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- Die Gestaltung und Funktion der Inquitformel im Nibelungenlied: Schnittstelle zwischen Erzählstimme und Figurenrede
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 136
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Forschung zum Nibelungenlied erstreckt sich über ein weites Spektrum an Schwerpunkten, von denen einige schon zahlreich und ausführlich in der Literatur behandelt worden sind. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts untersuchen Forscher gezielt die Erzählstruktur im Nibelungenlied mit ihrer Erzähloberfläche. Die Studie verbindet diverse persönliche Forschungsinteressen. Eines davon ist begründet in der Wahl der textlichen Untersuchungsgrundlage, dem Nibelungenlied. Das vorliegende Buch konzentriert sich auf die häufig vernachlässigte Formseite des Nibelungenliedes und möchte darstellen, inwieweit auf dieser Betrachtungsebene Textzusammenhang erzeugt wird. Aus der Fülle der möglichen Formmerkmale wurde die Inquitformel als ein grundlegender narrativer Baustein in Redeszenen zur Analyse ausgewählt. Es gilt zu zeigen, inwieweit durch sie nicht nur inhaltlich durch ihre Referenz auf den angekündigten Sprecher, sondern auch auf der Formseite Textkohärenz geschaffen werden kann. Weiterhin wird aus dem Forschungsbereich der Dialogforschung dargelegt, wie Redeszenen strukturiert sind, um das Textverständnis beim Rezipienten zu sichern. ‚Textverständnis‘ ist dabei auf zweierlei Weise aufzufassen. Einerseits gilt es, die Rezeptionsbesonderheiten des Nibelungenliedes als einen für den mündlichen Vortrag bestimmten Text zu berücksichtigen. Die Aufführungssituation lässt sich mangels Quellen nicht mehr rekonstruieren, der Text des Nibelungenliedes ist hingegen überliefert. Die Studie lehnt ihr Verständnis des Erzählens im Wesentlichen an die Auffassung Elisabeth Lienerts an, dass es sich im Nibelungenlied um die ‘Selbstinszenierung von Erzählen zwischen schriftlicher Quelle, mündlicher Tradition und […] Erzählerrolle’ handelt. Dieser Ansatz bietet den Vorzug, nicht endgültig über die mündliche oder schriftliche Konzeption und Rezeption des Nibelungenliedes entscheiden zu wollen, verliert allerdings die beiden forschungsgeschichtlich wichtigen Kategorien nicht aus dem Blick.
Textprobe: Kapitel 2.1, Auswertung des Textmaterials: Die narrative Mikrostruktur des Nibelungenliedes ist als Forschungsgegenstand, hier ist Ehrismann zuzustimmen, zugunsten größerer struktureller Textebenen zunehmend vernachlässigt worden. In den Fokus der Arbeit wird dieser Entwicklung zuwiderlaufend die elementare Texteinheit Inquitformel gerückt und der Versuch, die wesentlichen Teile ihres gestalterischen Potentials auszumachen. Dabei sollen weitere Parameter als die bloße Beschreibung des Stellungstypes, der in der Forschung mehrfach untersucht worden ist, erarbeitet und herangezogen werden. Werner Schwartzkopff, Anja Becker und der zuvor mehrfach erwähnte Franz Hundsnurscher haben sich ausführlich mit der Inquitformel beschäftigt und bieten Analyseraster bzw. Analyseansätze für die Inquitformel an, die teilweise aufeinander aufbauen. Nicht alle der von ihnen erhobenen Parameter sind für meine Arbeit von Belang. Schwartzkopff konzentriert sich in seiner Darstellung zur Rede und Redeszene stark auf die Position der Inquitformel im Verhältnis zur Figurenrede. Er nuanciert zwischen Inquitformeln in vorangestellter, zwischengeschalteter, nachgeordneter Position und der freien