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  • Der Widerhall des Mittelalters: Georges Duby als Mediävist, Schriftsteller, „Annales“ und Mentalitätshistoriker

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Produktart: Buch
Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 11.2012
AuflagenNr.: 1
Seiten: 104
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback

Inhalt

Die Mentalitätsgeschichte als Gegenpol zur Ereignisgeschichte hat die historische und mediävistische Forschung gleichsam gespalten wie bereichert. Obwohl inzwischen global etabliert, geben ihre Gründerväter, die ,Annales d’histoire économique et sociale', kurz ,Annales', aber noch immer manches Rätsel auf: Was macht sie aus? Sind sie Gruppe, Schule, loser Verbund? Oder sind sie womöglich gar überhaupt keine Einheit? Diesen Fragen wird hier nachgespürt. Eine besondere Konzentration gilt dabei einem ihrer schillerndsten Vertreter und dessen Werk zur ,Geschichte des privaten Lebens': Georges Duby, der mit seiner Herangehensweise, seinem Schreibstil und seinen Visionen eine ganz eigene Ausprägung der Mentalitätsgeschichte geschaffen hat. Das Buch beschäftigt sich damit, was ihn so unikal macht(e), und das sowohl aus der Sicht des Lesers, als auch auf Basis seiner Biografie. Ob und inwiefern er zu den Annales zählt, und weshalb neben Historikern auch Mediävisten, Kunstforscher oder Soziologen von seinen Erkenntnissen profitieren können, ist Thema dieser Studie.

