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- Die Mochica an der Nordküste Perus
Kunst & Kultur
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 12.2008
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Abb.: 29
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Von den südamerikanischen Kulturen ist gewöhnlich nur diejenige des Inkareiches ins kollektive Bewusstsein gedrungen. Deren kurze, aber intensive Erfolgsgeschichte und ihr spektakuläres Ende verdecken die Tatsache, dass auch schon vor ihnen hochentwickelte politische und religiöse Strukturen bestanden haben. Sie zu vernachlässigen, wäre dasselbe, als wollte man die antike Geschichte allein durch das römische Reich repräsentiert sehen, unter Weglassung der griechischen, ägyptischen und vorderasiatischen Reiche und Kulturen. Das vorliegende Buch behandelt eine dieser vorinkaischen Kulturen, diejenige der Mochica im Gebiet des heutigen Peru, die immerhin beinahe ein Jahrtausend (vom 1. vorchristlichen Jahrhundert bis ca. 800 n. Chr.) existiert hat und dann aus unbekannten Gründen zusammenbrach. Am wahrscheinlichsten ist eine Umweltkatastrophe infolge des El-Niño-Phänomens. Die methodische Schwierigkeit der vorliegenden Studie liegt darin, dass sie (bzw. die ihr zugrundeliegende Sekundärliteratur) sich ausschließlich auf archäologische Quellen (Wandritzungen und Keramik) stützen muss, deren Interpretation als Extrapolation aus den inkaischen Verhältnissen bzw. deren Darstellung aus der Conquistazeit erfolgen muss. Der Autor ist sich dieser Problematik sehr wohl bewusst und thematisiert sie auch. Den Zugang zur Kultur der Mochica sucht er über die Religion, die ja von den staatlichen Strukturen nicht zu trennen ist. Ausführlich wird dabei der 1987 erfolgte sensationelle Fund des Fürstengrabes von Sipán behandelt. Er geht den Fragen nach, die sich dadurch zwangsläufig ergaben: Welche tatsächliche Bedeutung hatte die Religion? Welche Machtverhältnisse ergaben sich daraus und welche Rolle spielte dabei die Kunst? Wesentliche Grundlage seines Urteils bilden nicht nur eigene Recherchen vor Ort, sondern auch seine methodische Vorsicht und Sorgfalt sowie die geschickte Auswahl von anschaulichem Bildmaterial.
Kapitel II.1.1, Menschenopfer im Rahmen religiöser Zeremonien: Menschenopfer waren in den alten Andenkulturen wie auch in Zentralamerika weit verbreitet. Die zahlreichen archäologischen Funde, die der Moche-Kultur zugeordnet werden können, erlauben den Rückschluss, dass auch bei ihnen aus religiösen Gründen zahlreiche Menschen geopfert wurden. Hierzu wurden vermutlich auf der einen Seite Kriegsgefangene und auf der anderen Seite auch Verlierer ritueller Kämpfe innerhalb des eigenen Herrschaftsbereichs herangezogen. Funde auf den Chincha-Inseln an der Südküste stimmen mit den Abbildungen auf einigen Keramiken überein: So fand man in den Gräbern der Bestatteten Holzskulpturen, welche nackte Männer (vermutlich Kriegsgefangene) darstellten, denen ein Strick um den Hals gelegt und die Hände gebunden wurden. Zahlreiche ikonographische Quellen berichten über unterschiedliche Methoden, mit denen die Mochica die auserwählten Opfer dem Tode zuführten: Sie stürzten die Gefangenen von den Klippen wie in Abb. 4 dargestellt, enthaupteten sie oder ließen sie verbluten, indem sie ihnen die Halsschlagader aufschlitzten, was in Abb. 5 zu sehen ist. Das Opfer wird dabei an den Haaren ergriffen, während der Priester – hier mit Hirschkopfhelm – das Messer ansetzt. Ob das Gesicht des Opfers Schmerz, Furcht oder den betäubenden Schlaf der Drogen ausdrückt, bleibt unklar. Die Opferzeremonie war in mehrere Phasen unterteilt – wie Abb. 6 dokumentiert – und diente überwiegend der Beschaffung des Blutes eines Gefangenen. Es begann mit einem rituellen Zweikampf, bei dem Speere, Schleudern und Schwerter