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- Der Geisterdiskurs des 18. Jahrhunderts: Spukerscheinungen in Literatur, Theologie, Philosophie und Theater
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 04.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 96
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Kaum ein Phänomen beschäftigte die philosophischen, theologischen und literarischen Gemüter im 18. Jahrhundert so sehr, wie die Frage nach der Evidenz und Substanz von Gespenstern bzw. Geistern. In diesem Buch werden dazu einschlägige Texte aus Theologie, Philosophie und Theaterästhetik untersucht. Musäus‘ Die Entführung und Schillers Der Geisterseher werden exemplarisch betrachtet und der Schauerroman im 19. Jahrhundert besprochen. Mit Hilfe der ausgewählten Texte wird ein umfassender Überblick über die einzelnen Positionen im Geisterdiskurs des 18. Jahrhunderts gegeben. Hierbei werden nicht nur die Veränderungen der Gespenstervorstellungen skizziert, sondern aufgezeigt, dass in der Aufklärung eine gänzlich neue Funktion und Wirkungsweise von Geistermotiven und Geisterdarstellungen entsteht, die sich quer durch die prägnantesten Ebenen des privaten und öffentlichen Lebens des 18. Jahrhunderts zieht.
Textprobe: Kapitel 4.2, Fallerzählungen und Philosophie: Im Kapitel 4 wurde bereits auf die wesentlichen Neuerungen in Bezug auf die Literaturlandschaft des 18. Jahrhunderts eingegangen. Vor allem das Wachstum unterschiedlicher Printmedien wurde dabei betont. Wenn auch die Zahl aufgeklärter Schriften und Publikationen bis zum Ende des Jahrhunderts anwuchs, ist deren Rezeption in der ‚einfachen‘ Bevölkerung keineswegs belegt. Zwar entstanden nachweislich Werke, die sich explizit an bäuerliche Schichten richteten, genannt seien beispielsweise Rudolf Zacharias Beckers Versuch über die Aufklärung des Landmannes von 1785, Heinrich Philipp Sextros Über die Bildung der Jugend zur Industrie von 1785 sowie Theodor Gottlieb von Hippels Über die Ehe von 1774, aber inwieweit diese tatsächlich aktiv von lesekundigen Bürgern der unteren Stände gelesen wurden, bleibt auch in der Fachliteratur offen. Darüber hinaus gibt es in Werken über die Literatur der Aufklärung, besonders in Bezug auf Gespenstermotive, zahlreiche Erwähnungen von Fallerzählungen in Zeitungen und Kalenderblättern. Allerdings werden zum einen kaum direkte Quellen genannt, noch sind Beispiele in größerem Maße auffindbar. Es kann lediglich vermutet werden, dass besagte Schriften in größerer Fülle existierten, als sie tatsächlich bis heute erhalten blieben. Demungeachtet sollen im Folgenden zwei Beispiele vorgestellt werden, in denen Geister und Gespenster literarisch thematisiert aber nicht mit philosophischen oder religiösen Lehrsätzen versehen wurden. Im ersten Band der Blätter vermischten Inhalts von 1787 erschien ein als Fragment bezeichneter Text namens Fuer solche Leser, die noch Gespenster glauben. Er wird durch ein Gespräch zwischen Vater und Sohn eingeleitet, in dem es um die Frage geht, was Gespenster sind und ob bzw. wie sie dem Menschen erscheinen können. Der Sohn sagt, ein Gespenst sei der Geist eines Menschen, der nach dessen Tod auf der Erde wandelt und die Leute erschreckt. Dabei beruft er sich darauf, ‚was die Leute sagen‘. Mit Hilfe mehrerer Fragen an das Kind stellt der Vater schließlich die Thesen auf, dass der Mensch keine Geister sehen könne, da diese ja nur Geist und nicht Körper seien. Zudem wäre es den Geistern aus der Hölle nicht gestattet, auf die Erde zurückzukommen und die Geister im Himmel hätten nicht den Willen, dies zu tun. Es wäre darüber hinaus auch nicht der Teufel, der die Menschen plage, da Gott es nicht erlauben würde, dass dieser die frommen Leute erschrecke. Der Dialog schließt mit den Worten: Die meisten Geschichten dieser Art sind entweder Betruegereyen listiger Menschen oder Betrug unserer eigenen Sinne . Darauf folgt ein Bericht des Vaters, in dem er von einer vermeintlichen Gespenstersichtung erzählt, die er selbst erlebt hatte. In seinen frühen Jahren kannte er einen Gastwirt der die Schwachheit [hatte], woran so viele besonders gemeine Leute krank liegen, in einem hohen Grade: er glaubte Gespenster, und vertheidigte seinen Glauben aufs aeußerste . Dieser berichtete von dem kopflosen Geist eines ehemaligen Verwalters, der aufgrund von Veruntreuung nach seinem Tod keine Ruhe im Grabe findet und in der Dämmerung jeden Abends in einem nahe gelegenen Wald erscheint. Da der berichtende Vater bereits damals nicht an Gespenster glaubte, kam er dem Vorschlag des Wirtes nach und ging mit einem Freund des Nachts zu besagtem Wald. Tatsächlich erblickten beide Männer bald eine weiß gekleidete Gestalt, die sich jedoch während der lauthalsen Verfolgung immer weiter entfernte und schließlich gänzlich verschwand. Die anfängliche Furcht, es könnte sich wahrlich um einen Geist gehandelt haben, konnte jedoch durch den Bericht einer weiß gekleideten Frau des Dorfes getilgt werden. Sie selbst wäre das vermeintliche Gespenst gewesen und sei nur vor den schreienden Männern geflüchtet. Der Text schließt mit dem abschließenden Urteil des Vaters, indem er sagt, dass