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  • Die Herausbildung doppelter Perfektbildungen im Deutschen in diachroner Perspektive: Ein Ansatz zur Klärung der Entstehung und Entwicklung von Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt im Indikativ

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 140
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Beschäftigung mit den doppelten Perfektformen im Deutschen hat in den letzten Jahren in der linguistischen Forschung immer mehr an Interesse gewonnen. Vorrangig ist das Hauptanliegen hier jedoch die synchrone Bedeutung und Funktion von Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt. Eher nebenbei wird auch die Entstehung dieser Formen thematisiert, wobei in vielen Fällen die Bildung auf synchroner Ebene als Grundlage dazu dient. Nur wenige Arbeiten bearbeiten diese Problemstellung tatsächlich aus diachroner Perspektive, noch seltener geschieht dies anhand von historischen Belegen. Erwähnenswert sind hier vor allem die Arbeiten von Buchwald-Wargenau (2010) und Sandor (2008). Zur Diskussion stehen gerade auch in diesen Untersuchungen hauptsächlich zwei Thesen zur Herausbildung doppelter Perfektformen, die in der Forschung vielfach vertreten wurden: Bezeichnet werde können diese als Präteritumschwundhypothese und Aspekthypothese (Buchwald-Wargenau 2010, 223). Während erstere Hypothese davon ausgeht, dass der Schwund des Präteritums (und im Zuge dessen des Plusquamperfekts) im Oberdeutschen die Ursache dafür war, dass das Doppelperfekt (nicht jedoch das Doppelplusquamperfekt) als Ersatz des einfachen Plusquamperfekts zum Ausdruck von Vorvergangenheit entstanden ist, sieht die Aspekthypothese als Grund die abgeschwächte bzw. geschwundene resultative Aspektkomponente des einfachen grammatikalisierten Perfekts, die dazu geführt hat, dass sich die doppelten Perfektformen herausgebildet haben, um eben diese resultative Aspektualität wieder ausdrücken zu können. In der Untersuchung von Buchwald-Wargenau (2010, 224ff.) wird jedoch vor allem die Gültigkeit der Präteritumschwundhypothese anhand von historischen Beispielsätzen stark in Zweifel gezogen. Aber auch für die Richtigkeit der Aspekthypothese konnten keine eindeutigen und überzeugenden Belege gefunden werden. Dies macht besonders deutlich, dass eine genauere Untersuchung historischer Belege und ein ausgereifter Theorierahmen zur Beschreibung der Herausbildung der doppelten Perfektbildungen im Deutschen notwendig ist.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 2, Forschungsstand: Obwohl es zur Genese der doppelten Perfektformen bisher nur wenige Untersuchungen hauptsächlich neueren Datums gibt, wurden schon seit ihrer ersten Erwähnung in einer Grammatik des 16. Jahrhunderts Mutmaßungen über den Grund ihres Vorkommens angestellt. Der erste deutsche Grammatiker, der auf das Vorkommen des Doppelperfekts hinweist und über dessen Entstehung mutmaßt, ist A. Ölinger (1574): In quibusdam locis Germaniæ tempus plusquamperfectum, per præteritum perfectum verbi auxiliaris, & participiu præteriti temporis ita coniugatur, vt & apud Gallos in eiusmodi exeplis, I’ ay eu escrit, vt, Ich hab geschrieben gehabt/ ich bin kommen gewesen/ pro ich hatte geschrieben/ ich war gewesen/ rc. id quod non omnes approbant (Ebd., 154). Die hier angedeuteten Überlegungen werden auch im aktuellen Diskurs von zahlreichen Forschern immer noch vertreten. Dies gilt vor allem für die Annahme, dass das DPf funktional dem Plusquamperfekt zuzurechnen sei und