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- Der Chronist eines neuen Spanien: Die Filme Pedro Almodóvars als Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen
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Verlag:
Diplomica Verlag
Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH
Hermannstal 119 k, D-22119 Hamburg
E-Mail: info@diplomica.de
Erscheinungsdatum: 03.2015
AuflagenNr.: 1
Seiten: 108
Sprache: Deutsch
Einband: Paperback
Almodóvars Kinofilme spiegeln die Stimmungen einer spanischen Gesellschaft im Umbruch wider. Während er diese Zeit filmisch verarbeitete, wurde er ihr Chronist und prägte sie zugleich. Auf diese Weise avancierte Almodóvar auch international allmählich zum kulturellen Repräsentanten seines Landes – und war ab den neunziger Jahren daran beteiligt, das vorherrschende Spanienbild zu revidieren und einem breiten Publikum eine neue spanische Mentalität näher zu bringen. Indem er die gängigen Stereotype konsequent demontierte, erschuf er gleichzeitig ein Bild eines neuen Spanien. Almodóvars Entwicklung weist Parallelen zu der Entwicklung Spaniens auf, die bei der chronologischen Betrachtung seines Werks von Pepi Luci Bom bis Alles über meine Mutter deutlich werden. Ein Überblick über die Entwicklungen seit dem Bürgerkrieg 1936 verdeutlicht, wie einschneidend die Veränderungen nach Francos Tod waren, und von welcher Zeit Almodóvar geprägt wurde.
Textprobe: Kapitel 2.2, Der allmähliche Wandel von Staat und Kirche: Aus Angst vor einer Destabilisierung blieben zunächst viele franquistische Machthaber im Amt. Erst 1977 fanden nach über 40 Jahren die ersten freien allgemeinen Wahlen – eleciones generales – statt. Adolfo Suárez wurde in seinem Amt bestätigt, Felipe González war als Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE: Partido Socialista Obrero Español) Oppositionsführer. Die beiden jungen Politiker waren die politischen Symbole des Neuaufbruchs. Zusammen initiierten sie einen bemerkenswerten friedlichen Demokratisierungsprozess und galten als Repräsentanten eines neuen und modernen Spanien. Im folgenden Jahr wurde die erste demokratische Verfassung seit dem Bürgerkrieg verifiziert. Sie bildete die rechtliche Grundlage für die junge Demokratie. Mit der Verfassung wurde ein staatliches Schulwesen eingeführt. Dadurch verlor auch die Kirche an direkter politischer Macht, weil der Einfluss der Klosterschulen auf die allgemeine Schulbildung schwächer wurde. Schritt für Schritt fanden Pluralismus und Säkularisation Eingang in die politische Realität. 2.3, Die neue Gesellschaft: eine kulturelle Revolution: Während sich die politischen Veränderungen nur allmählich zeigten, vollzog sich die eigentliche Revolution auf gesellschaftlicher Ebene: Although the political transformation was a gradual one – transition rather than revolution – the change in the cultural environment was rapid – and at times excessive. Auf einen Schlag galten die konservativen Normen nicht mehr. Vor allem für die junge Generation bedeutete das Ende der Diktatur das Ende der restriktiven Wertvorstellungen der Vergangenheit: While for many adults Spain’s new democracy represented the achievement of radical political ambition through peaceful means, for the younger generation it meant an instantaneous break with repressive social norms and regulations. Zugleich hegten vor allem die Jüngeren Argwohn gegenüber dem neuen politischen System. Rabe beschreibt diesen Übergangszustand: Die heranwachsende nachfranquistische Generation befand sich Ende der siebziger Jahre in einem Umbruchstadium ohne fest definierte Werte: Die konservative, restriktive und bevormundende Ideologie Francos galt nach dessen Tod nicht mehr, ohne zunächst von konkreten neuen Leitlinien abgelöst worden zu sein. Die Jugendlichen fühlten sich von der Elterngeneration, repräsentiert durch Staat, Kirche und Gesellschaft im Allgemeinen, im Stich gelassen. Nicht nur das politische System und die Gesellschaft befanden sich in einem Schwebezustand, auch die Jugend als eigene soziale Gruppe musste sich neu definieren. Die gesellschaftlichen Veränderungen vollzogen sich in Spanien wesentlich schneller als beispielsweise in den USA oder Westeuropa. Dort waren sie das Ergebnis sukzessiver Entwicklungsschritte. Während beispielsweise in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg die wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen nacheinander und graduell abliefen – zunächst das Wirtschaftswunder in den fünfziger Jahren und erst im Anschluss die kulturelle Revolution Ende der sechziger Jahre – fand diese Entwicklung in Spanien gleichzeitig und in einer enormen Geschwindigkeit statt. Die Veränderungen kondensierten sich in der Hauptstadt Madrid und