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- Die Bedeutung der Technik für die musikalische Avantgarde: Transformation musikalischer Ästhetik und künstlerischen Selbstverständnisses
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 08.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 120
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Die Abwertung der Technik in der Kunst hat eine lange Geschichte. Haftet technischer Kunst noch heute in der öffentlichen Wahrnehmung der Makel des ›Uninspirierten‹ und die Unterstellung kreativer Minderwertigkeit an, so stand der griechische Begriff der téchne im ursprünglichen, aristotelischen Sinne noch für Kunstfertigkeit und Schöpfungskraft. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht die Bedeutung der Technik für die musikalische Avantgarde, insbesondere die durch die Technik ausgelösten oder in ihr verorteten Transformationen musikalischer Ästhetik und künstlerischen Selbstverständnisses. Technik gerät dabei sowohl auf Seiten der Produktion, Reproduktion und Distribution von Musik als auch als programmatisches Element in den Blick. Unberührt davon bleibt aber die Frage, inwiefern wirklich technische Innovation oder bloße Wahrnehmung und Anerkennung der technischen Realität von Kunst substantielle Veränderungen auslöste.
Textprobe: Kapitel 4, Technik in der Kunstpraxis: 4.1, Musikmaschinen und Instrumentenbau: Ferruccio Busoni äußerte erstmals 1906 die Notwendigkeit der Erweiterung des Instrumentariums. Angestoßen durch die mechanischen Geräuschtöner des Bruitismus und den immensen Bedeutungszuwachs der idiophonen Instrumente kam es zur Emanzipation des Geräuschs in den Partituren der ›Neuen Musik‹. Futurismus und Bruitismus produzierten aber weniger revolutionäre Musik für die Maschinen, als vielmehr konservative Musik über die Maschinen als programmatische Gegenstände. Stravinsky und Malipiero waren 1917 die ersten modernen Komponisten von Rang, die mit Kompositionen für Pianowalzen der Firma ›Aeolian Company‹ tatsächlich ernsthaft kommerzielle Musik für Maschinen und nicht lediglich über die Maschine schrieben. Bei der Pianowalze handelt es sich im Grunde um eine Form technisch reproduzierbarer Kunst, die im beginnenden 20 Jahrhundert eine breite Vermarktung fand. Die Musik wird zwar nicht von einem Speichermedium wie der Schallplatte reproduziert, sondern von einem tatsächlichen Instrument gespielt, ist aber trotzdem der Walze ›eingeschrieben‹. Sie wird im Moment des Abspielens ›erzeugt‹, aber nicht interpretiert. Die bedeutsame Frage ist, ob es sich bei maschinell gespielter Musik noch um transitorische Kunst im Sinne einer Interpretation handelt. Sie erscheint beliebig reproduzierbar und durch das ›Notat‹ der Stifte auf der Walze fixiert. Genauso fixiert der Komponist aber seine Musik auch im Notat der Schrift. Das Element der Interpretation, das über Jahrhunderte hinweg die Kunst des Musikers ausmachte, wird dem modernen Komponisten zum Übel und Hindernis einer exakten Musik. Er ist stets gezwungen, die Hoheitsmacht an ›seinem‹ Werk mit dem Interpreten zu teilen. Die Substitution des menschlichen Interpreten durch die Maschine stellt einen Akt der totalen Machtergreifung des Komponisten dar. Im Laufe des 20. Jahrhunderts werden die mechanischen Maschinen der his-torischen Avantgarde durch die elektrischen Maschinen der Neo-Avantgarde abgelöst. »Für die heute hochaktuelle Verbindung von Musik und Technik scheint die elektronische Musik das Kronbeispiel zu sein. Es ist, als ob die Musik mit einem Schlag das technische Zeitalter eingeholt und damit in sich hineingeholt hätte«. Angesichts dieser grundlegenden Umbrüche musikalischer Ästhetik und kunsttheoretischer Definition erscheint es bemerkenswert, wie reibungslos sich die früher als völlig unvereinbar gedachten Welten der Kunst und Technik miteinander verbinden. »Hier berühren sich generische Welten und verschmelzen sogar: der angeblich entseelte Mechanismus und die angeblich beseelte Tonkunst. Der Zusammenprall dieser scheinbaren Widerkräfte ging ohne Aufruhr vor sich. Die Katastrophe fand nicht statt. Immerhin war dies doch das erste Mal in der Musikgeschichte, daß die Maschine ihren Einfluß geltend machte«. So scheint es im Bewußtsein der Menschen angekommen zu sein, daß die ›Na-türlichkeit‹ in der Kunst eine Illusion und eine Paradoxie ist. Der Wert der Kunst wird durch ihre technische Gemachtheit nicht mehr in Frage gestellt. »In der ›Natur‹ gibt es doch etwa keinen Geigenton – dieser ist auch wohl artifiziell. Die Geige wurde ebenso vom Menschen gebaut wie die elektronischen Generatoren. Es macht prinzipiell keinen Unterschied aus, ob Luftsäulen, Saiten oder Stimmlippen vibrieren, oder Stromkreise oszillieren. Schließlich ist das, was wir bei elektronischer Musik hören, ebenfalls Vibration der Luft, also genauso ›Natur‹«. Bei der Konstruktion neuer Instrumente zeichnete sich die Differenzierung in mechanische und halbmechanische Musikinstrumente ab. Dabei wird der Instrumentenbau nicht nur vom Wunsch nach neuen Klangfarben oder einer Mikrotonalität angetrieben, sondern vor allem von der für die zunehmend mathematisch exakt konzipierte Musik