daher gerade in den obd. Dialekten und Umgangssprachen verwendet wird, weil dort das einfache Plpf. aufgrund des Präteritumschwundes nicht mehr gebildet werden könne. Mit dieser Präteritumschwundhypothese (Buchwald-Wargenau 2010, 223) wird also angenommen, dass das Doppelperfekt das einfache Plusquamperfekt in jenen Dialekten ersetzt, in denen das Präteritum nicht mehr vorkommt1 und das Perfekt dessen Funktion der einfachen Vergangenheit übernommen hat. Die Funktion des Plusquamperfekts wurde dadurch jedoch besonders wichtig, da es Vorzeitigkeit gegenüber dem Perfekt ausdrückt es hat hier also eine Systemlücke gegeben, die durch das doppelte Perfekt funktional geschlossen wurde. Allerdings sprechen einige Fakten gegen die Plausibilität dieser These: Zum einen kommt das Präteritum einiger Verben – vor allem der Modalverben und des Verbs sein (vgl. Eller 2008 Schnabel 2002 Maiwald 2002) – auch in den obd. Dialekten der Gegenwart vor. Zum anderen wird das DPf durchaus auch in der Schriftsprache und in anderen deutschen Mundarten verwendet, die keinen Präteritumschwund kennen. Erwähnt wird das doppelte Perfekt sowohl in Abhandlungen zum Niederdeutschen (Sarauw 1924, 224 Saltveit 1983, 293) als auch zu wmd. und omd. Mundarten (Hauser-Suida/Hoppe-Beugel 1972, 257ff.)2. Auch Topalovic (2010, 179) kann anhand ihrer Belege aus dem 17. Jh. nachweisen, dass die DPF in allen Dialektgebieten Verwendung finden3. Diese Fakten schränken die Erklärungskraft der Präteritumschwundhypothese in Bezug auf die Entstehung der DPF und deren Ursachen erheblich ein. Ein Zusammenhang mit dem Präteritumschwund gerade in den obd. Regionen muss jedoch nicht völlig ausgeschlossen sein – dies betont auch Topalovic: Die Ergebnisse untermauern auch den Schluss, dass Perfekt II und Plusquamperfekt II nicht ursprünglich durch den sog. Präteritumschwund im Süddeutschen erklärt werden können [...], allerdings stehen sie im (Süd)deutschen [...] in einer besonderen Beziehung zueinander (Ebd. 2010, 190). Eine weitere These, die bereits bei A. Ölinger (1574) anklingt und gelegentlich in der Forschungsliteratur in Erwägung gezogen wird, nimmt als Ursache für die Verwendung der doppelten Perfektformen im Deutschen Sprachkontakt mit dem Französischen an und kann als Sprachkontakthypothese bezeichnet werden. Grund für diese Annahme ist, dass das Französische ebenfalls doppelte Formen wie I’ ay eu escrit (ebd., 154) oder Quand il a eu déjeuné (Schlieben-Lange 1971, 45) kennt. Problematisch ist hierbei jedoch, dass diese These wenig zur funktionalen Beschreibung der deutschen DPF beiträgt4 und das Tempussystem des Französischen (als dessen integraler Bestandteil auch die Doppelformen beschrieben werden müssen) nicht mit dem dt. Tempussystem vergleichbar ist5. Zudem bestehen formale Unterschiede, die einen möglichen Einfluss des Französischen beim Auftauchen der DPF im Deutschen zweifelhaft machen. Die französischen passé surcomposé zeigen bereits im 16. Jh. (vgl. das Beispiel bei Ölinger 1574) die syntaktische Abfolge Auxfin + PIIaux + PIIv, die im Deutschen bei den DPF weder im Fnhd. noch in der Gegenwartssprache regelhaft auftritt: il a eu mangé aber nicht *er hat gehabt gegessen6 (Topalovic 2010, 182). Dieser Unterschied lässt vermuten, dass die DPF im Deutschen und Französischen weder voneinander abhängig sind noch die gleichen Bedingungen für deren Herausbildung angenommen werden können. Eine dritte und neuere These zur Entstehung der DPF ist die Aspekthypothese (Buchwald-Wargenau 2010, 227). Sie