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- Die Welt als dramaturgisches Labyrinth: Das politische Denken im Werk Friedrich Dürrenmatts
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 01.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 72
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Friedrich Dürrenmatt verstand sich immer als ein politischer Autor. Sein Schreiben sollte auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen und zum Nachdenken und - vor allen Dingen - zum Handeln anregen. Leser und Zuschauer sollen durch seine Werke einen klareren Blick auf Welt, Mensch und Politik erhalten und so zu Handlungsanweisungen und Lösungsmöglichkeiten für ihr eigenes Leben und die sie umgebende Gesellschaft gelangen. Während bereits umfassende Literatur zur literaturwissenschaftlichen Bedeutung und Interpretation Dürrenmatts existiert, fehlte bisher eine genaue Analyse seines politischen Denkens. Dabei entwickelt Dürrenmatt hinter allem pessimistischen und komischen Schein seiner Werke ein tiefgründiges und interessantes politisches Denken: Den totalitären Ideologien seiner Zeit setzt er einen Gegenentwurf aus zweifelnder Vernunft, Menschlichkeit, Freiheit, Hoffnung und Pragmatismus entgegen. Der Bedrohung des Menschen stellt er eine freilich unspektakuläre aber dafür noch mögliche Rettungsvision in Form einer Rebellion der Einzelnen gegenüber. Und der Unübersichtlichkeit der Welt versucht er durch dramaturgische Verbildlichung in Theater und Literatur entgegenzuwirken. Dürrenmatt selbst kann freilich keine absolute, vollgültige Lösung aller Weltprobleme anbieten. Weder hält er dies für möglich, noch hält er es für erstrebenswert. Stattdessen soll jeder Einzelne selbst denken und handeln. Dürrenmatt sieht seine Aufgabe als Autor lediglich darin, dem Einzelnen eine Grundlage und Anleitung zum Denken zu geben: seine Stücke, Romane, Erzählungen, Aufsätze, usw. Sie gilt es zu nutzen. Dieses Buch soll eine Hilfe dazu sein, die gedanklichen Grundlagen des politischen Denkens Dürrenmatts zu verstehen, um damit auch die von ihm auf der Bühne in Stoffen, Bildern und Geschichten vorgeführten Konflikte, Probleme und Weltsichten verstehen und richtig weiterdenken zu können. Denn Dürrenmatts dramatisches Werk kann ohne Kenntnis seines politischen Denkens immer nur unvollkommen erfasst werden. Dass Dürrenmatt dabei noch immer hochaktuell und relevant ist zeigt eine kleine Auswahl seiner Themen: Wirtschaftskrisen, Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Armut, staatliche Intransparenz, scheinbare Alternativlosigkeiten, Bürokratisierung, Verworrenheit einer immer unübersichtlicheren Welt usw. All dies betrifft uns heute mehr denn je und Lösungsvorschläge werden immer dringender gebraucht.
Textprobe: Kapitel 3.4: Dürrenmatts Sicht auf die Welt: Dürrenmatts Einschätzung der Welt ist einer der Hauptgründe dafür, dass er so häufig als Pessimist oder Nihilist bezeichnet wurde. Drei Zitate von 1951, 1976 und 1990 zeigen, als wie düster, verworren und bedrohend, aber auch bedroht Dürrenmatt die Welt in seinen Werken beschreibt: Die Menschheit ist als Ganze schuldig geworden, ein jeder will mit den Idealen auch die Kehrseite retten: die Freiheit und die Geschäfte, die Gerechtigkeit und die Vergewaltigung. Der Mensch […] hat sich ein Diesseits errichtet, das Höllen aufweist, die Schuldige und Unschuldige in einer Welt gleichermaßen verschlingen […]. Unfähig, die Welt nach seiner Vernunft zu gestalten, formt er sie nach seiner Gier und umstellt sich selbst mit den schwelenden Bränden seiner Taten […], ein Gefangener seiner eigenen Sünde. [Die Zukunft] mag zurückblickend unsere Zeit als ein finsteres Mittelalter erblicken, nicht bloß unserer Ideologien, unserer sinnlosen Kriege, unserer hilflosen Politik wegen, sondern auch unserer mangelhaft entwickelten Technik halber, der wir nicht gewachsen sind, die, sinnlos luxurierend und nicht gesteuert, im Begriff ist, die Erde leerzuplündern. (N, S. 149f) Wie das Weltall expandiert auch die Menschheit, in absehbarer Zeit wird sie zehn Milliarden Menschen zählen. Wir bauen uns eine technische und ökonomische Katastrophenwelt auf. Die Galaxis der Armut droht die unsere des Wohlstands zu durchdringen, die freie Marktwirtschaft beschwört Krisen herauf. […] Nie waren der Hunger, das Elend und die Unterdrückung so groß. . Immer wieder schreibt und spricht Dürrenmatt über die ungeheure und komplizierte Realität , das