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  • Die Lust am Töten - Der weibliche Vampir in der russischen Literatur von Aleksej Tolstoj und Ivan Turgenev

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Man nenne sie Lamia, Lillith und Empuse. Die Gestalt der Wiedergängerin, des weiblichen Vampirs, ‚geistert’ schon seit langem im kulturellen Gedächtnis der Menschheit herum und stellt, nicht zuletzt wegen ihres verworfenen Frauenbildes, ein interessantes Forschungsfeld dar. Als Personifikation der menschlichen Ängste vor Tod und Sexualität repräsentiert die Wiedergängerin einen männlichen Gedankenentwurf über die ‚Dämonie des Weiblichen’. Das Sinnbild dieser verhängnisvollen, dämonenhaften Frau, die zeitgleich die Merkmale des Eros und des Thanatos impliziert, ist in der Geschichte des Altertums und in der Mythologie tief verankert. Beispiele für Personifikationen des dämonischen Weiblichen liegen dabei auf der Hand und sind entweder als Meduse und Salome oder als Helena und Loreley allseits bekannt. Die Gestalt des weiblichen Vampirs gliedert sich in diese scheinbar endlose Reihe von verhängnisvollen Frauen ein, die die männliche Angst vor der (sexuell) potenten Weiblichkeit widerspiegeln. Literarisch wurde das Motiv des weiblichen Wiedergängers bereits in der Antike erfasst und erfährt insbesondere im 19. Jahrhundert als ein Motiv des Literarischen eine große Beliebtheit. Während jedoch im Laufe des 19. Jahrhunderts in England, Frankreich und Deutschland eine Vielzahl an Schauergeschichten und Schauernovellen erschien, welche die Thematik des Vampirismus aufgriffen, geschah dies in Russland erst Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Frauenbild der femme fatale in ihrer Funktion als Wiedergängerin tauchte im Vergleich zu ihren westeuropäischen Gegenbildern in der russischen Literatur kaum auf. Lediglich K. Tolstoj und Turgenev haben sich in ihren Werken (K. Tolstoj: ‘Sem`ja vurdalaka`', ‘Upir`', Turgenev: ‘Prisraki') dieser Thematik zugewandt. Im Rahmen der vorliegenden Studie werden vor allem die drei zuletzt genannten Werke einer Betrachtung unterzogen, wobei im Vorfeld die Imago des westeuropäischen weiblichen Vampirs in den Mittelpunkt gerückt wird. Unter Zuhilfenahme der neuen Forschungsansätze des Wiedergängerin-Mythos soll auf diese Weise versucht werden festzustellen, ob die Imago der ‚russischen’ Wiedergängerin sich vom Pendant ihrer westlichen Genossinnen abhebt.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2.1 Der, (un)tote Mythos und die ‚Auferweckung’ der Wiedergängerin: Die Mythen, die sich um die Gestalt der Wiedergängerin reihen, sind zahlreich und lassen ihren Ursprung bereits in der vorchristlichen Zeit vermuten. Einer der ältesten überlieferten Wiedergängerin-Mythen ist im Talmud zu finden und handelt von Lilith, der ersten Frau Adams. Der Legende nach weigert sich Lilith, sich Adam zu unterwerfen, und flieht, um sich schließlich in einer Wüste niederzulassen und mit einem Dämon eine Heerschar an Kindern zu zeugen. Als Gott davon erfährt, tötet er Hunderte ihrer Kinder, um sie zu einer Rückkehr zu Adam zu bewegen. Doch Lilith verweigert Gott den Gehorsam und schwört Rache. Fortan verfolgt sie der Überlieferung nach sowohl Männer als auch Wöchnerinnen und Kinder, saugt ihnen des Nachts das Blut aus und trachtet ihnen nach dem Leben. In der Dichtung der Antike erscheint die Blutsaugerin hauptsächlich in der Gestalt der Lamia und der