wurde zuerst von Rödel (2007) formuliert, der davon ausgeht, dass der Verlust der aspektuellen Differenzierbarkeit im Verbalsystem vom Ahd. zum Nhd. die Entstehung der DPF bedingte, da diese eine aspektuelle Markierung wieder ermöglichten. Im Ahd. konnte durch das Präfix ge/gi an der Präsens- oder Präteritumform eines Verbs das bezeichnete Verbalereignis aspektuell als abgeschlossen markiert werden. Dieses Präfix wurde bei der Entwicklung und Grammatikalisierung des Perfekts zunächst für die Bildung des Partizips II genutzt und schließlich in der Perfektperiphrase generalisiert, welche sich zudem von einer anfangs nur Resultativität bzw. Abgeschlossenheit eines Verbalereignisses bezeichnenden Konstruktion mit Gegenwartsbezug zu einem Tempus entwickelte (vgl. hierzu auch Oubouzar 1974 Kuroda 1999). Dadurch ging jedoch laut Rödel (2007, 185) die Möglichkeit zur aspektuellen Differenzierung verloren. Um diese entstandene Lücke zu schließen, bildeten sich die doppelten Perfektbildungen heraus. Die doppelten Perfektbildungen grammatikalisierten sich schließlich als perfektive Partner der Perfektformen, die ihrerseits ihre aspektuellen Komponenten immer stärker neutralisierten (Ebd., 202). Doch auch diese Hypothese weist gewisse Probleme auf: Zum einen geht Rödel (ebd.) m. E. –ohne dass dies expliziert wird – davon aus, dass das Perfekt im Laufe seiner Entwicklung bis zum Nhd. eine einheitliche temporale Bedeutung angenommen hat. Doch dies ist gerade in der aktuellen Forschungsdiskussion sehr umstritten. Bspw. weisen Löbner (1988), Thieroff (1992), Welke (2005) und Rothstein (2008) darauf hin, dass in der Gegenwartssprache die Bedeutung des Perfekts in Abhängigkeit von der Aktionsart des verwendeten Verbs und bestimmter Kontextfaktoren ‚Vergangenheit’ oder ‚Nachzustand’ sein kann (Welke 2005, 185ff.). Wenn aber schon die Bedeutung des Perfekts nicht einheitlich ist, scheint es fraglich, wie darauf eine einheitliche Bedeutung der DPF bzw. des PIIaux operieren soll7. Auch im Lichte historischer DPF-Belege zeigt sich, dass diese These die Entstehung der DPF nicht zur Genüge erklären kann. Denn es finden sich durchaus DPF-Belege bei Autoren, die das PII im Perfekt bei terminativen Verben, die ursprünglich nicht durch ein Präfix perfektiviert werden mussten8, auch ohne ge-Präfix bilden. Dies ist ein Hinweis darauf, dass bei diesen Autoren die aspektuelle Bedeutung des Präfixes noch aktuell ist, was außerdem heißt, dass es noch zur Herstellung perfektiver Semantik genutzt wurde (Buchwald-Wargenau 2010, 231). Zudem finden sich auch Doppelformen, bei denen das ge-Präfix des Vollverbs fehlt: ist kummen gewesen (Sandor 2008, 35). Die Aspekthypothese ist also in Anbetracht dieser Gegenargumente nicht vollkommen zufriedenstellend. Während die genannten Hypothesen in der Forschung schon ansatzweise einer diachronen Überprüfung unterzogen wurden (vor allem bei Buchwald-Wargenau 2010), ist dies bei einigen Ansätzen, die in der hauptsächlich synchronen Literatur zu den doppelten Perfektformen formuliert wurden, nicht der Fall. Besonders erwähnenswert sind hiervon die Überlegungen von Litvinov/Radcenko (1998, 127ff.) auf Grundlage der Ausführungen zum Verhältnis von Resultativ und DPF bei Litvinov/Nedjalkov (1988). Letztere stellen fest, dass es im Deutschen Formen des Resultativs gibt, die mit dem Perfekt formal identisch sind. Dies ist beim Subjektresultativ9 intransitiver terminativer Verben (die ihr Perfekt mit sein bilden) und bei einigen transitiven Verben bzw. deren