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  • Die literarische Darstellung von Schizophrenie bei E.T.A. Hoffmann und Robert Louis Stevenson

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 84
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Spaltung von Körper und Geist beschäftigt im 19. Jahrhundert neben der Medizin insbesondere auch die Literatur. Der Versuch, das Unsichtbare zu visualisieren, führt zu den verschiedensten Darstellungsformen innerer Gespaltenheit und des damit verbundenen Identitätsverlustes. Autoren wie Fjodor Dostojewski, E.T.A. Hoffmann, Oscar Wilde uvm. stellen diese mithilfe der Figur des Doppelgängers dar. Auch das Auftauchen mephistophelischer Figuren führt, beispielsweise in der Literatur von Gustav Meyrink, Adelbert von Chamisso und Thomas Mann, zu einer Spaltung der Seele. Einen weiteren Auslöser stellen bestimmte Elixiere dar, die unter anderem in der Literatur von Robert Louis Stevenson und E.T.A. Hoffmann verarbeitet werden. Die literarische Vorstellung der Entwicklung einer inneren Spaltung und deren Erscheinung werden anhand dieser drei verschiedenen Darstellungsformen von Schizophrenie und deren Auslöser untersucht.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.a.i, Die Darstellung von Schizophrenie im Motiv des Doppelgängers: Doppelgänger, so heißen Leute, die sich selber sehen. Mit diesen Worten prägt Jean Paul 1796 den Begriff des literarischen Doppelgängers. Insbesondere in der Romantik wird die Doppelgängerfigur als ein Motiv seelischer Spaltung verwendet. Zeitüberschneidend, und womöglich auch anteilig maßgebend für die zunehmende Popularität dieses Motivs, werden im 19. Jahrhundert die bisher meisten Fälle von multiplen Persönlichkeitsstörungen, wie beispielsweise die der Mary Reynolds, auf welche noch detaillierter eingegangen wird, veröffentlicht. Man kann also sagen, dass das Auftreten psychischer Krankheiten zu dieser Zeit ein aktuelles Thema ist, welches u.a. in der Literatur verarbeitet wird. Die Figur des Doppelgängers beinhaltet in der Literaturgeschichte weit mehr als eine bloße Kopie von etwas oder jemandem. Vielmehr wird der Doppelgänger häufig als Gegenspieler dargestellt, wessen Erscheinen zu einem Identitätsverlust des Originals (wobei der Begriff des Originals hier auf das lyrische Ich zurückzuführen ist, da jede Hälfte einer gespaltenen Persönlichkeit auf ihre Art ein Original ist) führt. Im Folgenden sollen die verschiedenen Auftritte dieser Doppelgänger dargestellt und beleuchtet werden. Bei jedem der Beispiele wird die Folge für den Protagonisten eine Art von Identitätsverlust sein. Dies kann auf der einen Seite so aussehen, dass der Verstand durch das Auftreten eines solchen Doppelgängers verloren geht, oder, auf der anderen Seite, ein tatsächlicher, aktiver Identitätsverlust, welcher physischer Natur ist. Die Figur des Doppelgängers stands for contradiction within unity , sie wird also aus einer inneren Gespaltenheit geschaffen, die aber gleichzeitig ein Gefühl der Einheit hegt, stammt sie doch aus dem eigenen Ich. Insbesondere die Doppelgänger verkörpern diese Theorie wortwörtlich, da sie eine exakte Kopie des Originals darstellen. Entstanden aus einer Ich-Störung, die eine Mischung aus Paranoia und Selbstentfremdung ist, entsteht in der Literatur die Figur des Doppelgängers um das Unsichtbare visuell darzustellen. Die Art und Weise des Auftretens solcher Doppelgänger kann grob in drei verschiedene Arten unterteilt werden: Zum einen wäre der tatsächliche, aktive Doppelgänger, eine leibhaftige Kopie, ähnlich einem Zwilling. Eine zweite