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- Dokufiction? Living History? Histotainment? Der Archäologe im Fernsehen zwischen Reenactment und Computeranimation
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 03.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 144
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Wissenschaftsjournalismus boomt. In Radio, Zeitung, Fernsehen und Internet platzieren eigenständige Wissenschaftsredaktionen Sendungen und Formate. Einige private Programmbetreiber haben inzwischen eigene Dokumentationskanäle gegründet und bestücken das Programm mit Wissenssendungen aller Art. Mit einer solchen Spezialisierung lässt sich gezielt der jeweils interessierte Zuschauerkreis ansprechen und an das Format binden. Dabei hatten die Naturwissenschaften, was die mediale Präsenz angeht, über lange Zeit die Nase vorn mit Wissenschaftsjournalismus meinte man früher fast schon synonym Naturwissenschaft, Technik und Medizin. Inzwischen holen die Geisteswissenschaften immer mehr auf. Nicht nur die Erwachsenen scheinen sich für Wissensformate begeistern zu können. Auch die Nachfrage nach Wissenssendungen für Kinder steigt. Von all den Wissenschafts- oder Wissenssendungen haben aber keine einen solch unvergleichlichen Aufschwung erlebt wie jene mit historischem Inhalt. Histotainment wird dies an verschiedener Stelle inzwischen genannt. Dieses Buch befasst sich anhand zweier ausgewählter Beispiele mit archäologischen Dokumentationen, oder vielmehr mit Dokumentationen archäologischen Inhalts mit dem Ziel, die Rolle des Archäologen darin näher zu untersuchen. Die eben gemachte Unterscheidung ist notwendig, denn eine klare inhaltlich wie formal abgegrenzte Dokumentation, gerade im historisch-archäologischen Segment, ist im Fernsehen nur noch selten zu finden. Die Hybridformen des dokumentarischen Formats überwiegen im Programmalltag. In den letzten Jahren ist die Anzahl jener Dokumentationen, welche einen archäologischen Inhalt oder zumindest einen archäologischen Zusammenhang vor historischer Kulisse beschreiben, enorm angestiegen. Nun ist es bei weitem nicht so, dass es vorher keine solchen Sendungen gegeben hätte, jedoch stellt sich die Frage, wieso auf einmal so viele Formate mit archäologisch-historischem Inhalt auf den Markt drängen. Neben den älteren, hinreichend bekannten Flaggschiffen der öffentlich-rechtlichen Sender wie Terra X (ZDF) oder Schliemanns Erben (ZDF), ziehen die privaten Sender nach und installieren mit Gallileo-History (ProSieben) oder Planetopia (Sat1) eigene Magazine, in denen oft historische oder archäologische Inhalte unter dem Einsatz eines Archäologen vermittelt werden. Welchen Vorteil, wenn es denn einen gibt, hat dieser große Sendungsoutput für die Wissenschaft oder den Wissenschaftler, speziell den Archäologen, der es in diesem Rahmen immer öfter selbst ins Fernsehen schafft? Welches Bild wird von ihm und seiner Arbeit vermittelt? Diese Fragen werden im vorliegenden Buch ausführlich behandelt.
Textprobe: Kapitel 3., Dokumentarische Formate und Archäologie: Was Filme, und damit auch Dokumentationen, grundsätzlich sind, beschreibt der Medienforscher Knut Hickethier so: ‘Audiovisuelle Bilder und Töne sind direktes Ergebnis eines technischen Produktionsvorgangs, eine mit technischen Apparaturen operierenden Inszenierung und Realisation eines kommunikativen Vorhabens. Sie sind Resultat der Arbeit von einzelnen Autoren, Regisseuren, künstlerischen und technischen Mitarbeitern, die in der Regel jedoch nur kollektiv Zustande kommt. Sie entstehen bis auf wenige Ausnahmen heute innerhalb einer Institution, sei es eines kommerziellen Unternehmens oder einer öffentlich rechtlichen Anstalt. Sie unterliegen damit den inneren Mechanismen, Abhängigkeiten und Zwängen dieser Institutionen, die ihrerseits gesellschaftlichen Regulativen wie Gesetzen, Staatsverträgen, Verordnungen etc. bzw. den marktwirtschaftlichen Bedingungen gehorchen. Doch gegenüber diesem Rahmen der Kommunikationsbedingungen bewahren die Produkte, Filme und Fernsehsendungen, auch eine gewisse Unabhängigkeit, da sie zwar unter den jeweiligen Bedingungen zustande gekommen sind, dies aber nicht direkt abbilden.’ Knut Hickethiers Zusammenfassung umreißt in einem kurzen Absatz gleich mehrere für diese Untersuchung interessante Problemfelder. Es darf nicht vergessen werden, dass es einmal eine Bestrebung gab Fernsehen per se als Kunst zu deklarieren. Seine enge Verwandtschaft mit dem Kino, welches sich zunächst ebenfalls als eine reine Kunstform definieren wollte, legte diesen Umkehrschluss nah. Noch Anfang der sechziger Jahre blieb dieses Selbstverständnis ein wichtiger Bestandteil der Fernsehmacher. Mit der Weiterentwicklung der Formate wurde es aber nicht mehr haltbar, man erkannte: Nur die wenigsten Formen des Fernsehens halten einem Kunstanspruch stand. Nichts desto trotz, vermengen sich dieser Kunstanspruch und die journalistische Wirklichkeit wieder beim Dokudrama oder den Reenactmentformaten. 3.1, Dokumentarfilm oder Dokumentation? Der Dokumentarfilm gilt von seiner ersten Benennung an als eine Art des Films, in der mit filmischen Mitteln tatsächliches Geschehen sachlich und realistisch aufgezeigt wird. Dabei bleibt der Begriff des Dokumentarfilms selbst umstritten, was vor allen an den vielen Misch- und Hybridformen liegt, welche sich im Laufe der Fernsehgeschichte ausgeprägt haben. Die Übergänge zwischen einzelnen dokumentarischen Formaten wie Dokumentarfilm, Dokumentation und Feature sind fließend. Annette Kätsch-Hattendorf weist darauf hin, dass viele Programmzeitschriften das Format Feature als Dokumentation ankündigen, da der Begriff Feature in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist. Oft wird auch der Begriff Dokumentation synonym als Ober- oder Sammelbegriff für alles dokumentarische, also Wirklichkeitsabbildende, verwendet. Was Dokumentarfilm und Dokumentation voneinander genau unterscheidet oder was sie verbindet, kann letztendlich niemand zur Zufriedenheit aller definieren. Die Meinungen und Definitionsversuche gehen hier teilweise weit auseinander. Laut Manfred Götzke und Leila Knüppel ist nicht einmal geklärt, ob es sich bei den jeweiligen Begriffen um ein Genre, ein Qualitätsmerkmal oder einen Sammelbegriff handelt. Nach beider Meinung muss trotzdem deutlich zwischen Dokumentation und Dokumentarfilm unterschieden werden. Der Dokumentarfilm beschreibt die von ihm zu erklärenden Zusammenhänge, er behauptet von sich tatsächlich stattgefundenes verifizierbares Geschehen abzubilden. Damit stellt er sich selbst, qua Definition, unter das Primat der Authentizität. In wie weit dieses Primat gerade im Fernsehen überhaupt erreicht werden kann, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden, dazu nur soviel, die Meinungen unter Medienwissenschaftlern darüber reichen von der Behauptung, man könne eine wahre Authentizität beim Dokumentarfilm niemals erreichen, da alle filmische Abbildung bereits eine Interpretation des Machers sei, bis zu der Aussage man könne natürlich absolut authentisch und objektiv sein. In diesem Bereich eines Definitionsversuches, im Bereich der Festlegung wie fähig der Mensch und sein Medium zur Unterscheidung zwischen objektiv und subjektiv sind, betritt man das weite Feld der Philosophie. Mit der Frage nach der Authentizität lässt sich also weder der Dokumentarfilm noch ein anderes dokumentarisches Format schlüssig definieren ohne zwangsläufig in eine Diskussion über filmische Realität zu geraten. Es gibt aber Versuche die Dokumentation ganz allgemein zu beschreiben. Nach dem Ergebnis dieser Bemühungen ist sie eine journalistische Darstellungsform, welche im Fernsehen als eine Langform von meist zwischen 30 und 45 Minuten Dauer auftritt. In Dokumentationen werden, um dem ihr innewohnenden Anspruch der Authentizität gerecht zu werden, verschiedene Mittel als Nachweis wirklichen Geschehens benutzt. Zeitzeugen, Dokumente, Film- wie Tonausschnitte und Spielszenen führen den Rezipienten an das Thema heran und versuchen einen objektiven Überblick zu bieten. Die Erfolge der mit großem Aufwand produzierten amerikanischen Kinodokumentationen der letzten Jahre haben diese journalistische