Perfekt mit dem Auxiliar haben (dem sog. possessiven Resultativ) der Fall. Das Präsens dieser Resultativa entspricht formal dem Perfekt – d. h. Aux. + Partizip II (m. a. W.: das Perfekt dieser Verben hat präsentische Bedeutung), sodass, um ein Perfekt bilden zu können, ein zusätzliches PII notwendig ist, womit also das Perfekt dieser Resultativformen formal den DPF entspricht (Litvinov/Nedjalkov 1988, 102): Subjektresultativ Präsens: ist eingesunken, Perfekt: ist eingesunken gewesen, Pluperf.: war eingesunken gewesen, Objekresultativ Präsens: hat die Jacke umgeworfen, Perfekt: hat die Jacke umgeworfen gehabt, Pluperf.:hatte die Jacke umgeworfen gehabt, Von diesen Überlegungen ausgehend erwägen Litvinov/Radcenko (1998), ob die Tatsache, dass im Deutschen ein Perfekt in bestimmten Fällen auch ein Resultativ sein kann, mit der Verwendung doppelter Perfektformen zusammenhängen könnte, d. h. ob die These Wäre das Perfekt nicht als Resultativ verwendbar, brauchte das Deutsche keine DPF zuzulassen (ebd., 133) zutreffend ist, ob also für die DPF eine Kombination aus den Bedeutungen ‚Vorzeitigkeit’ und ‚Resultativ’ angenommen werden kann. Da Litvinov/Radcenko (ebd.) an einer synchronen Beschreibung und Erklärung der DPF interessiert sind und feststellen, dass unter diesen Annahmen nur 1/3 ihrer Belege erklärt werden kann und sie zudem von einer Trennung der Kategorien Resultativ und Tempus ausgehen10, verwerfen sie diesen Ansatz (zu den genauen Ausführungen über die Gegenargumente siehe ebd., 135ff.). Im Gegensatz dazu wird diese These jedoch in der ndl. Forschung in Bezug auf die Entstehung der DPF im Mnl. (die im Nndl. immer noch vorkommen) in Erwägung gezogen: De bovengenoemde verbindingen [mit Gegenwartsbedeutung], zoals heeft vercoren, heeft gemint waren echter tegelijk het perfektum van verkiesen, minnen enz. (een strenge scheiding tussen de twee betekenissen is zelfs onmogelik), en het lijkt mij hoogst waarschijnlik dat deze tweeledige rol van de konstruktie bijdrog tot de bijvoeging van gehadt in ’t perfektum in ’t Laat-Mndl.11 (Kern 1912, 36)12. Diese Überlegung ist insofern bedeutend für die diachronische Betrachtung der Doppelformen im Deutschen, weil zum einen das Mnl. bis ins 16./17. Jahrhundert terminologisch nicht vom Mnd. unterschieden wurde und beide als nahe verwandte westgermanische Sprachen in dieser Zeit sehr große Ähnlichkeiten aufwiesen (Vekeman/Ecke 1992, 8ff.). Zum anderen stellt alleine die Erwähnung des Vorkommens von DPF im Mndl. gerade unter Berücksichtigung der großen Ähnlichkeit von Mndl. und Mnd. die Beschränkung der Genese der doppelten Perfektformen in der germanistischen Sprachwissenschaft einzig auf das Obd. unter dem Zeichen des Präteritumschwundes stark in Zweifel. Jedenfalls ist dies ein wichtiger Hinweis darauf, dass es die DPF auch aus historischer Sicht nicht nur im Obd. gab und ihr Ursprungsgebiet nicht (nur) im Obd. gesucht werden sollte. Diese Ansätze zur diachronen Erklärung der Entstehung der DPF im Mndl. sollten daher nicht außer Acht gelassen und in Bezug auf das Deutsche überprüft werden, denn auch im Deutschen hat die Entwicklung des Perfekts vom Ahd. zum Nhd. (vom Resultativ zum Tempus) dazu geführt, dass die alte resultative Bedeutung in bestimmten Fällen nicht gänzlich verloren gegangen ist, wie dies Litvinov/Nedjalkov (1988) durch ihre Zuordnung einiger Periphrasen aus Aux. + Partizip II sowohl zum Resultativ als auch zum Perfekt sehr eindrücklich zeigen.

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