Möglichkeit ist das Auftreten des Doppelgängers als eine Art Abbild des Originals in Gegenständen, sei es durch einen Spiegel oder durch Bilder wie Fotos oder Gemälde. Die dritte Form ist etwas komplexer und umfasst vor Allem die Ursachen, die zu einem zweiten Ich, einer Doppelpersönlichkeit und somit zu einem Identitätsverlust des einen Ichs führen. Auf der einen Seite finden sich häufig Ursachen aus einem wissenschaftlichen Bereich, z.B. Tränke und Elixiere, und auf der anderen Seite tauchen personifizierte Ursachenträger auf, oft dargestellt als mephistophelische Figuren, wie z.B. zwielichtige Personen, Dämonen, oder sogar der Teufel selbst, die schlussendlich Schuld an der seelischen Spaltung des Protagonisten tragen. Der Doppelgängerbegriff manifestiert sich hier vor allem durch die Übernahme der Identität des Protagonisten seitens jener mephistophelischen Figuren, wodurch diese wiederum zu einem Doppelgänger ihrer Opfer werden. Die wissenschaftlichen Ursachen erschaffen einen Doppelgänger während die personifizierten Ursachen selbst zu einem Doppelgänger werden. Bei Ersterem ist die Spaltung absichtlich herbeigeführt, bei Letzterem wird sie durch einen Hinterhalt oder durch Gewalt erzwungen. Den Doppelgänger als visuell kopierte Figur findet man zunächst im Allgemeinen bei Zwillingen. Sie gleichen dem Sprichwort nach wie ein Ei dem anderen und sind gar nicht oder kaum voneinander zu unterscheiden. Die Literatur hat sich dieses Phänomen zu eigen gemacht und es entstehen insbesondere in der Romantik diverse fiktive Versionen von dieser Art des Doppelgängertums. Fjodor Dostojewski (1821-1881) schildert in einem seiner früheren Romane Der Doppelgänger (1866) das Leben des Angestellten Jakow Petrowitsch Goljadkin. Der Protagonist betont häufig, wie stolz er auf seine offene und ehrliche Art ist: Ich bewege mich unter guten Menschen ohne Maske. Er lebt ein einfaches Leben und ist sich seiner Bedeutungslosigkeit bewusst [...], [will] sie aber nicht wahrhaben. Herr Goljadkin pflegt keine sozialen Kontakte und diese Mischung aus Isolation und Minderwertigkeitskomplex, oft gekoppelt mit Phasen des Narzissmus, führen in der Mehrzahl der literarischen Doppelgängerdarstellungen zu dem Auftauchen des Zwillings, so auch bei dem Protagonisten Dostojewskis. Die Idee eines Doppelgängers kommt Goljadkin selbst als er seinen Abteilungschef in einer Kutsche erblickt und diesen nicht grüßen möchte. [O]der soll ich so tun, als ob ich es nicht wäre, sondern irgendein anderer, der mir außerordentlich ähnlich sieht[?] Der Protagonist spielt in dieser Situation mit dem Gedanken, eine gesellschaftliche Verantwortung einem anderen zu überlassen, einem Doppelgänger seiner selbst. Den Auslöser bilden hier also die gesellschaftlichen Normen, Zwänge, die sich auch bei weiteren Autoren, wie z.B. bei Robert Louis Stevenson, als die Ursache für das Auftreten des Doppelgängers herausstellen. Der Wunsch, den sozialen Richtlinien zu entkommen, wird ihm erfüllt als eines Nachts ein Mann seinen Weg kreuzt, der kein anderer [war] als er selbst, Herr Goljadkin selbst, ein anderer Herr Goljadkin, aber vollständig derselbe wie er selbst, mit einem Worte, was man nennt, sein Doppelgänger in jeder Beziehung. Er gleicht ihm sowohl äußerlich, als auch namentlich. Nach einer scheinbaren Freundschaft stellt sich jedoch heraus, dass der Doppelgänger des Herrn Goljadkin sowohl dessen Ruf, als auch dessen Identität an sich reißen will. Er beginnt eine Arbeit in derselben Firma und rückt sich durch seine Intrigen in ein besseres Licht. Der wahre Herr Goljadkin verliert