er die Täuschung wohl geglaubt hätte, wäre er nicht im Dorf erneut auf die Frau getroffen. Zufällige Täuschungen führen schlussfolgernd zum Glauben an Gespenster, wenn man sie nicht aufdecken könne. Zudem seien die meisten Spukerfahren vermutlich ebenso abgelaufen, wie die des Berichtes. Diese Art der Darstellung und Argumentation im Bericht des Vaters ist typisch für die Aufgeklärte Gespenstergeschichte, deren Ablauf in fast allen Fällen gleich ist: Ein Gespenst wird gesichtet und versetzt die Menschen in Angst und Schrecken. Eine darauf folgende Untersuchung ergibt, dass die Erscheinung natürliche Ursachen hat. Besonders hervorzuheben sei an dieser Stelle auch der Abschluss des oben besprochenen Fragmentes, das Urteil, nachdem die meisten Gespenstererscheinungen durch versäumte Überprüfung geglaubt werden. Die Warnung vor der Leichtgläubigkeit bei fraglichen Erscheinungen ist im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts häufig zu finden. In der Almanach für Aerzte und Nichtaerzte auf das Jahr 1783 heißt es beispielsweise: Die Quelle aller dieser und ähnlicher Sagen ist eine einzelne Erfahrung, wo dergleichen erfolgte, und die man, ohne Prüfung, für allgemein annahm. Denn je mehr man alle Erscheinungen in der Natur untersucht, desto mehr wird man von dem grossen Hange befreiet, alles Ungewöhnliche für übernatürlich und vorbedeutend anzusehen. Dies hat ausserdem noch den Nutzen, daß man durch dergleichen Betrachtungen veranlaßt wird, ruhiger und gelassener über alle Vorfälle des Lebens nachzudenken, Ursachen und Wirkung zu untersuchen, Nichts von ohngefehr anzunehmen, aber auch durch keinen irrigen Wahn in Furcht und Angst über die Zukunft zu gerathen. Wer dies kann, ist ein wahrer Weise, über alle Schreckenbilder der Einbildung erhaben. Während sich die Erzählung des Vaters an dem Muster der Aufgeklärten Gespenstergeschichte orientiert, folgt der vorhergehende Dialog theologischen Prinzipien, indem die Geistervorstellungen der protestantischen Kirche dargestellt werden. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um das Aufzeigen der religiösen Positionen, die um 1787 fast flächendeckend als richtig galten wurden und nicht um ein Exemplum. Neben der Aufgeklärten Gespenstergeschichte und dem traditionellen Exemplum gab es im 18. Jahrhundert auch Fallerzählungen, die nicht von Geistlichen verfasst wurden und auch nicht darauf abzielten, Gespenstersichtungen zu negieren. Stattdessen waren es Berichte über Geistersichtungen und Spukerlebnissen, die möglichst genau dargestellt und schließlich versucht wurden, zu erklären. Im Gegensatz zu den Aufgeklärten Gespenstergeschichten ging es jedoch nicht darum, die Sichtung und das damit verbundene Gespenst per se zu widerlegen. Der deutsche Schriftsteller Friedrich Nicolai trug im Februar 1799 in der Akademie der Wissenschaften zu Berlin eine von ihm verfasste Abhandlung mit dem Titel Beispiel einer Erscheinung mehrerer Phantasmen vor. In dieser schilderte er die Sichtung von Spukgestalten, die ihm im Laufe mehrerer Wochen erschienen. Als Vertreter eines aufgeklärten Gespensterbewusstseins war es sein Bestreben, die Erscheinungen möglichst genau zu beschrieben und deren Herkunft zu klären: Da mich, nachdem das erste Entsetzen vorüber war, diese Erscheinungen nicht sonderlich erschütterten, da ich sie für das hielt, was sie waren, für merkwürdige Folgen einer Krankheit so suchte ich um so mehr Besonnenheit zu behalten, um in recht deutlichem Bewußtsein dessen, was in mir vorging, zu bleiben. Nicolai verweist in seinem Text stets auf den Zusammenhang von Geisterbeobachtungen und dem kränklichen geistigen oder körperlichen Zustand des Beobachters. So folgert er schließlich: Wenn einmal das Nervensystem so sehr angespannt, so sehr schwach, kurz so verstimmt ist, daß dergleichen Gestalten erscheinen koennen, als würden sie gesehen und gehoert, so folgten bei mir diese Blendwerke keinem bekannten Gesetze der Vernunft, der Einbildungskraft, und der sonst gewoehnlichen Assoziation der Ideen und so ist es wohl bei andern Menschen, soviel man aus den wenigen bekannten Beispielen schließen kann. Bemerkenswert an seinen Ausführungen sind die genauen Erläuterungen seiner empirischen Beobachtung, die mit expliziten Zeit- und Ortsangaben versehen ist. Hinzu kommt eine genaue Schilderung seiner eigenen Anamnese sowie des weiteren Behandlungsverlaufes seiner Erkrankung. Nach der im 18. Jahrhundert recht gebräuchlichen Behandlung mit Blutegeln begannen sich, so Nicolai, die Geistererscheinungen farblich zu verändern und allmählich aufzulösen. Da die Trugbilder auch in der darauffolgenden Zeit nicht wieder erschienen, sah sich Nicolai in seiner Annahme bestätigt, dass die Erscheinungen nicht real waren. Wie bereits erwähnt wurde, unterscheidet sich diese Erkenntnis im Text Nicolais von der Aufgeklärten Gespenstergeschichte. So wurde hier zwar bewiesen, dass die gesehenen Gespenster nicht die visuell erkennbare Seele eines Verstorbenen sind, sondern lediglich Trugbilder des Verstandes, nicht aber, dass die Geisterseher nicht tatsächlich Erscheinungen erfuhren.
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