beeinflussten im Besonderen die Jugend. Mit dem Ende der Diktatur entwickelte sich in Madrid eine eigenständige Subkultur, die unter dem Namen movida madrileña berühmt wurde. Der Name movida erinnert dabei beinahe trotzig an Francos movimiento. Die Entwicklung der movida begann schon 1975, ihre Hauptzeit waren jedoch die frühen achtziger Jahre. Zu ihrem Kern gehörten Maler, Sänger, Schauspieler und Fotografen. Auch Pedro Almodóvar war ein fester Bestandteil dieser Jugendbewegung. Die Anhänger der movida verband nicht unbedingt eine kollektive Ideologie, wohl aber ein gemeinsames Lebensgefühl – zunächst die Euphorie über die neuen Freiheiten: Unabhängigkeit, neue Beziehungsmodelle und freie Sexualität. Alles schien möglich, alles war erlaubt. Die Jugend wollte nachholen, was jahrelang verboten war. Vorbilder waren die Jugendbewegungen anderer Länder, deren kulturelle Codes und deren liberale Sexualität – freie Liebe galt als Symbol der Freiheit schlechthin. Die Zukunft schien voller neuer Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Was die spanische Jugendbewegung von den Jugendbewegungen anderer Länder unterschied, war ihre weitgehende Akzeptanz, da sich nicht gegen ein etabliertes System richtete, sondern die Freiheiten lebte, die bisher jedem verwehrt waren. Auch von offizieller Seite wurde die movida mehr und mehr als geeignete Vorzeigebewegung eines neuen Spanien erkannt, das sich vollständig von seinen franquistischen Wurzeln emanzipiert habe: Spain’s youth culture was eventually welcomed by the political elite as the official image of Spain. Mit der movida hoffte man auch, über den zum Teil sehr langsamen politischen Reformprozess und die sich mäßig entwickelnde Wirtschaft hinwegtäuschen zu können, indem man den Blick auf die gesellschaftlichen Veränderungen lenkte. Mit der Vereinnahmung durch die Öffentlichkeit verlor die movida ihren eigentlichen Undergroundcharakter. Kulturelle Produkte, die eigentlich aus der Subkultur kamen, galten plötzlich als offizielle Kultur . Die Rolle der Jugend als Repräsentanten des neuen Spanien wurde dadurch sehr hoch bewertet: The high profile of social and cultural transformation contrasted with the gradual changes in the political process. This had two effects: first, it ascribed what is arguably an over-determined role to youth cultures as the ambassadors of the new Spain. Second, the cultural legacy of liberated Spain originated mainly with a youth which would inevitably grow up. Die movida lässt sich daher kaum als einheitliche Bewegung verstehen. Sie entstand gleichermaßen aus einem Gefühl der Euphorie über die neuen Freiheiten wie aus einer Enttäuschung über die wirtschaftliche und politische Situation. Sie war eine Underground-Bewegung und wurde zugleich in den Rang offizieller Kultur erhoben. Unzweifelhaft aber war die movida eine Bewegung, in der sich das Neue kondensierte und die sich über die Andersartigkeit vom vorherigen definierte. Unter anderem manifestierte sich dies auch darin, dass konservative Rollenmuster ihre Gültigkeit verloren und durch ein flexibleres Geschlechterverständnis ersetzt wurden. 2.4, Neubewertung der Geschlechterrollen: Die Jugend wollte sich nicht mehr in die starren Strukturen von Männlichkeit und Weiblichkeit pressen lassen. Alles war möglich, alles war erlaubt, ob schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell. Diese scheinbare geschlechtliche Mobilität symbolisiert auch das große Interesse an Travestie- und Verkleidungskünstlern. Bewegung in das konventionelle Geschlechterverständnis brachten auch Veränderungen der Rechtspositionen. Im Zuge der transición verbesserten sich besonders die Rechte der spanischen Frauen. Zunächst wurde dem Mann das Recht der straffreien Tötung seiner untreuen Gattin abgesprochen. Noch 1975 wurde das eingeschränkte Berufsverbot abgeschafft, außerdem erlaubte man den Frauen die Führung eines eigenen Kontos und den Besitz eines Passes. Drei Jahre später garantierte die neue Verfassung das Grundrecht auf Freiheit und Gleichheit aller Spanier unabhängig von ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Gleichzeitig wurde dem Mann seine traditionelle Führungsrolle in Ehe und Familie abgesprochen, innerhalb des Familienrechts vollzogen sich wesentliche Änderungen, und auch die Möglichkeit der Ehescheidung wurde ins spanische Recht aufgenommen.
Thorsten Kadel studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Heute arbeitet er als Autor und Kreativdirektor. Dabei beschäftigt er sich mit dem Zusammenhang zwischen Wirklichkeitskonstruktion und unbewusster Wahrnehmung und der Vermittlung von explizitem und implizitem Wissen in Form des Storytelling.
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