sein Ansehen und begann endlich sogar an seiner eigenen Existenz zu zweifeln. Herr Goljadkin ist immer wieder bereit, seinem Doppelgänger zu verzeihen, doch hintergeht ihn dieser immer wieder und nutzt seine Gutmütigkeit aus. [W]ir beide, Jakow Petrowitsch, wollen leben wie die Fische im Wasser, wie zwei leibliche Brüder wir wollen List anwenden, Freundchen, wollen zusammen List anwenden wir wollen unsererseits eine Intrige gegen sie einfädeln. Herr Goljadkin hofft stets, dass sein Doppelgänger sich mit ihm verbündet und mit ihm gegen seine Feinde ankämpft. Ein brüderliches Verhältnis wird erwähnt, was ein undurchtrennbares Band bedeuten würde, das die beiden miteinander verbindet. Im Laufe der Lektüre kristallisiert sich immer mehr der Doppelgänger Herrn Goljadkins als dessen exaktes Gegenteil heraus. Er schmeichelt sich bei der Gesellschaft ein, knüpft Intrigen und scheint jedermanns Freund zu sein. Herr Goljadkin, welcher immer wieder beteuert, wie stolz er auf seine Ehrlichkeit ist, erscheint hier als der exakte Gegenpart. Er wehrt sich gegen das Verhalten seines Doppelgängers anstelle nun aus den beiden agierenden Extremen eine Mitte für sein Verhalten zu finden, mit welchem er sich in der Gesellschaft wohler fühlen kann. Durch die oft unklaren Grenzen zwischen Traum und Realität wird für den Leser nicht ersichtlich, ob der Doppelgänger ein Gebilde von Herrn Goljadkins Fantasie ist oder ob er tatsächlich für jedermann sichtbar existiert. Der Leser verfolgt die Gedanken des Protagonisten und kann somit oft ebenfalls nicht zwischen Halluzination und Realität unterscheiden. Die Situation spitzt sich so zu, dass Herr Goljadkin eines Tages auf seinen Doppelgänger losstürzt, in der offensichtlichen Absicht, ihn zu zerreißen und auf diese Art ein für allemal mit ihm fertig zu werden. Die Tatsache, dass der Protagonist hier seinen Widersacher töten will, zeugt von einer selbstzerstörerischen Ader, resultierend aus der Unfähigkeit, einen festen Platz in der Gesellschaft zu finden. Sein zweites Ich ist wie ein Bruder mit ihm verbunden und ihm dennoch so verhasst, dass er bereit ist, dieses Ich, also einen Teil seiner Selbst, zu vernichten. Er wird von diesem Doppelgänger derart dominiert, dass er schlussendlich seine Identität als ein Mitglied der Gesellschaft gänzlich verliert und abtransportiert wird. Man kann nur spekulieren, dass es sich hierbei um einen Transport in eine Nervenklinik handelt. Die Gefühlsschwankungen seinem Doppelgänger gegenüber, von freundschaftlich bis feindlich, zeugen von einer inneren Gespaltenheit, resultierend aus den gesellschaftlichen Zwängen, die der Protagonist nicht bewältigen kann, und aus der Paranoia, von Feinden verfolgt und manipuliert zu werden. Auch die Assoziation eines Doppelgängers mit dem Tod taucht auf. Der Abteilungschef berichtet beispielsweise, seine Tante habe kurz vor ihrem Tod ebenfalls ihren Doppelgänger gesehen. Herr Goljadkin schwankt immer wieder zwischen Minderwertigkeitskomplexen und Narzissmus und so unbeständig zeigt sich auch sein Verhältnis zu seiner zweiten Hälfte. Er erleidet immer wieder einen Realitätsverlust und erkennt den Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit nicht mehr. Selbstgespräche in Form von Dialogen, bei welchen der Protagonist den Part mehrerer Gesprächspartner übernimmt, sind weitere Indizien für Goljadkins ausgeprägte Schizophrenie. Der auftauchende Doppelgänger übernimmt die gesellschaftliche Rolle, die dem Original nicht möglich ist. Er ist selbstsicher, kommunikativ und beliebt.

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