Suche

» erweiterte Suche » Sitemap

  • Sie befinden sich:
  • Fachbücher
  • »
  • Kunst & Kultur
  • »
  • Ein Staat ohne Ehre: Die Unterordnung des Individuums in Theodor Fontanes „Schach von Wuthenow“

Kunst & Kultur


» Bild vergrößern
» weitere Bücher zum Thema


» Buch empfehlen
» Buch bewerten
Produktart: Buch
Verlag: Diplomica Verlag
Erscheinungsdatum: 10.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Der Schach von Wuthenow – Wer ist er? Ein zynisch vorgehaltener Spiegel, der die preußische Gesellschaft karikiert? Oder doch das Eingeständnis der Ehre und Moral des Individuums in einem ehrlosen Staat? Die Erzählung lebt durch die geschickte Verwebung des Politischen mit dem Privaten. Beide Stränge sind sich ebenbürtig. Die Leere des Luthertums und die Dekadenz des Adels stehen im Kontrast zu Schachs einfühlsamer und bubenhaft naiver Seite. Klar kann man die beiden Stränge in Schachs Seele nicht trennen: Die Dreiecksbeziehung, Schachs Todesmotiv, die Verblendung und Verführung sind privat und politisch zugleich. Sie bedingen sich und lassen keine klare Grenze erkennen. Fontanes vergessenes Meisterstück zeigt auf wenigen Seiten ein konzentriertes Abbild des Verfalls einer Gesellschaft und eines Staates. Der moralische Kampf Schachs ist insofern symptomatisch, als das er mit allen Mitteln die vergessenen Werte Preußens zu leben versucht. Und scheitert.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3, Die Figuren: Fontane verwischt ein wenig die wahre Begebenheit, aus der er schöpft. Der 53-jährige Major Otto Friedrich Ludwig von Schack und seine über 30-jährige Verlobte, Victoire von Crayen-Leveau, sollten eine Geldheirat eingehen. Der Major versucht sich auf diese Weise aus seiner finanziellen Misere zu retten, doch wenige Tage vor der Verlobung erschießt er sich jedoch. Fontane hat drei essenzielle Bestandteile der Geschichte übernommen: die Hässlichkeit der Verlobten, den Ruf des Majors, der als elegant und mondän galt, und schließlich das Motiv für seinen Selbstmord, nämlich die Angst vor Lächerlichkeit und Spott. Ein entscheidendes Detail verändert er jedoch, das Datum. Die wahre Begebenheit fand 1815 statt, Fontane verlegt sie auf 1806, den Vorabend des Untergangs Preußens. Alleine diese Umdatierung ist Hinweis genug, dass Fontane hier das gesellschaftliche Geschehen unter das Licht des Politischen stellen wollte. Die Angst vor dem Ridikülen hat Fontane von Nostitz Erinnerungen übernommen, genauso wie das Motiv der Ehescheu. Dieser musste nämlich ein bürgerliches Mädchen heiraten. Er glaubte jedoch, dass es ihm jeder ansehen könnte, dass er verheiratet sei. Dieses Gefühl konnte er nicht ertragen und so verließ er seine Frau wenige Tage nach der Eheschließung für immer. Diese Angst der Gensdarmes ist geschichtlich motiviert, denn seit dem Ausspruch Friedrich des Großen, ‘seine ‘Officiers’ sollten durch das Schwert selig werden und nicht durch die Scheide’, ist das Zölibat quasi zur beruflichen Tradition der jungen Offiziere geworden. Beachtlich bei Fontanes Darstellung der Charaktere ist ihre Mittelmäßigkeit, die Bülow später im Salon des Prinzen Louis Ferdinand beklagt. Die Analyse seiner aristokratischen Helden, ihrer menschlichen Schwächen, ihrer überlebten Ideologie und einer fragwürdigen Haltungsmoral zeigt fast immer einen einfachen Durchschnittsmenschen. Sei es Schach von Wuthenow, Waldemar in ‘Stine’, Baron Instetten in ‘Effi Briest’ oder Botho in ‘Irrungen Wirrungen’. ‘Am Schicksal solcher Figuren, die sämtlich altpreußischer Überlieferung im tiefsten Zugetan sind, enthüllt sich die neue soziale, politische, moralische Funktion des Preußentums in Diensten einer monopolistischen Bourgeoisie.’ Alleine die privat–moralisch–ideologische Beschaffenheit seiner Figuren ist also eine mittelbare Kritik an Preußen. Fontane will die Überheblichkeit des Adels, seinen Standesdünkel aufzeigen. Er will die Aristokratie nicht bloßstellen oder belehren, aber doch in ihre Schranken weisen. Er ist es leid, ständig mit Scheinwerten konfrontiert zu sein, will wieder echte Werte, wirkliche Größe, keine falsche Ehre mehr erleben. Er heißt es gut, was der Große Friedrich im 18. Jahrhundert autokratisch aufgebaut hat, verurteilt aber das Weiterleben dieser Erscheinungsformen. Am 08.08.1880 schreibt er darüber seiner Tochter: ‘Es war hier, auf dem Terrain zwischen Oder und Elbe, wenig oder nichts gegeben, und die beiden organisatorischen Genies, Friedrich Wilhelm I und Friedrich II, schufen durch künstlerische Werte wirkliche Werte… Beide genannte Könige nahmen einen ganz gewöhnlichen, oft einen ruppigen Kerl und sagten: >Du bist nun Rendant oder Steuerinspektor, oder Postmeister oder auch Gesandter.< Alle vier, in den weitaus meisten Fällen, blieben ruppige, rohe selbstsüchtige Subjekte der Rang aber, der ihnen verliehen worden war, die bevorzugte Stellung, deren sie sich erfreuten, die pekuniären Vorteile, die ihnen zuflossen, gaben ihnen ein starkes Standes- und zuletzt auch persönliches Selbstgefühl, das in der zweiten und dritten Generation segensreiche Frucht trug. Aber alles hat seine Zeit. So lang´ es galt, aus einem fruchtbaren Rohmaterial erst ein brauchbares Staats- und in weiterer Entwicklung auch ein einigermaßen genießbares Menschenmaterial herzustellen, war dieser Prozess des >Wichtignehmens< nicht bloß selber wichtig, sondern auch überaus erfreulich und beinah´ schön. Nun sind wir aber aus dem Gröbsten heraus, und es muss nun mit dem Scheinwesen ein Ende haben. Ein Leutnant darf eben nur ein Leutnant sein und muß darauf verzichten… ein Halbgott oder überhaupt irgend was Exceptionelles sein zu wollen. Aber wir arbeiten immer noch mit falschen Werten.’

weitere Bücher zum Thema

Bewerten und kommentieren

Bitte füllen Sie alle mit * gekennzeichenten Felder aus.