Darstellungsform wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und der kommerziellen Produzenten gerückt. Doch diese Dokumentationen bewegen sich nach der eben versuchten Charakterisierung in einem Grenzbereich, weil sie nicht dem klassischen Authentizitätsdogma verpflichtet sind, beziehungsweise sich davon bewusst absetzen. Sowohl Michel Moores Filme, wie zum Beispiel ‘Fahrenheit 9/11’, oder Al Gores ‘An Inconvenient Truth’, erreichen zwar ein großes Publikum, aber sie polarisieren auch, da sie im Dienste einer Meinung, einer vorher aufgestellten These, die es zu beweisen gilt, stehen. Sie dokumentieren nicht, sondern berichten einseitig, um eine vorher festgelegte Prämisse zu vertreten und den Zuschauer zum Vertreter dieser Idee zu machen. Wie wirksam und überzeugend Film sein kann erkannte man schon früh. Es wäre in jeder Form ungerecht Filme wie ‘Darwin's Nightmare’ mit den menschenverachtenden Propagandafilmen totalitärer Systeme zu vergleichen, doch zeigen diese Arbeiten wie sehr das Mittel Film überzeugen kann. Auf der großen Leinwand werden die Dokumentationen, schon allein des Aufwands bei ihrer Produktion wegen, weiter nur ein Nischenprodukt bleiben. Für einen derartigen Film über ein archäologisches Thema bestehen wenige Chancen. So interessant der Background archäologischer Informationen und Erkenntnisse auch ist, er beschränkt sich im Wesentlichen auf eine bestimmte Zielgruppe. In der Archäologie ist die Trennung zwischen Kino und Fernsehen vollkommen. Im Kino werden archäologische Themen und der Archäologe als Protagonist für Fiktion benutzt, im Fernsehen wird innerhalb der dokumentarischen Formate ernsthafter über ihn, seine Wissenschaft und die Forschungsergebnisse berichtet. Ist man sich auf der einen Seite noch über die Ursprünge einig, dass nämlich die ersten bewegten Bilder überhaupt, wie bei den ersten Filmen der Brüder Lumière, dokumentarischer Natur waren, so ist man auf der anderen Seite heute auf der Suche nach Begriffen. In Frankreich wurde die Bezeichnung ‘Feuilleton documentaire’ etabliert. Die folgende Definition beschreibt eine filmische Dokumentation eigentlich ziemlich genau: ‘Das Wort Dokumentation bezeichnet auch – Anlass zu Missverständnissen - eine journalistische Darstellungsform, die vor allen Aktenauszüge und sonstige dokumentarische Texte (bei der Presse) sowie Originalaufnahmen (bei Funk und Fernsehen) verwendet. Dokumentationen bedeuten in diesem Zusammenhang Darstellung des für ein Problem oder ein Ereignis einschlägigen Materials.’ Welches Material aber entspricht der Wirklichkeit? Oft wird behauptet, dass sich schon mit dem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm ‘Nanook of the North’ aus dem Jahre 1922 von der Authentizität und damit der Wirklichkeit verabschiedet wurde, da der Regisseur Robert J. Flaherty mit Regieanweisungen und geschickten Bauten seinen Film attraktiver machte. So ließ er seinen Protagonisten, der besseren Bildausbeute wegen, eine schon tote Robbe noch einmal erlegen und versuchte durch den Umbau eines Iglus spektakuläre Einstellungen zu bekommen. Doch schon vor der Erfindung des abendfüllenden Dokumentarfilms zeigte der deutsche Filmpionier Oskar Messter dem Publikum unter der Rubrik ‘historische Aufnahme’ in ‘vollkommenster Naturwahrheit’ einen deutschen Kanzler, der gar keiner war, sondern ein dem Kanzler ähnlich sehender Freund der Familie. Wie Paul Werner schreibt begann damit schon in der Kinderzeit des Films der Betrug am Kunden und die Beförderung einer Sucht nach Sensationen.
Robert-Alexander Ansorg, M.A., wurde 1973 in Neustrelitz geboren. Nach dem Berufsabschluss zum Tischler und zwischenzeitlicher Arbeit als Restaurator studierte er Archäologie und Journalistik. Das Studium schloss er 2011 mit dem Magister Artium erfolgreich ab. Gespräche mit Passanten während zahlreicher Ausgrabungen führten den Autor zu der Fragestellung nach der medialen Darstellung von Archäologie und Archäologen. Gleichermaßen begeistert von Film und Archäologie widmete er sich dem Thema des vorliegenden Buches.
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