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- Die Botschaft zwischen den Zeilen: Staats- und Ideologiekritik im argentinischen Film während der Militärdiktatur (1976-83)
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 07.2010
AuflagenNr.: 1
Seiten: 128
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Argentinien, 24. März 1976 - Ein Militärputsch beendet die konfuse politische Situation, die mit der Heimkehr und dem anschließenden Tod von Präsident Juan Domingo Perón im Land losgebrochen war. Dieses Datum ist gleichzeitig der Auftakt einer 8jährigen Gewaltherrschaft, in der die Militärdiktatur allem linksgerichteten Gedankengut den offenen Kampf ansagt. Dieser ideologischen Säuberung fallen mehr als 30.000 Menschen - viele von ihnen Studenten und Intellektuelle - zum Opfer. Sie verschwinden spurlos. Andere verlassen unter der Bedrohung ihres Leben fluchtartig das Land. Diese verstummten Stimmen hinterlassen eine große Leere in der kulturellen Landschaft Argentiniens. Eine thematische und diskursarme Leere, die sich auch auf den nationalen Kinoleinwänden ausbreitet. Die rigide Zensur zwingt die Filmemacher zur freiwilligen Rezension ihrer Werke, woraufhin sich ein Großteil in eine innere Verbannung begibt. Die Studie versucht aufzuspüren, unter welchen einschränkenden Bedingungen die zurückgebliebenen Regisseure, Produzenten und Autoren ihrer Arbeit während der Militärdiktatur Videlas, dem sogenannten Proceso de Reorganisación Nacional, nachkommen konnten. Welchen Gefahren sie ausgesetzt waren und mit welchen narrativen, ästhetischen oder ökonomischen Mitteln sie einen Weg zu ergründen versuchten, der an der Zensurbehörde vorbeiführen konnte. Zeitzeugenberichte von Regisseuren und Autoren (u.a. Mario Sábato, Manuel Antín, Héctor Olivera) geben darüber Aufschluss, wie dünn die Linie zwischen Tod und Leben war - wie groß die Angst, sie zu überschreiten.
Textprobe: Kapitel 2., Das Genre – stummer Mittler sozialer Realitäten: Einen der wichtigsten Verbündeten im Instrumentarium der Zensurumgehung stellt die Nutzung eines filmisches Genres, bzw. der variable Umgang mit demselben dar, denn ‘we must obviously focus our attention on the borders between genres, because it is precisely there, in their differences, that genres exist’. Diese von Beebee formulierte These macht den Wert des Genres für eine Beschreibung von Umgehungstechniken innerhalb eines staatlich basierten Zensursystems deutlich. Die Wahl einer variierten Erzählumgebung ist weniger eine eigenständige Neuerschaffung einer anderen ‘Weltsicht’ oder Ideologie, sondern resultiert aus einer Differenzierung gegenüber der Typologisierung und Normierung eines bereits vorhandenen Regelwerkes. Das intendierte Manöver einer Zensurtäuschung glückt u.a. durch die völlig isolierte Sichtungssituation der filmischen Werke. Ein Bezug zu anderen Filmsujets und die von Beebee beschriebene Definition im Zusammenspiel mit gattungsgleichen und genrefremden Filmen findet innerhalb dieses Sehvorgangs nicht statt. Im Fokus der ideologischen Zensur Argentiniens standen konkret kritisierende Filme, die eine unterschiedliche Weltsicht klar verkündeten und als eigenständige Werke außerhalb der erlaubten Bahnen der offiziellen Normgebung zirkulierten. Demnach musste eine Möglichkeit gefunden werden, Zugang zum offiziellen Diskurs zu finden, denn ein Diskurs besteht nie zu ganzen Teilen aus der definierten Wahrheit, wie u.a. Foucault in seiner Abhandlung zum Diskursbegriff feststellt, sondern beinhaltet ebenso die Bestimmung eines intern geltenden ‘falsch’. Darüber hinaus existiert die Unendlichkeit des noch nicht Geäußerten. Damit eine Kritik am Diskurs nunmehr erst funktionsfähig wird, gilt es, sie systemimmanent einzusetzen: Es ist immer möglich, dass man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven ‘Polizei’ gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muss. Wahr und falsch gilt es demnach innerhalb der Diskursvorgabe zu bestimmen und zu nutzen. Die ‘diskursive Polizei’ kann, im Falle von sozialkritischen – von außen herein getragenen – Wahrheiten durch den Einsatz von Tarnstrategien getäuscht werden, um eine Zensurkontrolle – den operativen Machtapparat – zu umgehen. Der homogene Diskurs ist nur von innen erweiterbar und der Gehorsam wird nur vorgetäuscht. Eine Kritik, die keinen Zugang zum Diskurs erfährt, ist als nichtig zu erachten, da sie ausgegrenzt wird und inaktiv in ihrem kommunikativen Bestreben bleibt. Ein Beitrag, der in einem autoritären Staatssystem offen anklagend das Recht auf Freiheit einfordert, wird ausgeschlossen werden. Nur in den Modalitäten des Machtdiskurses getarnt, kann eine Kritik innerhalb des autoritären Systems Wirkung zeigen. Die kritischen Beiträge, die die Zensurbehörde passierten, erfüllten auf den ersten Blick alle Diskurs konformen Kriterien, indem sie sich ‘nur’ als Genrefilme zu erkennen gaben. Genau diese rezeptive Oberflächlichkeit macht sich ein überlegter Genreumgang zu Nutzen. Das Werk signifiziert nicht allein, sondern erfährt erst durch das Einfügen in einen