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- Der maghrebinische Roman: Zwischen Autobiographie und postkolonialer Identität: Analyse anhand der Werke „L’enfant de sable“, „La nuit sacrée“ und „Les yeux baissés“ von Tahar Ben Jelloun
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 02.2014
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Das Buch befasst sich mit der Darstellung interkultureller Identität im Migrationskontext anhand ausgewählter Romane des maghrebinischen Autors Tahar Ben Jelloun. Unter besonderer Berücksichtigung seiner Herkunft und Vergangenheit, ebenso wie der Kolonialgeschichte Marokkos, sollen Aspekte der Identitätsproblematik, die die Romanfiguren durchleben, herausgestellt werden. Ebenso sollen enthaltene autobiographische Merkmale analysiert werden. Die hier relevante Beziehung von Literatur und Geschichtsschreibung resultiert aus der französischen Kolonialgeschichte und der ab den 50er Jahren sich anschließenden Immigrationsbewegung der nordafrikanischen Staaten Marokko, Tunesien und Algerien nach Europa. Diese Immigrationswelle der Maghrebstaaten führte zu neuen kulturellen Konstellationen, neuen Familienbildern und politischen sowie sozialen Konflikten, wodurch verschiedene Assimilationsstrategien zum Tragen kommen. Tahar Ben Jelloun, ist in Marokko geboren und aufgewachsen. Er emigrierte als Erwachsener nach Frankreich und greift diese Thematik der Immigration und Identitätsproblematik sowie damit verbundene Probleme des Rassismus immer wieder in seinen Werken auf. Durch seine eigene Lebens- und Immigrationsgeschichte, die persönliche Betroffenheit und interkulturelle Kompetenz verfügt Ben über ein fundiertes Insiderwissen der Migrationskultur und -problematik. Inwieweit Tahar Ben Jelloun seine persönlichen Erfahrungen, Lebensereignisse und persönliche Wertungen in seine Romane einfließen lässt, soll unter anderem in diesem Buch herausgestellt werden.
Textprobe: Kapitel 5, Schreiben in der Sprache des Anderen: Die Literatur des Maghreb ist gekennzeichnet durch Prozesse der Hybridisierung, Oralität sowie der Übersetzung. Als Maghreb werden geopolitisch die nordafrikanischen Staaten Lybien, Mauretanien, Algerien, Marokko und Tunesien bezeichnet. Im Arabischen bedeutet ‚Al –maghrib‘ ‚Westen‘ und ‚Ende der Welt‘, im französischen Terminus 'Afrique du Nord.’ Die Bezeichnung ‚Maghreb‘ stammt von den Arabern, die diese Region ab dem 7. Jahrhundert zu islamisieren begannen. Diese Region gilt als besonders hybrid, denn dort leben seit tausenden von Jahren Muslime und Juden friedlich zusammen. Somit stellt der Maghreb ‘eine kulturell und linguistisch bunte Landschaft’ dar, die durch die ‘Koexistenz von drei Sprachen (dem Arabischen, dem Berberischen und dem Französischen) charakterisiert ist.’ Der Begriff ‚Hybridisierung‘ ist jedoch noch weiter gefasst und beschreibt nicht nur die ‘Koexistenz’ verschiedener Kulturen und Sprachen, sondern vor allem auch deren Vermischung. Hybridisierung wird ebenso als positiver Gegenentwurf zu dichotom konstruierten Identitäten verstanden, als ein Gegenentwurf, der personale und kollektive Selbstbilder nicht in Abgrenzung von Anderen bestimmt, sondern der die Grenze zwischen Eigenem und Fremden letztlich auflöst. Diese Koexistenz mehrerer Sprachen eröffnet Autoren wie Ben Jelloun nun die Gelegenheit, zwischen ‘verschiedenen Sprachen wählen zu können.’ Diese Situation wird jedoch weniger als Chance denn als ‘Konfliktherd gesehen,’ da durch die Wahl des Französischen als Literatursprache die arabo-berberische Sprachtradition aufgegeben wird. Das Schreiben in der Sprache des Anderen führt zu einer Distanzierung der Autoren zu ihrem Heimatland und ihrer Muttersprache: ‘Das Schreiben in der Sprache, mit den literarischen Ausdrucksmitteln des anderen und die Distanznahme zur eigenen Kultur entfremden die Autoren dem eigenen Publikum.’ Das Finden der eigenen Identität wird folglich besonders erschwert. Dieses Problem der Identitätssuche und –findung stellt sich besonders prägnant bei maghrebinischen Autoren, die in Französisch schreiben. Autoren maghrebinischer Literatur in französischer Sprache werden auch ‘Frankomaghrebiner’ oder autochthone Maghrebiner genannt. Viele der maghrebinischen Autoren französischer Literatur haben das Französische jedoch nicht aus freien Stücken als Literatursprache gewählt. Die große Mehrheit der Autoren, wie auch Ben Jelloun, studierten während der Kolonialzeit an französischen Schulen oder gingen in das Exil nach Paris und begannen so mit dem Schreiben der Sprache der Kolonialmacht. Die französische Sprache war diesen Autoren nicht nur durch die Kolonialgeschichte vorherbestimmt, sondern erbrachte ihnen auch einen großen Vorteil, wie Déjeux (1993) beschreibt: Les auteurs se servent du français en tant que Maghrébins parce que l´histoire de leurs pays l´a voulu ainsi. Ils sont allés á l´école française, au Lycée et même á l´Université de nos jours et depuis les indépendances surtout. Ils se servent donc d´un instrument qui leur rend de grands services (…). Hier muss jedoch die Frage angestellt werden, wer das Publikum der maghrebinischen Autoren darstellt und welche Gründe sie zum Schreiben bewegen. Zum einen begründet die Thematik der maghrebinischen Literatur die Wahl des Französischen als Literatursprache. Da zentrale Themen dieser Literatur vor allem der Rassismus und das Leiden unter der Kolonialherrschaft sind, ist es vielen maghrebinischen Autoren ein Anliegen, diese Themen dem französischsprachigen Publikum nahe zu bringen. Dies können sie jedoch nur mit Französisch als Literatursprache erreichen. Ben Jelloun (1983) schreibt hierzu in seinem Werk ‘L’écrivain public’: J’ai essayé de témoigner sur ce que j’avais vu, entendu, senti (…). Peut-être que si je n’avais pas vécu ces journées de terreur et d’angoisse où se révélait à moi le visage banal, ordinaire, brutal de l‘ordre et de l’injustice, peut-être que je n’aurais jamais écrit. (…) Alors me restaient les mots. Aus diesen Worten des Autors wird der Grund seines Schreibens ersichtlich: Schreiben als Zeitzeugnis. Das Schreiben hilft, das Erlebte aufzuarbeiten und zu verarbeiten. Hinzu kommt der Aspekt der Identitätskonstruktion durch das Schreiben, welche Ben Jelloun in dem Gedichtband ‘Poésie complète’ formuliert: Je suis ce qui me manque. Ce manque c’est tout ce qui constitue ma démarche, mon itinéraire, mon objectif. Ce que je crée c’est tout ce qui me fait défaut. Je dénonce. La parole. J’enlève le voile. Ben Jelloun sieht den Schreibprozess zum einen als Identitätsstiftung, da es ihm hilft, seinen Weg und sein Ziel in der Welt zu finden, zum anderen ist es für ihn ein Weg, die Wahrheit zu schreiben, sowohl über die Geschehnisse unter der Kolonialherrschaft Frankreichs als auch die Zeit im Exil: ‘Je découvre la honte’ (PC, S. 100). Somit gilt das Schreiben in der Sprache des Anderen auch als Befreiung, da das Französische den maghrebinischen Autoren neue Möglichkeiten des Ausdrucks eröffnet. In der arabischen Kultur, die von der Lyrik dominiert ist, gibt es die Gattung Roman bisher nicht. Diese ‘Adaption einer neuen Gattung samt Sprache’ stellt den maghrebinischen Autoren völlig neue Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung. Bisher tabuisierte soziale Themen können aufgegriffen werden, selbst ‘das große Tabu der Selbstenthüllung und der Preisgabe von Persönlichem’ stellen einen großen Fortschritt dar. Hinzu kommt, dass viele der maghrebinischen Romane autobiographische Aspekte enthalten und somit vorrangig in der ersten Person Singular geschrieben werden. Dies stellt allerdings in der