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- Die Wüste schreibt zurück: Paul Bowles "Himmel über der Wüste" und Michael Ondaatjes "Der englische Patient"
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 92
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
The desert is the protagonist.” Das sagt Paul Bowles über seinen wohl bekanntesten Roman The Sheltering Sky”. Was ist das Besondere an der Wüste und wie ist es möglich, einer Landschaft die Funktion des Protagonisten zuzusprechen? Welche Konsequenzen hat dies letztlich für den Text? Die Absolutheit der Wüste spiegelt und bricht die selbstherrliche Selbstverständlichkeit der Fremden, die geblendet von der Transparenz zwischen Himmel und Sand ihre eigenen Konturen ablegen möchten. Das Buch folgt Paul Bowles und Michael Ondaatjes Figuren auf ihrem Weg durch die Wüste und darüber hinaus. Ihre Erwartungen füllen den Raum zwischen Sand und Himmelszelt, doch es gibt Risse, die den Kontrapunkt der Wüste durchscheinen lassen. Sind es diese Kontrapunkte, die Bowles meint, wenn er davon spricht, dass die Wüste der eigentliche Protagonist ist?
Textprobe: Kapitel 2.1, WAS IST EINE WÜSTE? – SYMBOL UND VERORTUNG: Egal in welchem Sprachraum man sich befindet, mit der Bezeichnung le désert, die Wüste oder the desert assoziiert man zunächst eine bestimmte Art von Landschaft.. Natürlich gibt es metaphorische Verwendungen und Komposita dieses Begriffs, aber erst einmal denkt man an eine karge, weite und grenzenlose Landschaft, an Sand, an Trockenheit, an Hitze und an eine spärliche Vegetation. Der heutige Wortgebrauch von Wüste ist zurückzuführen auf die lateinischen Begriffe deserta, solitudines, (h)arena sterilis und vastitas, die allerdings auch andere ‚wüste‘ Landstriche wie Wälder, Berge, Inseln oder verlassene Örtlichkeiten bezeichneten. Diesen lateinischen Bezeichnungen für die Wüste sind verschiedene Bedeutungszusammenhänge eingeschrieben. Die ersten beiden Begriffe beschreiben die Wüste in ihrer direkten Erfahrbarkeit für den Menschen in Bezug auf die phänomenalen Gegebenheiten und bilden so ein negatives Gegenbild zur Zivilisation, während die beiden letzteren Begriffe versuchen, die phänomenalen Gegebenheiten einer Landschaft möglichst objektiv als lebensfeindlich zu beschreiben, obwohl diese Wertung natürlich auch immer nur in Relation zum Menschen gesehen werden kann, und diese Objektivität deshalb durchaus kritisch zu betrachten ist. Die Entstehung des Begriffs Wüste in seiner Bedeutung und seinem Verständnis zeichnet sich also durch konträre, negative Beschreibungen und Bezeichnungen aus, die immer nur im Verhältnis zum Menschen und der Zivilisation gesehen werden können. Auch der kennzeichnende Aspekt der unermesslichen Weite stellt einen Gegensatz zum kartierten und deshalb überschaubaren und organisierbaren Kulturraum dar. Der Etymologie des Begriffes Wüste oder desert ist also eine negierende Bedeutung und Funktion eingeschrieben. Doch dieser Gegenbildcharakter zur Zivilisation bestätigt und hinterfragt diese gleichzeitig, indem sich aufgrund ihrer konträren Bedeutungszuschreibungen beide gegenseitig bedingen. Die Tendenz, die in Uwe Lindemanns umfangreicher Untersuchung zur literaturhistorischen Bedeutung der Wüste zu erkennen ist, ist eine Wüste als Terra incognita, die mit Erlebnissen, Empfindungen und Symbolen zu füllen ist bzw. bislang gefüllt wurde. Die Wüste gilt als eine leere Fläche, als ein Mangel von etwas, die den Projektionen des Menschen über die Jahrhunderte hinweg Raum bietet. Als leere Projektionsfläche spricht auch Lindemann der Wüste eigene Eigenschaften ab, sie unterliegt vollständig den Konnotationen und Einschreibungen der menschlichen Kulturgeschichte. Sie ist