Empuse, um auch hier vorwiegend männliche Opfer ihres Samens bzw. ihres Blutes zu berauben. So wird etwa in Philostratos Schriften über das ‚Leben des Apollonions von Tyana’ (entstanden etwa 217-238 n. Chr.) von einem Mann berichtet, der einer Empuse in menschlicher Gestalt beinahe zum Opfer fällt. Norbert Borrmann weist zudem darauf hin, dass in den ‚Metamorphosen’ (ca. 175 n. Chr.) von Apuleius oder in Ovids ‚Fasti’ (ca. 8 n. Chr.) ebenfalls Hinweise auf bluttrinkende Dämoninnen zu finden sind, die sich als nächtliche Succubi ihres Opfers bemächtigt haben. Abgesehen von den mythischen Überlieferungen über weibliche, bluttrinkende Dämonen sind diese antike Dichtungen wohl den ersten Zeugnissen der literarischen Abfassung des Wiedergängerin-Motivs zuzuordnen und sind außerdem bis ins 18. Jahrhundert hinein vorerst die letzten literarischen Spuren der Wiedergängerin. Als jedoch in den 1720er-1730er Jahren des 18. Jahrhunderts eine Reihe von medizinischen Berichten über Vampirismusfälle in Bosnien und Serbien in Europa eine Vampirpanik auslöst, gewinnt die Gestalt der Wiedergängerin nebst ihrem männlichen Gegenstück erneut an Präsenz. Aufgrund der Meldungen aus Osteuropa, die von Exhumierungen von nicht verwesten und sich bewegenden Leichen handeln, wird der Vampir bzw. die Vampirin zwar zum Gesprächsstoff in Kreisen der Wissenschaft, bleibt jedoch auf der Ebene der belletristischen Literatur bis auf ein paar wenige Ausnahmen, wie etwa das anekdotische Gedicht ‚Der Vampir’ (1748) aus der Feder des deutschen Lyrikers Heinrich August Ossenfelder oder Gottfried August Bürgers Ballade ‚Lenore’ (1774), weitgehend unbeachtet. Susanne Pütz macht deutlich, dass dieses Nichtbeachten des Wiedergänger- bzw. Wiedergängerin-Motivs auf eine allgegenwärtige ‚rationalistische Geisteshaltung’ der Dichtung zurückzuführen ist, die sich gänzlich auf die Vernunft und Erkenntnisse der Wissenschaft berufen hat. Erst 1797, im Zeitalter der Romantik, ist es Johann Wolfgang von Goethe, der das Motiv der Wiedergängerin aufgreift und in seiner Ballade ‚Die Braut von Korinth’ dem Mythos der Blutsaugerin neues Leben einzuhauchen vermag. Goethes Ballade ist dabei zwar mit typischen Elementen ‚einer spätantiken Gespenstergeschichte’ ausgestattet, doch weist sie dem Motiv der Wiedergängerin gleichermaßen eine zentrale Stellung zu und liefert ein anderes, modifiziertes Bild der antiken Dämonengestalt. Erscheint die Figur der Wiedergängerin in der Antike noch als ein blutrünstiger und menschenverschlingender Dämon, nimmt sie in Goethes ‚Braut von Korinth’ die Züge einer nächtlichen Besucherin an, die von ihrer Trauer um die unerfüllte Liebe gekennzeichnet ist. Die wiedergängerische Braut, von ihrer frommen Mutter in den Tod gehetzt, verlässt ihre Grabstätte, um in ihrem ehemaligen Elternhaus auf ihren Bräutigam zu treffen, nach dem sie sich sehnt. Anfangs noch zögernd und schüchtern, legt die Totenbraut ihre Scheu jedoch bald ab, um die Werbungsversuche ihres Bräutigams anzunehmen. Nach einem gemeinsamen Mahl und subtilen erotischen Annäherungsversuchen saugt sie gierig an ‚seines Mundes Flammen’ und nimmt den Jüngling schließlich mit in den Tod. Das Motiv der einst dämonischen Blutsaugerin erfährt im Zuge einer Neuaufarbeitung des Wiedergängerin-Mythos scheinbar eine Romantisierung und wird mit Merkmalen des Anthropomorphen ausgestattet. Denn die vampirische Totenbraut handelt nicht aus Boshaftigkeit und Rache, wie einst