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- Der Klimawandel in der Kunst: Alternative Strategien der Vermittlung
Kunst & Kultur
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 06.2013
AuflagenNr.: 1
Seiten: 76
Abb.: 9
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Der Klimawandel ist die am besten angekündigte Veränderung der Geschichte. Trotz der wissenschaftlichen Erforschung ist ein Wahrnehmungsproblem erkennbar, welches aus der ungreifbaren Komplexität des Phänomens Klima resultiert. Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bildet die Schwierigkeit, das Phänomen in seiner Komplexität zu vermitteln. Eine steigende Bedeutung erfahren in diesem Zusammenhang zeitgenössische Künstler, die sich diesen Themenkomplex zum Gegenstand gemacht haben. Sie bieten alternative Strategien der Vermittlung des Themas an. Im Fokus dieser Arbeit stehen drei ausgewählte Künstler, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzen. Es handelt sich dabei um die Arbeiten von Gerhard Lang (geb. 1963, Deutschland), Simon Faithfull (geb. 1966, Großbritannien) und Janine Randerson (geb. 1974, Neuseeland).
Textprobe: Kapitel 3.2, Wahrnehmungssysteme in der Kunst: Über die Kunst, das Unbekannte zu erforschen, lautet der Titel eines Vortrages des Wissenschaftshistorikers Hans-Jörg Rheinberger. Er thematisiert darin die Erkenntnisgewinnung der Wissenschaft und fragt, wie es zum Neuen kommt. Seiner Untersuchung nach ist die Entstehung des Neuen in den modernen Wissenschaften eng mit dem Experimentalsystem verbunden. Rheinberger schaut der Molekularbiologie ‚über die Schulter‘ und stellt fest, dass jede Untersuchung mit der Wahl eines Systems beginnt. Mit dieser Wahl wird der Aktionsrahmen definiert, in dem sich der Forscher bewegen möchte. Davon ausgehend liegt die Konzentration in einem Experimentalsystem immer nur auf einem Ausschnitt. Diese Beschränkung verengt den Blick, hat jedoch gleichzeitig einen ‘aufschließenden Charakter’, da sie einen Ort schafft, in dem sich das Neue ereignen kann. Es ist ein offener Forschungsprozess, in dem keine theoretischen Erarbeitungen experimentell überprüft und verifiziert werden, sondern ein Raum für Erkundungen aufgeschlossen wird: Experimentalsysteme sind also äußerst trickreiche Anlagen, man muss sie als Orte der Emergenz ansehen, als Strukturen, die wir uns ausgedacht haben, um nicht Ausdenkbares einzufangen. Sie sind wie Spinnennetze. Es muss sich in ihnen etwas verfangen können, von dem man nicht genau weiß, was es ist, und auch nicht genau, wann es kommt. Es sind Vorkehrungen zur Erzeugung von unvorwegnehmbaren Ereignissen. Guido Bouboullé überträgt Rheinbergers Begriff des Experimentalsystems der Wissenschaften auf die Kunst. Künstler, die in wissenschaftlichen Laboratorien arbeiten, wissenschaftliche Verfahrensweisen aufgreifen und eigene wissenschaftliche Versuchsanordnungen entwickeln, würden diese Praktiken für eine ästhetische Reflexion öffnen. Erkennbar sei, dass sie den Versuch unternehmen, die ‘imaginative Kraft experimenteller Wissensordnungen aufzuspüren’. Hier lässt sich eine Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft verdeutlichen: Beide Systeme müssen von einer Imaginationskraft geprägt sein, denn ‘ohne eine vage Vorstellung von etwas zu haben, kann man andererseits auch nicht von etwas Neuem überrascht werden’. Daraus resultiere, dass die Wissenschaft in der Umgebung von Experimentalsystemen nicht losgelöst von der Fantasie tätig sein kann. Der Unterschied würde hingegen darin deutlich werden, dass das Interesse der Künstler nicht darin liege, das Experimentalsystem als Forschungseinheit zu reflektieren, sondern als Wahrnehmungssystem. Sie untersuchen die Grenzen menschlicher Wahrnehmung. Die Künstler würden dem Betrachter ermöglichen ‘seine subjektive sinnliche Betroffenheit über die unmittelbare Situation hinaus bedeutungsvoll aufzuladen’. Sie schaffen einen Raum, in dem sinnliche Erfahrungen mit Deutungsstrategien verschränkt sind. Günther Anders fordert in Die Antiquiertheit des Menschen dazu auf, künstlerische Experimente durchzuführen, um eine ‘moralische Phantasie’ auszubilden. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, Anders Begriff des Experiments mit dem des Experimentalsystems zu konkretisieren. Denn es geht um die Entdeckung des Neuen, einer ‘moralischen Phantasie’, zu der ‘noch kein Faden hinführt, aber einer gespannt werden soll’. Im Gegensatz dazu steht das Experiment, bei dem im traditionellen Verständnis etwas als geglückt gilt, wenn etwas Erwartetes gefunden wird, dank einer festgelegten Vorgehensweise, eines ‘Fadens, dem man folgt’. Boulboullé schärft den Blick weiter und charakterisiert künstlerische Experimentalsysteme als Wahrnehmungspräparate. Er versteht diesen Begriff als ein Arrangement, mithilfe dessen eine Wahrnehmungssituation geöffnet wird. In dieser werden Sichtweisen erfahrbar und interpretierbar gemacht. Die Künstler operieren im Sinnlichen und nicht im Begrifflichen. Dieter Mersch deutet in Kunst als epistemische Praxis darauf hin, dass solche Strategien mit Singularitäten verbunden sind, denn die Wahrnehmung stößt, […] stets nur auf Einzelnes, d. h. je dieses im Sinne des Einfach und Einzigartigen, nicht des Allgemeinen. Dinge und Individuen sind, auch wenn sie unter den gleichen Begriff fallen, immer anders darum lassen sich aus Wahrnehmungen allein nicht Wahrheiten beziehen, wohl aber Aufmerksamkeiten. Nach Boulboullé favorisieren Künstler, das Beziehen von Aufmerksamkeiten, die das festhalten, was zugleich entschwindet. Sie bedienen sich der Arbeitsweise innerhalb eines Experimentalsystems, welche durch Umwege, permanente Verwerfungen und Neuansätze gekennzeichnet ist. Daraus resultiert, dass sie sich entweder im Weglosen verlieren oder überraschende Auswege finden. Mit der Freilegung und Reflexion einer Wahrnehmungssituation erzeugen sie eine Aufmerksamkeit für diese Übergänge zum Neuen und halten diese fest. Kunst als Praxis rückt, gegenüber der Kunst als Produkt, in den Vordergrund. In diesem Zusammenhang wird eine weitere Entwicklung über die Werkästhetik hinaus sichtbar. Somit steht nicht mehr das Werk entschieden im Zentrum, sondern die Prozesshaftigkeit der Arbeit. Diese Prozesshaftigkeit steht auch im Fokus der im folgenden Kapitel vorgestellten künstlerischen Positionen. Deutlich wird, dass sowohl die Wissenschaft, als auch die Kunst das Experimentalsystem für ihre Praxis nutzen. Die Arbeitsweise innerhalb dessen und die Ergebnisorientierung sind hingegen sehr differenziert. Geht es der Wissenschaft vor allem um eine Identitätsproduktion, eine wiederholende Praxis, in der das Abweichende erkennbar gemacht werden soll, steht bei der Kunst eine experimentelle Reflexivität im Fokus, die auf Wahrnehmungen referiert.
Anna Wiese, B.A., wurde 1988 in Neubrandenburg geboren. Ihr Studium schloss sie an der Universität und FH Potsdam im Studiengang Europäische Medienwissenschaft im Jahr 2012 erfolgreich ab. Bereits während des Studiums entwickelte die Autorin ein besonderes Interesse an den Themen Nachhaltigkeit, Kunstvermittlung und dem Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst. Während des Studiums konnte sie umfassende praktische Erfahrungen in der Kunst- und Kulturszene von Berlin und Madrid sammeln. Seit September 2012 arbeitet die Autorin in einem Studio eines international tätigen Künstlers.
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