arabischen Schriftkultur ein Problem dar, da es ‘in der islamischen Tradition negativ bewertet’ ist. Gronemann (2002) erläutert diesen Tabubruch folgendermaßen: Die moderne europäische Praxis der Autobiographie und das in ihr als unverwechselbar gezeigte Ich stellt eine Übertretung des Islam dar und wird teilweise als Verrat an islamischen Traditionen gedeutet. Das Sprechen über sich selbst wie das Heraustreten aus der Anonymität der Gruppe sind bereits ein Tabubruch. Wenn der Gläubige, so die Vorschrift, das Sprechen über sich nicht vermeiden kann, sollte er zumindest anonym und niemals in der 1. Person von sich sprechen. Hieraus geht hervor, dass in der islamischen Kultur ‘das Kollektiv mehr als das Individuum zählt’ und erst durch die Kolonialherrschaft Frankreichs und dem Eindringen der Französischen Sprache die Autobiographie als Gattung entstehen konnte. Das Französische hingegen gilt als ‘langue natale du ‚je’, langue de l’émergence pénible du moi.’ Diese neu verliehene Identität, ausgedrückt durch das französische ‚Je‘, erlaubt maghrebinischen Autoren nun erstmals das Schreiben über sich selbst und ermöglicht ihnen zudem eine völlig neue Gattung, die Autobiographie. Mathieu (1996) erklärt dies folgendermaßen: ‘Écrire en français, c’est oublier le regard de Dieu.’ Somit wird deutlich, welche Rolle die Religion bei der Wahl der Literatursprache spielt. In der arabischen Sprache muss jeder ich-Bezug vor Gott entschuldigt werden: Elle [sc. la langue français] m’a permis pour la première fois d’utiliser la première personne du singulier, ‘Je’, sans la faire suivre de la traditionnelle formule: ‘Que Dieu me préserve de l’usage d’un pareil pronom, car il est l’attribut du Diable. Ein weiterer Aspekt, der in französischsprachigen Romanen maghrebinischer Autoren zum Tragen kommt, ist die Oralität. Von einem sprachwissenschaftlichen Standpunkt aus wirken viele der Romane wie übersetzt, das heißt die ‘mündlich tradierte Berberkultur’ kommt darin zum Vorschein. Die Romane sind stark geprägt von ‚langue parlée‘ und ‚langue familier‘, hinzu kommt der häufige Gebrauch von ‚Maghrebinismen‘. Da die Autoren der französischsprachigen Literatur nicht in ihrer Muttersprache schreiben, fehlt das natürliche Sprachgefühl für das Französische, wodurch die Autoren mit einem ständigen kulturellen und sprachlichen Übersetzungsprozess konfrontiert werden. Somit kann festgehalten werden, dass die Wahl der Sprache eng verbunden ist mit der Suche nach der eigenen Identität und ‘oftmals eine kulturelle und zugleich politische Stellungnahme’ impliziert. Mit der Wahl des Französischen als Literatursprache stellt sich der Autor auf die Seite der ehemaligen Kolonialherrscher und verleugnet so seine Herkunft. Winckler (2004) nennt einen weiteren Grund für diese Entscheidung: Die meisten Autoren dieser Generation sprechen ‘zwar ihre Muttersprache, fühlen sich jedoch nicht in der Lage, sich in ihr literarisch auszudrücken.’ Es stellt sich die Frage, warum Ben Jelloun nun die Sprache des ehemaligen Kolonialherrschers als Literatursprache wählt, und nicht seine Muttersprache arabisch oder berberisch. Wie in der Biographie ersichtlich wurde, hat Ben Jelloun eine stark französisch geprägte Schullaufbahn durchlaufen und erlernte so die Ausdrucksfähigkeit der französischen Sprache. Hinzu kommt das Problem, dass er das Hocharabisch nicht ausreichend beherrscht und dieses auch stark von islamischer Tradition geprägt ist. Zudem eröffnet das Französische ihm die Möglichkeit, sich von seinem Heimatland zu distanzieren und so einen ungetrübten Blick auf dessen Tradition und Kultur zu werfen. Die ‚Sprache des Anderen‘ erlaubt ihm, Kritik zu üben und auch von sich selbst zu schreiben, was ihm die islamische Tradition untersagt.
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