Lilith, sondern aus morbidem Liebesverlangen und Sehnsucht nach ihrem Geliebten. Sie ist nicht mehr die Täterin, sondern ein Opfer, das unschuldig das Los des Wiedergängertums empfangen hat, weil ihre Mutter sie in den Tod und somit ins Verderben des Daseins als (Un)Tote getrieben hat. Vielleicht genau aus diesem Grund erwarten die unglückliche Braut und ihren Bräutigam ‚nach ihrem irdischen Ableben’ nicht die Qualen der ewigen Verdammnis, sondern sie dürfen ‚den alten Göttern’ entgegeneilen, um auf diese Weise den Sieg der lustbejahenden Welt ‚griechischer Paganität’ (der nicht getaufte Bräutigam) über ‚ein lustfeindliches, düsteres Christentum’ (die gottfürchtige Brautmutter) zu feiern. Goethes liebeskranke Revenantin ist jedoch nicht die einzige Totenbraut, die an der Schwelle des 19. Jahrhunderts die Schauerliteratur mit ihrer Motivik zu bereichern weiß. Beinahe zur selben Zeit erscheint etwa Robert Southeys epische Erzählung ‚Thalaba the Destroyer’ (1797), in deren Rahmen der Titelheld von seiner vampirischen Geliebten heimgesucht wird, oder Samuel T. Coleridges unvollendete Schauerballade ‚Christabel’ (zwischen 1797 und 1800). Letztere ist vor allem durch die Gestalt der geheimnisvollen Geraldine bekannt geworden, die heimtückisch die junge Christabel mit einem Zauber belegt, um ihre eigene Identität als Wiedergängerin und Hexe zu verbergen. Die platonische Beziehung zwischen Geraldine und Christabel ist dabei von unterschwelligen homoerotischen Spannungen durchdrungen, die sowohl im Kontext des Mutter-Kind-Verhältnisses (zwischen Geraldine und Christabel) als auch im Kontext der schwesterlichen Liebe zwischen den beiden Frauen ihre Umsetzung findet. Coleridges Ballade ‚Christabel’ stellt damit einen Wendepunkt in der literarischen Geschichte des Wiedergängerin-Motivs dar, indem es nicht die Liebe bzw. das Verliebtsein zwischen einem Mann und einer Frau zu thematisieren sucht, sondern sich des Gedankens von gleichgeschlechtlicher Partnerschaft bedient. Obwohl die beiden zuletzt genannten Schauerballaden ihren Anteil zur Etablierung des Motivs der Wiedergängerin in der Gattung der Schwarzen Romantik beigetragen haben, ist es Goethes namenlose Totenbraut, die ein vorläufiges Muster der späteren Wiedergängerin vorformuliert und dieses Motiv zumindest in dessen ‚Geburtsstunde’ geprägt hat. Auch wenn Goethes Ballade ‚Die Braut von Korinth’ die Wiedergängerin nicht gänzlich zum festen Bestandteil der Literatur um 1800 gemacht hat, hat sie die blutrünstige Wiedergängerin doch zu zähmen gewagt, ihr das dämonische Sinnbild partiell abgesprochen, um diese somit salonfähig zu machen. Wenn bis jetzt lediglich die mythologischen und literarischen Anfänge des Wiedergängerin-Motivs zur Sprache kommen konnten, soll nachfolgend der Darstellung der Wiedergängerin im Kontext der Schauerromantik nachgegangen werden.

Über den Autor

Irina Frey, M. A., wurde 1982 in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Ihr Studium der russischen Literatur an der Universität Konstanz schloss die Autorin im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad der Magistra Artium ab. Ihr Interesse an der europäischen Vampirliteratur und an deren Rezeption im osteuropäischen Raum, hat sie dazu bewogen, die Thematik des Vampirismus im Rahmen ihrer Studie aufzugreifen. Hierbei rückt die Autorin vor allem die Gestalt des weiblichen Vampirs in den Mittelpunkt.

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