eingesetzt wurden nie jedoch sind Pfeile zu sehen, wie sie etwa bei der Tierjagd benutzt wurden. Der direkte Kontakt beider Krieger und deren kämpferische Fähigkeiten standen ganz im Vordergrund der Auseinandersetzung. Beide Gegner trugen eine Körperbemalung und waren mit Schmuck versehen Art und Umfang ihrer Ausrüstung waren jeweils von Herkunft und Status abhängig. Anhand dieser Merkmale kann man erkennen, dass es sich bei allen Kämpfern um Moche-Krieger handelte. Daneben sind aber auch Darstellungen von mythischen Tieren, die als Kämpfer einer Opferzeremonie auftreten, überliefert. Nach heutigen Kenntnissen endete der Zweikampf erst, wenn einer der beiden Kontrahenten den Kopfschutz des Gegners herunterstoßen konnte und dessen Haar zum Vorschein kam – dies wurde als Zeichen der Unterlegenheit gewertet und bedeutete den baldigen Tod. Die Waffen des Gewinners, aber auch die des Verlierers, wurden im weiteren Verlauf der Prozedur als symbolische Gegenstände und die Unterlegenen als Gefangene hohen Kriegern präsentiert, die das Kampfgeschehen etwas abseits beobachtet hatten. Es gilt als gesichert, dass ein Teil zu Sklaven gemacht wurde, während andere Gefangene für die Blutopfer bestimmt wurden. Den Ablauf der Gefangennahme beschreibt Donnan folgendermaßen: Einmal gefangen, wurden alle oder einige Kleidungsstücke abgezogen, ein Seil um den Hals gelegt und die Hände wurden manchmal hinter dem Rücken zusammengebunden. Der Sieger zog dann die Schlinge fest um den Hals des Gefangenen und führte ihn vom Schlachtfeld. [...] Eine Darstellung zeigt, wie dieser zu einem Zeremonialplatz geführt wurde, der von großen Pyramiden mit Tempelstrukturen auf deren Spitze eingefasst war. Im Anschluss an die Verurteilung gab es eine Zeremonie, bei welcher die Gefangenen geopfert wurden . Als Fortsetzung der rituellen Zeremonie, die man sich als eine Art Prozession vorstellen kann, wurde nun das Opferblut gewonnen. Wie bereits erwähnt, wurde u.a. mit Hilfe von Knochen oder spitzen Metallgegenständen die Kehle des Opfers aufgeschlitzt und das Blut in einem Opferkelch aufgefangen. Dies war die nach unserem heutigen Verständnis humanste Art der Mochica, ihre Gefangenen zu töten, indem sie sie einfach verbluten ließen. Überhaupt spielte das Blut eine große Rolle bei dem Ritual. Das Gefäß mit dem Blut überreichte einer der wichtigsten Teilnehmer der Opferprozedur, der Vogelpriester , wie ihn Bourget nennt (gekennzeichnet mit dem Buchstaben B in Abb. 6), dem Fürsten beziehungsweise Kriegerpriester oder Strahlenwesen (Buchstabe A), der ein aufwendiges Ornat trug und dem sich alle anderen Personen zuwandten. Die Identität der Person ganz rechts auf dem Bild (Buchstabe D), welche mit dem Kopf eines Katzendämons geschmückt ist, ist nicht ganz klar, wobei jedoch denkbar ist, dass es sich dabei ebenfalls um einen Priester handelt, der die Opfer mit dem Zepter, den er in einer Hand hält, ausführt. Das in der Ausgrabungsstätte von Sipán befindliche so genannte Grab Nr. 3 wird als Begräbnisstätte dieser Person zugeordnet. Als Grabbeigabe fand man eine Art Meißel mit einer Klinge, die schärfer war als die der üblichen tumi. Dies lässt den Schluss zu, dass diese Meißel bei besonderen Opferriten von besonderen Personen angewendet wurden, was auch die bedeutende Größe der Person D in Abb. 6 rechtfertigen könnte. Denkbar wären laut Bourget beispielsweise Rituale, bei denen die Arterien der Länge nach aufgeschlitzt wurden, was mit einem tumi, welches hauptsächlich für Enthauptungen verwendet wurde, nicht möglich gewesen wäre. Hinter dem Vogelpriester steht eine Frau (Buchstabe C), die an ihren langen, geflochtenen Zöpfen erkennbar ist und als Priesterin identifiziert wurde. Sie hält ebenfalls einen mit einem Deckel verschlossenen Kelch. Auf vielen überlieferten Abbildungen endet die