Leseprobe

Textprobe: Kapitel 3.1.2, Die mentalitätsgeschichtliche Forschung – eine Spaltung innerhalb der Annales? Wenn also konstatiert wird, der mentalitätsgeschichtliche Zweig der Annales stelle durch gegenüber den Vorgängern eine Diskontinuität her, weil er die Blochschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte zurückdränge – 'Um allgemein über sie (die Mentalitätsgeschichte, Anm.d.Verf.) berichten zu können, wurde der bekanntlich ambigue, kaum begrenzte und eher problematische als nützliche Begriff der 'Mentalitäten' erdacht' – ist festzuhalten, dass sich zumindest in einem Punkt eine gewisse Abgrenzung zum Rest der Annaleschen Forschung durchaus feststellen lässt: Die Mentalitätsgeschichte wird von der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte getrennt. Sie erscheint in einer dritten Phase der Entwicklung der französischen Historiographie, nach deren einheitlicher Konzeption gar nicht mehr gefragt wird. [...] Die Geschichtskonzeption der Annales, die 'histoire totale' wird [...] als Konvergenz multidisziplinärer und multiperspektivischer Annäherungsversuche an die Totalität menschlichen Zusammenlebens in sozialen Verbänden der Vergangenheit beschrieben. In dieser 'histoire totale' ist das Ziel nicht, die Geschichte in einzelne Segmente aufzuteilen und diese dann abgetrennt voneinander zu untersuchen. Im Gegenteil soll das Zusammenleben- und wirken von Menschen in einer Epoche und Gesellschaft als Totalität betrachtet werden. Dies ist eine der Hauptgrundlagen für eine Forschung, deren Arbeit interdisziplinär und multiperspektivisch sein muss und erkennt an, dass [...] Wissenschaft ein prinzipiell unabschließbarer Prozeß des Erforschens ist. [...] Weil die Mentalitätsgeschichte in allen Bereichen - von der Politik bis zur Demographie - die Relation zwischen den empirisch analysierbaren materiellen Bedingungen und der geistig-psychologischen Dimension des menschlichen Sichverhaltens aufzeigt, kommt ihr innerhalb der 'histoire totale' eine Schlüsselbedeutung zu. Riecks weist früh auf die '[...] Bedeutung interdisziplinärer Kontakte bei der Entstehung der Mentalitätsgeschichte [...]' hin, ein Punkt, den auch Dinzelbacher herausstreicht. Als typisches Erkennungsmerkmal für die Mentalitätsgeschichte beschreibt er deren '[…] Öffnung gegenüber den kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen wie Anthropologie, Psychologie, Völker- und Volkskunde, Religionswissenschaften […]'. Also ein Vorgehen wiederum ganz in der Tradition der Annales. Einen weiteren wichtigen Ansatz der Mentalitätsgeschichte nennt Burke, wenn er schreibt, es reiche nicht '[...] sich in die Menschen einer anderen Kultur oder ihre Situation hineinzuversetzen, um ihr Verhalten zu verstehen es ist darüber hinaus notwendig, sich ihre Definition der Situation zu eigen zu machen, sie mit ihren Augen anzusehen' um ihr gerecht zu werden. Dass Dubys Forschungen und die von den Annales im Allgemeinen untersuchten Mentalitäten nicht unendlich formbar sind, wenngleich natürlich Unterschiede zwischen verschiedenen Mentalitäten aufgezeigt werden können, hat Burke ebenfalls festgestellt: 'Der Konstituierung von Wirklichkeit durch Individuen und Gruppen sind Grenzen gesetzt, die man nicht aus dem Blick verlieren darf'. Mehr zu Dubys Haltung hierzu im Punkt über sein Arbeiten mit und in dem Bereich der Imagination. Die Annales mentalitätsgeschichtlicher Prägung unterschieden sich von ihren Vorgängern durch ihre kritischere Haltung gegenüber einer globalen Geschichte, was sich auch bei Duby beispielhaft in der von ihm des Öfteren betonten Konzentration auf spezifische räumliche Gebiete und Stände äußert. Zudem verlagerte sich '[...] das zentrale Problem- und Interessenfeld der Zeitschrift von der Wirtschafts- und Sozialgeschichte auf die historische Anthropologie und die Mentalitäten [...]'. Wenn nun in diesem Zusammenhang Le Goff sinngemäß feststellt, dass diese 'neue Geschichtsschreibung' sich zwar an den Maßstäben der Annales orientiert, jedoch keine festen Regeln der Herangehensweise aufweist, wird wiederum deutlich, dass sich die Mentalitätsgeschichte nicht endgültig universal definieren lässt. Rojas schreibt hierzu, dass die '[...] Artikulationsachse des dritten Annales-Projektes ausschließlich in einem geteilten Problemfeld bestand, dem Feld der Mentalitäten [...] und nicht [...] in einer klaren methodologischen Orientierung und einer definierten theoretischen Perspektive'. Nicht vergessen werden dürfen auch die von mehreren der Annales-affinen Forschern des Öfteren erwähnten und in Punkt 1 bereits angesprochenen Autoren, die quasi 'avant la lettre' bereits Mentalitätsgeschichte betrieben haben. Als wichtig wäre hier etwa Johann Huizinga und sein erstmals bereits 1919 veröffentlichtes Werk 'Herbst des Mittelalters' zu nennen. Raulff erklärt zwar die Entstehung der Mentalitätsgeschichte als ausgehend von Frankreich '[…] und von der sogenannten ‚Schule der Annales’. [...] an die Stelle des privilegierten homo politicus trat der homo humanus schlechthin Geschichte wurde – jedenfalls allmählich – zur historischen Anthropologie'. Jedoch gibt auch er zu: 'Bis heute aber gibt es [...] keine Theorie der Mentalitäten oder des Mentalitätenwandels'. Stattdessen bleiben Definitionen vage und problematisch, ebenso wie der Versuch konkret festzulegen, wo der Bereich der Mentalitäten überhaupt beginnt. Schließlich überspannt der Bereich der wissenschaftlich als mentalitätsgeschichtlich betrachtete Forschung einen weiten Bereich '[...] zwischen den zu einer Sachkultur gehörigen Praktiken und Formen des Umgangswissens und den kategorialen Formen des Denkens'. Raulff stellt somit nicht zu Unrecht die Frage, ob sich mentale Befindlichkeiten überhaupt theoretisch fassen lassen. Ebenso zu vertreten wäre die Ansicht, dass sie in ihren Manifestationen bestenfalls beschrieben werden können – auch hier sei wiederum auf den Umgang Dubys mit diesen scheinbaren Grenzen unter Punkt 4.5 verwiesen. Es ist also zusammenfassend festzustellen, dass es keine rundum zufrieden stellende Definition dessen, was Mentalitätsgeschichte ist, gibt. So heißt es etwa bei Rojas: 'Sie besaß aber [...] keinen homogenen und gut abgegrenzten Charakter, sondern entfaltete sich im Gegenteil durch verschiedene Strömungen und Modelle'. Auf den Punkt bringt die Forschungslage Dinzelbacher, der in seinem Werk zur Europäischen Mentalitätsgeschichte erkennt, der Begriff der Mentalität gehöre in einen Zusammenhang, in dem er und verwandte Termini von verschiedenen Autoren mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden würden. '[…] so ist für die Mentalitätsgeschichte noch kaum ein verbindlicher Kanon anzugeben, was alles Gegenstand der Forschung sein sollte. Noch viel weniger darf man heute allenthalben einen Konsens bei der Interpretation der Quellen erwarten'.

Über den Autor

Simon Denninger, Jahrgang 1979, schloss sein Germanistik- und Geschichtsstudium (M.A.) mit 1,0 ab. Nach einigen Jahren als festangestellter PR-Redakteur und Werbetexter gründete er Anfang 2009 seine eigene Agentur ,Si-De-Punkt'. Neben Fach-, Presse- und Websitetexten für nationale und internationale Unternehmen schreibt er Artikel für Magazine und Zeitungen und forscht im Rahmen seiner Promotion zur Inszenierung von Politik in Mittelalter und Moderne.

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