Redeerläuterung bis zum Œuvre Wolfram von Eschenbachs in seiner vergleichenden Untersuchung. Um über die klangliche Wirkung der Inquitformeln eines mittelalterlichen Textes in der Aufführungssituation urteilen zu können, betont er darüber hinaus, dass die Stellung der Inquitformel innerhalb eines Verses und einer Strophe sowie ihr Verhältnis zum Reim unbedingt berücksichtigt werden müssen . All jene Punkte gilt es in der vorliegenden Arbeit noch einmal detailliert und explizit für das Nibelungenlied aufzugreifen. Überdies weist Hundsnurscher neben der Redeankündigung als Hauptfunktion der Inquitformel auf ihre ‘speziellen Funktionen’ hin, wie Hinweise zur Artikulation oder zur dialogischen Relation der Redebeiträge. Anja Becker wiederum erwägt, zwischen den Gestaltungselementen der Inquitformeln stärker zu differenzieren. Obgleich sie den selbstformulierten Vorschlag in ihrer Arbeit nicht umsetzt, sollen ihre Überlegungen zu der Vielzahl an Gestaltungselementen in die Analyse einfließen. Um die Gestaltung und Funktion der Inquitformeln am Beispiel des Nibelungenliedes zu analysieren, werden folgende Parameter erhoben und in Form einer Tabelle im Anhang präsentiert: Die Position der Inquitformel soll über ihre Verknüpfung zur Erzählstimme und Figurenrede Aufschluss geben. Je nachdem ob sie in voran-, zwischen- oder nachgestellter Stellung auftritt, erzielt sie verschiedene Wirkungen und können ihr unterschiedliche Funktionen zukommen. Der Umfang einer Inquitformel bemessen nach seiner Länge in Versen weist bereits auf Erweiterungen der Standardinquitformel hin und lässt einen höheren Informationsgehalt für den Rezipienten vermuten. Außerdem zeigt diese Kategorie, inwieweit sich die Inquitformeln an die besondere Form der Nibelungenstrophe angepasst haben. Mit der Kategorie Gestaltung soll erfasst werden, um welche Elemente die Standardinquitformel, bestehend aus einem Subjekt und einem verbum dicendi, erweitert wird. Da die Zahl der Gestaltungsmittel groß ist, sollen sie außerdem systematisiert werden. Die inhaltliche Bedeutung der Inquitformel kommt in dieser Kategorie stärker als in den anderen zur Geltung. Die Verortung der Redeankündigung innerhalb einer Strophe wird durch die Verszeile zur besseren Nachvollziehbarkeit angegeben. Da Inquitformeln, wie oben bereits angedeutet, in sehr unterschiedlichem Umfang auftreten, in den Erzählzusammenhang eingebunden sind und dem Gebot der Variation folgen, treffen sie nicht immer eindeutige Aussagen über den durch sie angekündigten Sprecher, sondern verweisen lediglich darauf, dass im Anschluss wörtliche Rede folgen wird. Der Name des Sprechers wird als weitere Information deshalb, soweit er nicht aus den Inquitformeln erkennbar gewesen ist, aus dem Erzählkontext gewonnen und ergänzt. 2.2, Die Handschriften B und C im Vergleich: Wie einleitend erwähnt, verortet sich die Überlieferung des Nibelungenliedes zwischen mündlicher und schriftlicher Entstehung. Folglich existiert nicht eine verbindliche Nibelungenliedfassung, sondern es handelt sich vielmehr um verschiedene Erzählfassungen, die in 35 Handschriften überliefert sind. Die zahlreichen Fassungen unterscheiden sich dabei in der Strophenanzahl und –anordnung sowie der Gestaltung des Textes. Ein wesentliches Ziel der Arbeit ist es aufgrund dieser Textvarianz zu untersuchen, ob und inwiefern sich die Gestaltung und Funktion der Inquitformeln in den Fassungen unterscheiden. Die Handschrift B als Vertreter der nôt-Fassung und Handschrift C