditionen ins Eismeer. Reisebeschreibungen von Julius Payer, Fridtjof Nansen und Ernest Shackleton

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2024
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

In den Meeren der Arktis und Antarktis finden Expeditionsreisende sich seit jeher mit einer besonderen und oft auch fremden Landschaft konfrontiert. Ist die Schiffspassage als solche bereits ein mit vielen Risiken behaftete Reiseform, so stellt die Durchquerung der nördlichen und südlichen Eismeere eine besondere Herausforderung dar. Moderne Reisende können dabei auf die Erfahrungen vergangener Expeditionen zurückgreifen, die diese in Logbüchern und Reiseberichten festhielten, die häufig zur Publikation auf den Buchmärkten bestimmt waren. Bei der Lektüre historischer Expeditionsberichte, die nicht selten tragisch im Griff des Packeises endeten, finden sich zahlreiche Überschneidungen und Divergenzen in der literarischen Beschreibung der fremdartigen Landschaft des Eismeeres. Diese lassen Rückschlüsse sowohl auf die kulturelle Herkunft der Verfasser als auch auf den zeitgeschichtlichen Rahmen der jeweiligen Expedition zu. Unter diesen beiden Aspekten widmet sich das vorliegende Fachbuch der vergleichenden Untersuchung einschlägiger Expeditionsberichte von Julius Payer, Fridtjof Nansen und Ernest Shackleton.