kanonisierten Genrekorpus und der folgenden Abgrenzung zu anderen filmischen Produkten seine Positionierung. Die Entscheidung für die Einbettung einer Handlung in einen erzähltechnischen und –ästhetischen Rahmen determiniert den konnotativen Bedeutungsgehalt des Gesamtproduktes: The ‘reality’ of a text lies in its use-value, commonly known as its genre. The relation of the text to the ‘real’ is in fact established by our willingness to place it generically, which amounts to our willingness to ideologically appropriate its brute information. Dieser Ansatz fordert den Willen einer Ablösung vom konkreten Plot der präsentierten Geschichte und eine Einordnung des rezipierten Geschehens in den gesamtweltlichen Kontext, um das Verständnis des ‘Nicht-Gesagten’, des Zwischenzeiligen, zu gewährleisten. Erst durch diesen interpretativen Vorgang wird der Gebrauchswert einer Genrewahl ersichtlich. Die unterschiedlichen sozialen Erfahrungswerte beeinflussen dabei die interpretatorischen Leistungen des Betrachters. Es erklärt sich aus der individuell unterschiedlichen Kontextualisierung des Gesehenen die Ambiguität des Textes und dessen Bewusstmachung im eigenen sozialen Umfeld, denn: film genres are functional for their society. Whereas producers and exhibitors see genre film as ’product‘, critics recognize their role in a complex cultural system permitting viewers to consider and resolve (albeit fictively) contradictions that are not fully mastered by the society in which they live. Dieser Auffassung wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit entsprochen. Es wird angenommen, dass die Vergegenwärtigung von Sozialkonflikten, die sich aufgrund der Widersprüchlichkeit von diktatorisch beschworenem Machtdiskurs und bürgerlicher Wirklichkeit ergeben, im kreativen Einsatz von filmischen Genreformen stattfindet. Einen Schwerpunkt legt die Analyse nun auf die Beobachtung, welcher Genres sich die potentiell gesellschaftskritischen Filme während der Anfangsphase der Militärdiktatur im Speziellen bedienten und wie sie Varianten bildeten, um aus ihrer sozialen Welt zu erzählen. Jener Lebenswelt, die vom Regime totgeschwiegen, jedoch von der Bevölkerung als gesellschaftlicher Realzustand wahrgenommen wurde. Das Augenmerk soll ebenso auf genrezitäre Mischformen gerichtet werden – auf Filme, die entweder keiner spezifischen Gattung zugehören oder sich, ob ihrer stilistischen und erzähltheoretischen Konsistenz, mehreren Genreformen zuordnen lassen. Auf diesem Weg entzogen sich die Werke formell dem homogenisierten Regierungsdiskurs, übten in ihrer Polysemie Kritik an der Simplifizierung des Weltbildes und der schwarz-weißmalerischen Aufteilung in ‘Gut’ und ‘Böse’. Die Abgrenzung zu den durch die Zensur geförderten Texten bzw. zum geforderten Diskurs ist gleichzeitig eine Sichtbarmachung auferlegter Schranken. Die gestalterischen, erzählerischen und motivischen Grundzüge der gewählten Genreumgebung bewirken deshalb eine mehr oder minder direkte Äußerung über soziale Missstände. Im günstigsten Falle verschmelzen sie in ihren Aussagen zu einem gemeinsamen Gedanken: der Verneinung des totalitären Machtdiskurses.
Rouven Rech, Jahrgang 1973, hat sich seit mehreren Jahren konsequent dem dokumentarischen sowie wissenschaftlichen Arbeiten am filmischen Medium verschrieben. Er absolvierte ein Studium der Audiovisuellen Medienwissenschaften an der Universität Paderborn und an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, welches er im Jahr 2001 mit dem Diplomerwerb erfolgreich abschloss. Er organisierte zeitgleich zwei Jahre lang als Mitglied des Festivalteams das renommierte Studentenfilmfestival SehSüchte. An der Filmakademie Baden-Württemberg ließ er sich von 2001 bis 2004 zum Diplom-Dokumentarfilmregisseur weiterbilden. Mit Unterstützung des DAAD studierte er zudem ein Jahr an der Universidad del Cine in Buenos Aires. Die Landesstiftung Baden-Württemberg ermöglichte ihm im Jahr 2004, für sechs Monate an die Escuela Internacional de Cine nach Kuba zu gehen. Nach den Aufenthalten in spanischsprachigen Ländern zog es ihn in andere Gefilde. Die Heinz-Kühn-Stiftung NRW verhalf ihm zu einer Recherchereise nach Äthiopien, als verantwortlicher Regisseur befuhr er im Rahmen eines abendfüllenden SWR-Dokumentarfilms (letzte Reihe von Menschen & Straßen ) den Trans-Kalahari-Highway und seine dokumentarischen Kurz- und Langfilme erhielten wichtige Preise und Prädikate bei mehreren Festivals. Als Referent und Dozent war er an der Universität Paderborn, bei der durch die NGO Gemini Trust geführten Ausbildungsstätte GEM TV in Addis Abeba und an der Universität Konstanz (gemeinsam mit Teresa Renn) tätig. Seit 2005 betreibt er gemeinsam mit Teresa Renn die Torero Film GbR in Berlin und Konstanz. Aktuell arbeitet er an dem Kinodokumentarfilm Das Leben ist kein Heimspiel (gemeinsam mit Frank Pfeiffer) über den Fußballklub TSG 1899 Hoffenheim sowie an der Arte-Produktion ADOPTED (gemeinsam mit Gudrun F. Widlok), die beide im Jahr 2010 fertiggestellt werden.
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