eine Landschaft, die das Subjekt in Relation zu sich selbst stellt. Doch ist das wirklich so? Ich möchte in meiner Studie zeigen, dass die Wüste mehr als eine Landschaft in dem Sinne, mehr als eine Projektionsfläche ist. Und eben dieses mehr und nicht ein weniger ist es, was die Wüste so besonders macht, warum sie so oft zum Austragungsort schicksalhafter Handlungen oder Taten gewählt wird. Das ist es, was Paul Bowles den Protagonisten nennt und das ist es, was in den Text eingeschrieben ist, was außerhalb der symbolischen Bedeutungseinschreibungen des Menschen liegt und den Kontrapunkt bildet. Die Wüste als literarischer Ort umspannt einen weiten Raum von Assoziationen, die von der Bibel bis zu Derrida (als Metapher über die Schrift und das Schreiben) reichen. Die literarische Weite dieses Begriffes lässt sich wohl ebenso schlecht festmachen, wie die geografische Weite. Die Wüste des Alten Testaments ist vorwiegend ein Ort der Prüfungen, des Umherirrens und des Loslösens vom Irdischen, aber kein Ort der Einsamkeit. Es gibt die Wüste der Genesis, das uranfängliche Chaos, Adams zur Strafe zugewiesener Anti-Garten, Ort individueller Prüfungen für die Patriarchen – der Wüste des Exodus gegenübergestellt, dem Sinai des Mose und des jüdischen Volkes, einer kollektiven Wüste, in der die entscheidende Offenbarung Jahwes sich ereignete. Die Wüste war nicht nur ein Ort, sondern ein Zeitraum der heiligen Geschichte, in deren Verlauf Gott sein Volk erzog. Im Neuen Testament ändert sich das Bild der Wüste, sie wird vom Ort der Prüfungen zum Ort der Versuchungen des Bösen. Da wird Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er vom Teufel versucht würde (Matthäus 4,1). Doch die Wüste bedeutet auch Zuflucht und Einsamkeit. In der arabischen Dichtung des 6. Jahrhunderts zeichnet sich die Wüste besonders durch die große Vielfalt an Begriffen aus, die die verschiedenen Wüsten und ihre geologischen Formationen viel differenzierter beschreiben. Doch in der Dichtung stand trotzdem nicht die Wüste selbst im Vordergrund, sondern der eigentliche Topos war meist die Durchquerung und Orientierung in der Wüste. Das Ziel war niemals die Wüste selbst, sondern sie wieder verlassen zu können. Die Wüste dient den Menschen in ihrem Bestreben nach Erhabenheit und Melancholie, göttlicher Offenbarung, Einsamkeit und Fremde. Die Wüstensymbolik und –motivik fungiert insbesondere in der abendländischen Kultur als sozial-gesellschaftlicher Gegenentwurf und wird zumeist nur in dieser metaphorischen Bedeutung begriffen. Hierbei ist besonders die Konstruiertheit dieser Wüstenmotive zu betonen, die aufgrund eben dieses Gegenbildcharakters Rückschlüsse auf den Konstrukteur und seine zweckgerichtete Motivation wie Nutzbarmachung, Aneignung, Kontrolle und Selbstprofiliation erlauben. Eine Dekonstruktion des Begriffes ermöglicht daher einen hohen Erkenntniswert für Untersuchungen bezüglich des Verhältnisses zwischen Mensch und Umwelt. Um einen ersten Eindruck über die Begrifflichkeit Wüste und ihren Gebrauch zu bekommen, schauen wir uns in unserem alltäglichen Sprachvokabular um. Man betrachte bloß die zahlreichen Komposita, die sich um diesen Begriff gebildet haben, Wasser-, Eis-, Großstadt-, Salz-, Geröll-, Stein-, Sand- und Steuerwüste. Hierbei handelt es sich nicht immer um wirkliche Räume, die aufgrund von Ähnlichkeiten mit geografischen Gegebenheiten der Wüste entstanden sind, sondern der Begriff Wüste wird auch im übertragenen, abstrakten Sinn als Metapher genutzt (Bsp. Steuerwüste). Als geografische Eigenschaft ist es die Grenzenlosigkeit der Wüste, die als wichtigste metaphorische Gemeinsamkeit für die meisten Komposita dient.
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