notwendigen Substitution des Interpreten durch Klangformungstechnik. War das bisherige Instrumentarium primär halbmechanisch, so erwuchs nun verstärkt der Wunsch nach mechanischen Instrumenten. »Mechanische Musikinstrumente geben […] die Notenwerte und auch die Notensätze sehr exakt wieder. Sie sind damit frei von Fehlern oder willkürlichen Auffassungen des Interpreten. Die Korrektheit der Notenwiedergabe ist mitunter bestechend«. Interessant ist, daß die wirklich ›exakte‹ Wiedergabe klassischer Kompositionen das fast unerträgliche Gefühl toter und künstlicher Musik erzeugt. Nur Musik, die bewußt für Automaten komponiert und mit der mechanischen Ästhetik konzipiert wurde, kann gewinnbringend als Alternative zum menschlichen Interpreten gedacht werden. Eine Ausnahme stellt das Welte-Mignon Klavier dar, daß aber eher der Aufzeichnungstechnik zugerechnet werden muß. Reproduktionsklaviere machen es möglich, »das Spiel eines Klaviervirtuosen mit allen Schattierungen wiederzugeben. Außer der Stärke des Anschlags ließen sich die Pedalgebung, das Tempo und die Dynamik mit Crescendo und Decrescendo verändern«. Aber nicht nur die mangelnde Exaktheit des menschlichen Interpreten führte zu seiner technischen Überwindung. Auch die biologischen Grenzen des menschlichen Körpers wurden nicht länger als gegebene Grenzen möglicher Komposition akzeptiert. »Bei den Akkorden, die auf dem Klavier gespielt werden, sind die Anzahl der Töne auf die Anzahl der Finger begrenzt. Bei mechanischen Musikinstrumenten sind jedoch weit mehr gleichzeitig zu spielende Töne möglich. Auch lassen sich auf einfache Weise die gleichen Töne in mehreren Oktaven wiedergeben. […] Zwei schnelle Triller lassen sich mit einer Hand kaum ausführen für ein mechanisches Musikinstrument bringt dies keine Schwierigkeiten. […] Die Klaviatur läßt sich damit uneingeschränkt ausnutzen, und der Komponist bleibt unabhängig von den begrenzten Spielmöglichkeiten des Pianisten«. Mechanische Musikinstrumente erweitern aber nicht nur die Möglichkeiten der Spieltechnik, sondern auch das Repertoire der Klangerzeuger. So verwenden schon klassische Musikautomaten oftmals besondere Konstruktionen von Orgelpfeifen, die in Kirchenorgeln keine Verwendung finden. Mechanische Musikinstrumente zerfallen in einen Klangerzeuger und eine Steuereinheit. Das Prinzip der Steuereinheit ist der Speicher (ähnlich der Partitur) mit einer durch die Mechanik festgelegten Zeittaktung. Die in diesen Speicher eingeschriebene Information basiert auf Programmierung oder Aufzeichnung (wie beim Welte-Mignon). Fortgeschrittene Steuereinheiten erlauben die Modifikation der eingeschriebenen Information in bestimmten Parametern. Den technischen Endpunkt dieser Entwicklung stellt die ›Midifizierung‹ elektronischer und akustischer Instrumente dar. Wie schon bei dem von Busoni beschriebenen Dynamophon, wurden die Gesetzmäßigkeiten der elektroakustischen Übertragungstechnik für die Technik des Instrumentenbaus maßgebend. In den zwanziger Jahren kam es erstmals zur großflächigen und kommerziellen Entwicklung elektrischer Klangerzeuger. Den Anfang machte 1920 das ›Thereminvox‹ von Leon Theremin. Ein ›Ätherwellen‹ Instrument, das durch die bloße Bewegung des menschlichen Körpers innerhalb seines Magnetfeldes angeregt wurde. Es folgten Entwicklungen von Obukhow (1921), Magers ›Sphärophon‹ (1926), Martenots ›Ondes Martenot‹ (1928), Hammonds berühmte Orgel (1934), Rimsky-Korsakows ›Emeriton‹ (1930) und Trautweins ›Trautonium‹ (1930), das von Oskar Sala zum ›Mixtur-Trautonium‹ (1952) weiterentwickelt wurde. Diese Entwicklung ging fast nahtlos über zur Gründung der Studios für elektronische Musik in Paris (1948), Köln (1951), Milano (1953), Tokyo (1955), Rom, Warschau, Brüssel, Delft, Tel Aviv (1957), Toronto-Ontario, Columbia-Princeton (1959) und Yale (1962), die die Entwicklung des elektronischen Instrumentariums und der neuen Kompositionstechniken maßgeblich fortentwickelten. Trotz dieser scheinbar stringenten Erfolgsgeschichte der elektrischen und elektronischen Instrumente bleibt die Akzeptanz der technisch erzeugten Klänge bis zum heutigen Tage problematisch. Sie wird noch immer mit einer Abwertung der musikalischen Qualität verbunden. Die Aussage von Peter Lertes aus dem Jahre 1933 scheint noch heute uneingeschränkte Gültigkeit zu besitzen: »In Anbetracht der bestehenden Voreingenommenheit des Künstlers gegen den Techniker und Wissenschaftler wird sicher noch ein harter Kampf zwischen Technik und Musik entbrennen, denn das stolze und grandiose Gebäude der Musik läßt sich durch den elektrischen Funken nicht einfach aus den Angeln sprengen. Doch auch auf diesem Gebiet wird die Technik unaufhaltsam ihren Weg gehen […] Die elektrische Musik will ja auch nicht das Althergebrachte zertrümmern […] sie will das heutige Musikleben aus einer Lethargie herausreißen«. Verwendung fand das neue Instrumentarium der 20er Jahre nicht nur in der ernsten Musik, sondern vor allem in der Vertonung der Stummfilme und später in der Produktion von Filmmusik. Ausschlaggebend ist hierfür wohl der den neuen Klängen innewohnende ›Effektcharakter‹.
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