als Vertreter der liet-Fassung werden im Rahmen dieser Arbeit gegenübergestellt. Beide scheinen in räumlicher und zeitlicher Nähe verfasst worden zu sein und auf eine gemeinsame Urfassung zurückzugehen bzw. sich gegenseitig ‚überarbeitet‘ zu haben. Sie unterscheiden sich allerdings in einigen Punkten voneinander. So gilt Handschrift C als die stärker überarbeitete Version, sowohl was die Stilistik betrifft als auch die inhaltliche Logik sowie Metrum und Reim. Außerdem divergieren B und C bei der Figurendarstellung von Hagen und Kriemhild. Interessant scheint folglich zu veranschaulichen, wie verschieden die Figuren Kriemhild und Hagen in den Inquitformeln bewertet werden. Die Inquitformeln werden zu den formelhaften Bausteinen gerechnet, an denen sich der Vortragende wie an Wegweisern orientieren kann. Da das mündliche Erzählgerüst auf den Baustein Inquitformel als Bindeglied zwischen Erzählstimme und Figurenrede fußt, ist es unwahrscheinlich, dass die Abweichungen zwischen Fassung B und C signifikant sind, sondern anstatt dessen sporadisch auftreten. Inwiefern die Inquitformeln die inhaltlichen Unterschiede der beiden Fassungen wiederspiegeln und wie fest geprägt die Inquitformeln als Erzähleinheit in sich sind, zeigt die Analyse der zwei Fassungen. Die durchgängige Fragestellung der Untersuchung ist daher, ob die Fassungen B und C unterschiedliche Gestaltungsstrategien verfolgen. Wenn dies der Fall ist: An welchen Stellen und auf welche Weise dies geschieht? Um ein Textkorpus als Auswertungsgrundlage zu erhalten, habe ich achtzehn Aventiuren der Handschrift B mit den ihnen entsprechenden Aventiuren der C - Handschrift des Nibelungenliedes auf ihre Inquitformeln hin ausgewertet (Av. 1, 3, 5, 7, 8, 14, 16, 17, 19, 22, 25, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 33). Die Auswahl der Aventiuren ist keine willkürliche, sondern versucht die Vielzahl der zum Teil sehr unterschiedlich gestalteten Aventiuren abzubilden. Das Verhältnis zwischen den Aventiuren aus dem ersten und dem zweiten Teil ist ausgewogen, sodass wesentliche Veränderungen bei der Gestaltung der Inquitformeln zwischen beiden Teilen registriert werden können. Weiterhin sind sowohl die großen Redeszenen (bspw. Av. 3 und 8), in denen erwartungsgemäß viele Inquitformeln auftauchen, als auch sehr handlungsreiche Szenen (bspw. Av. 16), in denen der Anteil der Erzählstimme überwiegt, ausgewählt. Überprüft worden ist darüber hinaus, ob die Erweiterung des Korpus um zusätzliche Aventiuren die Erkenntnisse zur Gestaltung und Funktion der Inquitformel wesentlich verändert hätte. Stichproben haben jedoch ergeben, dass der Aussagengehalt der Ergebnisse auch bei einer Erweiterung abgesehen von der Anzahl der Beispiele gleich geblieben wäre. Die aus dem Nibelungenlied angeführten Zitate in dieser Arbeit stammen aus den herausgegebenen Fassungen von Karl Bartsch und Helmut de Boor sowie Ursula Schulze. Die von den Herausgebern eingefügte Zeichensetzung hingegen habe ich nicht übernommen, da sie vortäuscht, dass im Nibelungenlied Erzählstimme und Figurenrede klar voneinander zu trennen wären. In den Originalhandschriften wird diese Abgrenzung von Rede nicht typografisch gekennzeichnet. Der Vortragende im Mittelalter hat sich während seines Vortrages nicht an der Typografie orientieren können, sondern vielmehr an hörbaren Signalen wie der Inquitformel, um den Übergang zwischen Erzählstimme und Figurenrede zu markieren.
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