technisierte, für den Einzelnen unüberschaubare, anonymisierte, komplexe, katastrophenanfällige usw. Rätsel[], das wir Welt nennen . Nicht von ungefähr ist Dürrenmatts ständig wiederkehrende Metapher für die Welt das Labyrinth als das getreue Abbild einer bildlos gewordenen Welt, nicht im Sinne eines mythischen Symbols, sondern als reale Topographie des Lebens und als literarische Konkretion der Wirklichkeit . Hinzu kommt die Einschätzung, dass ein Krieg zum einen durch Erfindung und Verbreitung der Atombombe, aber auch durch die ungeheure industrielle Verflechtung und ökonomische Abhängigkeit der Welt das Ende bedeuten würde die Menschheit sei sterblich geworden. Der Welt an sich spricht Dürrenmatt dabei einen höheren Sinn ab, da es einen solchen für ihn auch mangels der Möglichkeit zur Objektivität grundsätzlich nicht geben kann. Positive Aspekte der Welt werden von Dürrenmatt in seinem literarischen Werk häufig ausgeblendet. Dass er sie dennoch wahrnimmt, zeigen zwar beispielsweise liebevoll beschriebene Details, immer wieder auftauchende üppige kulinarische Abschweifungen und teilweise auch ganze Szenen in den Dramen. Aber selbst, wenn er einmal die Welt als Möglichkeit zeigt, dann in der Regel als eine Chance, die vertan wird . Die Ausformungen und Hintergründe zu Dürrenmatts negativer Weltsicht sind in der Forschung umstritten: Auf der einen Seite stehen jene, die in Dürrenmatt (zumindest in dieser Beziehung) den Pessimisten sehen: Die Welt und die Bühne, die diese Welt bedeutet, sah er als ‚ein Rätsel an Unheil‘, vor dem man kapitulieren darf. Die Welt ist ein Irrenhaus (von Dürrenmatt: ‚Die Physiker‘), ihre Abläufe sind Schmierenkomödien (dito: Gesamtwerk), ihr Sinn ist der Unsinn (dito: Gesamtwerk). In seinem Werk nach einem kohärenten Weltbild zu suchen ist ein müßiges Unterfangen, da er sämtliche Spielarten der Phantasie und des Entsetzens angesichts der gesichtslosen Welt vorführt. Wenn er uns etwas zu sagen hat, dann nichts anderes, als daß es auch in unserem grotesken Alltag und nutzlosen Getöse einer sich zersetzenden Welt mitunter, zufällig, noch mögliche Geschichten gibt. . Auf der anderen Seite stehen jedoch differenziertere Einschätzungen wie die von Urs Jenny: Das Weltgefühl, das aus Friedrich Dürrenmatts Werk spricht, [ist] das Gefühl der Kleinheit und Ohnmacht des Menschen vor einer chaotischen, nicht zu bewältigenden Welt, die ein Ungeheures ist, ein Rätsel an Unheil, das hingenommen werden muß, vor dem es jedoch kein Kapitulieren geben darf. Denn bei Einbeziehung aller Texte und Textarten des Autors liegt der Schluss nahe: Die Darstellung der Welt auf eine solch düstere Weise, die in den späten Dramen Dürrenmatts den Höhepunkt ihrer Drastik erreicht, geschieht zwar auch aus dem Erkennen und Beklagen von gravierenden Missständen heraus, erfüllt darüber hinaus jedoch einen speziellen Zweck. Angedeutet wird dies durch Dürrenmatt in den Sätzen: Die Welt war nie heil. Man muß immer wieder versuchen, sie zu heilen. Dürrenmatt will mit seiner Schriftstellerei warnen, aufmerksam machen und zum Handeln anregen, anstatt zu trösten. Seine literarische Weltsicht ist deshalb nicht pessimistisch, und schon gar nicht nihilistisch, sie ist warnend und aufrüttelnd – in Dürrenmatts Sinne dramaturgisch. Er zielt eben nicht darauf, die Kapitulation vor der Welt zu propagieren, sondern möchte im Gegenteil zum Nachdenken anregen und zum Bestehen der Welt auffordern. Geteilt wird diese Einschätzung auch durch Heinz Ludwig Arnold, der meint: [Dürrenmatt beschreibt] eine verwirrende, zur Katastrophe neigende Welt, deren Gefahren vielleicht zu bannen sind, wenn man immer wieder ausmalt, wie die schlimmstmögliche Wendung beschaffen ist, auf die wir zutreiben. .
Hans-Ludwig Buchholz wurde 1989 in Halle/Saale geboren. Er studierte bzw. studiert Staatswissenschaften und Politische Theorie in Passau, Darmstadt und Frankfurt am Main. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich dabei vor allem mit Politischer Theorie und Ideengeschichte, aber auch mit Internationaler Politik und Volkswirtschaftslehre. Sein wissenschaftliches Interesse konzentriert sich auf die Bereiche des politischen Denkens literarischer Autoren und der Ideengeschichte der politischen Philosophie. Die große Begeisterung für die Dramen Friedrich Dürrenmatts animierte ihn dazu, sich dessen Werk aus der Perspektive der Politischen Theorie intensiver zu nähern.
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