Opferzeremonie mit der Darbietung des Blutes im Opferkelch. Ein derartiger Kelch wurde auch in dem Priestergrab nahe dem Grab des Fürsten von Sipán gefunden. Lange Zeit glaubte man, die Darstellung der Opferzeremonie habe nichts mit den damaligen Begebenheiten zu tun, doch durch die Öffnung von Grabstätten, wie der des Fürsten von Sipán, wurde dies widerlegt. Zu vieles stimmt mit den Zeichnungen auf den Gefäßen überein. Alva und Donnan sind überzeugt, dass die auf dem Sipán-Komplex gemachten Funde von amputierten Händen und Füßen ein Beweis dafür sind, dass die auf den Keramiken dargestellten Szenen auch tatsächlich stattgefunden haben und bemerkt darüber hinaus: Zum ersten Mal war es uns möglich, eine direkte Beziehung zwischen einem in der Moche-Kunst dargestellten zeremoniellen Ereignis und den Individuen, die in diesen Zeremonien teilnahmen, herzustellen... Schließlich war auch der Opfertod für die Mochica nur ein Übergangsritus – denn der Tod stand symbolisch weniger für ein Ende, als vielmehr für einen Neuanfang im Jenseits. Durch die Opfer sollten die Götter gestärkt oder verjüngt werden. Einige Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass auch die Herrscher an die stärkende Kraft des menschlichen Blutes glaubten. Dieses wird in der durch eine zweiköpfige Schlange geteilten Abb. 6 durch einen Raubkatzenmenschen und eine Frau (Buchstabe E) gewonnen. Frauen, die in der Moche-Kunst, abgesehen von den Beischlafszenen, eher eine untergeordnete Rolle spielten, scheinen bei dieser Zeremonie vor allem zwei Funktionen zu haben: einerseits dem Opfer das Blut abzunehmen und andererseits das Blut weiterzureichen. Bei den beiden Gefangenen handelt es sich höchstwahrscheinlich um die Verlierer eines rituellen Zweikampfes. Die Sänfte, die links zu sehen ist und in der ein raubkatzenartiges Wesen sitzt, kann auf Grund der Strahlen dem Strahlenwesen in der oberen Hälfte zugeordnet werden, was meiner Meinung nach auch die Bedeutung der Feliden in der Moche-Kultur unterstreichen könnte. Als abschließende Gesamtwürdigung der dargestellten Szene, die – beiläufig bemerkt – den Moche-Phasen IV und V zugerechnet werden kann, eignet sich das folgende Zitat von Alva, der die Ansicht vertritt ...dass in diesem komplexen ikonographischen Programm mythische, in Rang und Funktion verschiedene Wesen an einer [...] Zeremonie teilnehmen, deren Bedeutung über das einfache Blutopfer hinausgeht... . In der Fundstätte von Cerro Blanco fand man heraus, dass bei einigen Skeletten die Gelenke und Wirbel auseinander gerissen und bei anderen die Gliedmaßen säuberlich durchtrennt wurden. All diese Knochenfunde waren von einer Sedimentschicht bedeckt, woraus Jones und Molyneaux schließen, dass es zum Zeitpunkt der Opferung starke Regenfälle gegeben hat, die möglicherweise mit einer von El Niño ausgelösten Wetterlage zusammenhingen. Vielleicht war diese ein Grund für die Menschenopfer, vielleicht versuchte man die außer Rand und Band geratenen Wettergötter mit Menschenopfern zu besänftigen .
Martin Schmid, geboren 1977, studierte Arabisch, Spanisch und Kultur- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Passau sowie Soziologie und Geschichte an der Universität PUCE in Ecuador. Der diplomierte Kulturwirt (Univ.) lebte und arbeitete insgesamt mehr als zwei Jahre in Lateinamerika, um Forschungen über die dortigen Kulturen zu betreiben. Zahlreiche Nahostreisen führten ihn darüber hinaus in die arabische Welt. Bis kurz vor Ausbruch des Krieges mit Israel im Jahr 2006 lebte er zusammen mit seiner Frau in Beirut und verbrachte ebenfalls einige Zeit in Ägypten, wo er u. a. für das deutsche Goethe-Institut tätig war. Derzeit ist der Autor freiberuflicher Referent für lateinamerikanische Kultur, Politik und Geographie.
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