Leseprobe

Textprobe: 1. Einleitung Am folgenden Tage stießen wir auf ein großes Eisfeld, das unserm Weiterseegeln [sic] gen Süden ein Ende, ihm [Maheine] aber viel Freude machte, weil er es für Land hielt. Wir erzählten ihm, es sey nichts weniger als das, sondern es bestehe bloß aus erhärtetem süßen Wasser: Allein, da war an keine Überzeugung zu den- ken, bis wir ihn auf dem Verdeck an das offne Wasserfaß brachten, und ihm au- genscheinlich zeigten, wie sich das Eis dort nach und nach ansetzte. Dennoch blieb er dabey, daß ers auf allen Fall, und, um es von anderem Lande zu unterscheiden, weißes Land nennen werde.1 Der erste Kontakt mit einem antarktischen Eisfeld bildete für den Tahitianer Mah- eine, der Georg Forster auf James Cooks zweiter Südseereise als Dolmetscher be- gleitete, ein Erlebnis des genuin Fremden. Da ihm als Südseeinsulaner der Anblick gefrorenen Wassers vollkommen unbekannt ist, so geht es aus dem Bericht von Forster hervor, zeigt [Maheine] entsprechend andere Wahrnehmungsformen 2 und bedient sich bei der Einordnung und Verarbeitung des visuell fremdartigen Land- schaftsbildes einer Strategie des Vergleichens: Das Gesehene wird wie eine feste Landmasse wahrgenommen, die eine zusammenhängende weiße Fläche inmitten des Wassers bildet und – zumindest für den Augenblick – statisch auf dessen Ober- fläche zu verharren scheint. Seine Schlussfolgerung lautet daher, entgegen der Be- lehrung durch die im kälteren Norden sozialisierten Europäe[r] ,3 dass es sich bei dem Gesehenen um weißes Land 4 handeln müsse. In ähnlicher Weise verfährt der Tahitianer mit den ihm unbekannten meteorologischen Phänomenen Schnee und Hagel, die er als weißen Regen bezeichnet.5 In ihrer Darstellung bedient sich Do- rit Müller dieses Beispiels und erklärt diese Strategie mit der Erkenntnis der Rei- seliteraturforschung, dass der Vergleich des beobachteten Fremden immer ver- traute Muster benötigt, die als Kontrast- und Bewertungsfolie fungieren und das Beobachtete als eine Variante des Eigenen erscheinen lassen .6 Die Einordnung der Erfahrung des Fremden ist im Falle des Tahitianers also durch seine geographische Herkunft determiniert. Gleiches gilt für die Europäer, für die die Sichtung der Eis- fläche aus demselben Grund kein Erlebnis des völlig Fremden darstellt und die des- halb in der Lage sind diese Erscheinung entsprechend zu deuten. Georg Forster aber gibt in dieser Passage wenig Auskunft darüber, wie die Erfah- rung der Eismeerfahrt von der europäischen Schiffsbesatzung kognitiv empfunden und sprachlich umgesetzt wird. Zahlreiche Expeditionsberichte europäischer Ent- deckungsreisender des 19. und frühen 20. Jahrhunderts widmen vergleichbaren Schiffspassagen hingegen ausgiebige Beschreibungen. Anhand dieser Berichte lässt sich erkennen, dass trotz der gemeinsamen geographischen Herkunft die Be- schreibungen der Eismeerfahrten neben zahlreichen Überschneidungen tiefgrei- fende Divergenzen aufweisen. Ruft das Eis als solches zwar keine genuine Fremd- heitserfahrung hervor, so stellt die literarische Beschreibung der Eismeerfahrt das berichtende Subjekt dennoch vor eine narrative Herausforderung: In seiner Konsis- tenz zwischen kontinuierlicher Veränderung und Erstarrung oszillierend kann das Eismeer als hybride Landschaftsform bezeichnet werden, deren Beschreibung sich konventionellen Mustern entzieht. Die Divergenz in der literarischen Realisierung dieser Erfahrung erwächst zudem, dem Ansatz von Peter J. Brenner folgend, aus dem Umstand, dass die Wahrnehmungs- und Darstellungsformen 7 des Fremden von einer Vielzahl individueller und gesellschaftlicher Faktoren abhängig 8 sind, wie eingangs gezeigt wurde. Gegenstand des vorliegenden Buchs ist die Untersuchung der Beschreibungen des Erlebnisses der Eismeerfahrt in drei Expeditionsberichten, von denen zwei aus dem 19. Jahrhundert und einer aus dem frühen 20. Jahrhundert stammen. Namentlich handelt es sich um den Bericht des Kommandanten der ersten österreichisch-un- garischen Nordpolexpedition (1872-1874) 9 Julius Payer, der den Titel Die Öster- reichisch-ungarische Nordpol-Expedition in den Jahren 1872-1874 nebst einer Skizze der zweiten deutschen Nordpol-Expedition 1869-1870 und der Polar-Expe- dition von 187110 trägt sowie Fridtjof Nansens In Nacht und Eis. Die Norwegische Polarexpedition 1893-189611 und Ernest Shackletons South. The Endurance Expe- dition12 aus dem Jahr 1919. Diese drei Berichte werden in Hinblick auf drei wesent- liche Beschreibungsmuster komparatistisch analysiert: An erster Stelle steht die Untersuchung der wohl am häufigsten zu findenden Beschreibungskategorien, die sich mit der Anthropomorphisierung der Natur und dem Kampf gegen das Eis ein- grenzen lassen. In einem zweiten Schritt werden die Texte auf Analogien unter- sucht, die auf eine Domestizierung und Kultivierung der unbekannten Umwelt ab- zielen. Der dritte und letzte Teil der Untersuchung befasst sich schließlich mit My- thologisierungs- und Sakralisierungstendenzen, die eng mit dem Aspekt der Inter- textualität verbunden sind und unter diesem auch betrachtet werden. Die erkennt- nisleitende Forschungsfrage der Untersuchung lautet, inwiefern die jeweilige lite- rarische Verarbeitung der Erfahrung der Eismeerfahrt sowohl kulturgeschichtlichen als auch zeitgeschichtlichen Determinierungen unterliegt und wie stark sich diese großen Einflussfaktoren in den Reisebeschreibungen niederschlagen. Mit der Be- trachtung von Berichten von Expeditionsreisenden, die aus unterschiedlichen Nati- onen stammen, eröffnen sich somit unterschiedliche Perspektiven auf die Wahrneh- mung und Realisierung dieser spezifischen Erfahrung, die an die jeweilige kultu- relle Prägung der Autoren gekoppelt ist. Um Rückschlüsse auf die Tradierung und Vermittlung der Beschreibungsmuster ziehen zu können, sollen zudem zwei litera- rische Bearbeitungen historischer Eismeerfahrten illustrierend in die Analyse mit- einbezogen werden: Christoph Ransmayrs Die Schrecken des Eises und der Fins- ternis13 und Sten Nadolnys Die Entdeckung der Langsamkeit.14 Dabei werden et- waige Überschneidungen mit den historischen Reiseberichten und den dort ange- wandten Beschreibungsmustern aufgezeigt und in einen motivgeschichtlichen Zu- sammenhang eingeordnet. Der komparatistischen Analyse, die den Hauptteil dieser Untersuchung bildet, wird ein kurzer Überblick über den Forschungsstand, an den diese Untersuchung anknüpft, sowie eine Darstellung der theoretischen Grundlagen vorangestellt. Diese umfasst neben methodischen Klärungen erkennt- nisleitender und gattungsspezifischer Untersuchungsmaßstäbe insbesondere struk- turelle und konzeptionelle Vorüberlegungen, den Raum des Eismeeres und davon abgeleitet die Funktion des Expeditionsschiffes betreffend. Eine historische Gemeinsamkeit der drei relevanten Expeditionsberichte liegt darin, dass die mit ihnen verbundenen Unternehmungen sämtlich nach 1860 stattfanden. Diese Jahreszahl markiert für Marion Munz-Krines den Beginn einer Entwicklung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in deren Verlauf die Expeditionen in die polaren Gebiete zunehmend Wettkampfcharakter annahmen.15 Beim Typus des Polarforschers gab es zudem einen Generationenwechsel, der sich auch an einer neuen Motivation und anderen Sicht- und Bewertungsrastern festmachen lässt. 16 Diese historischen Rahmenbedingungen gewährleisten eine gewisse Vergleichbar- keit der Expeditionsberichte hinsichtlich ihrer Zielsetzung. Durch das zu jener Zeit rege gesellschaftliche Interesse an Expeditionen und Forschungsreisen, die teil- weise zu einem vieldiskutierten Thema der Öffentlichkeit avancierten ,17 ist davon auszugehen, dass die hier behandelten Berichte nicht bloß von einem kleinen Kreis von Fachleuten wahrgenommen wurden ,18 sondern auch von breiteren Teilen der Bevölkerung. Denn Reiseberichte hatten sich schon im 17. und 18. Jahrhundert zu einer populären Literaturgattung entwickelt und wurden auch im 19. Jahrhundert noch gern gelesen. 19 Durch die zeitlichen Abstände, in denen die hier thematisier- ten Expeditionen zueinanderstehen und literarisch reproduziert wurden, wird es möglich, Analogien und Veränderungen innerhalb dieses Zeitraums von rund 40 Jahren aufzuzeigen.

Über den Autor

Jeremias Stein, M.A., wurde 1992 in Merzig geboren. Er studierte Deutsch und Geschichte in Freiburg und Nottingham. 2020 schloss er an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg den Master Europäische Literaturen und Kulturen ab und begann sein Dissertationsprojekt zur literarischen Schiffsreise und ihrer allegorischen Bedeutung im Kaiserreich, dem Interbellum und dem Nationalsozialismus. Seine Forschungsschwerpunkte sind Seefahrts- und Expeditionsliteratur sowie Literatur der Jahrhundertwende. In den vergangenen Jahren nahm er an mehreren Reisen an Bord des Expeditionsschiffes Dagmar Aaen teil. Die Durchquerung der Dänemarkstraße im Rahmen einer Grönland-Expedition regte ihn maßgeblich zum Verfassen dieses Fachbuches an.

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